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Great Barrier Reef : Hitze am Riff hat historische Ausmaße

Wissenschaftler haben die Wassertemperaturen an Australiens berühmtesten Naturwunder rekonstruiert, zurück bis ins Jahr 1618. Nie war es dort so warm wie heute.
Ein Taucher entnimmt einen Bohrkern
Ein Taucher entnimmt einem großen Korallenstock einen Bohrkern. Aus den ältesten Wachstumsschichten lassen sich Informationen über die Temperaturverhältnisse vor Jahrhunderten gewinnen.

Zurück bleibt ein helles, totes Skelett: Wenn in einem Korallenriff die Wassertemperatur mehr als zwei Monate lang ein Grad über dem Wert liegt, an den sich eine Koralle angepasst hat, dann stößt sie die Algen ab, mit denen sie in Symbiose lebt, und geht ein. Als Korallenbleiche bezeichnet man ein solches Phänomen.

Gleich fünf einschneidende Massenkorallenbleichen hat das australische Great Barrier Reef seit 2016 erlebt. Grund dafür waren außerordentlich hohe Temperaturen im Gewässer vor der Küste des Kontinents – Temperaturen, wie sie historisch ohne Beispiel sind. Das geht aus einer aktuellen Veröffentlichung im Fachblatt »Nature« hervor.

Einem Team um Benjamin Henley von der University of Melbourne in Victoria ist es gelungen, die Wassertemperaturen über den Verlauf von vier Jahrhunderten in die Vergangenheit zu rekonstruieren: bis ins Jahr 1618. Die Fachleute nutzten dazu den Umstand, dass manche Korallenstöcke jahrhundertealt werden und über die gesamte Zeit hinweg wachsen, wobei sie jedes Jahr einen neuen Wachstumsring anlegen. Aus dem Verhältnis zweier Sauerstoffisotope oder aus dem Verhältnis von Strontium zu Kalzium lassen sich Informationen über die Wassertemperatur gewinnen, die in dem Jahr vorherrschte, als sich der Jahresring bildete.

Aus zahlreichen Bohrkernen, die in den Gewässern rund um das Great Barrier Reef gezogen wurden, rekonstruierte das Team um Henley eine Temperaturkurve, die die Fachleute dann anhand von direkten Temperaturmessungen kalibrierten. Solche Messungen liegen ungefähr seit dem Jahr 1900 vor. Seitdem wird von Schiffen erfasst, wie warm oder kalt es im Riff ist. Später übernahmen Satelliten diese Aufgabe.

Die rekonstruierte Temperaturgeschichte zeigt, wie stark die Jahre der Massenbleiche aus der Riffhistorie herausstechen. Sie übertreffen eindeutig sämtliche direkt gemessenen Werte aus dem 20. Jahrhundert. Aber auch im Zeitraum seit 1618 findet sich nichts Vergleichbares.

Werte in nie gekannter Höhe

»Als ich den Wert für 2024 aufzeichnete, habe ich dreimal nachgerechnet«, sagt Henley in einer Pressemitteilung der University of Wollongong, »er lag noch deutlich über dem bisherigen Rekordhoch von 2017. Ich konnte es kaum glauben«. Auch in anderen Meeresgebieten verzeichneten Wissenschaftler in den Jahren 2023 und 2024 bislang ungekannte Temperaturspitzen. »Leider ist dieses Jahr dann erneut eine Massenkorallenbleiche aufgetreten«, sagt Henley.

Riff-Skelett | Aus den farbenfrohen Riffen wird ein bleicher Korallenfriedhof. Wenn der Klimawandel wie bisher weiter voranschreitet, hat das Great Barrier Reef keine Zukunft.

In vorindustrieller Zeit hat die Temperaturkurve einen relativ flachen Verlauf, was auf stabile klimatische Bedingungen hindeutet. Von 1960 bis 2024 an sind die Monate Januar bis März im Schnitt jedes Jahrzehnt 0,12 Grad Celsius wärmer. Damit trägt die Aufheizung des Wassers den deutlichen Fingerabdruck des Klimawandels. Simulationen mit Klimamodellen, die das Team durchführte, bestätigten diesen Verdacht.

Zu rekonstruieren, wie warm es in den vergangenen Jahrhunderten im Riff war, erlaubt womöglich auch bessere Prognosen für die Zukunft, weil es hilft, das Temperaturfenster einzugrenzen, an das sich die Korallen des Great Barrier Reefs angepasst haben.

Angesichts der zu erwartenden Erwärmung der Region durch den Klimawandel gäben die Ergebnisse des Teams um Henley allerdings jetzt schon Anlass zu großer Sorge, schreibt die Kieler Geowissenschaftlerin Miriam Pfeiffer in einem begleitenden Kommentar bei »Nature«. Die Korallen des Great Barrier Reefs hätten bereits ihre Temperaturnische verlassen. »Da Korallenriffe 10 bis 20 Jahre benötigen, um sich von einer schweren Massenbleiche zu erholen, werden diese Ereignisse bald zu häufig auftreten, als dass sich die Korallen vollständig zwischen den Ereignissen regenerieren könnten.«

Auch das Team um Henley sieht das Ende des Great Barrier Reefs herannahen: »Ohne schnelle, koordinierte und ehrgeizige globale Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels werden wir wahrscheinlich den Untergang eines der spektakulärsten Naturwunder der Erde miterleben«, schreiben sie in ihrer Mitteilung. Um die Korallen anderer Meeresgebiete ist es dabei ähnlich schlecht bestellt. Auch sie reagieren empfindlich auf einen Anstieg der Umgebungstemperatur.

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