Zukunft der Mobilität: Grüner fliegen heißt weniger fliegen
Einmal rund um die Erde reisen, ganz ohne klimaschädliche Emissionen – und das im Flugzeug. 2014 soll Wirklichkeit werden, was paradox klingt: Dann wollen die Schweizer Bertrand Piccard und André Borschberg mit dem Flugzeug "Solar Impulse" die Welt erstmals in einem Solarflugzeug umrunden. Es sieht aus, als könnten sie es schaffen. Die "Solar Impulse" hat sich sogar im Nachtflug bewährt – dank Akku und Sinkflug. Beginnt so die grüne Zukunft der Luftfahrt?
Mit dem Aufsehen erregenden Projekt gehe es darum, "das Verhalten der Menschen zu beeinflussen", erklärte Piccard in einem Interview und fügte hinzu: "Es ist nicht unser vordringlichstes Ziel, die Luftfahrtindustrie zu revolutionieren." Die Revolution wäre auch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Die "Solar Impulse" hat mit 63 Metern die Flügelspannweite eines Airbus A340, vollgepackt mit Solarzellen. Trotzdem kann sie gerade einmal eine Person transportieren, und das mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 70 Kilometern pro Stunde. Für die kommerzielle Luftfahrt hält die Fotovoltaik keine Lösung bereit. Doch die Branche will dringend grüner werden.
Dabei scheiden auch batteriegetriebene Elektromotoren von vornherein aus, die nicht über Solarenergie im Flug, sondern an der Stromtankstelle am Boden geladen werden. Zwar hat beispielsweise die Universität Stuttgart mit "e-Genius" erfolgreich eine elektrisch betriebene Propellermaschine entwickelt. Doch die Akkus sind zu schwer beziehungsweise die Energiedichte zu gering. Auf absehbare Zeit kann kein Elektromotor eine größere kommerzielle Maschine über längere Strecken antreiben. Doch auf die großen Flugzeuge kommt es an.
Weltweit sind mehr als 25 000 kommerzielle Flugzeuge unterwegs. Sie verantworten ein Vierzigstel des vom Menschen verursachten Ausstoßes an Treibhausgasen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) schätzt, dass sich die Passagierkilometer bis 2050 gegenüber 2010 versechsfachen werden – und mit ihnen die Emissionen, wenn sich an den Maschinen nichts ändert.
Jedes Gramm zählt
Es wäre ungerecht, den Herstellern und Fluggesellschaften Untätigkeit vorzuwerfen, auch wenn sie manch politische Maßnahme bekämpfen. Ein effizienteres Fliegen ist in ihrem ureigensten Sinn, denn der Treibstoff ist der größte Kostenfaktor in der Luftfahrt. Vor 40 Jahren verbrauchte ein Linienflugzeug dreimal so viel Kerosin wie heute, heißt es beim Hersteller Airbus. Erst vor wenigen Wochen warb die Fluggesellschaft Air Berlin damit, nur noch 3,5 Liter Kerosin auf 100 Passagierkilometer zu verbrennen. Dem Unternehmen zufolge ist das unerreicht von der europäischen Konkurrenz. In diesem Jahr soll der Wert erneut um 0,1 Liter sinken und so 100 000 Tonnen Kohlendioxid vermeiden.
Jedes verbrannte Kilo Kerosin setzt mehr als drei Kilo Kohlendioxid frei. Hinzu kommen bis zu 16 Gramm Stickoxide und mehr als ein Kilo Wasserdampf. Vor allem die Wirkung des Wasserdampfs haben Experten lange unterschätzt. Unlängst konnte das Deutsche Institut für Luft- und Raumfahrt zeigen, dass sich die Kondensstreifen in kalten und feuchten Schichten der Atmosphäre zu Zirruswolken entwickeln. So tragen sie zehnmal so stark zur Erderwärmung bei wie ein frischer Kondensstreifen. Nachts allerdings können die künstlichen Zirruswolken sogar einen Kühleffekt haben.
Den großen Teil der Einsparungen haben die Hersteller erreicht, indem sie das Gewicht der Maschinen verringerten. Im oberen Teil des Rumpfs sind Glasfasern und Aluminium längst Standard. Im letzten Jahr stellte der Hersteller Boeing erstmals eine 787 fertig, deren Rumpf und Tragflächen komplett aus kohlenstofffaserverstärktem Kunststoff bestehen. Um 15 Prozent sank dadurch das Gewicht. Durchschnittlich wurden die Maschinen seit 1990 um zwei Prozent pro Jahr leichter.
Das Ende der Möglichkeiten ist damit noch nicht erreicht. Massive Teile sollen an Gewicht verlieren, ohne ihre Stabilität zu gefährden, indem die Hersteller Metallschäume verwenden. Und selbst den Leichtbaustoff Aluminium hat Airbus noch leichter gemacht, indem der Hersteller Lithium beimischt. Langfristig rechnet sich das: Jedes vermiedene Kilo spart den Fluggesellschaften pro Betriebsjahr drei bis vier Tonnen Kerosin.
Trotzdem ist der Punkt abzusehen, an dem die Flugzeugbauer wirtschaftliche Treibstoffeinsparungen nicht mehr über das Gewicht erzielen können. Veränderungen stehen deshalb auch bei der Form der Flugzeuge und ihren Motoren an. Große Hoffnungen ruhen auf dem "Open Rotor", einer Triebwerksarchitektur mit gegenläufigen Propellern. Weil sie einen sehr hohen Vortriebswirkungsgrad hat, verspricht sich beispielsweise der Hersteller Rolls-Royce davon, dass sich die CO2-Emissionen gegenüber herkömmlichen Triebwerken um ein Viertel verringern. Die NASA stellte im Januar erste Ergebnisse einer Studie vor, die immerhin von neun Prozent weniger Treibstoffverbrauch durch Open-Rotor-Maschinen spricht. Gleichzeitig weist die Studie aber darauf hin, dass die Technik ein ungelöstes Lärmproblem hat: Sie ist zwölf Dezibel lauter als die gängigen Turbofan-Triebwerke.
Seit dem 1. Januar 2012 werden in der EU alle ein- und ausgehenden Flüge in den Emissionshandel einbezogen. Ausländische Gesellschaften versuchen, sich dagegen juristisch zur Wehr zu setzen – allen voran Unternehmen aus China auf Druck ihrer Regierung. Die EU bereitet außerdem eine Richtlinie vor, die auch Stickoxide einbeziehen soll. Solange sich Drittstaaten gegen den Emissionshandel wehren, wird sie jedoch nicht verabschiedet werden. Die UN-Sonderorganisation für den Flugverkehr, die ICAO, will bis Jahresende ein marktwirtschaftliches Instrument für den Klimaschutz im Luftverkehr vorlegen. Außerdem bereitet die ICAO einen CO2-Grenzwert für Flugzeuge für das Jahr 2013 vor – Insider erwarten einen Grenzwert aber nicht vor 2016.
Gemeinsam mit Boeing, Lockheed Martin und Northrop Grumman hat die NASA zudem verschiedene neue Flügelstrukturen getestet. Laminare Luftströmungen sollen dadurch optimiert werden und die Flugzeuge geschmeidiger durch die Luft gleiten lassen. Zusammen mit verbesserten Antrieben und dem Leichtbau hält die NASA es für möglich, bis 2025 die Energieeffizienz in der Luftfahrt um 40 bis 50 Prozent zu steigern. Läuft das Programm nach Plan, soll bereits 2016 ein Prototyp von der Größe einer Boeing 737 an den Start gehen. Obendrein soll der 30 bis 40 Dezibel leiser fliegen als heutige Serienmodelle.
Hehre Ziele
Letztlich ist das sogar weniger ehrgeizig, als es die Ziele sind, die sich die Luftfahrtbranche selbst mit dem "Advisory Council for Aeronautics Research" (Acare) gesetzt hat: Demnach soll sich der Verbrauch im Luftverkehr bis 2020 halbieren. Gleichzeitig sollen die Stickoxidemissionen um 80 Prozent sinken und sich auch der Fluglärm halbieren.
Skeptisch äußert sich dazu eine Studie der TU Berlin im Auftrag des Bundesumweltministeriums. Die Analyse hält zeitnahe Einsparungen im Triebwerksbereich in Höhe von zehn Prozent für möglich – langfristig durchaus mehr. Auch neue Leichtbaumaterialien und Konzepte der Aerodynamik hätten viel Potenzial – aber ebenfalls nicht bis 2020. Gleichzeitig würden die Stickoxid- und Lärmziele einen erheblichen Teil der Einsparungen beim Treibstoffverbrauch verhindern. Neue Modelle seien sowohl bei Boeing als auch bei Airbus nicht vor 2017 zu erwarten. Erst Mitte des Jahrhunderts dürften alle Modelle den Acare-Zielen entsprechen. Bis dann aber auch alle Fluggesellschaften ihre Flotten damit ersetzt haben, werden weitere Jahrzehnte vergehen. Realistischer ist da schon die Vorgabe der EU: Sie verlangt, dass der Kohlendioxidausstoß der Luftfahrt bis 2020 gegenüber 2005 um zehn Prozent sinkt.
Weil das auch die Branche weiß, setzt sie zurzeit massiv auf Biokerosin. Im Januar haben die Lufthansa und das DLR einen Testlauf auf 1187 Linienflügen ausgewertet, bei dem ein Airbus A321 mit einer Treibstoffmischung mit 50 Prozent bio-synthetischem Kerosin betrieben wurde – einen höheren Anteil verbieten die Bestimmungen der Luftfahrtbehörden. Fazit des Lufthansa-Experten Joachim Busse: "Die technischen Untersuchungen verliefen alle positiv, und wir konnten nachweisen, dass Biokerosin keinen höheren Schadstoffausstoß als marktübliches Kerosin erzeugt."
Ausweg Biotreibstoff?
Wie im Straßenverkehr stellt sich allerdings die Frage, wie umwelt- und klimafreundlich der Biokraftstoff angebaut beziehungsweise gewonnen wird. Im Testlauf kam eine Mischung aus Jatropha- und Rapsöl mit tierischen Fetten aus Schlachtabfällen zum Einsatz. Für die Lufthansa ist der Testlauf erst einmal vorbei. Auf absehbare Zeit gebe es nicht genug Biokraftstoffe für einen flächendeckenden Einsatz, erklärte das Unternehmen.
Was bewegt uns zukünftig? Welche Autos werden wir fahren? Und wie können wir den Verkehr überhaupt umweltfreundlicher gestalten? Diesen Fragen geht unsere neue Serie zur "Zukunft der Mobilität" nach. Weitere Artikel und Informationen finden Sie auf unserer Sonderseite "Mobilität und Verkehr".
Das liegt auch daran, dass nur wenige Pflanzenöle die Voraussetzungen für Biokerosin erfüllen. Bioethanol hat für die Luftfahrt eine zu geringe Energiedichte. Biodiesel funktioniert nicht bei den Minustemperaturen in den üblichen Flughöhen. Vor allem Jatropha und Algen gelten als geeignete Rohstoffe. Aus ökologischer Sicht stimmt das optimistisch: Jatropha wächst auch dort, wo die Böden für andere Ackerfrüchte zu schlecht sind – und kann sogar erodierte Böden zurückgewinnen. Algen lassen sich in riesigen Bioreaktoren züchten.
Nur kleine Einsparungen verspricht sich die Branche von Brennstoffzellen. Zwar gibt es auch hier einen Prototyp, der 2009 erfolgreich flog: DLR und Universität Stuttgart brachten so einen Motorsegler aus eigener Kraft in die Luft. Doch im Alltag wird die Technik auf absehbare Zeit nicht mehr leisten können, als die Bordelektronik zu versorgen oder vielleicht noch die Fahrwerke am Boden anzutreiben.
Immerhin ein Zehntel weniger Emissionen könnte dafür eine Technik ermöglichen, die nichts am Flugzeug verändert. Es geht um eine Software, die die Streckenführung individuell optimiert. So entwickelt das DLR das "Smart Routing", das in einigen Jahren einsatzbereit sein soll. Das Programm soll Flugzeuge beispielsweise anhand von Wetter- und Satellitendaten so führen, dass die Maschine weniger kalte und feuchte Luftschichten durchfliegt. So entstünden weniger Zirruswolken, und die Wasseremissionen des Flugzeugs wären weniger klimaschädlich.
Doch alle Fortschritte können über eines nicht hinwegtäuschen: Der Luftverkehr nimmt seit Jahren ungebrochen zu. 2010 stiegen die Passagierkilometer gegenüber dem Vorjahr um acht Prozent auf mehr als 4,6 Billionen. Die Zahl der Frachttonnenkilometer wuchs sogar um fast 20 Prozent auf 172 Milliarden. Der gesamte Treibstoffverbrauch ist wegen dieses Wachstums trotz aller Einsparungen seit 1990 um zwei bis drei Prozent pro Jahr gestiegen. Auf absehbare Zeit sind daher die besten Klimaschutzmaßnahmen im Luftverkehr Bahnfahrten und Videokonferenzen.
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