Mexiko-Stadt: Großes Schädeldepot aus Tenochtitlan gibt Rätsel auf
Im Herzen von Mexiko-Stadt entdeckten Archäologen eine ungewöhnlich große Ansammlung von 50 menschlichen Schädeln und rund 250 Unterkiefern. Sie waren im 15. Jahrhundert auf einem Opferstein im sakralen Zentrum der alten Aztekenhauptstadt abgelegt worden. Wie der leitende Archäologe Raúl Barrera Rodríguez vom Instituto Nacional de Antropología e Historia (INAH) mitteilt, handelt es sich um das größte bisher bekannte Schädeldepot in Tenochtitlan. Im Rahmen welcher Rituale die Azteken die Knochen niedergelegt hatten, ist aber noch unsicher.
Schon Mitte August waren Bauarbeiter auf dem Gelände des einstigen Templo Mayor auf die Schädel- und Kieferknochen gestoßen, die ohne bestimmte Ordnung auf einem Altarstein lagen. Unter dem Stein fanden sich weitere fünf Totenköpfe, die an der Seite durchstoßen waren; Raúl Barrera Rodríguez zufolge ein Hinweis darauf, dass die Schädel zu mehreren auf einem Schaugestell, einem so genannten Tzompantli, aufgereiht waren. Durch die Köpfe glaubte man, mit der Welt der Götter in Verbindung treten zu können.
Einige der 45 Schädel, die den Opferstein abdeckten, waren ebenfalls bearbeitet worden. "Um Schädelmasken zu fertigen", so Rodríguez. "Keine davon wurde aber je fertig gestellt." Derartige Masken sollten vermutlich den Totengott Mictlantecuhtli abbilden. "Die Azteken gebrauchten die Schädel vielleicht als Opfergaben oder als eine Art Bestattungsbeigaben, um einen sakralen Bereich zu versiegeln. Oder sie dienten für Rituale zu Ehren Mictlantecuhtlis." Der Archäologe gibt allerdings zu bedenken, dass weder Tongefäße noch Tierknochen zwischen den Gebeinen entdeckt wurden, wie es bislang bei Funden ähnlicher Schädeldepots der Fall war.
Eine ungefähre Datierung erschließt Rodríguez über den Fundort. Die Überreste lagen auf einer Erdschicht, die zur vierten Bauphase des Tempels gehört. Dieser Bau war zwischen 1440 und 1469 errichtet worden.
Ob die Schädel und Kiefer von Menschenopfern stammen, darauf legt sich der Forscher nicht fest. Im 15. Jahrhundert starben regelmäßig Tausende, oft Kriegsgefangene, auf den Altären der Azteken. Sicher ist, dass die neu entdeckten Köpfe Frauen und Männern gehörten, die nur 20 bis 35 Jahre alt wurden. Rodríguez vermutet aber, dass die Schädel vom Templo Mayor zuvor anderswo exhumiert worden waren. Dem Opferstein spricht er allerdings eine eindeutige Funktion zu: "Dieser Stein diente dazu, Menschen darauf zu opfern."
Erst im Sommer dieses Jahres waren die Archäologen des INAH auf eine ungewöhnliche Massenbestattung unter dem Templo Mayor gestoßen. Um das Skelett einer jungen Frauen waren rund 1800 Knochen aufgehäuft. Auch bei diesem Fund gehen die Forscher davon aus, dass die Gebeine an anderer Stelle ausgegraben und auf dem Sakralgelände erneut beigesetzt worden waren.
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