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»Goldener Wasserstoff«: Hehre Pläne mit Mikroben

Bakterien sollen nicht förderbares Öl in alten Lagerstätten in nutzbaren Wasserstoff umwandeln. Ein erster Test war angeblich erfolgreich. Doch Fachleute sind nicht überzeugt.
Eine rostige alte Ölpumpe vor blauem Himmel.
Zehntausende versiegte Ölbohrungen gibt es weltweit – doch unter ihnen schlummern immer noch gigantische Mengen Rohstoff. Mikroben sollen ihn nun zu klimafreundlichem Wasserstoff abbauen. Die Hoffnung: das restliche Öl ohne negative Klimafolgen doch noch als Energieträger zu nutzen.

Auch wenn das schwarze Gold nicht mehr aus dem Untergrund strömt, ist ein Ölfeld noch lange nicht leer. Gigantische Mengen des Rohstoffs bleiben im Gestein gebunden. Diesen Schatz wollen Unternehmen nun heben, und das sogar grün: Statt schwarzem Öl soll aus den alten Bohrlöchern zukünftig sauberer Wasserstoff sprudeln. Spezielle Mikroben sollen das Gas direkt im Gestein freisetzen. Einen Namen für den so gewonnenen Rohstoff gibt es auch schon: goldener Wasserstoff.

Das Potenzial soll riesig sein. In älteren Ölfeldern war die Ausbeuterate so gering, dass bis zu 80 Prozent des fossilen Rohstoffs im Untergrund blieben; auch heutzutage sind es immer noch mehr als 40 Prozent. Das verbleibende Öl kann mit den üblichen Förderverfahren nicht vom festen Muttergestein getrennt werden. Weltweit gibt es inzwischen einige zehntausend Bohrlöcher, mit unterschiedlichen geologischen Untergründen.

Viele von ihnen könnten zu Wasserstoffquellen werden und somit die Lebensdauer der Quellen verlängern. Womöglich wäre der Wasserstoff aus verbrauchten Reservoirs sogar deutlich billiger als Erdgas, vermutet der Erdölgeologe Grant Strem. Er ist quasi von der Konkurrenz, die auch hinter dem Gas her ist – sein Unternehmen Proton Technologies will den Wasserstoff allerdings mit einem konventionellen Verfahren freisetzen. Doch andere Fachleute bezweifeln generell, dass Wasserstoff aus der Tiefe die vollmundigen Versprechungen auch einlösen kann. Nicht nur, dass völlig unklar ist, ob solche Verfahren wirtschaftlich sind – sie erzeugen außerdem große Mengen eines unerwünschten Nebenprodukts: Kohlendioxid.

Spezielle Mikroben sollen den Wasserstoff freisetzen

Derweil erzielen Öl zersetzende Mikroben erste Erfolge. Im September 2022 verkündete das Unternehmen Cemvita Factory aus Houston den erfolgreichen Abschluss eines Feldversuchs im Perm-Becken in Texas. In ein Ölbohrloch in Westtexas hätte es im Labor entwickelte Mikroorganismen zusammen mit einer Nährlösung in den Untergrund injiziert. Schon nach fünf Tagen soll laut Cemvita ein dreifach höherer Wasserstoffanteil aus dem Bohrloch geströmt sein. Doch die Angaben zu diesem Versuch sind sehr spärlich und vage. Mal sind es im Labor designte Mikroorganismen, mal nur die Aktivierung von im Untergrund vorhandenen Mikroben.

Aber auch andere Gruppen berichten von Fortschritten auf diesem Gebiet. Im Januar 2022 veröffentlichten Forschende des dänischen Forschungs- und Technologiezentrums für Kohlenwasserstoffe im »International Journal of Hydrogen Energy«, wie sie die Wasserstoffproduktion bereits im Gestein vorhandener Mikroorganismen sogar um das Zwölffache steigern konnten. Denn Mikroorganismen, die Öl als Energie- und Nahrungsquelle nutzen, sind schon lange bekannt. Auch Öllagerstätten bieten Lebensbedingungen für mikrobielles Leben, wobei insbesondere die Grenzschicht zwischen Öl und Wasser ein Hotspot für Wachstum und Ölabbau ist. Der Haken: Die Experimente fanden im Labor statt und unter Zugabe von Tensiden und Glukose. Mit seinem Feldversuch ist das Houstoner Unternehmen immerhin einen Schritt weiter.

Der Geomikrobiologe Jens Kallmeyer vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam findet das Konzept dennoch insgesamt wenig überzeugend: »Selbst unter optimalen Laborbedingungen ist das nicht wirklich effizient.« Er sieht mehrere Gründe, die dagegen sprechen, dass »Wasserstoff nur so aus dem Bohrloch sprudelt«.

Das Verfahren ist im Prinzip bekannt

Dass Kallmeyer diese Verfahren mit Mikroorganismen als »wenig überzeugend« bezeichnet, liegt auch daran, dass viele Ölfirmen das schon »seit 40 Jahren versuchen und Mikroorganismen in Bohrlöcher pumpen. Und seit 40 Jahren funktioniert das nicht wirklich gut.« Mikrobiell verbesserte Ölfördertechnologie wurde in ersten Feldtests 1954 erforscht. Das Verfahren von Cemvita ist eines, das unter dem Namen Microbial Enhanced Oil Recovery (MEOR) in der Ölförderung schon lange getestet wird, allerdings bislang mit dem Ziel, mehr fossiles Öl fördern zu können.

»Selbst unter optimalen Laborbedingungen ist das nicht wirklich effizient«Jens Kallmeyer, GFZ

Die Stoffwechselprodukte der Mikroorganismen, die mit Nährstoffen wie Melasse oder Tensiden in den Untergrund eingepresst werden, sollen die Ausbeute erhöhen, indem sie Kohlendioxid und Lösungsmittel wie Ethanol oder Säuren erzeugen, die das Gestein auflösen. Mit MEOR sollten nach einer Studie von 2008 einige hundert Milliarden Barrel Öl mehr gefördert werden können, die sonst im Untergrund verbleiben. Doch was im Untergrund wirklich passiert, ist schwer zu monitoren. Auch Umweltauswirkungen und die Wirtschaftlichkeit sind nicht geklärt. Einer der Gründe, warum seit so vielen Jahrzehnten daran festgehalten wird: Es ist eine relativ kostengünstige Technologie.

Cemvita hat mit seinem Mikrobencocktail deswegen auch keineswegs nur bereits erschöpfte Ölfelder im Visier. Auf Grund der Klimaziele sollten bis zu 60 Prozent der noch förderfähigen Menge an fossilem Öl nicht mehr angetastet werden, wie Forschende in einigen Studien kalkuliert haben. Über den Umweg des goldenen Wasserstoffs ließen sich diese Ressourcen dennoch nutzen, wenn es nach dem Unternehmen geht – das sucht jetzt Kapitalgeber für die Pläne.

Falko Uerckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) findet das aber »riskant«. Er warnt davor, »nah am fossilen Business zu bleiben«. Es sei ein fundamentaler Nachteil, dass man für diesen Wasserstoff wieder an fossile Energieträger herangeht, denn damit sind Leckagen von klimaschädlichen Gasen möglich. Er hält die deutlich besser zu kontrollierende oberirdische Erzeugung von Wasserstoff aus der Spaltung von Wasser mit Elektrolyseuren für besser. Zumal grüner Wasserstoff in den nächsten zehn Jahren auch deutlich günstiger werde.

Im Boden wartet die Mikroben-Konkurrenz

Eine ganz wesentliche offene Frage ist, ob und wie lange im Labor designte Mikroorganismen im Untergrund überleben. Zuchtstämme aus dem Labor können sich im Untergrund nach Ansicht von Kallmeyer meist nicht gegen die einheimischen Arten durchsetzen, die dort »das Sagen haben« und bestens angepasst leben. Die kleinen Bewohner im Untergrund gehören – meist im Gegensatz zu denen im Labor – zu einem breiten Spektrum von Arten. Das Öl abzubauen, ist sehr oft Teamarbeit von Bakterien und Archaeen, die Kohlenwasserstoff spalten.

Diese methanogenen Archaeen sind ein Forschungsgebiet von Gunter Wegener am Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie in Bremen. In der Fachzeitschrift »Review of Microbiology« beschrieb er 2022 zusammen mit der Meeresforscherin Antje Boetius, wie Mikroorganismen Öl in Methan und Kohlendioxid zerlegen. Wegener bezweifelt jedoch, dass relevante Mengen an Wasserstoff mit dem Verfahren von Cemvita die Oberfläche erreichen.

Wenn im Untergrund Wasserstoff erzeugt wird, würden die Archaeen den Wasserstoff ziemlich schnell verschlingen und sofort anfangen, daraus Methan zu erzeugen. Das sei ein bekannter Prozess: »Auch wenn bei der Ölförderung Wasser in den Untergrund gepumpt wird, kommt es schon zur mikrobiellen Bildung von Methan.« Eigentlich wollte auch er früher an das nicht förderbare Öl im Untergrund ran, berichtet er. Aber das habe sich aus Klimaschutzgründen geändert. »Vor zehn Jahren war die Industrie sehr interessiert an den Mikroorganismen, die Öl zu Erdgas zerlegen. In Zukunft will man jedoch auch das Erdgas lieber im Untergrund belassen«, erklärt Wegener.

Wie viel Wasserstoff entsteht tatsächlich?

Doch auch dann, wenn sich die gezielt zur Wasserstoffproduktion entwickelten Kulturen im Untergrund einleben sollten, dürften die absoluten Mengen immer noch sehr gering sein, erwartet der Mikrobiologe und Geochemiker Gunter Wegener. Der entstehende Wasserstoff hemmt die weitere Abbauarbeit der Mikroben ebenfalls wieder. So würden sich kaum aufsteigende Bläschen bilden. Und die, die sich bilden, finden ihren Weg womöglich versperrt – durch das gleichfalls entstehende Kohlendioxid. Das nämlich reagiert im Untergrund zu Karbonaten, die dann die Kanäle zwischen den Poren verstopfen. Das ist »ratzfatz dicht«, ergänzt Kallmeyer, »das ist dann wie zementiert, je nachdem, um welches Gestein es sich handelt«.

»Vor zehn Jahren war die Industrie sehr interessiert an den Mikroorganismen, die Öl zu Erdgas zerlegen. In Zukunft will man jedoch auch das Erdgas lieber im Untergrund belassen«Gunter Wegener, Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie

Selbst wenn der Wasserstoff nicht zu Methan weggefressen wird und die Zugangswege offen bleiben – auch eine drei- oder sechsfache Menge an Wasserstoff sei als absolute Menge immer noch zu gering, um wirtschaftlich zu sein, sagt Kallmeyer. Auch Wegener kann sich nicht vorstellen, dass der Wasserstoff nur so aus dem Bohrloch herauszischt, einfach weil die Mengen an Gas zu gering sind. Denn neben thermodynamischen Betrachtungen gehören die anaeroben Arten, die ohne Sauerstoff und Licht leben, eher zu den »Faultieren unter den Mikroorganismen, die sich im Zeitlupentempo vermehren«. Nicht ohne Grund würden auch die schwarzen Teerklumpen, die oberirdisch durch Havarien und Ölunfälle an Stränden gelandet sind, nicht verschwinden. In den dunklen Brocken findet kein Abbau statt, sagt Wegener, denn das »ist ziemlich sperrige Nahrung«, und das trotz Sauerstoff, der zur Verfügung steht und den Abbau erleichtert.

Ein weiteres Problem ist das ebenfalls entstehende Kohlendioxid. Cemvita schreibt davon, das Klimagas aufzufangen und wieder zu speichern, allerdings ohne Details zu nennen. Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um eine nebensächliche Erwägung. Abtrennung, Verdichtung und Verpressung des Kohlendioxids in den Untergrund sind ein energieaufwändiger Prozess, der den Netto-Energiegewinn durch die Wasserstoffproduktion deutlich reduziert. Außerdem muss ein geeignetes Reservoir für das CO2 gefunden werden, denn nicht jede Lagerstätte eignet sich für die Einlagerung von Kohlendioxid.

Auf der Suche nach dem grünen Image

Doch trotz aller Widrigkeiten der Methanbildung, der Umsiedlung vom geschützten Labor ins raue Umfeld, der schwerfälligen anaeroben Aktivitäten, der verstopften Poren: Das Interesse der Ölindustrie sei riesig, sagt der Geomikrobiologe Kallmeyer aus seinen Erfahrungen mit eigenen Projekten und betont: »Das ist ein ganz heißes Thema in der Ölindustrie.« Die komplette Infrastruktur ist da, die kostenintensiven Bohrungen haben schon stattgefunden. Und: In einem Video brüsten sich die CEOs von Cemvita damit, aus negativem Carbon so positives Carbon zu machen. Für Kallmeyer ein wichtiger Aspekt: Wenn sich die Ölindustrie damit ein grünes Image aneignen könne, sei das interessant.

Dass bei dem Verfahren große Mengen Kohlendioxid entstehen, ficht die Beteiligten nicht an. Cemvita hat dieses Problem mit einem kleinen Pfeil auf seinem Prospekt in einem Fließbild gekennzeichnet: austretendes CO2 zurückpumpen. In einem grauen Kasten steht »CO2-Storage« – Wiedereinlagerung in den Untergrund. Laut Energieforscher Ueckerdt wäre es dann allerdings per Definition gar kein goldener, sondern eher blauer Wasserstoff. Er entspräche also der klassischen Wasserstofferzeugung aus Erdgas mit anschließendem Einfang des Kohlendioxids samt Speicherung im Untergrund. Aber eigentlich soll das Gas sogar ein eigenes Geschäftsfeld werden, Cemvita will zusammen mit Wasserstoff und grünem Strom daraus wieder Chemikalien herstellen, die man konventionell bisher aus Erdöl produziert. Ein Beispiel nennen sie konkret: Kerosin für Flugzeuge.

Vielleicht wird die Ressource im Untergrund jedoch ohnehin obsolet. Während Cemvita damit wirbt, die Schwerindustrie von Öl, Gas und Bergbau neu zu erfinden, entsteht – ebenfalls in Texas – ein ganz anderes Wasserstoffprojekt über der Erde. Der Gasproduzent Air Products baut mit The AES Corporation, einem globalen Energieunternehmen, für vier Milliarden US-Dollar eine neue Produktionsstätte für grünen Wasserstoff. Ab 2027 wollen sie aus Wind- und Sonnenenergie Wasserstoff mit Elektrolyseuren erzeugen. Ganz ohne neue Mikroben. Und ganz ohne Ölfelder und mitten im Zentrum der amerikanischen Erdölindustrie.

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