Direkt zum Inhalt

Im Rückblick: Grenzgänger

Fritz Haber war genialer Erfinder, entwickelte das nobelpreisprämierte Verfahren, mit dem Ammoniak billig in großen Mengen hergestellt werden kann, revolutionierte so die Herstellung von Düngemitteln - und die von Sprengstoff. Dann schrieb der Wissenschaftler am dunklen Kapitel der chemischen Kriegsführung in Deutschland mit.
Fritz Haber
Er lebte ehrgeizig und rastlos für sein Fach, die Chemie. Seit seinem 36. Lebensjahr suchte Fritz Haber mit großem Engagement nach einer Methode, Ammoniak herzustellen. Diese Verbindung war begehrt wie kaum eine andere, denn sie bildet die Grundlage sowohl für Düngemittel als auch für zahlreiche Sprengstoffe. Nur vier Jahre später trugen seine Bemühungen Früchte: Am 13. Oktober 1908 beantragte er beim Kaiserlichen Patentamt in Berlin Patentschutz für ein "Verfahren zur Synthetischen Darstellung von Ammoniak aus den Elementen".

Wenige Jahre später begann der Erste Weltkrieg. Viel schneller als erwartet wurde die Ausrüstung und Munition des Militärs knapp. "Volk und Wirtschaft waren auf den Krieg nicht besser gefaßt, wie die gesunde Jugend auf den Tod", schilderte Fritz Haber die Situation später. Es wurde eine Kriegsrohstoffbehörde eingerichtet und vor allem mit Wissenschaftlern besetzt. Haber wurde zum Leiter der Chemieabteilung, die man schlicht "Büro Haber" nannte.

"Volk und Wirtschaft waren auf den Krieg nicht besser gefaßt, wie die gesunde Jugend auf den Tod"
(Fritz Haber)
Der Chemiker sollte eine Möglichkeit finden, das zur Neige gehende Ammoniak nachzuliefern. Sowohl die Sprengstoffindustrie als auch die Landwirtschaft brauchten dringend Nachschub. Und Haber sorgte tatsächlich dafür, dass die Verbindung in großem Maßstab hergestellt wurde: Einige Jahre zuvor hatte er ja zusammen mit Carl Bosch eine geeignete Methode entwickelt, das Haber-Bosch-Verfahren.

Ab Ende 1914 arbeitete er im Kriegsministerium an der Entwicklung von Gaskampfstoffen. Fritz Haber schlug selbst vor, chemische Waffen – zunächst Chlorgas – an der Front einzusetzen. Chlorgas ist eine hochgiftige Substanz, die, wenn sie mit den feuchten Schleimhäuten in Berührung kommt, zu Salzsäure reagiert. Schnell verätzt sie Augen, Lunge und Atemwege.

Zum ersten Mal setzte das deutsche Militär Chlorgas am 22. April 1915 in der zweiten Flandernschlacht bei Ypern ein. Deutsche Truppen ließen 150 Tonnen des toxischen Gases nach dem so genannten haberschen Blasverfahren entweichen. Hierbei wurden Flaschen mit flüssigem Chlor in die Schützengräben hinter der Brustwehr eingegraben. Über Bleirohre wurde das Gas in die gegnerischen Stellungen "geblasen". Etwa 15 000 Menschen erlitten dadurch Vergiftungen, 5000 starben.

In dem Gaskrieg erwies sich Haber "nicht nur als großer Organisator, sondern auch als ausgezeichneter Taktiker, der mit einem Blick die besten Stellen auszusuchen wußte, sowohl in Hinsicht auf die Sicherheit der eingebauten Flaschen gegen Beschuß, als auch bezüglich der Wirksamkeit", schwärmte ein Mitarbeiter in einem Brief an Habers Frau Clara.

"Ich machte den Einwand, dass die Verwendung von Giftstoffen wohl völkerwidrig sei, worauf er mir antwortete, man müsse im Krieg die Mittel ergreifen, die zu einer schnellen Beendigung des Krieges führten"
(Otto Hahn über Fritz Haber)
Von seiner Ehefrau, ebenfalls Chemikerin, wurde Fritz Haber jedoch in keiner Weise bewundert. Im Gegenteil: Sie bezeichnete den Einsatz ihres Mannes als "Perversion der Wissenschaft". Als er nach dem Giftgaseinsatz in der Flandernschlacht zum Hauptmann befördert wurde, erschoss sie sich mit seiner Dienstwaffe.

Der Freitod seiner Frau hielt Haber aber nicht davon ab, weitere Reizgase für den chemischen Krieg zu entwickeln. So wurde im Lauf des Jahres 1915 vor allem Phosgen als Kampfstoff eingeführt. "Es hat vor dem Chlor den Vorzug, dass es wesentlich giftiger als dieses ist" und "eine viel unangenehmere Reizwirkung auf die Atemorgane ausübt", schrieb Carl Duisberg, ein Kollege Habers. Die Deutsche Armee setzte Phosgen erstmals am 19. Dezember 1915 an der Westfront ein.

"Der Gelehrte gehört im Kriege wie jedermann seinem Vaterland, im Frieden gehört er der Menschheit"
(Fritz Haber)
Obwohl Fritz Haber sehr angesehen war, vor allem wegen seiner Arbeiten zur Ammoniaksynthese – für die er im Jahr 1918 den Nobelpreis bekam – war Clara Haber nicht seine einzige Kritikerin. Otto Hahn etwa, ebenfalls ein bedeutender Chemiker, machte in einem Gespräch mit Haber den Einwand, "dass die Verwendung von Giftstoffen wohl völkerwidrig sei", worauf dieser erwiderte, man müsse "im Krieg die Mittel ergreifen, die zu einer schnellen Beendigung des Krieges führten".

Nach dem Ersten Weltkrieg wendete sich Haber wieder menschenfreundlicherer Forschung zu: Er entwickelte Mittel zur Schädlingsbekämpfung, vor allem von Wanzen, Kleiderläusen und Mehlmotten. Im Jahr 1933 setzten die Nationalsozialisten an den Kaiser-Wilhelm-Instituten, an denen Fritz Haber tätig war, den so genannten "Arierparagraphen" durch, der besagte, dass jüdische Mitarbeiter entlassen werden müssten. Der aus einer jüdischen Familie stammende Haber siedelte nach Cambridge um und starb kurze Zeit später, am 29. Januar 1934, auf einer Erholungsreise in Basel.

Der bedingungslose Einsatz Fritz Habers hatte weit reichende Folgen – im Guten wie im Bösen. Darauf angesprochen kommentierte der Chemiker in einer für ihn charakteristischen Form: "Der Gelehrte gehört im Kriege wie jedermann seinem Vaterland, im Frieden gehört er der Menschheit."
  • Quellen
Stoltzenberg, D.: Fritz Haber: Chemiker, Nobelpreisträger, Deutscher, Jude. VCH, Weinheim 1994.
Szöllösi-Janze, M.: Fritz Haber. 1868–1934. Eine Biographie. Beck, München 1998.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.