Satellitenauswertung: Grönlands Eisschild schwindet stärker als vermutet
Dass der dicke Eispanzer auf Grönland Jahr für Jahr mehr Eis verliert, als durch Niederschläge neu hinzukommt, haben zahlreiche Studien bereits nachgewiesen. Grund dafür ist der Klimawandel. Allerdings wurde bei der Berechnung der Massebilanz bislang nur die Menge des aufliegenden Eises an Land betrachtet. Nun hat ein Forscherteam zusätzlich die Bewegung der Gletscherfronten beobachtet, also das Vor und Zurück an jenen Stellen, an denen die Gletscher kalben und Eisberge ins Meer entlassen. Ihre Datenreihe, die mit dem Jahr 1985 beginnt, zeigt eindeutig, dass sich die Gletscherzungen immer weiter in Richtung Landesinnere zurückziehen: Der Eisschild schrumpft auch vom Rande her.
Den Rückgang konnte das Team sogar quantifizieren: Durch den Schwund am Rand kommen zum bereits bekannten Eismasseverlust weitere rund 20 Prozent Masseverlust hinzu.
Die Ergebnisse der Studie hat das Team um Chad Greene vom Jet Propulsion Laboratory im kalifornischen Pasadena nun in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift »Nature« veröffentlicht. Demnach sei der Eisschild der Insel seit Mitte der 1980er Jahre um fast exakt 5000 Quadratkilometer kleiner geworden. Das entspricht der doppelten Größe des Saarlandes. Die verlorene Masse an Eis beträgt etwa 1000 Gigatonnen (Milliarden Tonnen).
Für ihre Auswertung griffen Greene und Team auf die hochauflösenden Abbildungen moderner Satelliten zurück und nutzen selbstlernende Systeme, um auch aus den weniger exakten Daten älterer Satelliten die Lage der Gletscherfront zu ermitteln. Insgesamt gewannen sie so mehr als 236 000 Positionsangaben, die das monatliche Wachsen und Schrumpfen der Gletscherzungen dokumentieren.
Vor allem seit den 2000er Jahren, so beobachteten es die Fachleute, wuchsen die Gletscherzungen im Laufe des Winters häufig nicht mehr ganz auf das Maß, das sie noch im Jahr zuvor hatten. Sprich: Der Zugewinn an Eis in der kalten Jahreszeit konnte den Verlust im Sommer nicht vollständig kompensieren. Jene Gletscher, deren Front sich zwischen dem Maximum im Mai und dem Minimum Ende September besonders stark vor und zurück verschob, waren gleichzeitig jene, bei denen der größte Gesamtrückzug zu verzeichnen war. Als Beispiel nennen sie den gewaltigen Jakobshavn Isbræ, einen der produktivsten Gletscher der Welt. Dieser Zusammenhang zwischen den jahreszeitlichen Schwankungen und dem Gesamtrückgang könnte helfen, das Verhalten der Gletscher künftig genauer vorherzusagen.
Kein unmittelbarer Einfluss auf den Meeresspiegel
Auf den globalen Meeresspiegel hat der neu beobachtete Eismasseverlust keinen nennenswerten Einfluss. Das hat physikalische Gründe: Das Eis der Gletscherzungen schwimmt in den Fjorden bereits auf dem Ozean auf und verdrängt dadurch so viel Wasser, wie es selbst wiegt. Wie bei einem Eiswürfel in einem Glas ändert sich der Wasserstand nicht, wenn es schmilzt. Deshalb wurde der Masseverlust entlang der Fronten in der Forschung auch bislang zumeist ausgeklammert.
Die Überlegungen zum Meeresspiegelanstieg gelten jedoch nur für das Eis der Gletscherzungen. Die Abnahme im Inlandeis hat durchaus zum Anstieg des Meeresspiegels beigetragen und wird es bei fortschreitender Erderwärmung auch weiterhin tun. Manche Fachleute befürchten sogar, dass der grönländische Eisschild ab einer gewissen Temperaturschwelle in ein nicht mehr zu bremsendes Abschmelzregime übergehen könnte, das sich über einige tausend Jahre hinziehen würde. Am Ende dieses Vorgangs läge der Meeresspiegel ganze sieben Meter höher als heute.
Deshalb lohne auch der Blick auf den Rückzug der Gletscherfronten, urteilen Fachleute, die sich das »Nature«-Paper auf Anfrage des »Science Media Center« hin genauer angeschaut haben. Wie viel Eis Grönland wo verliert und wann der »Point-of-no-return« überschritten werde, simuliert man mit Modellen zur Eisdynamik. Und diese wiederum ließen sich wahrscheinlich mit Hilfe der neuen Erkenntnisse verfeinern, sagt beispielsweise Johannes Feldmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Und in noch einer weiteren Hinsicht sei das Abschmelzen der Gletscherzungen relevant. Die Studie von Greene und Team legt nahe, dass auch der Frischwassereintrag rund um die Insel leicht unterschätzt wurde. Wie viel Süßwasser dort in den Atlantik fließt, beeinflusst die Meeresströmungen im gesamten Ozean, allen voran die so genannte nordatlantische Umwälzzirkulation. Diese Strömungen wiederum wirken sich auf das Klima in weit entfernten Gebieten, unter anderem in Europa, aus. Wie empfindlich und mit welchen (womöglich katastrophalen) Folgen sie auf einen steigenden Eintrag von Süßwasser reagieren, ist aktuell noch ungeklärt.
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