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Pflanzenphysiologie: Grüne Geschlechtsverkehr-Regeln

Sex ist anstrengend aber lohnend, rein biologisch gesehen. Schließlich bringt der komplizierte Gen-Austausch ja Mannigfaltigkeit und Flexibilität. Nur, Anstrengung ohne Vorteile ist nicht so lohnend - weswegen Sex ohne Gen-Tauschpartner besser nur eine Ausnahme bleiben sollte. Pflanzen haben das offenbar verinnerlicht.
Geköderter Bestäuber
Valentinstag vorbei, Schoko-Geschenke vernascht, Floristenumsatz gesteigert – Zeit, die Sache mit Romantik, Liebe und Gefühlen mal für zehn Minuten beiseite zu legen. Bleiben wir aber bei den gerade massenhaft verschenkten Blumen und ihrer Verwandtschaft, stellen wir nüchtern fest: Pflanzen haben es offensichtlich einfacher im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Pflanzen kennen keine Partnerwahl, keine Partner-Bezirzung und damit, mal ganz gefühlskalt gesagt, keine Termin-Präsente. Auch keine Notwendigkeit, auf das eigene Aussehen achten zu müssen, um potenzielle pflanzliche Paarungspartner zu beeindrucken. Stattdessen einfach anonymer Sex – mit wem, bestimmt der Wind. Oder vielleicht noch eine emsige Nektarsammlerin.

Wohin es den männlichen Samen von Pflanzen verweht, verschleppt oder verschießt, und auf wessen weiblichen Stempeln der Pollen dann landet, um ein neues Pflanzenleben zu produzieren – im Reich des Grünzeugs ist das alles oftmals dem Zufall überlassen. Genau hier lauert allerdings, bei aller Geradlinigkeit, eine Gefahr: Kontrollverlust. Nicht nur, dass der Paarungspartner eben anonym, also unbekannt und unerwählt ist – was verhindert zudem, dass Pflanzen sich versehentlich mit den eigenen Pollen befruchten, also Inzucht? Bei Einsamkeit und Nachwuchswunsch mag Selbstbefruchtung zwar sinnvoll sein – sexueller Austausch und die nur damit einhergehende Durchmischung von Genen, ist aber im Laufe der Evolution nicht umsonst erfunden worden.

Da der unerwünschte Weg der eigenen Pollen zu den eigenen Stempeln ziemlich kurz sein kann, erfanden Pflanzen gleich eine Reihe von Anti-Inzucht-Regeln. Die einfachste: Habe entweder nur männliche oder weibliche Blüten, sei also eine zweihäusige Spezies. Oder sei einhäusig – also mit weiblichen und männlichen Blüten an einem Pflanzen-Individuum –, bilde die Geschlechtsmerkmale aber zu unterschiedlichen Zeiten des Jahres.

Viele Pflanzen aber besitzen Blüten, die sowohl weibliche Stempel als auch männliche Pollenlager vereinen. Sie verlassen sich meist auf eine biochemische Selbstbefruchtungssperre und unterscheiden mit molekularen Mechanismen zwischen erwünschten, "kompatiblen" Fremd- und unerwünschten, "inkompatiblen" Eigen-Pollen. Wie der Mechanismus der "Selbst-Inkompatibilität" genau vonstatten geht, beschäftigt Botaniker seit gut hundert Jahren. Vor rund zwei Jahrzehnten präsentierten die Pflanzeninzucht-Forscher dann einen Hauptverdächtigen: die Enzymfamilie der S-RNasen.

S-RNasen zerstören, einmal losgelassen, sämtliche RNA eines als unerwünscht erkannten Pollenschlauches. Die Zellen der weiblichen Blütenstempel produzieren S-RNasen dabei nicht just in time, sondern laufend und schütten sie auch ständig aus – ein kompatibler, nicht aber ein inkompatibler Pollen sollte sich den giftigen Wächter dann also irgendwie vom Leib halten können. Dabei spielt eine seinerseits vom Pollen produzierte, so genannte SLF-Erkennungssubstanz eine Rolle, die durch S-locus-F-box-Gene kodiert wird: Signalisiert das Pollen-SLF den toxischen Stempel-S-RNasen "Kein Inzuchtverdacht", so werden die RNA-abbauenden Zerstörer vor ihrem Eindringen in den Pollenschlauch neutralisiert, und die Befruchtung kann beginnen.

So weit die lang etablierte Theorie. Sie ist nicht ganz vollständig, meinen nun Ariel Goldraij von der Staatlichen Universität von Cordoba in Argentinien und seine Kollegen. Tatsächlich gelangen die S-RNasen der Stempel-Gewebe immer in den befruchtungsgierig auswachsenden Pollenschlauch. Dort, in den Pollenzellen, bleiben die gefräßigen S-RNasen aber in einem membranumhüllten Kompartiment weggesperrt. Erst jetzt entscheidet die Herkunft der Pollen über ihr Schicksal – entweder platzen die Kompartimente innerhalb von etwa 36 Stunden auf und entlassen die S-RNase-Meute, oder Kompartiment und damit letztlich Pollen bleiben intakt, womit der Befruchtung nichts im Wege steht. Ein Experiment mit fluoreszierenden, an S-RNase bindenden Markierungsankern machte diese verschiedenen Szenarien für die Forscher um Goldraij deutlich leuchtend sichtbar.

Die Forscher konnten auch die in inkompatiblen Pollen wirksame Abrissbirne ausfindig machen, welche die schützende Kompartimenthülle um die giftigen S-RNasen zerstört: Sie heißt HT-B und ist ein kleines Protein, das wie die S-RNasen im Stempel der Blüte produziert wird. Kompatible Pollen mit durchaus legitimem Befruchtungswunsch müssen sich also mit gleich zwei Gegnern herumschlagen: den gefährlichen, aber wegschließbaren S-RNasen, und ihren potenziellen Befreiern, den HT-B-Proteinen. Und bei diesem Zwei-Fronten-Abwehrkampf helfen den Pollen alte Bekannte, erklären Goldraij und Kollegen: die SLF-Genprodukte.

Kompatible Pollen kämpfen sich den Weg dadurch frei, dass die in ihnen patroullierenden SLF-Suchtruppen keine Anzeichen für eine nähere Verwandtschaft zu den Stempeln ausmachen – beispielsweise bei der biochemischen Kontrolle der mit Stempelproteinen aufgefüllten Kompartimente. Fehlen diese Verwandtschaftsbeweise – aber nur dann – beginnen sie damit, das Stempelprotein HT-B abzubauen. Dieses kann daraufhin nicht mehr die Kompartimentmembran zerstören, weswegen die pollenabbauenden S-RNasen nie freiwerden. Anders herum läuft es bei inkompatiblen Pollen, bei denen wegen einer durch SLF erkannten Inzuchtsituation HT-B freier Lauf gelassen wird – das Ende des Pollens.

Wie das alles im Übrigen "ganz genau" funktioniert, muss noch geklärt werden, so die Forscher fröhlich. Wir ziehen hier vielleicht erst einmal ein Zwischenfazit: Pflanzen sind also auch nicht ganz unkompliziert. Rekapitulieren wir den komplexen Selbstbefruchtungsverhinderungsweg von S-RNAse über HT-B und SLF, dann gewinnt jedenfalls die simple menschliche Variante der Zweihäusigkeit wieder enorm an Charme. Vor allem beim Anblick blühender Valentinstaggeschenke. Und zehn Minuten ganz ohne Romantik, Liebe und Gefühl sind ja auch genug.

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