Bienenschutz: Gift unter Beobachtung
Sie tragen Namen wie Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam, und: Sie sind ab dem 1. Dezember 2013 für zunächst einmal zwei Jahre von den Äckern der Europäischen Union verbannt. Denn die Substanzen mit den komplizierten Namen schaden womöglich einer der wichtigsten Insektenarten unserer Wiesen und Felder: den Bienen. Bisher schützten Bauern mit diesen Pestiziden Saatgut und keimende Nutzpflanzen von Mais und Raps bis zu Sonnenblumen und Baumwolle vor gefräßigen Insekten im Boden. Da Honigbienen normalerweise unter der Erde nichts zu fressen suchen, galt das Beizen mit diesen "Neonicotinoide" genannten Substanzen eigentlich als bienensicher.
Allerdings sollten diese drei Pestizide relativ haltbar sein, um Saatgut und Keime auch bei ungünstiger Witterung ausreichend zu schützen. Zu haltbar, vermuten inzwischen Imker und Naturschützer gleichermaßen: Diese drei Neonicotinoide könnten so lange in der Pflanze überdauern, dass noch bei der viel späteren Blüte genug in ihnen steckt, um nach Nektar suchende Bienen zu gefährden, lautete der Verdacht. Um ihn zu untermauern oder auszuräumen, hat die EU jetzt das zweijährige Moratorium verhängt. Diesen Zeitraum sollen Forscher wie Werner von der Ohe vom niedersächsischen LAVES-Institut für Bienenkunde in Celle nutzen, um die Risikofaktoren für die Honigbiene noch genauer unter die Lupe zu nehmen. Danach entscheidet die EU, was mit diesen Beizmitteln weiter geschehen soll.
Geschützte Immen
Den Hintergrund dieses Moratoriums bilden die ausdrücklichen Bestrebungen der EU, Honigbienen zu schützen. Schließlich sind die eifrigen Insekten nicht nur unersetzliche Lieferanten für Honig, sondern bestäuben auch eine ganze Reihe wichtiger Nutzpflanzen wie zum Beispiel viele Obst- und Gemüsesorten. So sichern sie den Bauern die Ernte, und es liegt in deren eigenem Interesse, der Honigbiene das Leben möglichst nicht zu erschweren. Daher gibt es längst eine Reihe von Maßnahmen, mit denen die Landwirte den Immen unter die Flügel greifen sollen: Wachsen auf einem Streifen am Rand des Ackers zum Beispiel viele Wildkräuter, können die Honigbienen an deren Blüten Nektar und den lebensnotwendigen Pollen sammeln, wenn sonst in der Umgebung Schmalhans Küchenmeister ist. So bleibt das Volk stark und kann seinem Job als Bestäuber von Obst und Gemüse besser nachkommen.
Aber gefährden nicht die Pestizide, die der Bauer gleich daneben auf seinem Acker verteilt, solche Aufbauarbeit für die Bienen gleich wieder? Solange sich der Landwirt an seine Vorschriften hält, sollte in der Theorie nichts passieren. "Pflanzenschutzmittel müssen in der EU ja untersucht werden, ob sie für Bienen gefährlich werden können", erklärt Werner von der Ohe. Das passiert im Rahmen des Zulassungsverfahrens und betrifft alle Pflanzenschutzmittel. Also auch Herbizide, die gegen Wildkräuter eingesetzt werden, sowie die gegen Pilze gerichteten Fungizide. Da Insekten mit diesen Organismen nur wenige Gemeinsamkeiten haben, stellen sie zumindest keine direkte Gefahr dar.
Nervengift
Ganz anders sieht es dagegen mit Insektiziden aus, mit denen Bauern krabbelnde Liebhaber ihrer Saat und Ernte in Schach zu halten versuchen. Viele dieser Mittel attackieren eher unspezifisch den Organismus. Die allermeisten der in drei Gruppen unterteilten Insektizide wirken auf das Nervensystem von Insekten, aber auch von anderen Gliederfüßern. Einer der eingesetzten Wirkstoffe stammt ursprünglich aus Chrysanthemen, die sich damit gegen das Gefressenwerden wehren. Diese Pyrethrine wurden zu verschiedenen Pyrethroiden weiterentwickelt, die alle synthetisch hergestellt werden. Sie blockieren dauerhaft die Natriumkanäle, ohne die Nerven keine elektrischen Signale leiten können. Kommen Insekten mit solchen Wirkstoffen in Kontakt, werden sie gelähmt und sterben meist bald.
Diese elektrischen Nervenimpulse laufen nicht nur innerhalb eines Nervs, sondern können von dort auch auf andere Zellen übertragen werden. Dazu produziert die Nervenzelle den Botenstoff Azetylcholin, der anschließend einen schmalen Spalt zur Zielzelle durchquert. Dort dockt die Substanz an einen Rezeptor an, der ein elektrisches Signal erzeugt. Genau diesen Azetylcholin-Rezeptor aber blockiert die zweite wichtige Klasse der Insektizide, die Neonicotinoide. Eine solche Unterbrechung der Signalkaskade führt dann ebenfalls zur Lähmung.
Funktionieren die Nerven dagegen normal, baut das Enzym Azetylcholin-Esterase das vom Rezeptor gebundene Azetylcholin sehr rasch wieder ab und verhindert so, dass die Zelle pausenlos Signale weiterleitet. Dieses Enzym wiederum setzt die dritte große Gruppe der Insektizide, die Phosphorsäureester, außer Gefecht. Sie wirken daher ganz anders als Neonicotinoide und führen zu einem andauernden Nervenreiz, der nicht mehr ausgeschaltet wird. Auch so wird die Funktion des Nervensystems blockiert, die betroffenen Tiere werden gelähmt und sterben rasch.
Auf die Menge kommt es an
Alle drei Insektizidgruppen wirken auf jeweils grundlegende Prozesse des Nervensystems, die in sehr vielen verschiedenen Organismen bis hin zum Menschen sehr ähnlich ablaufen. Da wundert es nicht, dass diese Substanzen anfangs sehr viele verschiedene Organismen gleichermaßen außer Gefecht setzten – auch solche wie Bienen, die gar nicht zu den Zielen zählten. "Inzwischen versucht man Substanzen zu entwickeln, die Zielorganismen wie Läuse und schädliche Käfer töten, Nützlinge wie Bienen aber schonen", erklärt Werner von der Ohe. Thiacloprid zum Beispiel erwischt Blattläuse, Schildläuse, Blattflöhe und schädliche Insekten wie den Rapsglanzkäfer, ist für Bienen und andere Nützlinge aber ungefährlich.
"Inzwischen versucht man Substanzen zu entwickeln, die Zielorganismen wie Läuse und schädliche Käfer töten, Nützlinge wie Bienen aber schonen"
Werner von der Ohe
Das Wort "ungefährlich" ist in der Biologie allerdings mit Vorsicht zu genießen. Substanzen wie Kochsalz, die in kleineren Mengen lebensnotwendig sind, können in höherer Dosis lebensgefährlich werden. Ein ähnlicher Zusammenhang gilt natürlich auch für Pestizide. Gilt ein solcher Wirkstoff als ungefährlich, können höhere Konzentrationen Bienen durchaus Probleme bereiten. Meist steigt mit der Menge auch die Wirkung. Steigt die Konzentration eines Insektizids über das ungefährliche Niveau, ist das normalerweise nicht gleich tödlich, sondern verschlechtert zum Beispiel nur die normalen Fähigkeiten. Bienen können sich dann beispielsweise schlechter orientieren – was dann ebenfalls fatal enden kann, wenn sie zum Beispiel nicht mehr zum Stock zurückfinden.
Steigt die Dosis weiter, folgt eine Stufe der "chronischen Toxizität": Die Substanz reichert sich immer weiter im Insekt an, bis nach einiger Zeit eine tödliche Konzentration erreicht wird. Noch höhere Dosen erreichen dann eine "akute Toxizität" und töten die Bienen sofort.
Fehlende Orientierung
Die Abhängigkeit der Wirkung von der Dosis legt auch einen Mechanismus nahe, wie eigentlich ungefährliche Konzentrationen von Beizmitteln für Bienen doch noch gefährlich werden können. Dafür verwendete Neonicotinoide sind meist recht stabil, weil die Geschwindigkeiten, mit denen das Saatgut aufläuft und die Keime wachsen, sehr verschieden sein können. Bei kühler und trockener Witterung dauert es viel länger, bis die jungen Pflanzen eine bestimmte Größe erreichen als im so genannten Wachswetter in warmer Luft und reichlichem Regen. Um diese Unterschiede zu überbrücken, brauchen Insektizide eine gewisse Haltbarkeit.
Um Schädlinge unter der Erde zuverlässig zu erwischen, ist die Dosis des Insektizids beim Beizen relativ hoch. Die gute Haltbarkeit aber kann dazu führen, dass noch zur Blütezeit der Pflanzen messbare Mengen des Wirkstoffs in der Blüte sind. Mit dem Nektar oder Pollen nehmen die Sammlerinnen des Bienenvolkes die Insektizide dann auf und tragen die Substanzen in den Stock, wo sie die Brut gefährden kann.
Nervengifte in Verdacht
Inwieweit die drei Neonicotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam auf diesem Umweg doch Bienen erreichen und womöglich schädigen, wird untersucht. Wissenschaftler haben zum Beispiel gemessen, welche Mengen dieser Substanzen im Pollen oder Nektar von Blüten enthalten sein können. Da die tödliche Dosis für Bienen bekannt ist, können sie so auch die Gefährdung abschätzen.
Welche Risiken für Bienenvölker von nicht tödlichen Konzentrationen ausgehen, testen Werner von der Ohe und seine Kollegen ebenfalls seit einiger Zeit aus. Dazu füttern sie Bienen mit Zuckerwasser, in dem verschiedene Dosen Thiamethoxam enthalten sind. Dann lassen sie die Bienen 500 Meter von ihrem Stock entfernt frei. Normalerweise fliegen die Insekten in solchen Situationen schnurstracks nach Hause. In den Experimenten aber tun das nur die Bienen, die wenig Insektizid abbekommen haben. Je höher die Belastung ist, umso größere Schwierigkeiten scheinen die Insekten zu haben, ihren Nachhauseweg zu finden. Kommen aber weniger Bienen zurück, fehlen zum Beispiel diese Sammelbienen. Dadurch wird der Stock geschwächt.
Moratorium für Neonicotinoide
Wie viele Rückstände dieser Substanzen sich noch im Nektar oder Pollen der Blüten finden, ist also häufig bereits bekannt. Auch dazu, wie diese Konzentrationen auf Bienen wirken und ab wann sie zum Beispiel ihre Chancen beeinflussen, nach Hause zurückzufinden, gibt es Daten. Nicht bekannt dagegen ist, wie stark diese Faktoren Bienenvölker tatsächlich schwächen.
Solche Untersuchungen sollen jetzt während des zweijährigen Moratoriums stattfinden: Wie entwickeln sich Bienenstöcke in verschiedenen Landschaften wie einer Obstwiese oder bei Gemüsefeldern bei unterschiedlichen Konzentrationen von Rückständen? Wie reagiert das Immunsystem auf die Rückstände, welche Krankheiten treten auf, wie häufig sind sie und wie wirken sie auf das Bienenvolk?
Neben solchen Fragen interessieren sich die Forscher auch für die Möglichkeiten des Stocks, Probleme zu kompensieren. Wenn viele Außendienstbienen den Nachhauseweg nicht mehr finden, kann rasch die Versorgung des Stocks gefährdet sein. Bienen sind in solchen Situationen sehr flexibel, dann lernen eben einige Innendienstler um und suchen draußen Nektar. Auch wenn sie so einen Teil der Ausfälle kompensieren, wird sich die Versorgungslage verschlechtern. Ammenbienen beginnen dann, einen Teil der Brut zu fressen. Am Ende verringert sich die Größe des Volks deutlich – und der Imker bekommt weniger Honig.
Daneben untersuchen Werner von der Ohe und seine Mitarbeiter auch, wie sich die Rückstände von Insektiziden im Nektar auf die Brut auswirken. Dazu füttern die Forscher Bienenlarven mit verschiedenen Konzentrationen von Rückständen und beobachten, ob der Nachwuchs sich normal entwickelt oder welche Probleme auftreten.
Gefährliche Kombination
Ein weiteres Problem für Bienenvölker kann auftauchen, wenn zwei Pestizide, die einzeln für die Immen harmlos sind, miteinander kombiniert werden. Eine solche riskante Kombination bilden die gegen Pilze gerichteten Azol-Fungizide und Insektizide aus der Gruppe der Pyrethroide. "Normalerweise werden die Entgiftungsmechanismen mit jedem einzelnen dieser Pestizide ohne größere Probleme fertig", erklärt Werner von der Ohe. Kommen zwei solcher Substanzen dagegen zusammen, scheint der Organismus der Biene mit dem Unschädlichmachen überfordert.
Für den Bauern spart es dagegen viel Zeit, wenn er beide Substanzen gleichzeitig ausbringt. Schließlich fährt er so statt zwei- nur einmal auf den Acker und verbessert damit Klimabilanz und Betriebsergebnis gleichermaßen. Um die Bienen mit dieser praktischen Alternative nicht zu gefährden, verlangen die Behörden inzwischen aber, dass solche Kombinationen erst dann ausgebracht werden dürfen, wenn die Bienen am Abend nicht mehr fliegen. Bis spätestens 23.00 Uhr muss die Aktion beendet sein. So stellt man sicher, dass die Pestizide weit gehend von den Pflanzen aufgenommen oder abgebaut sind, wenn die Bienen am nächsten Morgen wieder zum Nektarsammeln ausschwärmen. Um die Sommersonnenwende kann dann zwar die Zeit recht knapp werden, in der solche Konzentrationen versprüht werden. Die Bienen aber werden geschont. Und das spüren Obst- und Gemüsebauern, Imker und auch Honigkäufer gleichermaßen im Geldbeutel.
Schreiben Sie uns!
1 Beitrag anzeigen