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Umweltgift: Glyphosat entsteht womöglich aus Waschmittel

Ein Teil des Glyphosats in der Umwelt könnte aus einer ganz anderen Quelle stammen als bisher vermutet. Daten deuten darauf hin, dass es als Abbauprodukt von Wasserenthärtern entsteht.
Waschpulver wird ins Waschmittelfach einer Waschmaschine gefüllt.
Wasserenthärter im Waschmittel könnten eine unerwartete Quelle von Glyphosat in der Umwelt sein.

Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat gelangt womöglich aus einer ganz anderen Quelle in die Umwelt als bisher vermutet. Statt der Landwirtschaft könnten Waschmittel für den größten Teil der Umweltbelastung mit der umstrittenen Chemikalie verantwortlich sein. Das jedenfalls geht aus einer Untersuchung hervor, bei der ein Team um die Umweltchemikerin Carolin Huhn von der Universität Tübingen Konzentrationen von Glyphosat und seinem Abbauprodukt AMPA in europäischen und US-amerikanischen Flüssen verglichen hat. Wie die Arbeitsgruppe in der noch nicht unabhängig geprüften Publikation auf dem Fachportal »Research Square« berichtet, passen in den USA die Daten gut zur Landwirtschaft als Ursprung – in Europa dagegen überwiegend nicht. Vielmehr legt der zeitliche Verlauf der Konzentrationen eher Abwasser als Quelle nahe. Die Fachleute vermuten deswegen, dass das Glyphosat im Oberflächenwasser überwiegend aus chemisch verwandten Waschmittelzusätzen entsteht, den Aminomethylphosphonaten (AMP).

Für ihre Untersuchung wertete die Arbeitsgruppe mehrjährige Messreihen von Glyphosat und AMPA von insgesamt 73 europäischen und 18 US-amerikanischen Messstellen aus. Dabei stieß sie auf auffällige Unterschiede. In den USA nämlich sieht man relativ große Mengen der beiden Stoffe zu jenen Zeiten, wenn Glyphosat in der Landwirtschaft eingesetzt wird, oft parallel zum Anstieg von anderen Agrarchemikalien. In Europa hingegen sind die Konzentrationen vom Frühjahr bis zum Herbst hoch – das Gegenteil von dem, was man erwarten würde. In der EU sind genetisch veränderte, glyphosatresistente Pflanzen nicht erlaubt, so dass die Zeiten hoher Konzentrationen sogar noch kürzer ausfallen sollten als in den USA. Stattdessen deuten die Daten des Teams um Huhn auf eine bisher unbekannte, ganzjährige Quelle für Glyphosat in Europas Flüssen hin.

Ein weiterer Hinweis auf einen Ursprung jenseits der Landwirtschaft ist nach Angaben des Teams außerdem, dass die höchsten Konzentrationen der beiden Stoffe nicht mit denen anderer Agrarchemikalien zusammenfallen, sondern mit Konzentrationsspitzen von Medikamentenrückständen und Haushaltschemikalien, wie sie für Abwasser typisch sind. »Wir haben einen Hydrologen im Team, der uns sofort sagte: Das, was ihr in Europa seht, ist ein typisches Abwasserprofil«, erzählt Carolin Huhn am Telefon. »Diese saisonalen Wellenbewegungen korrelieren stark mit Pharmazeutika, die auch als Abwassermarker genutzt werden.«

Glyphosat – ein Abbauprodukt?

Doch woher stammt das Pestizid? Die wichtigste Erkenntnis sei ihr auf einem Kongress gekommen, als sie einen Vortrag über PFAS hörte, berichtet die Forscherin. »Ein Referent erläuterte, dass die kleinen, kritischen PFAS aus langkettigen Vorläufern entstehen. Das war der Schlüssel für mich zu sagen: Glyphosat ist gar nicht die Quelle. Sondern wir haben einen Stoff, aus dem Glyphosat und AMPA entstehen«, erklärt Huhn. Demnach wäre das Glyphosat in den Flüssen selbst ein Abbauprodukt.

Das erklärte auch eine weitere Anomalie in den Daten aus Europa. Das Verhältnis zwischen Glyphosat und seinem Abbauprodukt AMPA müsste eigentlich variieren, falls es aus der Landwirtschaft in die Böden und Flüsse gelangen würde: Wenn der Regen die Substanzen rasch nach dem Ausbringen von den Feldern schwemmt, sollte mehr Glyphosat und weniger Abbauprodukt vorhanden sein; wenn die Chemikalien erst einige Zeit nach dem Ausbringen in den Gewässern landen, müsste sich das Mengenverhältnis ändern beziehungsweise umkehren. Die Wissenschaftler beobachteten jedoch konstante Verhältnisse.

»Es gibt kaum Studien zum Abbau dieser Stoffe«Carolin Huhn, Universität Tübingen

Woraus aber entsteht das Glyphosat? Mit all diesen Indizien fiel der Verdacht auf Wasserenthärter, die handelsüblichen Waschmitteln zugesetzt sind. Die Vermutung ist keineswegs so abwegig, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag – im Gegenteil. In Europa verkaufte Waschmittel enthalten oft Aminomethylphosphonate. Diese Moleküle binden sehr gut Kalzium und Magnesium und verhindern dadurch Kalkablagerungen. Wenn sie sich zersetzen, entsteht als Abbauprodukt ebenfalls AMPA. Glyphosat ist mit ihnen strukturell stark verwandt. Will man die Gesamtbelastung mit Glyphosat in der Umwelt messen, muss man zu dem Stoff selbst auch das Abbauprodukt AMPA addieren. Doch das kann ebenso aus Waschmittel stammen.

Glyphosat entsteht bei keinem bisher bekannten Prozess. Die Arbeit von Huhn und ihrem Team stellt das nun in Frage. Die Anomalie würde zudem erklären, weshalb in Europa die bisherigen Maßnahmen, die Glyphosatbelastung zu reduzieren, so schlecht wirken. So war das Herbizid zum Beispiel in Luxemburg von 2021 bis März 2023 verboten – die Daten von Huhns Arbeitsgruppe zeigen jedoch keinen dazu passenden Rückgang von Glyphosat im Oberflächenwasser.

Bakterien in Kläranlagen könnten Glyphosat herstellen

Huhns Team hat bereits einen Hauptverdächtigen: DTPMP, kurz für Diethylentriaminpenta(methylenphosphonsäure). Von der Substanz mit dem sperrigen Namen landen jährlich zirka 3000 Tonnen in Waschmitteln, dazu kommen rund 1500 Tonnen in Kühlkreisläufen, industriellen Reinigungsmitteln und weiteren Anwendungen. »Wir haben es hier schon mit einem Stoff zu tun, der für die Gewässer relevant ist«, urteilt Huhn. Denn selbst wenn Kläranlagen 80 bis 90 Prozent dieser Stoffe zurückhalten, gelangt noch eine beträchtliche Menge in die Gewässer.

Ein wesentliches Indiz ist dabei der Vergleich mit den USA. Dort nämlich werden Stoffe wie DTPMP nicht in Waschmitteln eingesetzt, und das für die Agrarindustrie typische Muster an Glyphosatemissionen ist in den Flüssen erkennbar. In Europa dagegen verdeckt demnach das mutmaßlich aus der Waschmaschine stammende Glyphosat das Muster aus der Landwirtschaft.

Auf welchem Weg Glyphosat nun genau aus DTPMP entsteht, versuchen Huhn und ihr Team gerade aufzuklären »Es gibt kaum Studien zum Abbau dieser Stoffe«, gibt die Chemikerin zu. Sicher ist sie allerdings bereits, dass Glyphosat nicht in der Waschmaschine entsteht. Das legen die Versuche der Tübinger Gruppe nahe. Ihrer Erkenntnis nach bildet sich der Unkrautvernichter in der Kanalisation sowie in der Kläranlage. Das Team hat frischen Klärschlamm mit Bakterien inkubiert und untersucht, ob DTPMP abgebaut wird. »Wenn wir große Mengen DTPMP dazugeben, entstehen auch Glyphosat und AMPA«, erläutert die Doktorandin Lisa Engelbart. Huhn vermutet zusätzlich zum mikrobiellen Abbau jedoch weitere Faktoren.

Stellen sich die Ergebnisse der Gruppe als richtig heraus, hat das laut Carolin Huhn direkte Konsequenzen: »Dann müsste das REACH-Verfahren für DTPMP neu aufgerollt werden« – die Substanz müsste also bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) neu registriert werden, eine Risikobewertung würde dann auf Grund der neuen Daten vorgenommen. »Wir müssen uns überlegen, ob wir wirklich einen Komplexbildner wollen, aus dem in der Kläranlage ein hochpotenter Wirkstoff entsteht«, sagt Huhn. Immerhin hat die ECHA Glyphosat als kritisch für Wasserorganismen eingestuft. Die Publikation ist vorab auf dem Preprint-Server zu lesen, eine Begutachtung durch externe Experten für ein wissenschaftliches Journal läuft.

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  • Quellen

Huhn, C. et al.: Glyphosate contamination in European rivers not from herbicide application? Research Square, doi.org/10.21203/rs.3.rs-3917957/v1, 2024

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