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Neurodegenerative Erkrankungen: Gut, aber schlecht

Für eine Parkinson-Erkrankung charakteristische Proteinablagerungen können verhindert - oder aber, im Gegenteil, ausgelöst werden. Beides soll helfen, so widersprüchlich scheinende, neue Forschungsansätze.
Lewy-Körperchen kennzeichnen die Parkinson-Erkrankung
Eine gut geführte Fliegenklatsche kann gelegentlich schon mal mehrere Fliegen, Mücken und andere Ungeziefer auf einen Streich erledigen – bei maßgeschneiderten Medikamenten dagegen ist ein ähnlich durchschlagender Erfolg gegen unterschiedliche Malaisen zugleich eigentlich kaum zu erwarten. Welch glücklicher Zufall also, wenn einmal eine Ausnahme auffällt. Etwa die offensichtlich erstaunliche Wirkungsbandbreite des Antibiotikums Rifampicin. Das Mittel, seit geraumer Zeit bei der Langzeittherapie von Lepra-Erkrankten nützlich, schütze die behandelten Patienten offenbar auch gegen eine Erkrankung, für die antibiotikaanfällige, bakterielle Keime mit Sicherheit nicht verantwortlich sind – die Parkinson-Krankheit.

Warum laut epidemiologischen Studien mit Rifampicin behandelte Personen deutlich seltener an der tückischen neurologischen Krankheit leiden – sie geht mit Bewegungsverlangsamung, Muskelsteifheit und unkontrollierbarem Zittern einher und betrifft neben ihren prominentesten Opfern Johannes Paul II. und Mohammed Ali noch rund 0,1 Prozent der über 60-Jährigen – wollten nun Jie Li und ihren Kollegen von der Universität von Kalifornien in Santa Cruz herausfinden [1].

Wirkung von Rifampicin | Das Antibiotikum Rifampicin löst in Laborversuchen die für eine Parkinson-Erkrankung typischen alpha-Synuclein-Aggregate (oben), die in Erkrankten zum Absterben von Neuronen führen, innerhalb von zwei Tagen auf (unten). Der Maßstab bezeichnet einen Mikrometer.
Wie ihre Untersuchungen zeigten, verhindert das Antibiotikum tatsächlich die Bildung der für die Parkinson-Erkrankung typischen Lewy-Körperchen. Diese intrazellulären Proteinablagerungen bestehen aus einer zusammengeklumpten, fibrillären Version des Proteins alpha-Synuclein, welches normalerweise als nicht fibrilläre Variante im Gehirn seinen vielfältigen Aufgaben nachgeht und weit verbreitet ist. Viele Neurowissenschaftler machen das missgestaltete Eiweiß bereits seit langem für die verheerenden neurodegenerativen Schäden verantwortlich, die zum Ausfall Dopamin produzierenden Zellen führen – der dadurch entstehende Mangel an Dopamin schließlich verursacht die typischen Krankheitssymptome.

Nachdem in den Versuchen von Li und Kollegen unter dem Einfluss des Antibiotikums nicht nur die Bildung von alpha-Synuclein-Plaques im Körper verhindert, sondern sogar schon bestehende Lewy-Körperchen in Nervenzellen langsam abgebaut werden, könnte sich das ja seit langem in der klinischen Praxis schon gut erprobte Rifampicin vielleicht schon recht bald endlich als das verzweifelt erwartete Parkinson-Medikament erweisen.

So zumindest hoffen die Forscher der Universität von Kalifornien. Zuvor allerdings sollten auch die Erkenntnisse eines Wissenschaftlerteams um Christophe Lo Bianco vom schweizerischen Bundesinstitut für Technologie in Lausanne beachtet werden. Sie kommen zu einem auf den ersten Blick ziemlich gegensätzlich erscheinenden Weg der Krankheitsbekämpfung: Die Forscher arbeiten daran, Erkrankten in Zukunft einmal ein Gen einschleusen zu können, welches in betroffenen Zellen Proteinablagerungen nicht auf-, sondern im Gegenteil auslöst [2].

Die Wissenschaftler hatten sich mit einer vererbbaren Variante der Parkinson-Krankheit beschäftigt, die auch jüngere Personen unter 40 Jahren befällt. Auch bei dieser Variante sammelt sich alpha-Synuclein in den Dopamin produzierenden Nervenzellen, klumpt dort zwar selten zu Lewy-Körperchen aus, zerstört durch die Eiweißanhäufung die Zellen aber dennoch.

Lewy-Körperchen kennzeichnen die Parkinson-Erkrankung | Charakteristisch als pathologischer Hauptbefund bei der Parkinson-Krankheit sind Einschlüsse in den Neuronen, die so genannten Lewy-Körperchen. Man unterscheidet hier zwei verschiedene Typen (unten). Biochemisch bestehen Lewy-Körper überwiegend aus dem Protein alpha-Synuclein.
Den Betroffenen fehlt meist durch eine Mutation das Produkt des Gens Parkin. Offensichtlich schützt es die Neuronen im Normalfall vor der fatalen intrazellulären Proteinanhäufung. Lo Bianco und seine Kollegen machten die Probe aufs Exempel und schleusten mit einem Lentivirus-Transporter gesunde Kopien der Gene für Parkin sowie alpha-Synuclein in Gehirnneuronen von Versuchsratten. In einem Kontrollversuch, in dem die Forscher nur Kopien der alpha-Synuclein-Bauanleitung in die Neuronen transportiert hatten, starben erwartungsgemäß alle Nervenzellen innerhalb von sechs Wochen ab. Ganz anders, sobald neben dem alpha-Synuclein auch massenhaft Parkin in den behandelten Zellen exprimiert wurde: Hier überlebten die Nervenzellen – Parkin fungiert offenbar tatsächlich als Schutzprotein.

Nur wie? Zu ihrer Überraschung fanden die Wissenschaftler in den überlebenden, parkingeschützten Gehirnzellen der Ratten mehr der für diesen Krankheitstyp uncharakteristischen, für Parkinson-Erkrankungen anderen Typus aber durchaus gängigen Lewy-Körperchen. Parkin schützt offenbar, indem es lösliche Proteine zu unlöslichen Eiweißklumpen verbindet und an Ort und Stelle als unschädlichen Müllhaufen ablädt – was die Zelle offenbar besser verkraftet als vermutet. Die Lewy-Körper wären dann nur ein auffälliges Symptom der Krankheit und ihrer Bekämpfung durch natürliche Abwehrmaßnahmen wie Parkin – mitnichten aber die eigentliche Krankheitsursache, wie auch häufig vermutet.

Wie die Forscher um Lie mit ihrer Rifampicin-Therapie hoffen auch die Wissenschaftler aus der Schweiz darauf, ihre Ergebnisse baldmöglichst zum Wohl der Patienten einsetzen zu können: Die Lentivirus-Gentherapie könnte bald schon in Affen getestet werden, um mögliche Nebenwirkungen sicher auszuschließen. Nur – wie passen die Ergebnisse der beiden Gruppen überhaupt zusammen? Schließlich soll Rifampicin Lewy-Körper abbauen, um zu heilen, die Parkin-Gentherapie baut die Körperchen aber gerade auf. Offenbar sind Lewy-Körper eben nicht gleich Lewy-Körper: Die jeweiligen Ablagerungen könnten aus unterschiedlich reifen, verschieden chemisch modifizierten Eiweißvarianten gebildet sein.

Dies wird vor einer medizinischen Anwendung zu testen sein. Bislang bleibt immerhin die Erkenntnis, dass das alpha-Synuclein-Klumpen lösende Rifampicin bei Leprakranken vor Parkinson-Fällen schützen kann – und der experimentell untermauerte Beweis, dass Parkin das Leben von alpha-Synuclein-bedrohten Neuronen verlängern kann. Beide Effekte sind vielleicht noch nicht ganz verstanden – zusammengenommen aber sicher ein Fortschritt.

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