Wasserstoffantrieb: Schlag ins Wasser?
Die Ingenieure des Daimler-Forschungszentrums auf der Schwäbischen Alb sind kaum zu bremsen. Euphorisch zeigen sie den Besuchern ihr neuestes Gefährt. Sie riechen am Auspuff des Kleinwagens. Sie drehen Runde um Runde für die Kameras. Und sie haben ein großes Versprechen: Schon bald wird ihre Schöpfung, ein so genanntes Brennstoffzellenauto, den Straßenverkehr revolutionieren.
Das war vor mehr als 15 Jahren.
Jetzt, im Jahr 2018, soll es endlich so weit sein. Mit dem GLC F‑Cell, einem klobigen SUV, will Daimler sein erstes Serienauto mit Brennstoffzellenantrieb auf den Markt bringen. Die Testwagen rollen gerade vom Band. Für das kommende Jahr ist die Serienfertigung geplant. Die Erwartungen sind wieder einmal hoch, schließlich hat sich an den Vorteilen der Brennstoffzelle nichts geändert. Die neuartige Antriebstechnologie, die Wasserstoff in Strom verwandelt, verspricht saubere, leistungsstarke, alltagstaugliche Elektroautos. Sie hat allerdings – wie schon vor 15 Jahren – ein großes Problem: Es mangelt an Wasserstofftankstellen und an der nötigen Infrastruktur. "Wir haben hier ein klassisches Henne-Ei-Problem", sagt Andreas Friedrich, Abteilungsleiter für Elektrochemische Energietechnik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart. "Die Fahrzeuge müssen daher gleichzeitig mit der Wasserstoffinfrastruktur kommen – und das erfordert eine konzertierte Aktion."
Die Bundesregierung will ihren Teil dazu beitragen und Brennstoffzellen bis zum Jahr 2026 mit bis zu 1,4 Milliarden Euro fördern; Industrie und Wissenschaft haben mehr als zwei Milliarden Euro zugesagt. Nur die deutschen Autobauer zögern nach wie vor. "Bislang verdienen die Automobilhersteller das meiste Geld mit ihren Verbrennungsmotoren", erklärt Friedrich. "Noch ist der Druck – sowohl von der Politik als auch von Seiten der Kunden – nicht in dem Maß vorhanden, dass sich der Umstieg auf die Wasserstofftechnik für die Unternehmen rentiert."
"Da hat sich in der Entwicklung sehr viel getan"Andreas Friedrich
Dabei haben Brennstoffzellen – verglichen mit wiederaufladbaren Batterien – jede Menge Vorzüge, zumindest auf dem Papier. In den Zellen trifft elementarer Wasserstoff aus Gastanks auf Sauerstoff aus der Umgebungsluft – zwei unscheinbare Gase, die im Schulunterricht allerdings für eindrucksvolle Knallgasexplosionen gut waren. In der Brennstoffzelle läuft diese Reaktion deutlich gesitteter ab: elektrochemisch, wie die Ingenieure sagen.
An einer Membran werden dazu zwei Wasserstoffmoleküle aufgespalten, wobei vier Elektronen entstehen. Die negativ geladenen Teilchen sorgen ihrerseits dafür, dass sich auch ein Sauerstoffmolekül trennt. Gemeinsam mit dem aufgespaltenen Wasserstoff reagiert es zu Wasserstoffoxid – auf Deutsch: Wasser. Dabei können die Elektronen die Membran allerdings nicht passieren. Sie müssen auf dem Weg zum Sauerstoff einen Umweg nehmen. Ein Strom fließt, mit dem sich ein Elektromotor betreiben lässt.
Wie bei batteriebetriebenen Elektroautos entstehen dabei lokal keine Emissionen. Aus dem Auspuff kommt lediglich Wasserdampf. Wird der Wasserstoff zudem mit regenerativen Energien erzeugt, ist die Antriebstechnik frei von klimaschädlichem Kohlendioxid.
Kinderkrankheiten waren gestern
Anders als bei Batteriefahrzeugen kann der Wasserstofftank allerdings so groß ausgelegt werden, dass problemlos Reichweiten bis zu 600 Kilometern möglich werden. Und voll tanken lassen sich die Brennstoffzellenvehikel innerhalb von drei bis fünf Minuten – Zeiten, von denen Besitzer eines Batteriemobils selbst an Schnellladestationen nur träumen können.
Auch die Kinderkrankheiten, die die Systeme vor 15 Jahren noch plagten, haben die Ingenieure mittlerweile im Griff. Moderne Brennstoffzellen, für die im Automobilbereich fast ausschließlich Polymermembranen zum Einsatz kommen (so genannte PEM‑Systeme), starten selbst bei Minustemperaturen. Ihre Kühlung während des Betriebs ist kein Problem mehr. Selbst die Lebensdauer nähert sich inzwischen den Verbrennungsmotoren an. Immerhin 80 Prozent des selbst gesetzten Ziels sei erreicht, stellt Friedrich fest. "Da hat sich in der Entwicklung sehr viel getan."
Vor allem aber haben die Ingenieure die Zellen geschrumpft: Bei Daimlers NECAR 5, einer umgebauten B‑Klasse, die vor 15 Jahren voller Zuversicht übers Testgelände auf der Schwäbischen Alb rollte, füllte das Brennstoffzellensystem noch den gesamten Unterboden aus. Inzwischen sind die Komponenten komplett unter die Motorhaube gewandert. Beim Clarity Fuel Cell von Honda, der vergangenes Jahr als eines der ersten Serienfahrzeuge mit Brennstoffzelle auf den Markt gekommen ist, fällt der 130 Kilowatt starke Antrieb zum Beispiel kaum größer aus als ein herkömmlicher Sechszylindermotor. Die Limousine bietet dadurch Platz für fünf Passagiere, lediglich das Kofferraumvolumen ist durch den Wasserstofftank etwas eingeschränkt.
Schlüssel zur geschrumpften Zelle sei ein verbesserter Luftfluss gewesen, berichten die Honda-Ingenieure. Die Umgebungsluft wird nun von einem Turbokompressor durch dünne Kanäle gepresst. Dadurch kann der Wasserdampf, der in der Brennstoffzelle zwangsläufig entsteht, nicht mehr kondensieren; die Reaktionsflächen werden nicht mehr blockiert. Etwa 50 Prozent mehr Leistung und eine 20 Prozent dünnere Zelle seien die Folge, so Honda.
Wirklich überzeugen kann das die Käufer dennoch nicht. Gerade einmal 448 Claritys wurden von Januar bis September in den USA verkauft. Marktführer Toyota bringt es mit seinem Mirai, der "ersten Wasserstofflimousine in Großserie", auch nur auf 1044 Exemplare. Das Kraftfahrtbundesamt listet die Zulassungszahlen der Wasserstofffahrzeuge erst gar nicht auf. Lediglich 314 Brennstoffzellenfahrzeuge sollen Anfang des Jahres auf deutschen Straßen unterwegs gewesen sein, berichtet das Branchenblatt "Automobilwoche" – hauptsächlich als Test- und Vorführwagen.
Die geringen Stückzahlen schlagen sich auch beim Preis nieder. Toyotas Mirai kostet in Deutschland knapp 80 000 Euro. Konkurrent Hyundai verlangt für seinen ix35, einen kleinen Brennstoffzellen‑SUV, etwa 65 000 Euro. Der Mercedes GLC F‑Cell wird voraussichtlich etwas weniger als 70 000 Euro kosten – bei einem höheren Preis würden Käufer keinen Umweltbonus mehr bekommen, mit dem die Bundesregierung den Verkauf von Elektromobilen ankurbeln will.
"Die Technologie ist nach wie vor zu teuer", erläutert DLR-Forscher Friedrich. "Sobald die Massenfertigung beginnt, ist jedoch mit deutlichen Einsparungen zu rechnen." Das betrifft allerdings nur die Kosten für die Fertigung und für die einzelnen Komponenten. Ein zentraler Bestandteil der Zelle droht hingegen zum Preistreiber zu werden: Platin. Die PEM-Brennstoffzelle braucht das Edelmetall als so genannten Katalysator, um die Reaktion zwischen Wasserstoff und Sauerstoff überhaupt in Gang zu setzen.
Um möglichst wenig des teuren Edelmetalls zu verbrauchen, experimentieren die Autobauer mit extrem dünnen, weniger als drei millionstel Millimeter dicken Platinschichten, die auf fasrigen Nanostrukturen aufgebracht werden. Zu dünn und zu filigran darf das Ganze allerdings auch nicht werden. "Je weniger Platin zum Einsatz kommt, desto empfindlicher ist die Zelle", berichtet Friedrich. "Das Platin kann vergiftet werden, es kann belegt werden, es kann inaktiv werden, es kann sich auflösen." Bei etwa 20 Gramm Platin für eine Brennstoffzelle mit 100 Kilowatt Leistung sind die Entwickler inzwischen angelangt. Das Ziel sind zehn Gramm – immer noch deutlich mehr als die drei Gramm, die heutzutage im Katalysator eines Benzinmotors verwendet werden. "Wenn die Nachfrage steigt, kann sich der Preis stark verändern. Das macht Platin zu einer kritischen Ressource, auch wenn sich der Platingehalt einer Brennstoffzelle der heutigen Menge im Abgassystem angleicht", sagt Friedrich.
Der größte Feind der Brennstoffzellen steht allerdings am Straßenrand – oder eben auch nicht: Gerade einmal 41 öffentlich zugängliche Wasserstofftankstellen existieren derzeit in Deutschland, sechs davon sind allerdings defekt. Wer von Hamburg nach München möchte, muss daher momentan einen Umweg über Dortmund einschlagen. Die nächste betriebsbereite Tankstelle entlang der A7, eigentlich die direkte Nord-Süd-Verbindung, würde erst hinter Würzburg kommen – zu riskant für die Brennstoffzellenautos. Denn geht der Wasserstoff zur Neige, dann endet die Fahrt unwillkürlich am Abschlepphaken.
Daimler hat beim neuen GLC F‑Cell daher zusätzlich zur Brennstoffzelle mit ihrer Reichweite von bis zu 500 Kilometern einen Lithiumakku verbaut. Die Batterie lässt sich überall an die Steckdose hängen und bringt weitere 50 Kilometer. Für ein echtes Wasserstofffahrzeug kann das allerdings nur eine Zwischenlösung sein.
Immerhin: Der Ausbau des Tankstellennetzes geht voran, wenn auch massiv subventioniert. Mit 900 000 Euro hat das Verkehrsministerium zum Beispiel die neue Tankstelle unterstützt, die der Gashersteller Air Liquide in Bremen eröffnet hat. Die Finanzspritzen sollen es möglich machen, dass die Zahl der Tankstellen bis zum Jahr 2019 auf 100 steigt. 2023 soll dann – so das Ziel der deutschen Clean Energy Partnership (CEP), in der sich Auto- und Energiekonzerne zusammengeschlossen haben – an 400 Orten getankt werden können. Von einem flächendeckenden Netz ist aber auch das noch weit entfernt. Dafür sind nach Berechnungen der Linde AG etwa 1000 Tankstellen und Investitionen von 1,7 Milliarden Euro nötig. CEP-Chef Thomas Bystry spricht daher im "Handelsblatt" auch von einem Jahrhundertprojekt.
Parallel dazu soll allerdings auch das Stromnetz massiv ausgebaut werden. Mehr als 36 000 Ladesäulen und 7000 Schnellladestationen sind geplant. Zwei riesige Infrastrukturprojekte für ein Problem? "Persönlich würde ich sagen, dass wir neben der batteriebetriebenen Elektromobilität auch eine Komponente für größere Reichweiten und schnelle Betankungen brauchen", betont DLR-Abteilungsleiter Friedrich.
Die reinen Zahlen sehen für den Wasserstoff allerdings nicht gut aus: Werden Batterien optimal geladen, geht kaum Energie verloren; der so genannte Wirkungsgrad liegt bei über 90 Prozent. Brennstoffzellen hingegen erreichen nur etwa 50 Prozent. Zudem wird industrieller Wasserstoff derzeit fast ausschließlich aus dreckigen, fossilen Energieträgern gewonnen. Entsteht er künftig aus Ökostrom, mit Hilfe eines Verfahrens namens Elektrolyse, dann sackt die Effizienz noch einmal deutlich ab. Linde geht davon aus, dass der Gesamtwirkungsgrad vom Strom bis zur Antriebsenergie zwischen 27,5 und 30 Prozent liegen wird – vergleichbar mit konventionellen Verbrennungsmotoren.
Auch die Kosten für den Treibstoffverbrauch fallen in den Bereich von Benziner und Diesel: Exakt 9,50 Euro kostet derzeit das Kilogramm Wasserstoff, ein politisch festgesetzter Preis. Das reicht für gut 100 Kilometer. Verglichen damit ist das Aufladen eines batteriebetriebenen Elektrofahrzeugs am heimischen Stromanschluss deutlich günstiger.
"Wasserstoff ist im Grunde der ideale Speicher"Andreas Friedrich
Einen großen Vorteil hat die Wasserstoffinfrastruktur allerdings: Sie ist ein guter Energiespeicher – und der wird künftig gebraucht werden. Strom aus Sonne und Wind unterliegt starken täglichen sowie jahreszeitlichen Schwankungen. Ist zu viel Energie für das Netz vorhanden, könnte diese mittels Elektrolyse in Wasserstoff verwandelt werden, der seinerseits bei Flaute wieder Strom erzeugt. Oder eben Autos antreibt. "Allein mit Batterien wird man diese riesigen Fluktuationen nicht abfangen können", schätzt Friedrich. "Da ist Wasserstoff im Grunde der ideale Speicher."
Batterien? Wasserstoff? Oder doch beides? Letztlich ist es eine politische Entscheidung – und da sind andere Länder deutlich weiter. China hat angekündigt, bis 2025 rund 50 000 Brennstoffzellenautos durchs Land rollen zu lassen. Im Jahr 2030 sollen es dann eine Million Fahrzeuge sein – Vorgaben, an die sich das kommunistische System für gewöhnlich hält. Der deutlich kleinere Nachbar Japan hat sogar noch ambitioniertere Ziele: 200 000 Brennstoffzellenfahrzeuge sollen dort bis 2025 unterwegs sein – und 0,8 Millionen bis 2030. Den Durchbruch sollen die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio bringen. Wasserstoff, so die Pläne, wird dort allgegenwärtig sein.
Die deutschen Hersteller versuchen derweil, noch immer mit ihrer Erfahrung zu punkten, allen voran Daimler. Mehr als 18 Millionen Kilometer hätten die Brennstoffzellenfahrzeuge des Konzerns – vom ersten NECAR aus dem Jahr 1994 bis zum neuen GLC F-Cell – inzwischen zurückgelegt, heißt es in Stuttgart. 36 000-mal seien die Prototypen betankt worden. Problemlos. "Das Antriebskonzept", so Daimler, "hat seine Marktreife unter Beweis gestellt." Jetzt muss der Markt das nur noch mitbekommen.
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