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Horatio Nelson: »Gott sei Dank habe ich meine Pflicht getan«

Der Sieger von Trafalgar verkörpert die Ideale des Empire wie Mut und Pflichterfüllung. Als Vertreter kolonialer Expansion steht er heute aber in der Kritik.
Horatio Nelson auf der Säule am Trafalgar Square

Seinen Zeitgenossen galt Horatio Nelson (1758–1805) als genialer Stratege, mehr noch: als Held, der sein Leben für England riskierte. Dessen Vormachtstellung auf den Weltmeeren – Grundlage seines Kolonialreichs – verdankte es nicht zuletzt Nelsons Siegen. Bis heute gehört dieser zur nationalen Erinnerungskultur Großbritanniens. Als Symbolfigur einer aggressiven Expansionspolitik wird sein Heldenstatus aber auch kritisiert.

Schon Nelsons Werdegang beeindruckt. 1758 als Sohn eines Geistlichen in der Grafschaft Norfolk geboren, lernte er segeln und trat mit zwölf Jahren – dem damals üblichen Alter – in die britische Marine ein. Protegiert von einem mit ihm verwandten Offizier, aber auch dank seiner Intelligenz, seines Muts und eines ausgeprägten Pflichtbewusstseins stieg Nelson bereits mit 20 Jahren zum Kapitän auf. Er bewährte sich in etlichen Seegefechten, musste jedoch Tribut zollen: 1794 wurde sein rechtes Auge bei einem Feuergefecht auf Korsika von herumfliegenden Trümmer­teilen so schwer verletzt, dass es die Sehkraft verlor.

Im Februar 1797 schlug seine große Stunde – ausgerechnet durch Insubordination. England befand sich seit dem Vorjahr im Krieg mit dem republikanischen Frankreich und dessen Verbündetem Spanien. Nahe Kap St. Vincent an der Südwestspitze Europas überraschte die britische Mittelmeerflotte eine spanische Armada. Die war zwar an Zahl überlegen, auf einen Kampf allerdings nicht vorbereitet, ihr Admiral suchte daher das Heil in der Flucht. In der damals üblichen Linienformation nahmen die Engländer die Verfolgung auf. Nelsons Schiff »Captain« lag weit hinten, doch ein geschicktes Manöver brachte es so in den Wind, dass er die eigene Linie durchstieß und als Erster das Feuer eröffnete. Gemeinsam mit der kurz darauf eintreffenden »Culloden« beschoss er die »San Nicolas« und die »San Josef«, die er zudem direkt nacheinander enterte, also ohne zwischenzeitlichen Rückzug auf das eigene Schiff. Ein solches »double boarding« galt als besonders mutig und spektakulär. Nelson hatte mit seinem Manöver zwar gegen den ausdrücklichen Befehl des Flottenkommandanten verstoßen, in der Linie zu bleiben. Doch der Erfolg gab ihm Recht. Berichte und Druckschriften rühmten seine Entschlusskraft. Noch im gleichen Monat wurde er zum »Rear Admiral of the Blue« befördert, dem neunthöchsten Rang der britischen Marine.

Ein dramatischer Fehlschlag

Auf den Triumph folgte nur fünf Monate später eine Katas­trophe. Der britische Admiral John Jervis hatte erfolglos versucht, wichtige Versorgungsrouten der Spanier durch eine Blockade des Hafens von Cádiz zu unterbrechen. Als er erfuhr, dass feindliche Konvois mit Gütern aus den Kolonien regelmäßig Teneriffa ansteuerten, entsandte er den frisch beförderten Nelson. Der versuchte, Teneriffas Hauptstadt Santa Cruz einzunehmen, wo die angeblich reich beladene »Principe de Asturias« vor Anker lag. In einiger Entfernung von der Küste ließen die Briten Beiboote zu Wasser. Die Landungstruppen sollten Geschützstellungen und Warnposten außer Gefecht setzen, das Fort Paso Alto und dann die nahe Stadt einnehmen. Doch in der klaren Nacht wurden die Angreifer gesichtet. Durch widrige Meeresströmungen langsamer als geplant, mussten sie umkehren, als sie unter spanisches Feuer gerieten. Einen zweiten und schließlich einen dritten Versuch unter Nelsons Führung wehrten die Gegner ebenfalls ab. Mehr noch: Als er sein Landungsboot verlassen wollte, zerschmetterte eine Kugel seinen rechten Oberarmknochen und verletzte eine Arterie.

Obwohl schwer verletzt, ließ sich der Admiral nicht an Bord tragen, sondern nutzte wie alle die Leiter. Der Schiffsarzt erklärte den Arm für verloren und eine fast vollständige Amputation für unumgänglich, um Nelsons Leben zu retten. Auf dem Operationstisch festgehalten, ertrug dieser die Prozedur stoisch. Als der Admiral einen Bericht an seinen Vorgesetzten diktierte, übernahm er die volle Verantwortung für die Niederlage, lobte sogar die Tapferkeit seiner Matrosen. Aus einer ersten Schreibprobe mit der Linken sprach Verzweiflung: »Ich bin eine Last für meine Freunde geworden und nutzlos für mein Land.« In Depres­sion versinkend, von Schmerzen geplagt, die er mit dem damals üblichen Schmerzmittel Opium bekämpfte, zudem gepeinigt von Schlafstörungen, kehrte Nelson nach Großbritannien zurück. Der strahlende Held schien am Ende, und wohl niemand erwartete, ihn noch einmal als Kommandant eines Schiffes zu sehen, am wenigsten er selbst.

Doch schon wenig später besann sich Nelson seiner Stärken. Beharrlich übte er das Schreiben mit der Linken. Statt seine Behinderung zu verstecken, heftete er den leeren Ärmel quer über die Brust an seine Uniformjacke. Das Opfer, das er für England gebracht hatte, war somit für jedermann sichtbar. Statt Mitleid erntete er für diese Haltung Bewunderung und Respekt. Und wenn in Gesellschaft eine peinliche Stimmung aufkam, scherzte Nelson selbst über seine Behinderung, nannte den Armstumpf gar seine Flosse. Als König George III. ihm den Ritterorden »Order of the Bath« im September desselben Jahrs verlieh und dabei ungeschickt auf das Handikap zu sprechen kam, präsentierte Nelson rasch seinen Begleiter Kapitän Edward Berry als »rechte Hand«. Der diente seit 1796 unter seinem Kommando, zunächst als Leutnant, dann als Erster Offizier, in der Seeschlacht bei St. Vincent als Commander und später als Kapitän des Flaggschiffs »Vanguard« der nelsonschen Flotte.

Tod eines Admirals | Es war möglicherweise nur ein Schuss ins Blaue gewesen, denn auf dem Quarterdeck der »Victory« waberte bei der Schlacht von Trafalgar Pulverdampf, und die Sicht war schlecht. Doch ein französischer Schütze verletzte Nelson so schwer, dass der Admiral wenige Stunden später starb – nach dem britischen Sieg.

Im folgenden Dezember besserte sich Nelsons Gesundheitszustand. Der Schiffsarzt hatte für die Amputation Blutgefäße abgebunden, und diese Ligatur hatte sich immer wieder entzündet. Doch nun war sie von selbst herausgewachsen. Mit neuem Mut bemühte sich Nelson um ein Kommando. Als Admiral musste er keine schweren körperlichen Arbeiten verrichten, seine Funktion konnte er auch einarmig erfüllen. Ohnehin war Versehrtheit bei Seeleuten nicht selten.

Katz und Maus im Mittelmeer

Im Jahr darauf nahm der Krieg gegen Frankreich Fahrt auf. General Napoleon Bonaparte wollte seinen Erzfeind empfindlich treffen, indem er Ägypten eroberte und damit den Warentransport zwischen dem Mittelmeer und dem Roten Meer unter seine Kontrolle brachte, mithin die kürzeste Verbindung Europas nach Indien. Ein Sieg würde, so die Hoffnung Bonapartes, Großbritannien aus der Koalition der Feinde Frankreichs drängen.

Zwei Monate lang lieferten sich die Gegner ein Katz-und-Maus-Spiel. Oft verfehlten sich die beiden Flotten nur knapp. In Briefen an seine Frau ließ der Admiral seine zunehmende Frustration durchscheinen. Am 1. August war es dann endlich so weit: Nelson stellte die Gegner in der Bucht von Abukir, nordöstlich von Alexandria. Einmal mehr erwies er sich als kühner Stratege. Die französische Flotte ankerte im Vertrauen auf die komplizierten Strömungsverhältnisse der Bucht in einer weit gezogenen Linie vor der Küste. Ihr Admiral Brueys d'Aigalliers glaubte, kein britisches Kriegsschiff würde im Raum dahinter manövrieren können. Doch die Briten hatten die besseren Seekarten, und Nelson fuhr unter dem Befehl, den endlich gefundenen Gegner, sofern er vor Anker lag, sofort anzugreifen.

Von zwei Seiten unter Beschuss genommen, geriet das Flaggschiff »L'Orient« in Brand, seine beiden Pulvermagazine explodierten, und der Stolz Frankreichs versank – ein symbolträchtiger Moment. Am 3. August war der britische Sieg ausgemacht. Die Schlacht bei Abukir bedeutete das Ende der gerade neu erstarkten französischen Marine, die britische sollte nun lange unangefochten die Weltmeere beherrschen.

Ein unrühmliches Kapitel: Obwohl sie sich ergeben hatten, ließ Nelson die Anführer der »Parthenopäischen Republik« Neapels vor ein Kriegsgericht stellen

Admiral Nelson war damit endgültig zur Berühmtheit geworden. Politiker baten ihn um Rat, Angehörige der feinen Gesellschaft sonnten sich in seinem Glanz. Man lud ihn ein und feierte den Helden der »Battle of the Nile«. Großbritanniens frühe Industriebetriebe produzierten Unmengen Tassen und Teller, Fächer und Pillendöschen mit mehr oder minder auf Ägypten verweisenden Motiven. Zwischen Bildern von Palmwedeln, Schiffen, Ankern und Krokodilen fand sich das Konterfei des siegreichen Admirals. Die durch die industrielle Revolution in England möglich gewordene Massenproduktion bediente die Nachfrage nach Souvenirs für den Nelson-Personenkult, und es war für jeden Geldbeutel etwas dabei.

Ein unrühmliches Kapitel

Auch diese Schlacht hatte er nicht unversehrt überstanden: Als Gast des britischen Botschafters Sir William Hamilton kurierte der Admiral in Neapel eine Kopfwunde aus. Dessen 30 Jahre jüngere Frau Emma kannte er schon von einer früheren Begegnung, nun aber verliebte er sich. Berichten zufolge war Emma schön und intelligent, kam aus einfachen Verhältnissen und hatte schon Johann Wolfgang Goethe auf seiner Italienreise durch ihre »Attitüden« fasziniert – lebende Bilder und Darstellungen klassischer Figuren und Szenen. Die Vertraute der Königin von Neapel hatte sich dafür verwendet, dass Nelsons Flotte auf dem Weg nach Abukir Proviant erhielt. Als Neapel 1799 von den Franzosen besetzt wurde, revanchierte sich der Admiral und evakuierte die Königsfamilie inklusive der Hamiltons. Mit seinen Schiffen unterstützte er zudem die Rückeroberung der Metropole und die Zerschlagung der »Parthenopäischen Republik«. Es folgte ein unrühmliches Kapitel in seiner Biografie: Obwohl sie sich ergeben hatten, ließ Nelson ihre Anführer vor ein Kriegsgericht stellen und beispielsweise den republikanischen Admiral Francesco Caracciolo hängen. Ob der Brite die für eine Kapitulation ausgehandelten Bedingungen nicht akzeptiert hatte oder ob die Republikaner von anderen Vertretern der monarchistischen Koalition betrogen worden waren, lässt sich mangels verlässlicher Quellen kaum entscheiden. Am Ende der kurzen Republik waren große Teile der intellektuellen Elite Neapels verhaftet oder gar hingerichtet.

Mag Nelsons Rolle dabei aus heutiger Sicht einen Makel auf sein glänzendes Image werfen, kritisierten die Briten den Verheirateten eher für seine Liaison mit Emma Hamilton: Der gefeierte, aber selbst verheiratete Militär war ein Ehebrecher. Doch auch das wurde ihm letztlich verziehen. Er blieb der Held, der für England siegte. Wer wollte es ihm verdenken, dass er auch eine schöne Frau eroberte? Das Liebespaar zog sich auf den neu erworbenen Landsitz Merton in der südenglischen Grafschaft Surrey zurück. Ihnen blieben leider nur wenige Jahre: Der 1802 mit Frankreich geschlossene Frieden hielt nicht lange. Krieg drohte, Nelson wurde 1803 Oberkommandeur der britischen Mittelmeerflotte.

Napoleon plante, in England einzumarschieren. Dazu sollte eine französisch-spanische Flotte unter dem Kommando des Vizeadmirals Pierre de Villeneuve zunächst britische Besitzungen auf den Westindischen Inseln bedrohen, um Teile der Royal Navy wegzulocken. Dann würden Frankreichs Schiffe wenden und sich mit der Atlantikflotte vereinen, den Ärmelkanal unter ihre Kontrolle bringen und endlich die Invasion einleiten. Die Briten durchschauten die kühne Strategie und reagierten mit Hafenblockaden und Verfolgungsjagden. Am 21. Oktober 1805 trafen 27 britische Kriegsschiffe unter Nelsons Kommando vor Kap Trafalgar an der Südwestküste Spaniens auf die französisch-spanische Flotte aus 33 Schiffen.

Horatio Nelson | Gut 50 Meter hoch ragt Nelsons Statue über Londons Trafalgar Square auf, der leere Ärmel an die Jacke geheftet – der Admiral versteckte den Armstumpf nicht.

Erneut brach Nelson mit der üblichen Schlachtordnung aus einander gegenüberliegenden Linien: Die Briten griffen in zwei nebeneinanderfahrenden Reihen an und spalteten so die französisch-spanische Linie, beim Gegner brach bald Chaos aus. Nelsons Flaggschiff »Victory« lieferte sich ein Duell mit der gegnerischen »Bucentaure«, wurde dann jedoch von der »Redoubtable« blockiert und seinerseits unter Feuer genommen. Das Gefecht dauerte bereits einige Stunden, als ein Musketenschütze der »Redoubtable« in den Pulverdampf schoss, der über das so genannte Quarterdeck der »Victory« waberte, wohl in der berechtigten Hoffnung, dort einen Offizier zu treffen. Seine Kugel konnte zwar nicht verhindern, dass England vor Trafalgar siegte. Doch sie durchschlug Nelsons Wirbelsäule, der Admiral starb drei Stunden später.

Zu Beginn der Schlacht hatte er den britischen Besatzungen durch Signalflaggen seine Devise übermitteln lassen: »England expects that every man will do his duty.« Beifall und Jubel bestätigten einmal mehr, dass der Charismatiker Menschen zusammenschweißen konnte. Vor seinem Tod erfuhr Nelson noch, dass die an Zahl überlegene gegnerische Flotte besiegt war. Laut dem Schiffsarzt verabschiedete sich der Sterbende von seinem Kapitän und langjährigen Weggefährten Thomas Hardy mit den Worten: »Now I am satisfied. Thank God I have done my duty.«

Nelson sollte nicht auf See bestattet, sondern in die Heimat überführt werden. So trat der Leichnam auf dem schwer beschädigten Flaggschiff die letzte Reise an. Um den Körper vor Verwesung zu schützen, wurde er in Alkohol eingelegt – in einem Fass Cognac, den man mit Kampfer und Myrrhe versetzte. Als die »Victory« nach einer Woche Gibraltar erreichte, wurde er für die Weiterfahrt in einen mit Weingeist gefüllten und mit Blei ausgekleideten Sarg umgebettet.

Eine Nation trägt Trauer

Die Todesnachricht versetzte der britischen Öffentlichkeit einen Schock und überschattete den Sieg. Zwar war das Vereinigte Königreich nun vor einer französischen Invasion sicher, doch die Nation hatte einen hohen Preis gezahlt. Das Staatsbegräbnis am 9. Januar 1806 war dementsprechend monumental. Nelson wurde zunächst für drei Tage in der »Painted Hall« des Greenwich Hospital in London aufgebahrt. Ein Lastkahn mit Trauerflor transportierte den Sarg dann auf der Themse nach Whitehall, dem Regierungsviertel, wo er über Nacht im Gebäude der Admiralität stand. Von dort aus wurde er auf einem Leichenwagen in die Saint Paul's Cathedral, die ­Bischofskirche der Diözese London, gebracht. Tausende Zuschauer säumten den Weg. Selbst Bettler trugen angeblich Trauerflor. Die Matrosen der »Victory« waren vom Dienst freigestellt worden. Als der Sarg ins Grab abgelassen wurde, legten sie Schiffsflaggen darauf – aber einen Fetzen von der größten riss jeder als Erinnerungsstück ab.

Eine Flut von Berichten und bildlichen Darstellungen informierte das Land über die Großveranstaltung. Die britische Druckindustrie erlebte einen Aufschwung, der über Jahre anhielt. Zu den beliebtesten Motiven gehörte eine weinende Britannia, die den Sterbenden in ihren Armen trug. Dazu kamen wieder zahllose Trauersouvenirs, etwa Medaillons oder Gläser, dekoriert mit Bildern des Verstorbenen sowie ihn rühmenden Versen. So fand sich etwa auf dem Deckel einer »patch box«, eines emaillierten Döschens für Schönheitspflaster, ein Segelschiff, das umrundet war von den Worten: »Off Trafalgar the Battle was Fought / Lord Nelson's Life the Victory bought«. Dank dieser Fankultur konnten auch jene Briten an der allgemeinen Trauer teilhaben, denen eine persönliche Verbindung zur Marine fehlte. Selbst ein Teeservice oder Fächer mit entsprechender Dekoration demonstrierte, dass man an den aktuellen Ereignissen interessiert war, und lieferte Gesprächsstoff.

Mit der Aufarbeitung des imperialistischen Erbes Großbritanniens gerät Nelsons Status ins Wanken

Nelson wurde zum Helden, weil er klug und unerschrocken war, aber auch, weil er gegen den Strom schwamm, wenn es ihm im Interesse Englands zielführend erschien. Sein Pflichtbewusstsein machte ihn zum Vorbild, ebenso seine zäher Wille, Schicksalsschläge zu überwinden. Die Liaison mit einer verheirateten Frau fügte dem Bild eine glamouröse Facette hinzu. Wie für Helden typisch, war er eine Projektionsfläche für gesellschaftliche, politische und auch persönliche Wünsche und Ideen.

Diese von Denkmälern und Souvenirs getragene Erinnerungskultur ist in Großbritannien noch immer allgegenwärtig. Nelson's Column, 1843 fertig gestellt, ist ein Wahrzeichen Londons. Der sie umgebende Trafalgar Square, einer der größten öffentlichen Plätze Londons, erhielt Mitte der 1830er Jahre seinen Namen und wurde 1844 der Öffentlichkeit übergeben. Auch die irische Hauptstadt Dublin hatte seit 1809 eine solche Säule. Doch Nelson's Pillar, ein Sinnbild des in der irischen Republik verhassten Englands, wurde 1966 bei einem Sprengstoff­anschlag schwer beschädigt und später abgebaut.

Der »Trafalgar Coat«

Das Flaggschiff von Trafalgar, die »Victory«, liegt heute im »Historic Dockyard« des Marinehafens Portsmouth. In den Planken des Quarterdecks entdecken Besucher eine Plakette mit der Aufschrift »Here Nelson Fell«. Das Metallstück ersetzte eine direkt nach der Schlacht dort angebrachte Holztafel. Der Museumsshop des Dockyard offeriert ein Sammelsurium von Nelson-Devotionalien, vom Lesezeichen über Schiffsmodelle bis hin zu Spiel- und Bastelsets für Kinder.

Nelsons Uniformrock, der »Trafalgar Coat«, ist das zentrale Objekt der Dauerausstellung »Nelson, Navy, Nation« im National Maritime Museum in Greenwich. Gut zu sehen ist das Loch in der Schulterpartie, das die tödliche Kugel hinterließ. Verschiedene Orden sind aufgestickt, entgegen landläufiger Berichte trug Nelson die Originale dieser Orden in seiner letzten Seeschlacht nicht. Vielmehr trug er bei Trafalgar aus unbekanntem Grund seine Alltagsuniform, auf Englisch »undress uniform« – im Gegensatz zu vielen an­deren Offizieren, die sich gerade für Schlachten, die Höhepunkte ihrer Karrieren, regelrecht in Schale warfen. Das einzig Besondere an Nelsons Alltagsuniform waren die Sterne der Ritterorden, von denen er gleich vier hatte.

Die Ausstellung in Greenwich, die am 21. Oktober 2005 anlässlich des 200. Jahrestags der Schlacht eröffnet wurde, würdigt die militärischen Leistungen, stellt Nelson aber in den Kontext der großen Institution der Marine, die ein wesentlicher Bestandteil der imperialen Bestrebungen und der nationalen Identität Großbritanniens war. Entgegen dem landläufigen Bild vom einzigartigen Genie und allein obsiegenden Helden gilt der Admiral heutigen Historikern vor allem als wichtiger Teil eines gut funktionierenden militärischen Räderwerks.

Nelsons dunkle Seite

Doch das Großbritannien des 21. Jahrhunderts sonnt sich nicht nur im Glanz vergangener Größe, sondern arbeitet seine imperiale und koloniale Vergangenheit auf. Damit richtet sich das Augenmerk auch auf seine militärischen Helden. Nicht nur hatte Nelson seinen Ruhm durch Kriege erworben, er unterstützte auch den atlantischen Sklavenhandel. So machte er beispielsweise seinen Einfluss geltend, um befreundeten Besitzern karibischer Plantagen zu helfen, die mit Sklaven bewirtschaftet wurden. Nelson war zudem ein entschiedener Gegner von William Wilberforce, einem führenden Kopf der Bewegung zur Abschaffung des Sklavenhandels.

Darauf wies etwa die Journalistin Afua Hirsch 2017 im »Guardian« hin. Ihr Fazit: Nelson's Column müsse als Relikt einer unrühmlichen Vergangenheit demontiert werden. Der Aufruf sorgte für Entrüstung. Mochte der bekannteste Seeheld Großbritanniens auch dunkle Seiten gehabt haben, wollte man die glorifizierende Erinnerung an ihn doch keineswegs tilgen. Denn so funktionieren Heldenzuschreibungen. Menschen bewundern charismatische Sieger. Sie identifizieren sich mit ihnen und blenden problematische Eigenschaften und Handlungen aus. Mit der Aufarbeitung des imperialistischen Erbes Großbritanniens gerät Nelsons Status ins Wanken. Vielleicht kommt der Held von einst aktuellem nationalistischem Gedankengut gut zupass. Oder solche Qualitäten Nelsons bleiben im Vordergrund, die dazu ein Gegengewicht bieten können: Pflichtbewusstsein, Eigensinn, Mut und Durchhaltevermögen. Helden sagen viel über die Gesellschaften aus, denen sie entstammen. An Horatio Nelson werden sich die Geister scheiden; in die historische Bedeutungslosigkeit versinken wird er nicht. 

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