Raumfahrt: GRAILs außergewöhnliche Mondfahrt
Fast hätten hohe Windstärken auch am Samstag die Trägerrakete Delta II auf Floridas Boden gehalten. Am zweiten der beiden Zeitfenster, um 15:08 Uhr unserer Zeit, konnte das Gravity Recovery and Interior Laboratory (GRAIL) dann aber am 10. September 2011 erfolgreich auf seinen Weg zum Mond gebracht werden. Im März 2012 werden dort die zwei Sonden 82 Tage lang im Tandemflug das Schwerefeld des Mondes vermessen. Bevor sie allerdings dort ankommen, müssen die Sonden in den nächsten Monaten eine Serie von komplexen, nie dagewesenen Manövern durchführen.
Am 8. September 2011, dem Tag des geplanten Starts der Mission, brachten die Wetterballons der NASA schlechte Nachrichten: Die Windstärken hoch oben in der Atmosphäre lagen jenseits der zulässigen Grenzwerte. Die Trägerrakete des Typs Delta II musste auf der Startrampe verharren, ihre Tanks wurden wieder geleert. Während zahlreiche Zuschauer enttäuscht heimfuhren, werteten die Wissenschaftler der NASA technische Daten des Antriebssystems aus. Auffälligkeiten bei den Daten, die beim Enttanken genommen wurden, ließen die Mitarbeiter in Cape Canaveral schließlich von einem zweiten Versuch am Folgetag absehen. Die NASA vertröstete auf den 10. September 2011.
Dann allerdings wurden auch die Vorhersagen der Meteorologen zunehmend optimistischer, zwei Stunden vor dem Start am Samstag gaben sie eine Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent für günstige Bedingungen an. Doch in der heißen Phase der Vorbereitungen lieferte ein Wetterballon wieder ungünstige Winddaten aus 4500 bis 6500 Metern Höhe. Die Mitarbeiter des Kennedy Space Center hofften nun auf das zweite Startfenster des Tages und erhielten schließlich gute Nachrichten aus der dann doch wieder ruhigen Atmosphäre.
Der Start um 15:08 unserer Zeit (9:08 Uhr Ortszeit) verlief planmäßig (Link zum Video des Starts). Insgesamt neun Feststoffbooster unterstützten die erste Raketenstufe während der ersten Minuten des Starts und brachten die Rakete bis auf Mach 15 (18000 Stundenkilometer). Anschließend brachte das wiederzündbare Triebwerk der zweiten Stufe die GRAIL-Sonden aus dem Orbit der Erde und schrittweise in Positionen, von denen aus beide Geschwister in die Tiefen des Weltalls abgesetzt wurden (Link zum Video).
"Seufzer der Erleichterung" verkündete das Kennedy Space Center via Twitter, als GRAIL A erfolgreich von der letzten Stufe der Trägerrakete getrennt wurde. Acht Minuten später wurde auch die Zwillingssonde GRAIL B ohne Probleme auf ihren Weg zum Mond gebracht. Die Sonden entfalteten nach dem Aussetzen erfolgreich ihre Solarmodule und befinden sich nun auf einem langen und wenig intuitiven Weg zum Mond: Um Treibstoff zu sparen, bewegen sich die Geschwister erst vom Mond weg und in Richtung Sonne auf den Lagrangepunkt L1 zu. An diesen besonderen Punkten im All gleichen sich die anziehenden Gravitations- und Bewegungseinflüsse der Himmelskörper, hier von Sonne und Erde, weitgehend aus. An diesem 1,5 Millionen Kilometer entfernten Punkt drehen die Sonden, um sich langsam dem Mond zu nähern. Die niedrige Geschwindigkeit relativ zum Mond erlaubt den Sonden, mit geringem Treibstoffverbrauch im Mondorbit abzubremsen und dort in Umlaufbahnen in nur 50 km Höhe einzuschwenken. Die gesamte Reise ist damit zwar beispiellos energiesparend, allerdings erfordert sie auch sehr genaue Berechnungen mit nur wenig Raum für Fehler. In Cape Canaveral musste die Trägerrakete daher sekundengenau gestartet werden. Niemals zuvor wurde bisher ein solches Manöver unternommen.
GRAIL ist Teil des Discovery Programms der NASA, einer Serie von kostengünstigen Missionen zur Erkundung des Weltraums, deren prominentester Vertreter vermutlich der 1996 gestartete Mars Pathfinder war. Die Kosten der GRAIL-Mission betragen etwa 500 Millionen Dollar (etwa 370 Millionen Euro). Sie konnten auch deshalb gering gehalten werden, weil GRAIL nach dem technischen Vorbild der Sonden der deutsch-amerikanischen Mission Gravity Recovery and Climate Experiment (GRACE) konstruiert wurde, die seit 2002 äußerst erfolgreich und präzise das Schwerefeld der Erde vermessen. Die GRACE-Zwillingssonden wurden damals erst getrennt, als sie ihre endgültige Erdumlaufbahn erreicht hatten. Diese Methode ließ sich aus Kostengründen nicht auf GRAIL übertragen. Stattdessen werden beide Sonden unabhängig voneinander in den Orbit des Mondes eintreten und kommen sich erst dort auf ihre Arbeitsdistanz von etwa 200 Kilometern nahe.
GRAIL-A wird den Mond am 31. Dezember 2011 erreichen, die Schwestersonde GRAIL-B wird 25 Stunden später eintreffen. Zu Beginn sind beide Umlaufbahnen noch stark elliptisch. Innerhalb von zwei Monaten werden sie langsam in einen annähernd kreisförmigen Orbit gebracht werden. Am 8. März 2012 beginnt dann die eigentliche Mission mit der Vermessung des Mondes. Dafür gibt es ein Zeitfenster von gerade einmal 82 Tagen: Nur in diesem Zeitraum können die Sonden in ihrer polaren Mondumlaufbahn ihre Antennen aufeinander ausrichten und so ihre Entfernung exakt bestimmen, während gleichzeitig die Solarmodule zur Sonne zeigen. Der Zeitplan der gesamten Mission, beginnend mit den möglichen Zeitfenstern für einen Start in Cape Canaveral bis zum Oktober 2011, wurde darauf ausgerichtet, die Vermessung des Mondes zwischen den Mondfinsternissen am 10. Dezember 2011 und am 4. Juni 2012 abzuschließen.
Während der 82 Tage ihrer Mission wird sich der Mond dreimal vollständig unter der Umlaufbahn der Sonden drehen. Die Mission ist deshalb in drei Phasen von je 27,3 Tagen Länge unterteilt. Dabei werden der Abstand zwischen den Sonden und auch ihre Flughöhe verändert. Die Sonden vermessen das Gravitationsfeld des Mondes, indem sie ihren gegenseitigen Abstand hochgenau erfassen. Zieht dann eine Unregelmäßigkeit des Schwerefeldes eine der Sonden näher an die Oberfläche, erzeugt das eine messbare Veränderung des Abstands zwischen beiden Sonden. Fliegen die Zwillinge in einem tiefer gelegenen Orbit und nah beieinander, sind sie besonders empfindlich für regionale Veränderungen des Schwerefeldes durch einzelne Krater oder Berge. Wenn Abstand und Flughöhe zunehmen, können die GRAIL-Sonden globale Effekte besser studieren, die durch tiefer im Mond gelegene Strukturen verursacht werden. Am Ende ihrer Mission, zum Zeitpunkt der partiellen Mondfinsternis am 4. Juni 2012, befinden sich beide Sonden in einer Höhe von kaum 20 km über der Mondoberfläche. Erhalten sie dann keine anders lautenden Befehle von der Erde, werden sie unmittelbar danach auf den Mond stürzen.
An jeder der Sonden sind außerdem vier so genannte MoonKAM-Kameras (Moon Knowledge Acquired by Middle school students) installiert. Aus wissenschaftlicher Sicht sind sie Spielzeuge und dienen der Öffentlichkeitsarbeit und der Förderung von Nachwuchsastronomen: Schulen können mit diesen Kameras Bilder und Videos von GRAILs Flug über die Oberfläche des Mondes in ihre Klassenzimmer übertragen und dort diskutieren.
Mike Beckers
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.