Atmosphärenchemie: Grüner Filter
Wald und saubere Luft: Das ist ein oft genannter Zusammenhang. Und es stimmt tatsächlich - zumindest über ausgedehnten Regenwäldern. Wie aber der eine für das andere sorgt, ist Wissenschaftlern immer noch in Teilen rätselhaft.
Tropische Urwälder sind bekanntermaßen ein Hort der Vielfalt: Auf einem Hektar unberührter Natur in Peru oder Malaysia wachsen oft mehr Baumarten als im gesamten Europa. Allein in Amazonien vermutet der Biologe Michael Hopkins von der Universidade Federal Rural da Amazonia im brasilianischen Belém 500 000 Pflanzenspezies, von denen eine Vielzahl noch unentdeckt ist. Und in die Millionen geht gar die Zahl der Insekten und anderer Wirbelloser, die das Grün bevölkern.
Was Taxonomen und Naturfreunde erfreut und vielleicht in Ehrfurcht erstarren lässt, stellt Gewächse wie Kerfe selbst aber vor gewisse Probleme. Denn der Preis der Vielfalt ist eine geringe Individuendichte: Viele Tiere und Pflanzen – zumal Bäume – besitzen selbst im Umkreis von Hunderten von Metern oder mehreren Kilometern keinen Verwandten. Vor allem für die wenig mobilen Pflanzen erschwert dies die Fortpflanzung.
Düfte als Wegweiser
Um diesen Kalamitäten zu entkommen, setzen viele Gewächse deshalb auf flüchtige organische Verbindungen (volatile organic compounds oder VOC) wie Isopren, die sie als Boten- und Lockstoffe für Bestäuber, aber auch als Abwehrmittel gegen Fressfeinde freisetzen. Rund eine Gigatonne dieser VOC setzt die Vegetation der Erde jährlich frei – vor allem in den Tropen über den großen Regenwäldern. In der Atmosphäre verteilen sie sich und werden oxidiert, wobei ein Konzentrationsgefälle entsteht, dem Insekten bis hin zu ihrem Wunschbaum folgen können. Zugleich lassen sich über die Isoprene und verwandte Gase die Blühperioden einzelner Arten angleichen, sodass der Austausch von Pollen tatsächlich gewährleistet ist.
Die immensen Mengen an VOC, die ein unberührter Regenwald allerdings tagtäglich produziert, sollten nach gängiger Meinung der Wissenschaft die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre überfordern. Es existiert zwar ein Reaktionsweg, der rasch wieder OH-Radikale entstehen lässt – womit die "Waschkraft" erhalten bleibt –, doch wird dieser nur beschritten, wenn auch Stickoxide in ausreichender Menge in der Luft vorhanden sind: In der sauberen Atmosphäre über Urwäldern wird dieser Pfad jedoch nur in geringem Umfang beschritten. Folglich sollten die Hydroxyl-Konzentrationen in diesen Regionen eher gering ausfallen.
Hohe "Wasch"kraft
Doch das genaue Gegenteil ist der Fall, wie eine Reihe von Forschern um Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz über Surinam herausgefunden hat. Ihre Messflüge über eine der letzten nahezu unberührten Regenwaldregionen der Erde erbrachten "bemerkenswert hohe" Mengen der Radikale, so der Forscher. Der Grund: Anscheinend läuft über dem Blätterdach noch ein dritter Reaktionsweg ab, der bislang übersehen wurde. Demnach werden die Hydroxyl-Radikale direkt wieder recycelt und dem Kreislauf zugeführt.
Wie sich die Waschmittelbestände stets auffrischen, konnten die Forscher auch mit aufwändigen Computersimulationen und Laborexperimenten noch nicht im Detail nachweisen. Eine Rolle spielt aber offensichtlich Wasserdampf, der sich mit den organischen Peroxid-Radikalen einlässt und dabei die gewünschten OH freisetzt, während die VOC endgültig unschädlich gemacht werden. Zwischen vierzig bis achtzig Prozent der Hydroxyl-Radikale werden dadurch wiedergewonnen und stehen für neue Oxidationsprozesse zur Verfügung. Zudem gasen die Wälder neben dem Isopren – es macht zwei Fünftel der VOC aus – auch noch weitere Terpene frei, die ungesättigte Kohlenstoffbindungen besitzen und zügig mit Ozon reagieren, wobei zusätzliche OH-Radikale entstehen. Sie machen allerdings nur einen geringeren Anteil der Gesamtmenge aus.
Insgesamt steht die Atmosphärenchemie über geschlossenen Regenwäldern in einem bemerkenswerten Gleichgewicht, meinen die Wissenschaftler, zu dem die intakte Biosphäre ihren Gutteil beiträgt: Sie bewahrt das vorteilhafte Reaktionsklima und liefert einen Teil der Reinigungskapazität. Umgekehrt bewahrt die rasche Oxidation der VOC durch die Hydroxyl-Radikale das Ökosystem vor einem Verlust von Nährelementen, die die flüchtigen organischen Verbindungen enthalten.
Ungemach droht jedoch, denn die fortschreitende Abholzung und Urbanisierung der tropischen Ökosysteme rückt einen weiteren Reaktionsweg in den Vordergrund, der für den berüchtigten Sommersmog sorgt und in hiesigen Breiten oft vorherrscht: Schwirren Stickoxide aus Verkehr oder Landwirtschaft durch die Luft, sinkt die Selbstreinigungskapazität stetig, während sich durch fotochemische Reaktionen große Mengen an bodennahem Ozon aufbauen. Das aggressive Gas schädigt die Vegetation und verstärkt den Treibhauseffekt – ein bislang unbeachteter, aber nicht zu verachtender Kollateralschaden der Brandschatzung am Amazonas.
Was Taxonomen und Naturfreunde erfreut und vielleicht in Ehrfurcht erstarren lässt, stellt Gewächse wie Kerfe selbst aber vor gewisse Probleme. Denn der Preis der Vielfalt ist eine geringe Individuendichte: Viele Tiere und Pflanzen – zumal Bäume – besitzen selbst im Umkreis von Hunderten von Metern oder mehreren Kilometern keinen Verwandten. Vor allem für die wenig mobilen Pflanzen erschwert dies die Fortpflanzung.
Düfte als Wegweiser
Um diesen Kalamitäten zu entkommen, setzen viele Gewächse deshalb auf flüchtige organische Verbindungen (volatile organic compounds oder VOC) wie Isopren, die sie als Boten- und Lockstoffe für Bestäuber, aber auch als Abwehrmittel gegen Fressfeinde freisetzen. Rund eine Gigatonne dieser VOC setzt die Vegetation der Erde jährlich frei – vor allem in den Tropen über den großen Regenwäldern. In der Atmosphäre verteilen sie sich und werden oxidiert, wobei ein Konzentrationsgefälle entsteht, dem Insekten bis hin zu ihrem Wunschbaum folgen können. Zugleich lassen sich über die Isoprene und verwandte Gase die Blühperioden einzelner Arten angleichen, sodass der Austausch von Pollen tatsächlich gewährleistet ist.
Aufgezehrt werden die VOC-Moleküle von den so genannten Hydroxyl-Radikalen (OH), die sehr reaktiv sind und als eine Art Waschmittel der Atmosphäre verunreinigende Gase rasch auflösen und somit aus der Luft entfernen, bevor diese schädliche Wirkung entfalten. Dabei entstehen Peroxid-Radikale, die sich in sauberer Luft wiederum zu Peroxiden wie H2O2 zusammenbinden und bald ausgewaschen werden oder zu unschädlichen Verbindungen weiterreagieren. Die OH selbst entstehen durch die fotochemische Spaltung von Ozon durch UV-Licht und wenn gleichzeitig Wasserdampf vorhanden ist. Deshalb treten die höchsten Bildungsraten in den Tropen auf, in denen eine starke Sonneneinstrahlung auf ausreichend feuchte Luft trifft.
Die immensen Mengen an VOC, die ein unberührter Regenwald allerdings tagtäglich produziert, sollten nach gängiger Meinung der Wissenschaft die Selbstreinigungskraft der Atmosphäre überfordern. Es existiert zwar ein Reaktionsweg, der rasch wieder OH-Radikale entstehen lässt – womit die "Waschkraft" erhalten bleibt –, doch wird dieser nur beschritten, wenn auch Stickoxide in ausreichender Menge in der Luft vorhanden sind: In der sauberen Atmosphäre über Urwäldern wird dieser Pfad jedoch nur in geringem Umfang beschritten. Folglich sollten die Hydroxyl-Konzentrationen in diesen Regionen eher gering ausfallen.
Hohe "Wasch"kraft
Doch das genaue Gegenteil ist der Fall, wie eine Reihe von Forschern um Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz über Surinam herausgefunden hat. Ihre Messflüge über eine der letzten nahezu unberührten Regenwaldregionen der Erde erbrachten "bemerkenswert hohe" Mengen der Radikale, so der Forscher. Der Grund: Anscheinend läuft über dem Blätterdach noch ein dritter Reaktionsweg ab, der bislang übersehen wurde. Demnach werden die Hydroxyl-Radikale direkt wieder recycelt und dem Kreislauf zugeführt.
Wie sich die Waschmittelbestände stets auffrischen, konnten die Forscher auch mit aufwändigen Computersimulationen und Laborexperimenten noch nicht im Detail nachweisen. Eine Rolle spielt aber offensichtlich Wasserdampf, der sich mit den organischen Peroxid-Radikalen einlässt und dabei die gewünschten OH freisetzt, während die VOC endgültig unschädlich gemacht werden. Zwischen vierzig bis achtzig Prozent der Hydroxyl-Radikale werden dadurch wiedergewonnen und stehen für neue Oxidationsprozesse zur Verfügung. Zudem gasen die Wälder neben dem Isopren – es macht zwei Fünftel der VOC aus – auch noch weitere Terpene frei, die ungesättigte Kohlenstoffbindungen besitzen und zügig mit Ozon reagieren, wobei zusätzliche OH-Radikale entstehen. Sie machen allerdings nur einen geringeren Anteil der Gesamtmenge aus.
Insgesamt steht die Atmosphärenchemie über geschlossenen Regenwäldern in einem bemerkenswerten Gleichgewicht, meinen die Wissenschaftler, zu dem die intakte Biosphäre ihren Gutteil beiträgt: Sie bewahrt das vorteilhafte Reaktionsklima und liefert einen Teil der Reinigungskapazität. Umgekehrt bewahrt die rasche Oxidation der VOC durch die Hydroxyl-Radikale das Ökosystem vor einem Verlust von Nährelementen, die die flüchtigen organischen Verbindungen enthalten.
Ungemach droht jedoch, denn die fortschreitende Abholzung und Urbanisierung der tropischen Ökosysteme rückt einen weiteren Reaktionsweg in den Vordergrund, der für den berüchtigten Sommersmog sorgt und in hiesigen Breiten oft vorherrscht: Schwirren Stickoxide aus Verkehr oder Landwirtschaft durch die Luft, sinkt die Selbstreinigungskapazität stetig, während sich durch fotochemische Reaktionen große Mengen an bodennahem Ozon aufbauen. Das aggressive Gas schädigt die Vegetation und verstärkt den Treibhauseffekt – ein bislang unbeachteter, aber nicht zu verachtender Kollateralschaden der Brandschatzung am Amazonas.
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