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Mimikry: Gruppenausflug ins Schlaraffenland

Wenn die Larven des Ölkäfers Meloe franciscanus überleben wollen, heißt es zusammenhalten. Denn nur gemeinsam gelingt es den Dreiklauern, liebestollen Drohnen vorzugaukeln, sie wären eine sexhungrige weibliche Biene - und sich dann vom Gehörnten und seinen Artgenossen rittlings ins gemachte Nest tragen zu lassen, wo sie nach Herzenslust schmausen und wachsen können.
Eine von Ölkäfer-Larven besetzte Drohne
Was ihre Ernährung angeht, sind die Triungulinus-Larven des Ölkäfers äußerst anspruchsvoll: Statt üblichem Larvenfraß aus mehr oder minder schmackhaften Blättern und Stängeln bevorzugen die kleinen Gliederfüßer eine vergleichsweise delikate Kost – junge Bienenlarven an einem Tropfen handverlesenen Pollennektars, serviert in einer kuschelig engen Wabe im nächstgelegenen Bienenstock.

Hohe Ansprüche für solch winzige Larven – noch dazu, wenn sie in der Mojave-Wüste im westlichen Nordamerika zu Hause sind. Denn in dem Meer aus Sand und Dünen, das hin und wieder von kleinen Inseln karger Gräser und Kräuter durchbrochen wird, gleicht die Suche nach dem lukullischen Paradies der nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Wenn man daher als Ölkäfer-Larve mitsamt Hunderter oder Tausender Geschwister von etwa sieben Millimetern Größe auf einem einzelnen Grashalm festsitzt, scheinen die Überlebenschancen ein wenig begrenzt.

Die Triungulinus-Larven jedoch wissen Rat: Kommt man zu Fuß nicht weiter, nimmt man eben ein Taxi. Genauer gesagt: ein Bienentaxi. Denn wer wüsste besser, wohin es zur nächsten Honigwabe geht, als die Produzentin selbst? Bevor sie jedoch ein anderes Insekt als Transportmittel missbrauchen können, müssen die Gliederfüßer erst einmal vom Grashalm aus Kontakt herstellen.

Larven des Ölkäfers Meloe franciscanus | In einer Art der Angriffsmimikry formen die Larven des Ölkäfers Meloe franciscanus gemeinschaftlich einen Körper, der in Farbe, Größe und Gestalt dem einer weiblichen Biene der Gattung ähnelt.
Also rotten sich die Larven gleich nach der Geburt in einem großen Haufen zusammen – 120 bis 2000 Kriechtiere tummeln sich in einem solchen Knäuel, das gemeinschaftlich langsam das Sandgras herauf und herunterwandert. Von weitem ähneln sie so in Farbe, Gestalt und Bewegung einer weiblichen Biene auf Erkundungstour. Eine solche wiederum ist insbesondere für liebeshungrige Drohnen interessant.

Keine noch so sehnsüchtige Drohne würde jedoch von der Scharade zu einem Tiefflug verleitet, hätten die Larven nicht noch einen weiteren Kniff in ihrer Trickkiste, entdeckten nun Leslie Saul-Gershenz vom Center for Ecosystem Survival und die Entomologin Jocelyn Millar von der Universität von Kalifornien in einer mehrjährigen Studie. Ins Netz gehen die paarungswilligen Drohnen nämlich nur, weil die Larven zusätzlich Pheromone verströmen, die denen einer weiblichen Biene ähneln.

Eine Drohne nähert sich einer Ansammlung von Ölkäfer-Larven | Von den Pheromonen der Ölkäfer-Larven angezogen, nähert sich eine Drohne der Gattung Habropoda pallida einer Ansammlung von Larven. Da die Insekten sowohl Gestalt als auch Geruch der späteren Wirtsspezies nachahmen, um Kontakt mit diesem aufzunehmen, spricht man hier von Angriffsmimikry.
Von diesen Düften angelockt, stürzen sich die Drohnen nach einer kurzen Begutachtungsphase auf die Larvenansammlung und reißen sie mit sich – in der irrigen Annahme, sie könnten mit ihr kopulieren. Hierauf haben die Larven nur gewartet: Schon beim ersten Anzeichen einer sich nahenden Biene kommt Bewegung in den Haufen. Die äußeren Larven richten sich zur Drohne hin aus, bereit, sich mit ihren drei Klauen im Haar des ersehnten Insektes festzuklammern.

Hat die erste Larve Fuß gefasst, folgen innerhalb weniger Sekunden alle anderen – und noch ehe die Drohne bemerkt, was geschehen ist, hat sich die vermeintliche Biene aufgelöst und in einen Haufen blinder Passagiere verwandelt, die sich huckepack herumfliegen lassen.

Nun folgt ein phoretisches Bäumchen-wechsel-dich-Spiel: Weil jetzt auch die Drohne verführerisch nach Weibchen duftet, wird es selbst von zahlreichen Männchen angeflogen und zur Paarung aufgefordert. Bei jeder dieser Zusammenkünfte wechseln dabei einige Larven ihr Flug-Taxi.

Doch auch die erste Drohne ist immer noch auf Brautschau. Findet sie schließlich ein wirkliches Weibchen, haben die Larven fast ihr Ziel erreicht. Flink wechseln sie zum letzten Mal ihr Flugtier und lassen sich nun ruhig und friedlich zum heimatlichen Bienennest transportieren.

Eine von Ölkäfer-Larven besetzte Drohne | Die Ölkäfer-Larven klammern sich mit drei Klauen am Rücken ihres Bienentaxis fest. Auf diese Weise gelangen sie mit etwas Glück in ein Bienennest, wo sie sich dann von Eiern, Larven und Nektar ernähren.
Dort verlassen Ölkäfer-Larven dann ihr Insekten-Taxi und suchen sich eine mit einer schmackhaften Bienenlarve gefüllten Honigwabe, in der sie es sich auf der Nachwuchsbiene niederlassen und sie nach und nach auffressen. Nach mehreren Stationen endet so das Kollektiv-Mimikrie der Käferlarven-Sippschaft – im Übrigen eine einziggartige Strategie im Reich der Insekten – zumindest für einen Teil der Kriechtiere erfolgreich: Sie sind im Schlaraffenland angelangt.

Dass eine Vielzahl der blinden Passagiere auf der Suche nach dem Bienennest an die falschen Flugtiere gelangt oder schon vor der Kontaktaufnahme entkräftet vom Grasstängel fällt, muss die Ölkäfer nicht weiter kümmern. Wenn ein Weibchen zwischen 4000 und 10 000 Eier legt, ist ein gewisser Ausfall schließlich einkalkuliert.

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