Artenschutz: Gourmets bedrohen europäischen Singvogel
Eine der letzten Mahlzeiten des verstorbenen französischen Präsidenten François Mitterand umfasste sehr wahrscheinlich auch ein verbotenes Gericht, wie der französische Journalist Georges-Marc Benamou berichtete, der Mitterand bis zum Ende begleiten durfte. Der Politiker verzehrte demnach zwei Fettammern: in Armagnac ertränkte Ortolane (Emberiza hortulana), die anschließend im Ganzen gebraten und verspeist werden – nachdem sie mitsamt den Knöchelchen im Mund zerkaut wurden. Seit 1979 ist der Fang der Tiere durch die Europäische Vogelschutzrichtlinie eigentlich verboten, was die rund 2000 darauf spezialisierten Jäger im südwestlichen Frankreich jedoch wenig stört – obwohl Frankreich die Art seit 1999 auch national unter starken Schutz gestellt hat. Dennoch sterben jedes Jahr rund 30 000 Ortolane durch die Jagd während des Herbstzugs, was das Überleben der Art in Westeuropa stark gefährdet. Das berichten Frédéric Jiguet von der Sorbonne Université in Paris und sein Team in »Science Advances«.
Etwa 300 000 Ortolane ziehen demnach jährlich durch Südwestfrankreich ins afrikanische Winterquartier – vornehmlich Tiere aus Nord- und Mitteleuropa, während Artgenossen aus Ost- und Südeuropa andere Zugrouten einschlagen. Die hohen Entnahmezahlen der letzten Jahrzehnte könnten daher entscheidend zum Bestandsrückgang der Art in Mittel- und Nordeuropa beigetragen haben; in Deutschland kommen die Ammern nur noch in wenigen Regionen und in stark schrumpfender Zahl vor. In der Schweiz sind sie sogar ausgestorben. Insgesamt nahm die Zahl der nord- und mitteleuropäischen Ortolane seit 2000 um ein weiteres Drittel ab – nach langem vorherigem Niedergang –, während der Schwund im restlichen Europa nur zwischen 10 und 20 Prozent betrug. »Wir schätzen, dass diese Entnahme in Frankreich, und vielleicht auch anderswo im Mittelmeerraum, einen großen Anteil des langfristig dramatischen Rückgangs – minus 80 Prozent in den letzten Jahrzehnten in Westeuropa – der Ortolane erklärt«, sagte der an der Studie beteiligte Raphaël Arlettaz von der Universität Bern in einer Mitteilung.
Wegen Missachtung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie hat die Europäische Kommission Frankreich 2016 beim Gerichtshof der EU angeklagt – zumal die illegale Jagd bis heute weitergeht. Die französische Regierung hat sich mittlerweile allerdings dazu durchgerungen, den Schutz der Ortolane strikt durchzusetzen. Der Jagdverband des französischen Départements Landes habe die Verantwortung übernommen und von den Ortolanjägern verlangt, ihre Tätigkeit einzustellen, schreiben Jiguet und Co, weshalb die Europäische Kommission vorerst ihre Klage gegen das Land zurückgezogen hat. »Wir hoffen, dass diese politischen Entscheidungen dazu führen, dass die Tradition der Ortolanjagd endgültig verschwindet, bevor sie zur Ausrottung dieser Vögel in West- und Nordeuropa führt«, freute sich Arlettaz.
Neben der Jagd bedrohen auch Nahrungsmangel und das Verschwinden geeigneter Lebensräume durch industrialisierte Landwirtschaft die Art in Teilen ihres Verbreitungsgebiets. In Ost- und Südosteuropa ist die Spezies momentan jedoch noch weit verbreitet und relativ häufig, weshalb sie weltweit nicht als vom Aussterben bedroht gilt.
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