Differenzialgeometrie: Glatte Fraktale - eine neue Art von Fläche
Eigentlich kennt man den amerikanischen Mathematiker John Nash als Pionier der Spieltheorie und Schöpfer des nach ihm benannten Gleichgewichtsbegriffs. Über dieser Leistung, die ihm 1994 den Wirtschaftsnobelpreis einbrachte, ist ein anderer Geniestreich von ihm fast in Vergessenheit geraten. In den 1950er Jahren entdeckte Nash, dass ein als unlösbar geltendes geometrisches Problem Lösungen im Überfluss hat. Es geht darum, eine »isometrische Einbettung« zu finden, eine Abbildung von der Ebene auf eine gekrümmte Fläche mit der Eigenschaft, dass alle Längen erhalten bleiben.
Ein paar Seiten mathematischer Argumentation genügten Nash, um aus der Unmöglichkeit eine Möglichkeit zu machen und dabei einige vermeintliche Gewissheiten über den Haufen zu werfen. Es gab nur eine ärgerliche Kleinigkeit: Obwohl niemand ernsthaft bezweifelte, dass eine isometrische Einbettung existiert, konnte niemand sie sich vorstellen, und deswegen verstand auch niemand sie richtig. Dank einer Kombination von Mathematik und Informatik ist es uns gelungen, diese Lücke zu schließen. Das Resultat ist eine Fläche von ganz neuem Typ; wir haben sie als glattes Fraktal bezeichnet, weil sie über gewisse Eigenschaften eines Fraktals verfügt.
Unsere Arbeit stützt sich auf eine Theorie namens »konvexe Integration«, die der russisch-französische Mathematiker Mikhail Gromov entwickelt hat. Unter anderem von Nashs Arbeiten inspiriert, liefert sie ein mächtiges Werkzeug zur Lösung zahlreicher Probleme aus dem Grenzbereich von Geometrie und Analysis. Sie ist so abstrakt formuliert, dass irgendwelche Anwendungen undenkbar schienen; dem ist jedoch nicht so, wie wir zeigen konnten. Gromovs Theorie erlaubt es, sehr konkret gewisse Klassen von partiellen Differenzialgleichungen zu lösen – das sind solche, deren Unbekannte Funktionen mehrerer Veränderlicher sind.
Die Anfänge des Problems reichen in die 1850er Jahre zurück. Damals revolutionierte Bernhard Riemann (1826–1866) die Geometrie, indem er einen radikalen Wechsel der Perspektive vollzog.
Der begrifflich einfachste Weg, eine Fläche im Raum zu beschreiben, ist die »Parametrisierung«. Das ist eine Funktion, die jedem Punkt der Ebene – oder eines Teilstücks der Ebene – einen Punkt im Raum zuordnet. Die Fläche besteht dann aus allen Werten dieser Funktion. Das Ebenenstück, auf dem die Funktion definiert ist, wird manchmal auch eine »Karte« der Fläche genannt. Unter einer geeigneten Parametrisierung verwandeln sich Gitterlinien (»Rechenkästchen«) auf einer rechteckigen Karte in Längen- und Breitenkreise auf einer Kugeloberfläche. Ein Zylinder wird parametrisiert durch ein Rechteck, bei dem zwei gegenüberliegende Seiten miteinander identifiziert werden; man klebt gewissermaßen die linke und die rechte Seite eines Blattes Papier zur Röhre zusammen. (Hier und im Folgenden verstehen wir unter einem Zylinder nur die gekrümmte Mantelfläche, also eine Konservendose ohne Boden und Deckel.) Entsprechend wird aus einer autoschlauchförmigen Fläche (einem Torus) ein »quadratischer Torus«, das heißt ein Quadrat, bei dem gegenüberliegende Seiten paarweise identifiziert werden.
Allerdings sagt einem eine Parametrisierung über eine Fläche mehr, als man eigentlich wissen will. Es interessiert einen nicht wirklich, wo und in welche Richtung orientiert die Fläche im Raum liegt; vielmehr möchte man den Standpunkt eines fiktiven Wesens einnehmen, das auf der Fläche lebt und dort auch Längen und Winkel messen kann, aber außerhalb seiner Fläche nichts wahrnimmt. Gleichwohl kann unser gedachter Flächenbewohner Dreiecke vermessen und zum Beispiel aus der Tatsache, dass die Winkelsumme im Dreieck in einer systematischen Weise größer ist als 180 Grad, erschließen, dass er auf einer Kugeloberfläche lebt.
Riemannsche Metrik
Riemann ersetzte nun die Parametrisierung einer Fläche durch eine Funktion, die in jedem Punkt die »intrinsischen« (für einen Flächenbewohner erkennbaren) Eigenschaften der Fläche beschreibt. Allerdings sind die auf der Fläche gemessenen Längen im Allgemeinen nicht die Längen auf der Karte. Von wenigen Ausnahmen wie dem Zylinder abgesehen, ist es nicht möglich, ein Stück Ebene so mit einer gekrümmten Fläche in Beziehung zu setzen, dass Längen und Winkel in der Ebene gleich ihren Gegenstücken auf der Fläche sind. Es gibt keine Karte der Erdoberfläche, die zugleich längen- und winkeltreu ist. Und auf dem Torus ist der äußere Äquator länger als der innere, während die ihnen entsprechenden Kurven auf dem quadratischen Torus – das sind zwei horizontale Strecken – gleiche Länge haben.
Riemann korrigierte diesen Mangel auf eine merkwürdig anmutende Weise. Er führte auf der Karte einen orts- und richtungsabhängigen Maßstab ein. Diesen wählte er so, dass die mit dem verzerrenden Maßstab auf der Karte gemessenen Längen genau die richtigen Längen auf der Fläche sind. Wie sich herausstellt, ist dieser ortsabhängige Maßstab, der nach seinem Erfinder »riemannsche Metrik« heißt, alles, was man über die Geometrie der Fläche wissen muss.
Riemanns Vorgehen erlaubt es, die möglicherweise sehr unübersichtliche Form der Fläche völlig außer Acht zu lassen. Wichtig ist nur ihre Darstellung durch ein Stück Ebene plus einen ortsabhängigen Maßstab, eben die riemannsche Metrik, auf derselben. Diese Sichtweise erweist sich als überaus effizient; insbesondere liegt sie der mathematischen Formulierung der allgemeinen Relativitätstheorie zu Grunde.
Damit reduziert sich das Studium der Flächen auf die Arbeit mit riemannschen Metriken, also im Wesentlichen mit den Funktionen, die zu jedem Ort und zu jeder Richtung den zugehörigen Maßstab angeben. Derartige Maßstabsfunktionen gibt es sehr viele, darunter solche mit sehr sonderbaren Eigenschaften, was eine schwierige Frage aufwirft: Existiert zu einer beliebigen »riemannschen Mannigfaltigkeit«, das heißt zu einem Stück Ebene mitsamt riemannscher Metrik, eine Fläche, die diese Geometrie im dreidimensionalen Raum konkret realisiert? Das ist das erwähnte Problem der isometrischen Einbettung. Eine Abbildung wird als isometrisch bezeichnet, wenn sie die Entfernungen nicht verändert. Das gilt normalerweise nur für Kongruenzabbildungen wie Drehungen und Verschiebungen; aber eine isometrische Abbildung von einer riemannschen Mannigfaltigkeit in eine Fläche kann wesentlich komplizierter sein.
Das Problem der isometrischen Einbettung läuft also darauf hinaus, ob es zu jeder riemannschen Mannigfaltigkeit eine Fläche gibt, die mit dieser durch eine isometrische Abbildung verbunden ist, und umgekehrt (zu einer beliebigen Fläche eine riemannsche Metrik zu finden, ist nicht schwer). John Nash hat diese Frage mit »Ja« beantwortet – unter gewissen Voraussetzungen, die wir weiter unten besprechen.
Um die Schwierigkeit des Problems nachvollziehen zu können, genügt es, den quadratischen Torus zu betrachten, also ein Quadrat mit identifizierten gegenüberliegenden Seiten, das mit einem ortsabhängigen Maßstab versehen ist. Wie wir gesehen haben, ist der gewöhnliche Torus dessen Realisierung. Nichts hindert uns daran, auf demselben quadratischen Torus einen anderen Maßstab zu definieren und dadurch ein anderes abstraktes geometrisches Gebilde zu erzeugen. Der einfachste derartige Maßstab ist der aus dem Alltag gewohnte, bei dem die Längen überhaupt nicht vom Ort abhängen. Im Folgenden soll der quadratische Torus mit dieser konstanten Maßstabsfunktion »flacher quadratischer Torus« heißen.
Vom Quadrat zum Torus unter Erhaltung der Längen
Welche Fläche im dreidimensionalen Raum realisiert den flachen quadratischen Torus – wenn es sie überhaupt gibt? Der gewöhnliche Torus kann es offensichtlich nicht sein. Wie schwer das Problem ist, merkt man, wenn man versucht, bei einem echten Quadrat aus Papier beide Paare gegenüberliegender Seiten zu verkleben. Wenn das überhaupt gelingt, dann nur unter gewaltiger Verknitterung und mit vorspringenden Ecken; das entstehende Objekt ähnelt in nichts einer Fläche. Unweigerlich stellt sich der Eindruck ein, es sei unmöglich, das Papier zu einer Fläche zu deformieren, die dieser Bezeichnung würdig ist.
Dieses Gefühl lässt sich durch eine geometrische Größe namens »gaußsche Krümmung« klarer fassen. Das ist eine Zahl, die man für jeden Punkt einer Fläche ausrechnen kann; in diese Berechnung gehen zweite Ableitungen der Parametrisierungsfunktion beziehungsweise der riemannschen Metrik ein. Die gaußsche Krümmung gibt ungefähr unsere anschauliche Vorstellung von Krümmung wieder. So ist die gaußsche Krümmung der Ebene in jedem Punkt gleich null. Das trifft auch auf einen Zylinder zu, den man ja vollständig in die Ebene abrollen kann. Für eine Kugeloberfläche hat sie in jedem Punkt den gleichen positiven Wert – sehr klein für die Erdkugel, aber merklich größer für die Planeten, die der »kleine Prinz« von Saint-Exupéry besucht. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts bewies Carl Friedrich Gauß (1777–1855), dass die heute nach ihm benannte Krümmung eine bemerkenswerte Eigenschaft besitzt: Sie bleibt unverändert, wenn man die Fläche unter Erhaltung aller Abstände deformiert.
Was sagt uns das über den flachen quadratischen Torus? Seine gaußsche Krümmung ist null; also müsste das auch für die ihn realisierende Fläche gelten, was eine sehr starke Einschränkung darstellt. Man kann sogar zeigen, dass die Forderung unerfüllbar ist. Genauer beweist man Folgendes: Eine beliebige Fläche von der topologischen Gestalt eines Torus – das heißt, man kann sie durch stetige, also nicht zerreißende oder zusammenklebende Deformationen zu einem Torus zurechtbiegen – hat unweigerlich Punkte, an denen ihre gaußsche Krümmung ungleich null ist.
Das scheint ein stichhaltiger Unmöglichkeitsbeweis zu sein: Allem Anschein nach gibt es keine isometrische Einbettung des quadratischen flachen Torus. Umso überraschter war die Fachwelt, als Nash 1954 nachwies, dass diese Unmöglichkeit relativ, trügerisch und vermeidbar ist. Mehr noch – es gibt eine Vielzahl isometrischer Einbettungen. Im darauf folgenden Jahr führte der niederländische Mathematiker Nicolaas Kuiper (1920-1994) Nashs Arbeit weiter und konnte sogar zeigen, dass man den flachen quadratischen Torus auf unendlich viele Weisen im dreidimensionalen euklidischen Raum realisieren kann.
Wo steckt die Lücke in dem Unmöglichkeitsbeweis, die Nash und Kuiper nutzten? Hierzu muss man sich mit der Glattheit (»Regularität«) von Flächen beschäftigen. Eine Fläche ist per definitionem glatt in dem Sinn, dass sie keine Knicklinien oder gar Löcher aufweist. Mathematisch ausgedrückt: Sie hat in jedem Punkt eine Tangentialebene. Es gibt jedoch unterschiedliche Grade dieser Glattheit.
Dies lässt sich am besten an einer Skateboardbahn veranschaulichen. Eine beliebte Form ist die »Halfpipe«, die untere Hälfte eines auf den Boden gelegten Zylindermantels, in dessen Innerem der Skater beim Abwärtsrollen Schwung gewinnt. Es gibt auch Bahnen, bei denen die Halfpipe gewissermaßen entlang der Bodenlinie durchgeschnitten und zwischen die beiden Hälften ein ebenes Stück eingefügt ist. Ein Skater, der diese Fläche entlang der Linie größten Gefälles hinunterrast, verspürt einen Stoß in dem Moment, in dem er die Verbindungslinie überschreitet – nicht etwa, weil dort eine Fuge im Beton wäre, sondern weil die Krümmung der Bahn dort plötzlich von einem positiven Wert auf null abfällt. (Achtung: Es handelt sich nicht um die gaußsche Krümmung der Fläche, denn die ist im zylindrischen wie im ebenen Teil null, sondern um die Krümmung der – eindimensionalen – Linie, die der Skater entlangfährt.)
Gute Skatebahnen ersparen ihren Benutzern diese Erschütterung, indem ihre gekrümmten Teile nicht eine konstante, sondern eine stetig auf null abfallende Krümmung haben. Aus demselben Grund sind echte Eisenbahnschienen nicht wie ihre Gegenstücke in der Modellbahn aus geraden Stücken und Kreisbögen zusammengesetzt, sondern folgen speziellen Kurven, den so genannten Klothoiden.
Im Querschnitt betrachtet, entspricht die primitive Skatebahn – Kreisbogen plus angesetztes Geradenstück – zwar einer differenzierbaren Funktion, denn die Kurve hat in jedem Punkt eine Tangente. Die Funktion ist sogar zweimal differenzierbar, aber die zweite Ableitung ist nicht mehr stetig, sondern macht einen Sprung am Übergangspunkt.
Allgemein teilt man in der Differenzialrechnung die Funktionen in Qualitäts-(Glattheits-)klassen ein. Die Klasse C¹ umfasst alle Funktionen, deren Ableitung existiert und stetig ist, das heißt keine Sprünge macht. Zur Klasse C² gehören die »zweimal stetig differenzierbaren Funktionen«, das heißt solche, bei denen die zweite Ableitung existiert und stetig ist. Jede C²-Funktion gehört automatisch zu C¹, denn wenn die erste Ableitung nicht stetig ist, kann die zweite nicht existieren. So geht es weiter mit C³, C4 … bis zu C∞, der Klasse der unendlich oft differenzierbaren Funktionen.
Inwiefern kann diese Klasseneinteilung unser Paradox aufklären? In den Beweis, dass die isometrische Einbettung des flachen quadratischen Torus unmöglich ist, ging an entscheidender Stelle die gaußsche Krümmung ein. Diese gibt es jedoch nur für ziemlich reguläre Flächen, denn sie ist wie beschrieben über zweite Ableitungen definiert; also muss die Fläche mindestens der Klasse C² angehören. Ist sie nicht hinreichend glatt, sondern gehört beispielsweise nur zur Klasse C¹, so kann man ihre gaußsche Krümmung nicht mehr berechnen. Dieser Begriff verliert folglich seinen Sinn. Also kann jede Überlegung, die sich auf die Krümmung stützt, nur beweisen, dass es keine Fläche der Klasse C² mit den geforderten Eigenschaften gibt. Flächen der niedrigeren Qualitätsklasse C¹ sind damit nicht ausgeschlossen. Durch den Verzicht auf einen Grad an Regularität öffnet sich der Zugang zu einer Welt, in der es auf die gaußsche Krümmung nicht mehr ankommt.
Eine Welt ohne Einschränkungen
Damit ist zwar ein entscheidender Grund dafür entfallen, dass es keine Realisierung des flachen quadratischen Torus geben kann. Aber es könnten noch tausend andere Hindernisse der Existenz einer solchen Einbettung im Weg stehen. Die große Überraschung an dem Ergebnis von Nash besteht darin, dass es keine weiteren Hindernisse gibt.
Um das Ausmaß der Verblüffung besser verstehen zu können, muss man sich die üblichen Arbeitsmittel der Differenzialgeometrie vor Augen führen. In diesem Zweig der Mathematik wird die Differenzialrechnung (Ableitungen und Integrale) angewandt, um Objekte wie Kurven oder Flächen zu verstehen. Ein Beweis lässt sich mit einem Weg vergleichen, der eine Stadt A – die Voraussetzungen – mit einer Stadt B – der zu beweisenden Behauptung – verbindet.
Zwei Arten von Hindernissen können unserer Reise im Weg stehen: physische wie zum Beispiel ein Meer und rechtliche wie Einfahrverbote oder Landesgrenzen. Gegen Hindernisse der ersten Art hilft gar nichts. Wenn es keine Landverbindung zwischen A und B gibt, haben wir schon verloren und brauchen über so etwas wie Einbahnstraßen nicht mehr nachzudenken. Dieser Teil der Frage ist relativ einfach zu beantworten; meistens genügt ein flüchtiger Blick auf die Landkarte. Auf einer existierenden Landverbindung eine rechtlich zulässige Straße zu finden, erfordert mehr Aufmerksamkeit. Die Idee, einfach nach dem Zufallsprinzip Straßen auszuwählen, wird mit großer Wahrscheinlichkeit scheitern, wenn zum Beispiel A in der Stadtmitte von Paris und B im Zentrum von Marseille liegt.
In einem differenzialgeometrischen Beweis entsprechen den Einbahnstraßen und den Grenzen die Gesetze der Differenzialrechnung. Wie eine Straßenverkehrsbehörde erlauben sie gewisse (Beweis-)Wege, während sie an anderen Verbotsschilder aufstellen. Die Suche nach einem »gesetzlich zulässigen« Weg beschäftigt einen Mathematiker oft so sehr, dass er einen anderen wichtigen, aber weniger sichtbaren Aspekt vergisst: die Topologie. Dieses Teilgebiet der Mathematik untersucht diejenigen Eigenschaften, die unter stetigen Deformationen erhalten bleiben. Wenn man beispielsweise eine Kreisscheibe verzerrt, auf der zwei Punkte und eine Verbindungslinie zwischen ihnen eingezeichnet sind, so sieht die Linie hinterher vielleicht sehr wild und krakelig aus; aber sie verbindet immer noch die beiden Punkte. Die Existenz einer Landverbindung von A nach B ist also eine topologische Eigenschaft.
Die konvexe Integration, die befreiende Theorie
In unserer Analogie geht die Topologie der Differenzialgeometrie voraus; sie liefert die mathematischen Hilfsmittel, mit denen man die Frage »Gibt es eine Straßenverbindung von A nach B?« beantworten kann. Falls die Antwort positiv ausfällt, stellt man mit Hilfe der Differenzialrechnung fest, ob es auf der vorgeschlagenen Route Straßensperren gibt oder nicht. Die Lösung eines differenzialgeometrischen Problems zerfällt folglich in zwei Phasen: eine topologische, in der man die Existenz einer Route nachweist, und eine analytische, in der man mit Hilfsmitteln der Differenzialrechnung zeigt, dass es auf dieser Route keine rechtlichen Hindernisse gibt. Die zweite Phase ist oft schwieriger als die erste.
Die Lösung des Problems der isometrischen Einbettung liefert ein geradezu klassisches Beispiel für dieses zweischrittige Vorgehen. Der erste, topologische Schritt ist vergleichsweise einfach. Wenn man auf die Erhaltung der Längen keine Rücksicht nehmen muss, lässt sich das Quadrat mühelos zum Torus deformieren. Es gibt also keine physischen Hindernisse.
Beim zweiten, geometrischen Schritt erscheint sofort ein Verbotsschild – wegen der gaußschen Krümmung. Diese müsste überall null sein, was aber unmöglich ist, wie wir gesehen haben. Doch das Verbotsschild gilt nur für Flächen der Klasse C², so wie wenn die Straße für Kraftfahrzeuge gesperrt ist. Fahrzeuge minderer Qualität wie Fahrräder, das heißt Flächen der Klasse C¹, sind nicht betroffen. Zum großen Erstaunen der Mathematiker ist kein weiteres Verbotsschild aufgetaucht.
In den 1970er Jahren entdeckte Gromov, dass die von Nash entdeckte Abwesenheit aller Verbotsschilder kein exotischer Einzelfall ist. Er fand eine technische Bedingung namens Homotopieprinzip oder kurz h-Prinzip, die von vielen interessanten differenzialgeometrischen Gleichungen erfüllt wird. Wenn das der Fall ist, gibt es keine Verbotsschilder. Wie durch ein Wunder fallen alle differenzialgeometrischen Hindernisse einfach weg und nur die topologischen bleiben übrig.
Interessanterweise lieferten Nash mit seinem Beweis und Kuiper mit dessen Verallgemeinerung Gromov die Grundlage für seine Theorie der konvexen Integration. Die wiederum stellt ein Mittel bereit, um im Einzelfall zu bestimmen, ob das h-Prinzip erfüllt ist oder nicht.
Hinter der Theorie steckt folgende Idee, die man in viele Richtungen ausarbeiten kann: Wenn der direkte Weg von A nach B nicht gangbar ist, suche man einen Ausweichweg, der einerseits räumlich dicht bei dem direkten liegt, andererseits länger ist, dadurch die Schwierigkeiten des direkten Wegs »verdünnt« und sie so in den Bereich des Handhabbaren bringt. In dem klassischen Beispiel liegt B genau vertikal über A, und das Auto, das von A nach B fahren soll, kann nur eine begrenzte Steigung bewältigen. Lässt man das Auto mit der maximal möglichen Steigung in A losfahren, so wird es sich von der direkten Strecke weiter entfernt haben, als die Vorschrift zur räumlichen Nähe zulässt, bevor es die geforderte Höhe über Grund erreicht hat. Das scheint auf ein geometrisches Verbot hinauszulaufen. Aber dieses lässt sich leicht umgehen, und die Lösung findet sich sogar im Alltag: Man schickt das Auto auf einen schraubenförmigen Weg, der sich um die vertikale Linie windet wie die Fahrbahnen in einem mehrstöckigen Parkhaus.
Ein Effekt der Mittelung
Das geschilderte Problem ist nicht topologischer, sondern differenzialgeometrischer Natur. Es geht ja darum, dass das Auto nur eine gewisse Maximalsteigung bewältigen kann, und die Steigung berechnet sich über die Ableitung der Bahnkurve, genauer gesagt über deren Tangentialvektor. Das ist ein Vektor der Länge 1, der »mit dem Auto mitfährt« und in jedem Moment in dessen Bewegungsrichtung zeigt.
Während das Auto eine Runde fährt, beschreibt sein Tangentialvektor – dessen Anfangspunkt man sich in den Nullpunkt verschoben denkt – eine horizontale Kreislinie in geringer Höhe über der Horizontalen. Mittelt man den Tangentialvektor über eine Runde, so fallen die horizontalen Anteile weg, und es bleibt ein kurzes vertikales Stück übrig. Wie bei gewöhnlichen Funktionen ist auch bei der Bahn des Autos das Integral über die Ableitung gleich dem Funktionswert selbst. Durch Integrieren der Ableitung (des Tangentialvektors) über eine Runde oder, was bis auf eine Konstante dasselbe ist, durch Mittelung können wir erstens zeigen, dass sich das Auto im Verlauf einer Runde ein kurzes Stück in (hier vertikaler) Richtung auf das Ziel bewegt hat. Das ist in diesem einfachen Beispiel zwar offensichtlich, im allgemeinen Fall aber keineswegs.
Zweitens können wir beweisen, dass die Differenz zwischen einem Punkt der Bahn und dem entsprechenden Punkt der eigentlich vorgeschriebenen Kurve (hier der Vertikalen) nicht über den Kreis, den der Tangentialvektor beschreibt, hinausläuft. In der Fachsprache: Sie verbleibt in der »konvexen Hülle« der Kurve des Tangentialvektors. Das erklärt, warum die Technik »konvexe Integration« heißt.
Auch außerhalb unseres Problems liefert die konvexe Integration ein mächtiges Werkzeug der Differenzialgeometrie. So findet sie Anwendung beim »Umstülpen einer Sphäre«. In den 1950er Jahren entdeckte der amerikanische Mathematiker Stephen Smale ein Verfahren, eine Sphäre (Kugeloberfläche) umzustülpen, ohne unterwegs scharfe Kanten oder Spitzen zu erzeugen. Allerdings muss man zulassen, dass sich die Sphäre im Verlauf des Prozesses selbst durchdringt. Wenn das Innere und das Äußere dieser Sphäre in unterschiedlichen Farben angemalt sind, dann sind nach der Umstülpung Innen- und Außenfarbe vertauscht. Zu diesem an sich schon überraschenden Resultat hat die Theorie der konvexen Integration noch das Ergebnis hinzugefügt, dass diese Umstülpung isometrisch erfolgen kann – das heißt, alle Längen bleiben während der Umstülpung erhalten.
Nach der Einführung der konvexen Integration wurde Nashs Einbettung plötzlich begreiflicher. Sie war nicht mehr ein exotisches Einzelergebnis, sondern Anwendungsfall einer umfassenderen Theorie. Aber vorstellen konnte man sich so eine Fläche immer noch nicht, und wegen ihrer paradoxen Eigenschaften hatte sie nach wie vor die Aura des Geheimnisvollen. Wie kann sie untadelig glatt sein und zugleich jedem, der sie mit dem Skateboard herunterfährt, eine unendliche Serie von Stößen verpassen? Wie würde sie aussehen?
In der Hoffnung, diese Fragen beantworten zu können, bildeten wir drei 2006 zusammen mit dem damaligen Doktoranden Saïd Jabrane eine Arbeitsgruppe; 2012 stieß noch Damien Rohmer dazu, ein Spezialist für Visualisierung. Wir waren davon überzeugt, dass die konvexe Integration uns einen Weg zu einer Visualisierung weisen würde. Gromovs Beweis des Satzes von Nash und Kuiper ist nämlich »quasikonstruktiv«. Das heißt, er begnügt sich nicht etwa mit dem Nachweis, dass die Annahme der Nichtexistenz einer solchen Fläche auf einen Widerspruch führen würde, sondern liefert so etwas wie ein Verfahren zu ihrer Konstruktion – allerdings viel zu abstrakt und allgemein, als dass man es ohne Weiteres in ein Computerprogramm hätte umsetzen können.
Unsere Überzeugung war begründet; allerdings brauchten wir volle sechs Jahre, bis wir eine einzige dieser berüchtigten Einbettungen visualisiert hatten. Unter den unendlich vielen Möglichkeiten, die Gromovs Beweis uns anbot, mussten wir uns für eine entscheiden. Darüber hinaus nahmen wir einige Vereinfachungen vor, die nur für den Torus gelten, aber uns für diesen die Arbeit erleichterten.
Unser Programm beginnt mit der Standardabbildung vom Quadrat auf einen gewöhnlichen Torus. Dabei sind die Längenmaßstäbe so gewählt, dass jede Entfernung auf dem Torus kürzer ist als die entsprechende Entfernung auf dem Quadrat. Insbesondere sind alle Breitenkreise kürzer als die ihnen entsprechenden horizontalen Linien von der linken zur rechten Quadratseite.
Runzeln in jedem Maßstab
Die Torusfläche müsste also überall größer sein, als sie ist, und zwar außen ein bisschen und innen sehr viel. Unser Programm macht nun die Fläche größer – außen ein bisschen, innen sehr viel mehr –, aber so, dass sie bis auf kleine Abweichungen an ihrem Platz bleibt. Dazu legt es die Fläche in sorgfältig dimensionierte Runzeln (»corrugations«).
Durch diese Aktion wird die Abweichung von der Isometrie zwar kleiner, aber noch nicht null. Ein zweiter Verrunzelungsschritt ist erforderlich, in einer Richtung schräg zu der des ersten Schritts und mit kleineren und zahlreicheren Runzeln. Wieder wird die Abweichung von der Isometrie kleiner, aber verschwindet nicht ganz, so dass ein weiterer Schritt erforderlich wird, und so weiter. Erst nach unendlich vielen Verrunzelungen ist das Ziel erreicht. Aber bereits nach vier Schritten sieht man mit bloßem Auge keinen Unterschied mehr.
Das Endergebnis ist überraschend. Man könnte die sich ergebende Fläche mit einem Fraktal verwechseln, weil sie in jedem Maßstab dieselben Strukturen zeigt. Sie ist aber kein klassisches Fraktal wie etwa die Koch-Kurve oder die Peano-Kurve, denn diese Kurven haben in keinem Punkt eine Tangente. Unsere Fläche dagegen ist glatt, denn sie hat in jedem Punkt eine Tangentialebene, aber nicht so glatt wie eine klassische Fläche, denn sonst hätte sie eine gaußsche Krümmung. Wir bezeichnen eine derartige Fläche als C¹-Fraktal oder als glattes Fraktal.
Nachdem es uns gelungen ist, den flachen quadratischen Torus zu visualisieren, hoffen wir, auch andere isometrische Einbettungen riemannscher Mannigfaltigkeiten im dreidimensionalen Raum mit dem Computer darstellen zu können. Insbesondere denken wir an die poincarésche Kreisscheibe, ein bekanntes Modell der nichteuklidischen Geometrie in der Ebene. Zweifellos werden derartige Visualisierungen abermals glatte Fraktale zu Tage fördern.
Unsere neuen Flächen sind eine Art »missing link« zwischen fraktalen und gewöhnlichen Flächen; vermutlich werden sie auch bei anderen mathematischen Fragen auftauchen. Höchstwahrscheinlich werden auch diverse Strukturen aus der Physik, der Chemie oder den Lebenswissenschaften, die bislang als Fraktale gelten, sich als C¹-Fraktale entpuppen. Weitere Gebilde dieser Klasse dürften der Entdeckung harren.
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