Große Hufeisennase: Das letzte Haus der Fledermaus
Als Hufeisennasen-Weibchen kann man sich im Spätsommer schon mal nach einem Geschlechtspartner umschauen. Zwar steht die Befruchtung der Eizellen erst im April des nächsten Jahres an, und die Geburt des Nachwuchses lässt sogar noch bis zur zweiten Junihälfte auf sich warten. Bis dahin aber werden die Samenzellen der Männchen in der Gebärmutter gespeichert. Im Frühjahr kann das Weibchen dann ja immer noch entscheiden, ob es seinen Vorrat auch einsetzt. Passt die Witterung und verspricht sie fette Beute aus leckeren Insekten, wird ein fittes Weibchen die Samenzellen zu den Eizellen dirigieren. Droht eine schlechte Insektenernte, entledigt man sich dezent der gelagerten Samenzellen und bereitet sich schon mal auf das nächste Jahr vor.
Vor dem Aus
An der Fortpflanzungsstrategie der Weibchen sollte es also nicht gelegen haben, dass die Große Hufeisennase in den 1980er Jahren aus Deutschland fast verschwunden war und auch sonst in Mitteleuropa auf raschen Sinkflug ging. Jeweils eine Kolonie gibt es noch in Luxemburg und Österreich, in der Schweiz sind es drei. In der letzten verbliebenen deutschen Kolonie zählten Artenschützer 1986 ganze elf Tiere, die in Höhlen den Winter verbrachten. Anscheinend wurde Rhinolophus ferrumequinum hier zu Lande gleich von zwei Entwicklungen in die Zange genommen: Auf der einen Seite wurden zunehmend Pestizide eingesetzt, die nicht nur die Beuteinsekten stark dezimierten, sondern auch viele der fliegenden Säugetiere vergifteten. Gleichzeitig wurden die Winterquartiere knapp, ebenso wie die Wochenstuben, in denen die Weibchen im Sommer ihren Nachwuchs bekommen und aufziehen.
Ihr letztes Refugium verdankt die Große Hufeisennase einer Truppe, die mit Naturschutz zunächst wenig am Hut hat: Seit 1951 üben Soldaten der US-Army auf einem der größten Truppenübungsplätze Deutschlands, in Hohenfels in der Oberpfalz nahe Regensburg, auf insgesamt 160 Quadratkilometern den Ernstfall. »Dort setzten die Verantwortlichen keine Pestizide ein«, erklärt Rudi Leitl vom Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV). Auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels finden die Großen Hufeisennasen also noch genug Insekten, um sich einen Speckvorrat für den Winter anzufressen und im Sommer ihren Nachwuchs großzuziehen. Obendrein äsen in den Wäldern des Areals reichlich Rothirsche, und einige tausend Schafe werden von Wanderschäfern durch das Gelände getrieben. So entsteht genügend Dung für viele Mistkäfer, die wiederum im Herbst Grundnahrungsmittel für die Großen Hufeisennasen sind.
Das Fledermaushaus
Mit ihren fünf oder sechs Gramm Körpergewicht wären neu geborene Hufeisennasen eine leckere Vorspeise für Marder oder Katzen. Also suchen sich die Weibchen eine Höhle, in der Mutter und Kind auch vor Eulen und Käuzen sicher an der Decke hängen können. Allerdings sind die meisten Höhlen recht kühl, und die jungen Hufeisennasen drohen zu erfrieren, wenn die Mutter in der Abenddämmerung auf Insektenjagd geht. Also muss eine hohe Höhle her, die nach oben von einer kleinen Kuppel luftdicht abgeschlossen wird. Hängen dort mehrere Weibchen, wärmen ihre Körper die Luft deutlich an. Und da warme Luft nach oben steigt, dort aber in der Kuppel nicht weiterkommt, steigen die Temperaturen in dieser Wochenstube deutlich an. »Auch der noch nicht am anderen Geschlecht interessierte Nachwuchs aus den letzten zwei oder drei Jahren betätigt sich als Zusatzheizung für seine jüngeren Geschwister«, erläutert Leitl.
Solche Höhlen, in denen die jungen Hufeisennasen wohltemperiert aufwachsen, sind allerdings recht selten. Als Ersatz richten sich die Weibchen daher ihre Wochenstube auch gerne in Dachböden ein. Zumindest, wenn dort keine Gefahren für den Nachwuchs auftauchen, auch nicht in Form menschlicher Bewohner. Am besten ist also der Dachboden eines leer stehenden Hauses. »In einem solchen Gebäude im Ort Hohenburg am Rand des Truppenübungsplatzes Hohenfels entdeckten wir 1992 dann auch die Wochenstube der Großen Hufeisennase«, berichtet Leitl.
Letzte Rettung
Um die letzte Kolonie dieser Art in Deutschland zu sichern, wurde das Gebäude zunächst gepachtet und 2008 gekauft. Doch mit der Zeit drohte immer mehr der Einsturz. Ein Konjunkturpaket der Bundesregierung gegen die Finanzkrise kam zur rechten Zeit: »Daraus erhielten wir Mittel, um das Gebäude dauerhaft zu sichern«, sagt Leitl. Tatsächlich kurbelte das Programm dann auch die Konjunktur in Hohenburg an. Inzwischen kommen Touristen und Tagesausflügler in den Ort, um dort die Große Hufeisennase beim abendlichen Flug aus dem Dachboden zu belauschen und via Kamera dem Nachwuchs in die Wiege zu schauen. Einige der Besucher übernachten im Ort oder kehren in ein Café ein und stellen so in dieser eher armen Region das eine oder andere Einkommen sicher. Interessierte können auch an regelmäßigen Führungen teilnehmen, beispielsweise im Rahmen der 20. Internationalen Batnight, die dieses Jahr vom 26. auf den 27. August stattfindet und deutschlandweit Veranstaltungen für Fledermausfans bietet.
Allerdings greift der Artenschutz nur dann, wenn die Große Hufeisennase auch genug zu fressen findet. Wobei anfangs niemand so genau wusste, mit welchen Insekten die Fledertiere sich den Magen füllen. Direkt verfolgen lassen die Tiere sich kaum, weil sogar die Beringung eingestellt werden musste: »Die Große Hufeisennase putzt sich sehr sorgfältig und versucht dabei auch einen Ring zu entfernen. Dabei verletzt sie sich oft schwer. Bei einer vom Aussterben bedrohten Art verbietet es sich, ein solches Risiko einzugehen«, erklärt Leitl. Ein kleiner Radiosender am Körper des Tieres würde wohl ähnliche Gefahren bedeuten. Auch darauf müssen die Naturschützer bei der Großen Hufeisennase in der Oberpfalz verzichten.
Anrüchige Forschung
Also sammeln Leitl und seine Helfer im Rahmen eines Life-Projekts der Europäischen Union rund um das Jahr Kotproben ihrer Schützlinge ein. Die schicken sie dann an Irmhild Wolz, die sich im oberfränkischen Neunkirchen am Brand als freiberufliche Biologin auf die Analyse von Chitin-Resten spezialisiert hat. Mit dieser Methode hat die Wissenschaftlerin inzwischen mehr als 60 Arten und Gattungen von Gliedertieren im Kot der Großen Hufeisennase entdeckt – und findet dabei auch das eine oder andere Insekt, das bisher in der Gegend noch nie nachgewiesen worden war.
»Bekommen wir heraus, in welchen Gebieten die im Kot nachgewiesenen Insektenarten leben, wissen wir auch, wo die Hufeisennasen sich den Bauch vollschlagen«, erklärt Leitl. Dabei kommt es immer wieder zu Überraschungen für den LBV-Naturschützer. So erbeuten die Fledertiere, wenn sie im Frühjahr zu ihren ersten Jagdausflügen starten, vor allem einen Blatthornkäfer, den Insektenforscher unter dem Namen Rhizotrogus cicatricosus kennen. Dieses Insekt ist zwar selbst vom Aussterben bedroht. In den wenigen Gebieten, in denen es noch lebt, knabbern aber recht viele der Käfer an den Nadeln von Kiefern. Und das schon im April, wenn nur wenige Insekten unterwegs sind. Die erste Mahlzeit der Großen Hufeisennase ist daher gesichert.
Allerdings lebt der Käfer anscheinend nur an Südhängen mit Kalkmagerrasen, auf denen einzelne Kiefern wachsen. Dort erwärmt sich im Frühjahr der Boden schnell, und die Insekten, deren Körpertemperatur von der Außentemperatur abhängt, erwachen aus ihrer Kältestarre. Bis Mitte Mai fressen sich die Fledertiere mit dieser Art satt, die auf der Roten Liste steht. Im Juni stehen eher Schnaken auf dem Speiseplan, die im Frühsommer schon recht häufig sind. Im Hochsommer landen oft die in dieser Zeit reichlich durch die Oberpfalz taumelnden Schmetterlinge im Maul der Großen Hufeisennase, die sich im Herbst vor allem an Dungkäfern gütlich tut.
Obstbäume und Kuhfladen
Dieser Speiseplan gibt wichtige Hinweise auf Maßnahmen zum Artenschutz. Zum einen pflanzten die Helfer des LBV inzwischen mehr als 140 Obstbäume. »In solchen Streuobstwiesen leben zu allen Jahreszeiten reichlich Insekten und liefern den Fledertieren eine wichtige Grundlage für ihre Ernährung«, sagt Leitl. Inzwischen haben die Naturschützer auch die längst zugewachsene Huteweide des Marktes Hohenburg reaktiviert. Dabei handelt es sich um eine Art Savanne in Mitteleuropa: Die Bäume stehen nicht in einem dunklen Wald, sondern verteilen sich einzeln und in kleinen Gruppen auf eine größere Fläche. Dazwischen wächst eine Wiese, auf der die Nutztiere des Dorfes reichlich zu fressen finden.
Die Großen Hufeisennasen können sich an die Äste einzeln stehender Bäume hängen und sich um ihre eigene Achse drehen. Mit ihrem Ultraschallsonar suchen sie dabei nach lohnender Beute, die die geschickten Flieger mit Hilfe ihrer Flughäute in der Luft einsammeln.
Im Frühjahr und Sommer scheint in solchen lichten Hutewäldern, in denen auch Touristen gerne spazieren gehen, die Ernährung der Großen Hufeisennase gesichert. Schlechter sah es dagegen in den vergangenen Jahren im Herbst aus: Konventionell gehaltene Rinder und Schafe werden häufig mit Entwurmungsmitteln behandelt, die gleichzeitig auch verhindern, dass sich am Dung des Weideviehs Mistkäfer ernähren. Ausgerechnet wenn sich die Hufeisennasen im Herbst ihren Winterspeck anfressen müssen, finden sie daher nicht genug Nahrung. »Zum Glück hatte der LBV schon vorher begonnen, die Oberpfälzer Rinderrasse Rotvieh für den Naturschutz einzusetzen«, berichtet Leitl. Diese fast verschwundene Rasse wird bei richtiger Haltung kaum von Parasiten befallen, eignet sich daher hervorragend für Biobauern und braucht keine Entwurmungsmittel. Seit eine solche Rotviehherde auch im Hutewald von Hohenburg weidet, gedeiht auch die Dungkäferpopulation prächitg und die Hufeisennasen können sich ausreichend für den Winter wappnen.
Zu neuen Höhlen und Dachspeichern
Längst schlägt sich die gute Versorgungslage auch in den Zahlen nieder. Hingen 1996 gerade einmal 18 Weibchen im Dachboden des Fledermaushauses in Hohenburg, die neun Junge aufzogen, waren es 2009 bereits 31 Weibchen mit 23 Jungen. Seither erlebt die Kolonie einen Boom, der auch die Naturschützer des LBV überrascht hat: 2012 brachten es 83 Weibchen schon auf 34 Junge, und 2016 wird mit 159 Weibchen und 66 Jungen ein sagenhafter Rekord aufgestellt. Und auch in den Winterquartieren zählen die Naturschützer statt der elf Hufeisennasen im Jahr 1986 drei Jahrzehnte später 150 Tiere. »Dabei finden wir vermutlich längst nicht alle Hufeisennasen, sondern wohl nur zwei Drittel der Population«, vermutet Leitl. Insgesamt dürften 2016 also deutlich mehr als 200 Tiere in der letzten deutschen Kolonie der Großen Hufeisennase leben.
Über den Berg ist die Art allerdings immer noch nicht. Könnte doch ein Blitzschlag oder eine Infektion die einzige Wochenstube in Deutschland schlagartig auslöschen. Obendrein überwinterten die Tiere bisher überwiegend in Karsthöhlen auf dem Truppenübungsplatz Hohenfels. Der dort für den Wald zuständige Bundesforstbetrieb Hohenfels und die Umweltabteilung der US-Army beteiligen sich tatkräftig an den Schutzbemühungen und verbessern die Nahrungsgrundlage der Fledertiere zum Beispiel durch das Auflockern bereits zugewachsener Buschlandschaften, in denen dann wieder Schafherden weiden können, die ihrerseits Insekten anlocken. Noch besser aber wären weitere Überwinterungsplätze, um die Tiere mehr zu verteilen. Genau diese Strategie verfolgen die Hufeisennasen inzwischen offensichtlich auf eigenen Flügeln: »30 Kilometer nordwestlich von Hohenburg haben wir inzwischen einzelne Tiere entdeckt, die dort in Höhlen überwintern, in denen vor 30 Jahren die letzten ihrer Artgenossen beobachtet wurden«, freut sich Leitl. Auch diese Tiere legen auf eine gesunde Ernährung wert: In der Nähe weidet die Mutterkuhherde eines Biobetriebs, die den herbstlichen Winterspeck in Form von Dungkäfern garantiert. Und Leitl sucht bereits nach einem Dachboden, der sich als zweite Wochenstube der letzten deutschen Großen Hufeisennasen eignet. Es scheint: Die Große Hufeisennase bekommt noch einmal eine große Chance.
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