Glasfaserkabel: Marathontraining für Lichtsignale
Ob Nachrichten, Katzenbilder, Musikvideos oder E-Mails: Ein Großteil der weltweiten Kommunikation läuft heutzutage durch Glasfaserkabel, und diese müssen einen immer größeren Datendurchsatz gewährleisten. Allein seit dem Jahr 2000 sind die Datenmengen, die durch das globale Netz strömen, um 60 Prozent gewachsen – und zwar pro Jahr. Telekommunikationsfirmen stehen deshalb vor der Herausforderung, einerseits genügend Glasfasern zu verlegen und andererseits möglichst viel Übertragungskapazität aus jeder einzelnen Faser herauszuholen.
Mittlerweile lassen sich rund 100 bis 200 Übertragungskanäle in einer einzelnen Faser unterbringen, indem man etwa Licht verschiedener Wellenlänge, Phase und Polarisation hineinschickt. Dieses so genannte Multiplexing hat die Übertragungskapazitäten vervielfacht und ermöglicht mittlerweile pro Faser Datenraten von rund 20 Terabit pro Sekunde. Dennoch lässt es sich nicht beliebig erweitern: Schickt man viele Signale durch eine Faser, so können diese sich gegenseitig stören und verzerren. Der Effekt ist zwar gering, über größere Strecken summiert er sich so weit, dass irgendwann die Signale starkes Rauschen aufweisen und nicht mehr auslesbar sind. Man nennt dies auch "Nebensprechen", weil es bei alten, elektrisch-analogen Telefonleitungen mitunter vorkam, dass man andere Gespräche leise mithören konnte. Digitale Lichtsignale werden so ab einem gewissen Punkt einfach unbrauchbar. Es hilft auch nicht, sie verstärkt in die Faser einzuspeisen, denn umso stärker wird auch die Verzerrung.
Forscher um Nikola Alic von der University of California in San Diego haben deshalb nun eine Methode entwickelt, um diese unvermeidbare Verzerrung deutlich zu vermindern und somit sehr viel höhere Übertragungsreichweiten möglich zu machen. Langstreckenglasfasernetze benötigen ungefähr alle 1000 Kilometer RepeatersStationen. Diese Zwischenverstärker wandeln das Lichtsignal in elektrische Pulse um, analysieren die Daten und schicken sie dann erneut als Lichtsignal weiter. Das bremst nicht nur die Datenübertragung, sondern macht auch bis zu 80 Prozent der Kosten für die Infrastruktur aus. Jede Technologie, die hilft, die Kapazität und Reichweite in den Glasfasernetzen zu erhöhen, könnte also auch die Netzkosten für Betreiber und Nutzer deutlich verringern.
Verzerrte Eingabe liefert unverzerrtes Ergebnis
Um das Nebensprechen zu minimieren, haben Nikola Alic und seine Kollegen nun sozusagen das Pferd von hinten aufgezäumt. Sie nutzen gängige Glasfaserkabel. Ihr Clou besteht jedoch darin, die Verzerrung bereits beim Eingangssignal vorwegzunehmen, wodurch die Signale am Ende der Leitung möglichst unverzerrt wieder herauskommen. Im Prinzip ist der Effekt, der das Rauschen verursacht, bekannt und lässt sich physikalisch bestimmen. Es ist aber nicht möglich, aus verrauschten Signalen das Ursprungssignal zu rekonstruieren, denn viele kleine Unwägbarkeiten sorgen dafür, dass dieses Rauschen letztlich wie reiner Zufall aussieht.
Ein Problem dabei sind die vielen Laser für die verschiedenen Wellenlängen, die nie ganz exakt auf ihrer Wellenlänge senden. Laser sind zwar von ihrem Bauprinzip her sehr frequenzgetreu, aber eben doch nicht perfekt: Ihre Frequenz ändert sich im Lauf der Zeit etwa auf Grund von Temperaturschwankungen ganz leicht. Alic und seine Kollegen haben deshalb einen so genannten Frequenzkamm benutzt. Dies ist ein Laser, dessen Strahl in mehrere Teilstrahlen von leicht unterschiedlicher Frequenz aufgespalten wird. Verschiebt sich nun die Frequenz des Ursprungslasers, so machen auch alle Teilstrahlen diese Verschiebung in exakt gleicher Weise mit, und das Verhältnis der Frequenzen bleibt erhalten. "Unsere Quelle wirkt dann wie ein Konzertmeister, der dafür sorgt, dass alle Instrumente in einem Orchester richtig aufeinander gestimmt sind", sagt Alic.
Diese perfekt aufeinander synchronisierten Signale schickten die Forscher dann zunächst in einen Wellenformgenerator und dann in die Glasfaser. Der Wellenformgenerator veränderte die Form der Lichtsignale genau umgekehrt, wie es der Verzerrung in der Glasfaser entspricht. Hierzu muss allerdings schnelle Elektronik die genaue Wellenform ermitteln, was bis vor Kurzem technisch noch nicht umsetzbar war. Die Idee dazu hatten die Forscher bereits letztes Jahr in einer theoretischen Abhandlung beschrieben.
Verdopplung von Datendurchsatz oder Reichweite
Dank dieser Vorbehandlung kam das Signal auch nach über 1000 Kilometer Strecke mit ausgezeichneter Güte an. Mit der neuen Methode wird es vor allem möglich, Licht mit höherer Leistung in die Glasfaser zu speisen, denn durch die Vorwegnahme der Verzerrung lässt sich das Rauschen besser kontrollieren. Dadurch kann man entweder die Menge an Informationen verdoppeln, die man durch eine Glasfaser sendet, oder die Reichweite. Die Gruppe arbeitet bereits an einer weiteren Verdopplung der Leistungsfähigkeit. Das Prinzip ist auch nicht auf die Telekommunikation beschränkt. "Viele wissenschaftliche Messungen sind von dem Verhalten der Lichtsignale in Glasfasern beeinflusst oder dadurch beschränkt und könnten von unserem Konzept profitieren", sagt Alic.
Noch sind die Versuche aber ein ganzes Stück von der Anwendbarkeit entfernt. Bei ihren Studien sandten die Forscher nicht 100, sondern nur drei bis fünf parallele Signale durch die Leitung. Laut Bernhard Schmauss, Professor für Optische Hochfrequenztechnik und Photonik an der Universität Erlangen-Nürnberg, eröffne die Methode neue Wege, die nichtlinearen Signalverzerrungen zu kompensieren. Sie habe Potenzial, die Reichweite beziehungsweise Übertragungskapazität zu erhöhen.
Neue Kosten für die Infrastruktur
Doch es bleibt abzuwarten, ob sich Telekommunikationsfirmen für die neue Technik erwärmen werden. Bislang läuft das Vorgehen beim Netzausbau eher so ab, dass man neue Leitung installiert und dann je nach Bedarf mehr Kapazität, beispielsweise mit Hilfe neuer Laser, aufschaltet. Die Methode der Wissenschaftler aus Kalifornien würde jedoch eine neue Art der Glasfaserverkabelung bedeuten, die wiederum eigene Investitionskosten und anspruchsvolle Elektronik mit sich bringt. "Was die Methode nicht löst, ist das Problem, dass die Einheiten zur Entzerrung aufwändig sind", kommentiert Schmauss.
Andere Forschungsgruppen arbeiten an anderen Ansätzen: So werden zurzeit etwa auch bessere Glasfasern oder neue Formen des Multiplexing erforscht, um das Internet der Zukunft flüssig zu halten und Stau auf der Datenautobahn zu verhindern. Insbesondere für interkontinentale Langstreckenverbindungen aber könnte die Technologie aus Kalifornien Vorteile versprechen.
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