Staub statt Inflation: Gravitationswellen: Forscher räumen möglichen Irrtum ein
Im März dieses Jahres gaben sie sich sehr überzeugt, nun lassen sie Vorsicht walten: Die BICEP2-Gruppe, die mit dem vermeintlichen Fund ursprünglicher Gravitationswellen in der kosmischen Hintergrundstrahlung Schlagzeilen machte, zieht die Möglichkeit eines Irrtums in Betracht. In ihrer ersten "offiziellen" Fachveröffentlichung zum Thema räumen die Forscher jetzt ein, dass sie einer Täuschung aufgesessen sein könnten.
Der Aufsatz des BICEP2-Teams, das seinen Namen von dem am Südpol stationierten Mikrowellenteleskop hat, erschien jetzt im Journal "Physical Review Letters", einem Magazin mit Peer-Review-Begutachtung. Darin bestätigt die Gruppe, was einige Fachkollegen bereits zuvor bemängelten: Das vermeintliche Urknallsignal könnte zu einem großen Teil – oder schlimmstenfalls auch komplett – auf Staub in der Milchstraße zurückgehen.
Auch neueste Auswertungen von Daten des Planck-Satelliten, die Anfang letzter Woche auf einer Konferenz in Moskau vorgestellt wurden, deuten in diese Richtung.
Täuscht galaktischer Staub die Ergebnisse vor?
Am 17. März dieses Jahres klang noch alles ganz anders: Bei einer überschwänglichen Pressekonferenz stellte John Kovac vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge die sensationellen Ergebnisse vor. Prompt war von Nobelpreisen die Rede, denn immerhin ließ sich nun eine gängige, aber trotzdem gewagte Theorie über die früheste Kindheit des Universums bestätigen – so schien es jedenfalls.
Dieser Theorie aus dem Jahr 1980 zufolge dehnte sich das noch junge Universum in einer kurzen, so genannten Inflationsphase schlagartig aus (siehe "Urknallphysik für Einsteiger"). Dabei müssten Gravitationswellen entstanden sein, die wiederum einen subtilen Abdruck in der kosmischen Hintergrundstrahlung hinterlassen würden: Das allgegenwärtige Überbleibsel aus der Zeit nach dem Urknall hätte einen Polarisierungs-"Dreh" bekommen. Diesen wollten die BICEP2-Forscher gemessen haben.
Nun können allerdings Staubkörnchen in der Milchstraße ein ganz ähnliches Polarisierungsmuster hervorrufen wie die Gravitationswellen, was auch die BICEP2-Forscher wussten. Laut ihren eigenen Abschätzungen hielten sie den Beitrag des galaktischen Staubs jedoch für gering genug, um ihre Daten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die inflationsbedingten Gravitationswellen zurückführen zu können.
Daten des Planck-Satelliten flossen nicht in die Untersuchung ein
Weil jedoch eine wichtige Datenquelle damals noch nicht öffentlich verfügbar war, fehlten in den meisten Modellrechnungen, die Kovac und Kollegen anstellten, die Informationen von Planck. Der ESA-Satelliten hatte zwischen 2009 und 2013 den Mikrowellenhintergrund systematisch abgetastet.
"Unquantifizierbare Unsicherheiten"BICEP2-Team
Lediglich für eins der Modelle griffen die Wissenschaftler auf vorläufige Planck-Daten zurück. Doch Rafael Flauger vom Institute of Advanced Study in Princeton und andere haben inzwischen auf mögliche Fehler bei der Interpretation dieser Daten hingewiesen. Bei einer korrekten Analyse würde sich hingegen zeigen, dass galaktischer Staub für einen Großteil oder gar das gesamte Signal verantwortlich gemacht werden könnte, so Flauger.
Besagtes Modell haben die Forscher nun wegen "unquantifizierbaren Unsicherheiten" aus ihrer Veröffentlichung herausgestrichen, wie sie in einer Fußnote mitteilen.
Einfluss des Staubs noch unklar
Aber auch die anderen Modelle, die das Team verwendete, seien mit hohen Unsicherheitsfaktoren behaftet und stützten sich auf alte, wahrscheinlich überholte Daten zur Staubverteilung, erklärt der Kosmologe Uroš Seljak von der University of California in Berkeley, auch er Koautor eines der BICEP2-Analyse gegenüber kritisch eingestellten Papers.
Für die BICEP2-Teammitglieder sind Gravitationswellen allerdings nach wie vor die wahrscheinlichste Erklärung für das von ihnen beobachtete Signal. Jedoch räumen sie in ihrer Veröffentlichung ein, dass die Modelle, mit denen sie die Daten analysierten, "nicht ausreichend durch externe, öffentliche Daten eingeschränkt [sind], um die Existenz von leuchtkräftigen Staubemissionen auszuschließen, mit denen sich das komplette überschüssige Signal erklären ließe."
"Mit Mängeln behaftet"David Spergel
Der Beitrag der Staubscheibe "scheint ein stückweit höher zu liegen, als die Prä-Planck-Modelle vorhergesagt haben", erläutert BICEP2-Teammitglied Jamie Bock, der in Pasadena am California Institute of Technology und dem NASA Jet Propulsion Laboratory forscht: "Wir bleiben allerdings dabei, dass die Daten gegen die Interpretation 'nur Staub' sprechen. Nichts anderes haben wir im März zu diesem Thema gesagt."
Der Kosmologe David Spergel von der Princeton University in New Jersey gibt sich erfreut, dass das BICEP2-Team die Möglichkeit einräumt, dass auch der gesamte Befund auf Staub zurückgehen könnte. Trotzdem sei der Artikel, der am 17. März auf dem Preprintserver arXiv veröffentlicht und seitdem überarbeitet wurde, "mit gewissen Mängeln behaftet", sagt Spergel. "Ich glaube, dass sich die Astronomencommunity inzwischen im Klaren darüber ist, dass wir auf Planck warten müssen, wenn wir Gravitationswellen entdecken wollen – oder aber um festzustellen, dass die Polarisierung auf galaktischen Staub zurückgeht."
Brandneue Planck-Analysen stützen die Kritik
Die endgültigen Planck-Ergebnisse werden nicht vor Oktober veröffentlicht. Doch erste Hinweise gibt es bereits jetzt: Laut Jean-Loup Puget von der Université Paris-Sud in Orsay scheint der Staub am südlichen Polarhimmel – also dort wo BICEP2 seine Messungen vorgenommen hat – eine wichtigere Rolle zu spielen als gedacht. Entsprechende Ergebnisse stellte der Astronom aus dem Planck-Team am 16. Juni auf einem Meeting von Kosmologen in Moskau vor.
Frühere Karten des Planck-Teams ließen die staubbedingte Polarisierung in diesem Himmelsabschnitt des Himmels und anderen hohen galaktischen Breitengraden außen vor, weil der Staub dort recht dünn verteilt ist und das Verhältnis von Rauschen zu Signal bei den Messungen schlecht ausfällt. Dank der allerneuesten Planck-Daten, die Puget und Mitarbeiter nun erstmals heranzogen, lässt sich die Polarisierung des Staubs in diesen Regionen direkt auswerten – anstatt wie sonst üblich durch Extrapolation von anderen staubigeren Regionen.
Das Team um Puget berechnetet den Durchschnitt über 350 Abschnitte hoher galaktischer Breitengrade, die in ihrer Größe dem Betrachtungsfeld von BICEP2 entsprachen. Wie sich zeigte, spielen interstellare Staubkörnchen dort eine entscheidende Rolle und könnten für einen Großteil des Signals verantwortlich sein, das die BICEP2-Forscher auf inflationsbedingte Gravitationswellen zurückführen. Ein Artikel über diese Ergebnisse soll in etwa sechs Wochen veröffentlicht werden, erklärt Puget.
Berkeley-Kosmologe Seljak fasst seine Sicht der Dinge zusammen: Es gebe noch immer Grund zur Hoffnung, dass das BICEP2-Team tatsächlich das echte Gravitationswellensignal aufgespürt hat, sagt der Forscher. "Doch zum jetzigen Zeitpunkt wirkt das auf mich eher wie ein frommer Wunsch als wie eine mit überzeugenden Argumenten begründete Meinung."
Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Gravitational-wave team admits findings could amount to dust" bei "Nature".
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