Gletscherdynamik: Grönlands Küste ist extrem runzelig
Wer wissen will, wie Grönlands Küste ohne das Eis aussähe, muss einen Blick nach Norwegen richten: Große und tiefe Fjorde bezeugen die Kraft der Gletscher während der letzten Eiszeit. Die Eismassen schürften die vorhandenen Täler aus, deren Grund heute teilweise hunderte Meter unter dem Meeresspiegel liegt. In Zeiten der Erderwärmung ziehen sich nun auch die grönländischen Eismassen zurück; das Abtauen hat mittlerweile weite Teile der Insel erfasst. Die Gletscher an der Küste schmelzen jedoch nicht nur von oben durch steigende Lufttemperaturen, sondern auch von unten durch wärmeres Meerwasser. Und dieser Prozess könnte noch stärker und umfassender zum Meeresspiegelanstieg beitragen, befürchten Mathieu Morlighem von der University of California in Irvine und seine Kollegen.
Denn die Gletschertäler an der Küste sind wohl noch tiefer und reichen noch weiter ins Landesinnere, als bekannt war: Es liegt damit also nicht nur mehr Eis in diesen Fjorden, sondern warmes Meerwasser kann auch noch weiter ins Binnenland vordringen und dort von unten die Gletscher bearbeiten. Bislang ging man davon aus, dass sich ein neues Gleichgewicht zwischen Abschmelzen und Eisnachschub aus höheren Regionen des Eisschilds einstellt, sobald sich die Eiszungen komplett aus dem Ozean zurückgezogen haben und ihre Front auf dem Festland liegt. Diese Grenzlinie verläuft nach den neuen Erkenntnissen jedoch weiter landeinwärts. Mehr Eis bleibt also den "Angriffen" von unten und oben ausgesetzt.
Schmächtige Gletscher werden zu Riesen
Daten und Karten zur grönländischen Topografie unter dem Eis existierten bislang nur unzureichend; gerade an den Küsten beeinträchtigten Schmelzwasser im Gletscher und zerklüftete Eiszungenoberflächen Radarabmessungen: Weite Gebiete ließen sich daher nur verschwommen darstellen. Erst seit 2009 und den Flügen der NASA im Rahmen der "Operation Ice Bridge" existieren bessere Daten, die jedoch immer noch nur ein grobes Bild vermitteln konnten. Morlighem und Co griffen deshalb auf einen neu entwickelten Algorithmus zurück, der die vorhandenen Daten zur Eisdicke der Gletscher, deren Fließgeschwindigkeit und -richtung sowie Schätzwerte von Schneefall und Abtauraten zueinander in Bezug setzte. Daraus konnten sie dann ableiten, wie der Untergrund aufgebaut sein muss.
Der Unterschied fiel durchaus beachtlich aus: Gletscher, die zuvor als eher schmächtig betrachtet wurden, sind tatsächlich mächtige Eisfinger, die bis zu 100 Kilometer tief ins Binnenland zum ursprünglichen Eisschild zurückreichen. Das Meer könnte demnach Dutzende Kilometer weiter landeinwärts vorstoßen. "Die Gletscher dürften sich also viel schneller und stärker zurückziehen und die Schmelze länger andauern, als wir erwartet hatten", so Morlighem. Das beträfe selbst Regionen, die vorerst noch nicht besonders von steigenden Lufttemperaturen betroffen sind: Sie tauen dann verstärkt von unten.
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