Vogelgrippe: So wenig trennt uns von einer H5N1-Pandemie
Seit 2022 breitet sich die »Vogelgrippe« mit alarmierender Geschwindigkeit aus. Nicht nur Millionen Vögel auf allen sechs Kontinenten erlagen seither einer Influenzaerkrankung – der Erreger H5N1 sprang auch auf zahlreiche Säugetierarten über. Dazu zählen unter anderem Nerze in europäischen Pelzfarmen, Robben in Südamerika sowie Milchkühe in den Vereinigten Staaten. Menschen sind bislang großteils verschont geblieben. Es gab und gibt zwar immer wieder vereinzelt Fälle, doch dem Virus gelang es noch nicht, dauerhaft in unseren Geweben Fuß zu fassen. Wie schnell sich das ändern kann, offenbart eine Studie von Fachleuten um James Paulson und Ian Wilson vom Scripps Research Institute in Kalifornien. Sie zeigt, dass eine einzige Mutation in einem Gen von H5N1 das Virus dazu befähigen könnte, menschliche Zellen viel stärker zu infizieren.
Das Team nutzte für seine Experimente keine ganzen Viruspartikel, sondern ein einzelnes Gen von H5N1. Das darin codierte Hämagglutinin-Protein hilft den Viruspartikeln dabei, an tierische Zellen anzudocken, indem es sich an Zuckerreste auf deren Zelloberfläche anheftet. Die Moleküle unterscheiden sich bei Menschen und Vögeln. Ist die Tendenz zu einer Sorte stark, ist sie normalerweise zur anderen eher schwach. Die Forschenden veränderten das Gen nun gezielt derart, dass Hämagglutinin unterschiedlich gut an menschliche Zellen band. Dabei identifizierten sie eine Mutation, die seine Haftung schlaghaft erhöhte: eine Veränderung des genetischen Codes seiner 226. Aminosäure. Sie führte dazu, dass das Virus seine Rezeptorpräferenz umschwenkte, nämlich von tierischen Zuckerresten zu denen von Menschen. Dadurch könnte der Erreger viel leichter in menschliche Zellen eindringen und sich dort vermehren.
Die Forscherinnen und Forscher machten eine weitere beunruhigende Entdeckung. Veränderten sie das bereits mutierte Gen zusätzlich in der 224. Aminosäure, stieg die Gefahr für eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung nochmals an. Das entstandene Hämagglutinin haftete sich dann sogar viel stärker an menschliche Zellen als das des Auslösers der 2009 ausgebrochenen »Schweinegrippe« H1N1. Das spricht für ein erhöhtes pandemisches Potenzial eines in der Weise mutierten Virus.
Die Studienautoren betonen zwar, es brauche zusätzliche Mutationen in Genen von H5N1, damit dieses von Mensch zu Mensch überspringen könne. Die Resultate würden aber verdeutlichen, wie hoch das Risiko einer Übertragung zwischen Tier und Mensch sei. Insbesondere Personen, die eng mit Nutztieren zusammenarbeiten, seien aktuell gefährdet.
Nicht an der Untersuchung beteiligte Fachleute loben die Arbeit. Wie die Studienautoren sehen sie die Ergebnisse als Warnsignal. Der Virologe Stephan Pleschka von der Justus-Liebig-Universität Gießen erklärt gegenüber dem SMC, die Studie würde zeigen, »dass es nötig ist, die H5N1-Ausbreitung in den USA intensiv zu überwachen«. Sein Kollege Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut warnt, man müsse in den USA dringend Fälle bei Nutztieren reduzieren. »Gerade beim Rind sollten hier deutlich mehr Anstrengungen unternommen werden«, rät er, und ergänzt: »Menschen, die in infizierten Betrieben tätig sind, müssen unbedingt entsprechend geschützt werden.«
In der winterlichen Influenzasaison steigt zudem die Gefahr, dass jemand sich zugleich mit saisonalen Grippeviren und H5N1 ansteckt. Treffen beide in befallenen Zellen zusammen, können sie untereinander Erbgut austauschen. Der Prozess kann ein neues, rekombinantes Virus hervorbringen, das problematische Merkmale der jeweiligen Stämme in einem Viruspartikel vereint. Mit etwas Pech für uns entsteht so ein Erreger, der sich rasant ausbreiten und dabei viele Menschen töten könnte. Die hohe Sterberate bei Infekten mit H5N1 gibt diesbezüglich Anlass zur Sorge. Laut Angaben der Weltgesundheitsorganisation erkrankten zwischen 1997 und 2024 mindestens 890 Personen, wobei 463 davon nicht überlebten. Die Fallsterblichkeit liegt damit bei über 50 Prozent. Dieser Wert scheint aber bei der Welle an Ansteckungen seit 2021 stark gesunken zu sein. Hier hatten viele der Betroffenen sogar entweder nur milde oder gar keine Symptome.
Der in der Studie genutzte Virustamm A/Texas/37/2024 breitet sich seit Anfang 2024 in den USA unter Milchkühen aus. Mittlerweile wies man ihn bei mindestens 707 Herden in 15 Bundesstaaten nach. 56 Menschen in den USA haben sich erwiesenermaßen in den vergangenen Monaten bei Kühen und Vögeln mit H5N1 angesteckt. Anfang November 2024 erkrankte ein Jugendlicher in Kanada schwer an H5N1. Bei ihm trat genau jene Mutation in Hämagglutinin auf, vor der die Fachleute nun warnen. Glücklicherweise scheint es so, als hätte er seine Erreger nicht an Kontaktpersonen weitergegeben.
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