Golf von Mexiko: Wie Orte zu ihren Namen kommen

Eigentlich könnte der Geograf Andreas Dix sich freuen. Seine sonst weitgehend im Verborgenen arbeitende Disziplin bekommt derzeit so viel Aufmerksamkeit wie nie zuvor. Die Toponymie – die Wissenschaft von den geografischen Namen und den Regeln, nach denen sie vergeben werden – ist nämlich um zwei spektakuläre Fälle reicher: US-Präsident Donald Trump verfügte bereits kurz nach seiner Amtseinführung am 20. Januar 2025 per Dekret die Umbenennung zweier Orte. Zum einen solle das dafür zuständige »US Board on Geographic Names« dem mit 6190 Metern höchsten Berg Nordamerikas seinen indigenen Namen Denali nehmen und ihn wieder Mount McKinley taufen. Zum anderen sollen küstennahe Teile des Golfs von Mexiko in »Golf von Amerika« umbenannt werden.
Doch tatsächlich freut sich Dix keineswegs über die neue Aufmerksamkeit. Im Gegenteil: Er kann Trumps Dekret wenig Positives abgewinnen. »Der US-Präsident schafft unnötig Unruhe, während es eigentlich das Ziel sein sollte, die geografische Namensgebung kooperativ und im Konsens zu gestalten«, sagt der Professor für Historische Geographie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Wie aber funktioniert das mit der Benennung von Bergen, Regionen, Buchten und ganzen Meeren überhaupt? Wer hat das Recht dazu? Welche Regeln gelten? Und was passiert, wenn sich Länder nicht auf Namen einigen können?
Andreas Dix kennt die Antworten auf solche Fragen. Er ist nicht nur Historiker und Geograf, sondern auch der Vorsitzende des Ständigen Ausschusses für geographische Fragen mit Sitz in Frankfurt am Main. Das Beratungsgremium gehört zum Bundesamt für Kartographie und Geodäsie und setzt sich aus Wissenschaftlern und Behördenvertretern zusammen. Die zentrale Aufgabe des Expertenstabs besteht darin, im deutschen Sprachgebrauch zu einer einheitlichen Namensnutzung beizutragen. Die Zuständigkeit reicht von Landschaftsnamen in Deutschland und Empfehlungen für Straßenbenennungen über deutsche Schreibweisen internationaler Ortsnamen bis hin zu etwa 400 Namen mit Deutschlandbezug in der Antarktis.
Umbenennung ist Sache der Staaten
Aus deutscher Sicht ist die Position zu Trumps Dekret bereits klar: Die Umbenennung eines Bergs auf dem eigenen Hoheitsgebiet ist Sache des jeweiligen Landes. Beim Golf von Mexiko aber, der internationales Meeresgebiet ist, gilt nicht, was ein einzelnes Land will, sondern, was eine zwischenstaatliche Organisation, die Internationale Hydrographische Organisation (IHO) mit Sitz in Monaco, festlegt. Zwar bezog sich Trumps Dekret explizit nur auf den US-Festlandsockel im Golf von Mexiko, also ein küstennahes Teilgebiet, das die USA kontrollieren. Die neue Regierung könne aber »nicht andere Länder dazu zwingen, einen neuen Namen zu verwenden«, sagt Dix.
Dass es die offizielle Haltung Deutschlands ist, sich an die gültigen IHO-Namen zu halten, die keinen »Golf von Amerika« kennen, bestätigt auch das Auswärtige Amt in Berlin: »Es wird weiterhin die Bezeichnung ›Golf von Mexiko‹ verwendet«, heißt es dort auf Anfrage. Das Ministerium ist üblicherweise nur für die im Deutschen verwendeten Namen von Ländern und Hauptstädten zuständig, was sich Anfang 2024 in der offiziellen Umbenennung von Kiew in das ukrainische Kyjiw niederschlug. Dabei ging es darum, die eher russisch geprägte alte deutsche Schreibweise abzuschaffen und Präsident Vladimir Putin eine Botschaft zu senden. Mit dem Nein zum »Golf von Amerika« möchte das AA nun offenkundig auch gegenüber Trump klare Kante zeigen.
Etwas offener gegenüber der Umbenennung gibt sich der Westermann Verlag, der mit dem Diercke Weltatlas einen vor allem an deutschen Schulen weit verbreiteten Klassiker herausgibt: Die Benennung internationaler Gewässer sei keine einzelstaatliche Entscheidung, sondern liege in der Hand internationaler Gremien, teilt Verlagssprecherin Regine Meyer-Arlt auf Anfrage mit. Die Umbenennung des »Golf von Mexiko« in »Golf von Amerika« habe daher zunächst nur für den offiziellen Sprachgebrauch der USA unmittelbare Folgen. In Küstennähe könnte aber auch in deutschen Landkarten künftig für einen Teil der Region in einer untergeordneten Namenskategorie »Golf von Amerika« eingefügt werden. Abweichende Beschriftungen seien aber immer abhängig vom Maßstab einer Karte. »Steht nur wenig Platz zur Verfügung, wird der Name verwendet, der allgemein üblich und international verbrieft ist.«
In Nordamerika fallen die Reaktionen auf den Erlass des alten und neuen US-Präsidenten teils perplex, teils entsetzt aus. Indigene in Alaska sprechen von einem Affront, weil sie hart dafür gekämpft hatten, dass ihr als heilig angesehener Berg im Jahr 2015 unter Präsident Obama wieder seinen ursprünglichen Namen Denali bekam.
Die »New York Times« zitierte den Besitzer eines Hotels in Kuba, das direkt am Golf von Mexiko liegt, mit den Worten: »Ich verstehe nicht, wie eine Person aus einer Laune heraus so einen Namen ändern will.« Die mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum spottete über Trumps Anordnung, indem sie anregte, man solle Nordamerika in »Mexikanisch-Amerika« umbenennen, weil weite Teile der USA früher zu ihrem Land gehört hätten: »Das klingt doch schön, oder?« Sheinbaum kritisierte zudem Google dafür, dass das Unternehmen für US-Nutzer auf seinen digitalen Landkarten schon den »Golf von Amerika« anzeigt, wo doch bereits seit dem 17. Jahrhundert der Name »Golf von Mexiko« gebräuchlich sei.
Google zeigt inzwischen nicht nur seinen Nutzern in den USA den Namen »Golf von Amerika« an, auch in der deutschen Version ist der Begriff in Klammern ergänzt worden – und das sogar für den gesamten Golf, statt nur für den nahe der US-Küste gelegenen Teil. Der Hintergrund: Die US-Behörden sind sich offenbar selbst nicht ganz im Klaren, was genau die Anordnungen bedeuten. Trumps Direktive bezog sich explizit nur auf den US-Teil des Golfs. Der neue US-Innenminister Doug Burgum wies dann aber mit Bezug auf das Präsidentendekret das »Board on Geographic Names« an, »das derzeit als Golf von Mexiko bekannte Gebiet in Golf von Amerika umzubennen«, was offenbar zu der Interpretation von Google führte. Eine Sprecherin des US-Innenministeriums betonte nun aber auf Anfrage von »Spektrum«, dass sich die Umbenennung nur auf »das Gebiet in unserer Zuständigkeit« – also den im Dekret genannten Kontinentalschelf der USA – bezieht und nicht auf den gesamten Golf. Für die internationalen Gebiete sei das Außenministerium zuständig. Es sind also noch etliche Fragen offen, was das Dekret nun genau bedeutet und wie es umgesetzt wird.
»Der Drang zur Benennung geografischer Orte ist eine anthropologische Grundkonstante. Wir sind territoriale Wesen, wir wollen die Welt um uns herum strukturieren und erfassen«Andreas Dix, Geograf
Was in den unterschiedlichen Reaktionen auf Trumps Vorstoß grundsätzlich deutlich wird: Die Namen von Bergen, Flüssen, Landschaften und Meeresgebieten sind vielen Menschen und auch ganzen Staaten wichtig und Teil ihrer Identität. Umbenennungen, erzwungene zumal, greifen diese Identität an.
Andreas Dix hält den Drang zur Benennung geografischer Orte für eine »anthropologische Grundkonstante«. »Wir sind territoriale Wesen, wir wollen die Welt um uns herum strukturieren und erfassen«, erklärt er. Auf den ersten Landkarten, die frühe Menschen in Mammutzähne oder Höhlenwände ritzten, fehlten mangels Schrift noch Ortsnamen. Doch man kann davon ausgehen, dass Berge, Flüsse und andere Kennzeichen von Landschaften schon weit vor den ersten Schriftkulturen Namen bekamen, die mündlich weitergegeben wurden. In indigenen Kulturen spielten neben der Orientierung im Raum auch naturreligiöse Vorstellungen eine Rolle, etwa welche Gottheit oder welcher Geist an bestimmten Orten wohnt. Die Aborigines in Australien entwickelten narrative Landkarten in Form von auswendig gelernten Gesängen, die ihnen bei ihren weiträumigen Wanderungen den Weg wiesen.
Teils wurden geografische Namen über Jahrhunderte und Jahrtausende weiterentwickelt, etwa wenn aus dem vorgermanischen Wort »Reinos« der Rhein wurde. Teils beziehen sich Namen auf physische Formen, wie etwa bei der Hufeisenbucht in British Columbia. Sehr häufig dienten Benennungen dazu, eroberte Gebiete dauerhaft zu reklamieren. Vor allem europäische Kolonialmächte ignorierten indigene Benennungen und trugen auf ihren Landkarten die Namen ihrer eigenen Entdecker und Eroberer ein – wie bei den Cook-Inseln im Pazifik, der Magellanstraße an der Südspitze Südamerikas oder bei der Hudson Bay im Nordosten Kanadas.
Geografische Namen haben mit Macht zu tun
Ebenso hat die Benennung des Golfs von Mexiko – der früher auch Golf von Florida, Meer des Nordens oder nach dem spanischen Konquistador Golf von Cortés genannt wurde – eine Kolonialgeschichte. Der Name taucht Mitte des 16. Jahrhunderts zum ersten Mal auf spanischen Landkarten auf. »Geografische Namen haben viel mit Machtfragen zu tun, mit Kolonisation, Landnahme oder, allgemeiner gesagt, mit historischen Territorialisierungsprozessen«, sagt Dix.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts setzte ein Umdenken ein. Auf Grund der Zunahme des Welthandels, der weltumspannenden Kommunikation und auch der internationalen Forschungskooperationen sahen Staaten plötzlich einen Vorteil darin, bei der Benennung der Erde stärker zusammenzuarbeiten und zu versuchen, Namen zu standardisieren.

Den Anfang machten die Meere. Dann setzte im Jahr 1899 der 7. Internationale Geographen-Kongress in Berlin eine Kommission ein, um nach den Teilmeeren auch den Meeresboden weltweit einheitlich zu benennen. Anfang des 20. Jahrhunderts begründete Prinz Albert I. von Monaco ein bis heute laufendes wissenschaftliches Großprojekt namens General Bathymetric Chart of the Oceans, um den ganzen Ozean zu vermessen. Erst im Dezember 2024 feierten Wissenschaftler die detaillierte Kartierung eines Teils des Arktischen Ozeans als Erfolg. Die damaligen Initiativen trugen schließlich zur Gründung der IHO in Monaco im Jahr 1921 bei, die eine eigenständige zwischenstaatliche Organisation mit Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen ist. In ihrer Konvention steht als Ziel, »die größtmögliche Einheitlichkeit der Seekarten und Dokumente zu erreichen«.
»Die Rolle der IHO ist es, auf eine einheitliche und einvernehmliche Namensgebung hinzuwirken«, sagt Geograf Dix. Es gelte international die Regel, dass bei Meeresgebieten immer der Name verwendet werden solle, der in den Karten der IHO stehe. Doch verbindliche Vorgaben, dass Nationalstaaten keine eigenen Wege gehen dürften, gebe es nicht. »Grundsätzlich ist es so, dass jedes Land die Benennung so halten kann, wie es das will«, sagt Dix, »eine Art supranationales Schiedsgericht oder eine Entscheidungsinstanz ist die IHO nicht.«
Schon weit vor dem aktuellen Disput um den Golf von Mexiko waren andere Meeresnamen umstritten – manche sind es bis heute. Nicht nur der Iran, sondern viele Länder weltweit sprechen vom Persischen Golf, während Saudi-Arabien einen Arabischen Golf auf seinen Landkarten verzeichnet. Seit den 1990er Jahren schwelt zwischen Japan und Südkorea ein Konflikt darüber, wie das Meeresgebiet zwischen den beiden Ländern heißt – Japanisches Meer oder Ostmeer.
»Wir als zuständiges deutsches Gremium bekommen regelmäßig Post sowohl von der japanischen als auch der südkoreanischen Botschaft. Sie hätten da irgendwo auf einer deutschsprachigen Karte gesehen, dass das Meeresgebiet falsch benannt worden sei. Es folgt die Frage, was wir dagegen machen könnten«, sagt Dix. Seine Antwort darauf sei einfach: »Wir leben in einem freien Land.« Wer eine nicht amtliche Landkarte produziere oder einen Artikel über ein Meeresgebiet schreibe, könne selbst entscheiden, welchen Namen er wähle.
Auf amtlichen Karten nutze Deutschland »den Namen, der alteingeführt ist«. In diesem Fall sei dies Japanisches Meer, ergänzt durch die Namensvariante Ostmeer, so dass der Betrachter weiß, dass es diesen Begriff auch gibt. Der Konflikt zwischen den beiden asiatischen Ländern hat bisher verhindert, dass der seit den 1950er Jahren unveränderte Katalog von Meeresnamen, den die Internationale Hydrographische Organisation herausgibt, auf den neuesten Stand gebracht wird. Als Kompromiss steht nun zur Diskussion, auf den Seekarten nur eine Grenzlinie und Nummern einzutragen statt ausbuchstabierte Namen.
Bestrebung zur Vereinheitlichung
Mitte des 20. Jahrhunderts schließlich nahmen Bestrebungen an Fahrt auf, die Benennung der Erde insgesamt zu vereinheitlichen, also auch an Land. 1959 gründeten die Vereinten Nationen dazu ein eigenes Gremium, die Expertengruppe der Vereinten Nationen für geografische Namen, abgekürzt UNGEGN. Deren Aufgabe sei es, auf eine Vereinheitlichung hinzuwirken, betont ihr Vorsitzender, der Franzose Pierre Jaillard, auf Anfrage. Es gehe um »gemeinsame Prinzipien auf Konsensbasis«. Zudem wolle man dazu beitragen, dass jedes Land überhaupt über die nötigen Ressourcen und Kompetenzen verfüge, die geografischen Namen zu verwalten. Die UNGEGN diskutiere »niemals Einzelfälle, sondern nur allgemeine Grundsätze«, sagt Jaillard. Beschlüsse der 80 Länder, die regelmäßig zu den Treffen der Organisation erscheinen, stellten deshalb formell auch kein internationales Recht dar.
Es gibt also auf dem Meer wie auf dem Land langjährige Bestrebungen, die geografischen Namen im Konsens zu vereinheitlichen, aber keine globale Autorität, die die Staaten dazu zwingen könnte, bestimmte Namen zu benutzen.
»Die traditionelle Position lehnt Exonyme mit der Begründung ab, dass sie eine Form von Besitzanspruch ausdrücken würde. Andere werten sie positiver als Zeichen der Vertrautheit mit dem benannten Ort«Pierre Jaillard, Vorsitzender der UN-Expertengruppe für geografische Namen
Der Bedarf für eine Vereinheitlichung ist weiter groß. Nach Jahrhunderten, in denen Behörden, Regierungen, Entdecker und Kolonialisten die Erdoberfläche vermessen und mit einem unsichtbaren Netz von Namen überzogen haben, ist es bei zwei grundsätzlichen Typen geblieben: Endonyme sind geografische Begriffe, die die Bewohner eines Gebiets oder der jeweilige Staat selbst nutzen; Exonyme dagegen sind abweichende Bezeichnungen, die andere verwenden. So sagt man im Deutschen Prag statt Praha oder im Englischen Munich statt München. Die Zahl dieser Exonyme ist ungleich größer als die der Eigenbezeichnungen.
Seit ihrer Gründung hat die Expertengruppe der Vereinten Nationen für geografische Namen darauf gedrungen, Endonymen den Vorrang zu geben, also die Eigenbezeichnungen von außen zu respektieren. Darüber wird in dem UN-Gremium aber seit einiger Zeit leidenschaftlich diskutiert. »Die traditionelle Position lehnt Exonyme mit der Begründung ab, dass sie eine Form von Besitzanspruch ausdrücken würde«, sagt Jaillard. Andere würden sie positiver als »Zeichen der Vertrautheit mit dem benannten Ort bewerten«.
Hinzu kommt die Forderung nach mehr Respekt für indigene Namen – wie im Fall des Bergs Denali in Alaska. Andreas Dix hält dies für sehr wichtig und setzt darauf, dass Donald Trump es bei dem einen Fall belässt. Optimistisch stimmt ihn, dass der umliegende Nationalpark weiter den indigenen Namen tragen soll. In den USA habe sich auf dem Gebiet in den vergangenen Jahren viel getan: »So wurden zum Beispiel mehrere hundert geografische Orte, deren Namen das als beleidigend geltende Wort ›Squaw‹ enthielten, umbenannt.« Er hoffe sehr, dass diese Linie bestehen bleibe. Sorge mache ihm, dass Trumps Dekret auch verlange, die für geografische Namen zuständigen Gremien »mit den richtigen Leuten zu besetzen, die Trumps Agenda insgesamt durchsetzen sollen«. Gut möglich also, dass die Aufmerksamkeit für die Toponymie noch eine Weile hoch bleiben wird.
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