Giant Garuda: Gigantischer Damm, gigantischer Irrsinn?
Megaverkehrsstaus und rasante Urbanisierung sind die zwei großen Probleme Jakartas. Doch gegen das größte Problem der indonesischen Hauptstadt wirken sie geradezu unbedeutend: Jakarta versinkt. Die Metropole mit mehr als zehn Millionen Einwohnern an der Küste der Javasee verschwindet mit atemberaubender Geschwindigkeit im Untergrund. Zwischen fünf und zehn Zentimetern sind es pro Jahr, in Nordjakarta gar 20 Zentimeter. Der Grund: In einem unvorstellbaren und unkontrollierten Ausmaß wird zur Wasserversorgung der Einwohner Jakartas Grundwasser abgezapft. Bis 2030, warnen Experten, könnten gut 80 Prozent von Jakarta unterhalb des Meeresspiegels liegen.
Die Menschen in Muara Baru in Nordjakarta sind arm. Sie leben in schäbigen Häusern am Fuße einer mehr als zwei Meter hohen Betonmauer. Dahinter staut sich über ihren Köpfen das Meer. Ohne die Staumauer wäre Muara Baru längst vom Meer verschlungen. Das stinkende, pechschwarze Wasser steht wenige Zentimeter unterhalb der Mauerkrone. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis es sich nach Muara Baru ergießt.
In der Regenzeit zwischen Ende November und März steht Jakarta regelmäßig unter Wasser. 13 Flüsse fließen durch die Stadt und münden in Nordjakarta ins Meer. Müll, Dreck und Giftstoffe aus den vielen Fabriken haben aus den Flüssen stinkende Kloaken gemacht.
"Garuda" soll vor dem Meer schützen
Rettung soll ein kilometerlanger Schutzdamm quer durch die Bucht von Jakarta bringen. Seine geplante Form erinnert an die Schwingen von Garuda, dem halb mensch-, halb adlergestaltigen Reittier des hinduistischen Schöpfergottes Vishnu, dem indonesischen Wappentier. Das auch als Giant Garuda, Giant Sea Wall oder offiziell als National Capital Integrated Coastal Development (NCICD) bekannte Vorhaben ist kühn und gigantisch: 32 Kilometer lang soll der Damm in der Bucht von Jakarta werden, die an dem vorgesehenen Standort des Giant Garuda 16 Meter tief ist. Geschätzte Kosten: bis zu 40 Milliarden US-Dollar.
Die Befürworter bejubeln den Großen Garuda als Eier legende Wollmilchsau, die alle Probleme Jakartas mit einem Schlag löst. Die Stadt versinke nicht weiter, und aus der Lagune, die durch den Megastaudamm entsteht, lasse sich im Handumdrehen ein Wasserreservoir für Jakarta machen. Die Finanzierung soll mit öffentlichen und privaten Geldern gestemmt werden.
Konkret heißt das: Ein Viertel der Kosten trägt Jakarta, während der Rest von einem Konsortium aus indonesischen Unternehmen beigesteuert wird. Dafür erhalten diese das Recht, in der neuen Lagune 17 Inseln aufzuschütten und auf diesen sowie auf dem Riesengaruda eine neue Stadt für rund zwei Millionen Menschen mit Bürohochhäusern, Luxusapartmentanlagen, Hotels und Shopping Malls hochzuziehen. "Der Große Garuda wird eine erstklassige Adresse für Investoren werden. Für die Bewohner wird er der Ort sein, um der überfüllten Stadt zu entkommen, ohne stundenlang fahren zu müssen", preist NCICD die Vorteile des Projekts.
Bendi ist ein Fischer im Muara Baru. Von dem Großen Garuda hat er schon gehört. Genaues weiß er aber nicht. "Die Behörden informieren uns kleine Leute nicht", sagt Bendi, während er sein kleines, hölzernes Boot für die nächste Fangtour vorbereitet. Er fürchtet um seine Existenz, wenn der Schutzgaruda erst mal seine Flügel ausbreitet. "Schon heute muss ich immer weiter rausfahren, um überhaupt noch Fische zu finden", sagt Bendi.
Wo noch fischen?
Die Sorgen der Fischer wie Bendi kann Alex Hekman gut verstehen. "Die haben Recht – und auch wieder nicht. Um in sauberem Wasser fischen zu können, müssen sie heute schon heute weiter raus fahren als früher", sagt Hekman über Skype aus Holland. Der Wasserexperte ist Teamleader des Jakarta-Masterplanteams der holländischen Firma Grontmij Nederland B.V., die zusammen mit Witeveen+Bos und anderen Unternehmen wie KuiperCompagnons, Deltares, Ecorys and Triple-A dem Konsortium angehört, das im Rahmen einer Partnerschaft der indonesischen und niederländischen Regierung den Masterplan für den Großen Garuda erstellt hat.
Der Masterplan sehe zwei Phasen vor, erläutert Hekman. Als Sofortmaßnahme werde direkt an der Küste eine acht Kilometer lange Mauer gleich hinter der alten, nicht mehr ausreichenden gebaut. In einem zweiten Schritt solle dann der Riesengaruda entstehen, an dessen östlichem Flügel Sozialwohnungen und ein Fischereihafen geplant seien, während die hochpreisigen Anlagen und Gebäude für den westlichen Flügel und die Inseln vorgesehen seien.
Dann rückt der Experte die wohlklingende Propaganda der indonesischen Garuda-Fans gerade. Der Superdamm schütze Jakarta nur vor einer Überschwemmung durch den steigenden Meeresspiegel. Das jährliche Hochwasser durch die Flüsse und erst recht das Problem des Sinkens der Stadt durch den Raubbau am Grundwasser werde dadurch nicht gelöst. Die künstliche Lagune als Trinkwasserreservoir, so Hekman weiter, könne nur langfristig Wirklichkeit werden, und auch nur dann, wenn Jakarta die im Masterplan vorgesehenen Klärwerke und Kanalisation baut – für die ganze Stadt.
Vorbei an den wichtigen Problemen der Stadt
Das aber ist aus vielen Gründen eine Herausforderung, riesiger als der Garuda. "Nur in drei Prozent von Jakarta gibt es eine Kanalisation, und davon funktionieren nur 30 Prozent", erklärt Hekman. Die Bauzeit für eine stadtweite Kanalisation inklusive Klärwerken schätzt der Experte auf "40 bis 50 Jahre". Hekman sagt nüchtern: "Das Geld dafür ist im Prinzip da, und die Politiker sehen die Dringlichkeit. Aber Dringlichkeit wird in Indonesien anders verstanden als bei uns in Europa."
Mit viel Getöse wurde im September 2014 der erste Spatenstich für den Staudamm gesetzt. Mit der Aufschüttung einiger Inseln wurde auch schon begonnen. Allerdings ist der momentane Stand des Projekts unklar. Die Stadt Jakarta will mit den Investoren die Lizenzgebühren für den Inselbau neu verhandeln, während das Fischereiministerium den Mauerbau ganz stoppen möchte.
Der Giant Garuda sei eine Umweltkatastrophe, heißt es in einem im Oktober 2015 veröffentlichten Gutachten des Ministeriums. Für die Ökologie der Bucht von Jakarta wichtige Korallenriffe würden zerstört, und veränderte Meeresströmungen würden die Küsten der "Tausend Inseln" erodieren, den Kepulauan Seribu, die weiter draußen ein beliebtes Ausflugsparadies für die Städter sind. Zudem werde das Wasser aus den verschmutzten und mit Umweltgiften belasteten Flüssen die künstliche Lagune in einen "dreckigen Teich verwandeln". Die durch die Einleitung bedingte Nährstoffzunahme reduziere die Sauerstoffkonzentration im Wasser, was für die Lebewesen darin "fatal" sei.
Diese Umweltprobleme konzediert zwar auch das NCICD. Aber die langfristigen Vorteile würden erstens überwiegen, und zweitens sei der ökologische Zustand der Bucht von Jakarta schon so schlecht, dass es auf ein paar zusätzliche Schäden auch nicht mehr ankomme, finden die Garuda-Fans.
Riesendamm für Riesengewinne
Einer der zahlreichen Garuda-Kritiker ist Marco Kusumawijaya, der 2017 bei der Gouverneurswahl in Jakarta als unabhängiger Kandidat antreten will. Für den eloquenten Architekten und Stadtplaner ist das Projekt eine superteure Augenwischerei, um sich vor der Lösung der wahren Probleme Jakartas zu drücken. "Die Milliarden wären besser in viele Projekte und Maßnahmen investiert, um die Infrastruktur von Jakarta zu verbessern", sagt der Gründer und Direktor des RUJAK Center for Urban Studies in seinem Büro in Jakarta. "Aber auf diese Weise lässt man die Stadt expandieren und die innerstädtische Infrastruktur weiter verfallen", findet Kusumawijaya.
Mit dem Riesengaruda sei viel Geld zu verdienen, so Kusumawijaya, mit der Modernisierung der existierenden Infrastruktur aber nicht. "Die Landgewinnung für die Inseln kostet pro Quadratmeter zwei Millionen indonesische Rupiah (etwa 130 Euro). Der Verkaufspreis aber wird bei 30 Millionen Rupiah (etwa 2000 Euro) liegen. Das ist ein gigantischer Profit", rechnet der Fachmann für urbane Planung vor. "Die Häuser und Wohnungen auf dem Riesengaruda werden sich nur die Reichen leisten können. Mit anderen Worten: Sie werden zu Spekulationsobjekten."
Ahmad "Puput" Safrudin wirft den Planern "mangelnde Transparenz" vor. Zudem hält der Umwelt- und Verkehrsexperte der indonesischen Umweltorganisation KPBB den steigenden Meeresspiegel nicht für das vordringliche Problem. "Der Meeresspiegel steigt jährlich um sechs Millimeter. Das ist nichts im Vergleich zu der Sinkrate Jakartas."
2018 soll es losgehen mit dem Bau des Giant Garuda. Angesichts der Probleme bei Planung und Koordination innerhalb der indonesischen Behörden hält Hekman eher 2020 als Baubeginn für realistisch. Bei einer Bauzeit von rund fünf Jahren dürfe es viel später auch nicht werden. Sonst mache die Riesenmauer keinen Sinn mehr.
Korruption, die aktuellen Wirtschaftsprobleme Indonesiens und die Irrungen und Wirrungen der indonesischen Politik setzen zudem derzeit dem Riesengaruda zu. In der Vorstellung des Masterplans durch Witteveen+Bos heißt es: "Viele Faktoren werden bestimmen, ob und wie der Masterplan umgesetzt wird." Oder anders gesagt: Noch ist alles offen in der Bucht von Jakarta.
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