Naturschutz: Grünes Band statt Eiserner Vorhang
Was in Westdeutschland als "Todesstreifen" bekannt war, nannte sich im Osten schlicht "Schutzstreifen" - Wortschöpfungen, die nun angesichts eines weltweit einzigartigen Naturschutzprojektes eine neue Bedeutung erlangen. Der ehemalige "Eiserne Vorhang" soll zum "Europäischen Grünen Band" werden, das - von Nord nach Süd verlaufend - als Linie des Lebens Ost und West verbindet. Was ist das für eine Idee?
Fast ein halbes Jahrhundert lang machten Sperranlagen aus Minen, Stolperdrähten und Schussvorrichtungen aus jedem Versuch, die innerdeutsche Grenze zu überwinden ein lebensgefährliches Unterfangen. Selbst nachts entging den Suchscheinwerfern kaum eine Bewegung. Eine Medaille mit zwei Seiten: Was die Menschen in ihrer Freiheit einschränkte, verschaffte der Natur eine mehr als vierzig Jahre andauernde Atempause. In einem zwischen 50 und 200 Meter breiten Streifen entlang des Eisernen Vorhangs konnten sich Biotope und Rückzugsräume von außergewöhnlicher biologischer Vielfalt entwickeln – und das nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, von der Barentssee bis zum Schwarzen Meer.
Ende der Ruhezeit?
Ist es damit jetzt vorbei? Bedeutet die neue politische Freiheit für die Natur das Ende der Ruhezeit? Landwirtschaft, Straßenbau und illegale Jagd sind nur einige der Gefahren, denen diese außergewöhnliche Schatzkammer in einem grenzenlosen Europa ausgesetzt ist. Innerhalb Deutschlands gingen seit der Grenzöffnung bereits 15 Prozent des etwa 1400 Kilometer langen, so genannten "Grünen Bandes" verloren. Von ihren ehemaligen Eigentümern billig zurückgekauft oder auf dem freien Grundstücksmarkt veräußert, wurden die wertvollen Flächen unwiederbringlich umgeackert oder unter Decken aus Asphalt begraben. Dies zeigte eine in den Jahren 2001 und 2002 vom Bund Naturschutz durchgeführte Studie. Doch auch Positives hatten die Ökologen zu berichten: Mehr als drei Viertel der Lebensader waren noch intakt. Etwa 600 seltenen Tier- und Pflanzenarten bietet das ehemalige deutsch-deutsche Grenzgebiet noch heute einen Lebensraum.
Wie gut, dass zumindest in Deutschland schon kurz nach der Wende die Idee aufkam, diese Oase zu erhalten und Naturschützer sofort aktiv wurden. Aber ist es eigentlich möglich, ein so großes Gebiet unter Naturschutz zu stellen? "Dass sich ein Schutzgebiet an das andere reiht, ist eine Wunschvorstellung und wohl nicht praktizierbar", relativiert Liana Geidezis vom BUND-Projektbüro "Grünes Band" in Nürnberg. Vielmehr seien es einzelne Schwerpunktgebiete, genauer gesagt 32, über die das Gesetz seine schützende Hand bereits ausbreitet oder in Zukunft ausbreiten soll. Dabei reicht der Schutzstatus vom geschützten Landschaftsbestandteil – einer eher schwachen Regelung – bis hin zum Naturschutzgebiet, in dem jeder Eingriff grundsätzlich verboten ist. Verbindungskorridore, die zwar keine wirklichen Schutzgebiete sind, aber zumindest nicht umgeackert werden dürfen, sollen die isoliert voneinander liegenden Flächen miteinander vernetzen – wie der Faden die Perlen einer Kette.
Ehrgeizige Vision
Und was ist nun neu? Dass sich dieser Ansatz in einer noch ehrgeizigeren Vision wiederfindet: dem "Europäischen Grünen Band". Als ein Symbol für Naturschutz und nachhaltige Entwicklung soll sich das längste und größte Verbundsystem der Welt durch Europa ziehen. Um bei der langen Strecke von 6800 Kilometern den Überblick zu wahren, ist es in drei Abschnitte unterteilt: Fennoskandien bildet den nördlichen, Deutschland bis Slowenien den mittleren und der Balkan den südlichen Bereich. Damit nicht jeder sein eigenes Süppchen kocht, hält die Weltnaturschutzorganisation IUCN ganz oben die Fäden zusammen – soweit zumindest die Idee, die sich erst noch bewähren muss. Ziel ist es, Wissen zusammenzutragen und eine gemeinsame Datengrundlage zu schaffen.
Wenn erst einmal geklärt ist, wo wie viel vom Grünen Band erhalten geblieben ist, können gezielt Schutzprojekte bei der EU beantragt werden. Und hier kommt erneut die IUCN zum Zug. Gerade für Länder wie Serbien und Kroatien, wo der Naturschutz derzeit besonders hinter zahlreichen anderen Brennpunktthemen zurücksteht, ist es eine enorme Hilfe, wenn die IUCN auf EU-Ebene Lobbyarbeit leistet und so den nationalen Naturschutzorganisationen Gehör verschafft. Zu groß wäre sonst der Widerstand.
Schließlich soll das Europäische Grüne Band zu einem lebendigen Denkmal europäischer Geschichte werden und – den Blick auf die Zukunft gerichtet – die Kooperation zwischen den europäischen Staaten fördern. Zu hoffen ist, dass das überaus positive Beispiel der bereits seit zehn Jahren funktionierenden Zusammenarbeit zwischen finnischen und russischen Naturschutzorganisationen auf die anderen Anrainer abfärben wird. Probleme gibt es hier durchaus – schon, wenn es darum geht, eine gemeinsame Diskussionsgrundlage zu schaffen. Denn nicht alle Länder verfügen über ausreichend geschulte Kräfte und finanzielle Mittel, um Kartierungen und Bestandserfassungen auf vergleichbarem Niveau durchführen zu können.
Doch nichtsdestotrotz könne man gar nicht früh genug damit anfangen, den verbindenden Charakter des Europäischen Grünen Bandes zu formen. Keinesfalls solle dabei aber ein "grüner eisernen Vorhang" entstehen, betont Liana Geidezis. Es gehe nicht darum, den Menschen aus der Natur zu verbannen, sondern ihn zu integrieren. Abgesehen von einigen sensiblen Bereichen, wie etwa Mooren oder Auwäldern, den Brutgebieten des extrem scheuen Schwarzstorchs (Ciconia nigra), dürfen und sollen Wanderer und Schulklassen die reizvolle Pflanzen- und Tierwelt ungestört genießen können. Nur so kann der Funke überspringen und das Projekt auf die Erfolgsspur gelenkt werden – ein Projekt, das sich auch auf politischer Ebene einiges vorgenommen hat.
Zähes Kräftemessen
Und der Anfang ist bereits gemacht: Im September dieses Jahres fand im grenzübergreifenden Fertö-Hansag-Nationalpark in Ungarn die erste internationale Tagung statt. Bei dieser Gelegenheit wurde die Initiative offiziell gestartet. Vielleicht ein Aufhänger, die in Deutschland seit Juni letzten Jahres stagnierende Entwicklung wieder in Gang zu bringen.
"Im Moment herrscht absoluter Stillstand", kritisiert Liana Geidezis. Wie kam es dazu? Ursprünglich hatte das Bundesfinanzministerium den Ländern zugesichert, die schützenswerten Flächen kostenlos abzugeben – ein bahnbrechender Erfolg, wie es zuerst schien, befinden sich doch 65 Prozent des Grünen Bandes in Bundesbesitz. Doch was so positiv aussah, schlug bald in ein zähes Kräftemessen um. Bis heute hat der Bund sein Versprechen nicht eingelöst. Einen Teil der Flächen sollten die Länder nun plötzlich doch nicht geschenkt bekommen, sondern kaufen. Ein Grund für die Länder, sich quer zu stellen, dass es sich dabei tatsächlich um nur 4000 Hektar handelte, war nebensächlich. Bis heute wird dieser Spielball hin und her gespielt, weshalb noch heute im Bundesgebiet nur ein Drittel des wertvollen Lebensstreifens unter Schutz steht.
Dabei hieße es eigentlich, keine Zeit zu verlieren. Denn wenn nicht zügig weitere intensive Anstrengungen des Naturschutzes auf allen Ebenen erfolgen, bestehe – nach Meinung des Präsidenten des Bundesamtes für Naturschutz Hartmut Vogtmann – die Gefahr, dass diese national so bedeutsame Biotopverbundachse mehr und mehr in einzelne isolierte Teile zerschnitten werde oder über weite Strecken vollständig verschwinde.
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