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Vogelgrippe: Impfung als Überlebensversicherung

Das tödliche Virus grassiert inzwischen das ganze Jahr über. Ein neuer Impfstoff soll seltene Vögel vor dem Aussterben bewahren und Geflügel in Europa vor Ansteckung schützen. Und damit auch Menschen.
Kalifornischer Kondor sitzt auf einem Felsen im US-Südwesten
Kalifornische Kondore gehören zu den seltensten Vögeln der Welt. Nun bedroht die aggressive Vogelgrippe ihr Überleben.

Die Vogelgrippe droht die Naturschutzarbeit von Jahrzehnten zunichtezumachen, denn seit zwei Jahren grassiert ein besonders aggressiver Erregerstamm vom Typ H5N1. Hunderte Millionen Vögel hat er weltweit bereits dahingerafft. Das Erschreckende an diesem Virustypus: Er ist das ganze Jahr über aktiv. Bislang war der Erreger in den Sommermonaten immer wieder von selbst verschwunden. Doch 2022 und 2023 haben die Tierseuchenüberwachungsbehörden ihn den ganzen Sommer über gefunden. Naturschützer sorgen sich vor allem um die Populationen bestimmter Wildvogelarten, etwa die des Kalifornischen Kondors (Gymnogyps californianus).

In freier Wildbahn waren diese majestätischen Vögel schon einmal ausgestorben. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts setzten Wilderer, Insektengifte – allen voran DDT – und die Zerstörung seines Lebensraums dem Kalifornischen Kondor zu. 1987 wurde der letzte Kondor eingefangen. In Gefangenschaft lebten damals gerade noch 27 Exemplare des großen Aasfressers.

Es begann ein intensives Aufzuchtprogramm. 1992 wurden die ersten Tiere im Südwesten der USA ausgewildert. Seit 2002 brüten Kalifornische Kondore wieder in freier Wildbahn. Inzwischen ist ihre Zahl laut Ventana Wildlife Society auf 345 angewachsen. Ein Erfolg zwar, aber die Population der großen Geier ist nach wie vor fragil. Denn ein Paar zieht im Jahr nur ein einziges Junges groß.

Impfstudie hat begonnen

Und jetzt droht einem der seltensten Vögel der Welt die hochansteckende aviäre Influenza (HPAI). Im vergangenen Jahr fanden die US-Behörden 21 verendete Kondore. In 15 Tieren wiesen sie das Virus nach. Darüber hinaus gelang es Naturschützern, einzelne infizierte Tiere einzufangen und wieder aufzupäppeln.

Das California Condor Recovery Program will Aufzucht und Auswilderung so weit wie möglich weiterführen. Noch ist aber nicht klar, ob das in der aktuellen Lage möglich ist. Zwar gibt es mittlerweile einen Impfstoff gegen die Vogelgrippe, aber der wurde für Hühner entwickelt. Ob Geier ihn vertragen und wie groß die Dosis für sie sein muss, damit sie effektiv vor einer Infektion geschützt sind, wollen Wissenschaftler erst in einer Studie ermitteln. Ende Mai haben Naturschützer der US-Bundesbehörde Fish and Wildlife Service damit begonnen, Geier zu impfen – zunächst nur 20 Rabengeier (Coragyps atratus) und 13 Kondore in Gefangenschaft. Im September sollen dann weitere Tiere folgen.

Selbst wenn die Vakzine wirken, ist aber fraglich, ob sie die gesamte Kondorpopulation wirklich retten können. Timm Harder, Leiter des deutschen Nationalen Referenzlabors für Aviäre Influenza am Friedrich-Loeffler-Institut für Tiergesundheit, ist jedenfalls skeptisch. Alle Vögel zu impfen, wäre äußerst aufwändig, meint er: »Die Impfung, die wir momentan haben, müssen wir jedem einzelnen Vogel mit Nadel und Spritze verabreichen.« Und mit einer einmaligen Impfung wäre es nicht getan: Damit das Immunsystem der Tiere einen effektiven Schutz aufbauen kann, benötigen sie nach vier Wochen einen Booster und nach einem halben bis einem Jahr eine Auffrischimpfung. »Das wird sicherlich auch für die wenigen frei lebenden Kondore schwierig werden.«

In Europa soll Geflügel erstmals Impfungen erhalten

Die Kondor-Impfkampagne hat bislang keine ähnlichen Initiativen bei anderen Vogelarten angeregt. Auch planen die US-Behörden nicht, die Geflügelbestände des Landes zu impfen. Genauso hat es bisher die Europäische Union gehalten. Das Zögern hat seinen Grund: Länder, die Geflügel importieren, könnten Handelsbeschränkungen für geimpfte Vögel erlassen. Denn, so zynisch es klingt: Ohne Impfung ist die Überwachung der Vogelgrippe viel einfacher. Man braucht keine aufwändigen Tests, sondern erkennt die Infektion schlicht daran, dass Hühner, Enten, Gänse oder Puten im Stall tot umfallen.

Geimpfte Vögel erkranken zwar nicht an der Vogelgrippe, sie können sich allerdings trotzdem infizieren, und das Virus kann sich unter Umständen in ihnen vermehren. Darum müssten die Behörden die Geflügelbestände auch nach einer Impfung streng überwachen, sagt Timm Harder. In geimpften Geflügelpopulationen stehen die Viren unter besonders hohem Selektionsdruck. Dadurch könnten unbemerkt neue Varianten entstehen, die den Impfschutz eventuell unterlaufen.

»Das sind sehr strikte Maßnahmen, die viel Geld und viel Arbeit kosten. Das müssen Geflügelhalter bedenken, die überlegen, ihr Geflügel impfen zu lassen«Timm Harder, Tierseuchenexperte

Darum schreibt die EU jetzt vor, dass der Amtsarzt geimpfte Geflügelbestände monatlich untersucht, bei 60 Tieren Proben nimmt und per PCR auf Vogelgrippe testet. »Das sind sehr strikte Maßnahmen, die viel Geld und viel Arbeit kosten«, sagt der Tierseuchenexperte. »Das müssen Geflügelhalter bedenken, die überlegen, ihr Geflügel impfen zu lassen.«

Doch die europäischen Behörden sind offenbar bereit, diesen zusätzlichen Aufwand zu betreiben. Im Februar hat die EU den Weg für die Impfung frei gemacht. Dabei dürfte es eine Rolle gespielt haben, dass auch einige wild lebende Fleischfresser – wie Füchse, Otter, Seelöwen oder Schweinswale – an Vogelgrippe erkrankt sind. Der Sprung von Vögeln auf Säugetiere kann die Gefahr erhöhen, dass sich das Virus auch an den Menschen anpasst. Bislang haben sich Menschen lediglich bei Vögeln direkt angesteckt. Die Impfung soll zusätzlichen Schutz bieten, um zu verhindern, dass sich Menschen infizieren.

Warten auf den Impfstoff

Allerdings gibt es noch ein kleines Hindernis: »Um impfen zu können, bräuchte man einen zugelassenen Impfstoff«, sagt Timm Harder. »Der ist aber in Europa noch gar nicht vorhanden.« Für mehrere Vakzin-Kandidaten läuft der Zulassungsprozess bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA). Es dürfte aber noch mehrere Wochen oder Monate dauern, bis der Prozess abgeschlossen ist.

Vor allem Entenzüchter in Frankreich warten offenbar händeringend auf den Impfstoff. Die Vogelgrippe habe die Produktion praktisch zum Erliegen gebracht, sagt Harder. Er erwarte, dass die französischen Entenzüchter noch diesen Herbst mit einer Impfung starten dürften. »Alle anderen EU-Länder schauen gebannt darauf, wie sich das in Frankreich entwickelt. Davon ausgehend wird man sehen, wie man das in Deutschland umsetzen kann.«

Impfungen könnten nicht nur die Gesundheit von Mensch und Tier schützen, sondern auch dazu beitragen, dass Nutztiere besser und artgerechter leben können. Viele Verbraucherinnen und Verbraucher wünschen sich Fleisch von Geflügel aus Freilandhaltung. Doch die Behörden können Züchter in Vogelgrippegebieten dazu verpflichten, ihre Tiere im Stall zu halten. Das ist in erster Linie für Gänsezüchter ein Problem, denn die Tiere brauchen Frischluft, Tageslicht und Gewässer. Wenn die Impfung die Bestände ausreichend schützt, können sie das ganze Jahr über draußen gehalten werden, sagt Harder: »Das wäre eines der Ziele, die man mit einer Impfung erreichen könnte.«

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