Artenvielfalt: Die wohl hässlichste Orchidee der Erde
Auch wenn die Corona-Krise die Feldforschung 2020 etwas eingeschränkt hat, gab es doch einige Neuentdeckungen aus dem Pflanzenreich zu melden. Unter den Funden, welche die britischen Royal Botanical Gardens in Kew vorstellten, befindet sich auch eine ganz besondere Art: Gastrodia agnicellus, die wohl unattraktivste Orchidee, die Botaniker bislang beschrieben haben.
Die Art stammt aus einem Nationalpark in Madagaskar, wo sie die meiste Zeit des Jahres epiphytisch auf Brettwurzeln von Bäumen unter Laub und Humus in einem Ruhezustand verbringt. Erst mit Beginn der Regenzeit im September treibt sie ihren Blütenstand aus, der nur elf Millimeter groß wird, aus braun-orange gefärbten Blütenblättern besteht und aussieht wie ein winziger schreiender Mund. Dabei verströmt sie einen moschusartigen Duft, der Bestäuber anlocken soll. Die entstehenden Samenstände erheben sich dann weiter über dem Boden, so dass sich die Samen besser verteilen können. Gastrodia agnicellus besitzt weder Blätter noch Chlorophyll, betreibt also keine Fotosynthese. Stattdessen zapft sie mit Hilfe von Pilzen wahrscheinlich Baumwurzeln an, um sich zu ernähren.
Neben dieser Besonderheit beschrieben die Kew-Botaniker noch zahlreiche weitere neue Orchideenarten: Sie machten etwa ein Drittel der 156 Pflanzenspezies aus, welche 2020 von ihnen erstmalig erfasst wurden. Allein 19 davon stammten von der Insel Neuguinea. Aus den Anden wiederum kommt Ipomoea noemana, die von der lokalen Bevölkerung wohl schon seit Jahrhunderten als Nahrungspflanze namens Yura genutzt wird. Sie gehört zu den Süßkartoffeln, und ihr Geschmack soll ebenfalls süß sein. Der Wissenschaft entging sie allerdings bislang.
Der Hibiskus Hibiscus hareyae aus dem südlichen Tansania wurde dagegen coronakonform online entdeckt, als der australische Botaniker Lex Thomson über das Internet historische Hibiskus-Herbarbelege studierte. Dabei fiel ihm die Pflanze mit den spektakulären Blüten auf, die sich deutlich von einer verwandten Art aus Kenia unterscheidet und auch trockenere Bedingungen als diese verträgt.
Viele der neuen Arten gelten bereits als bedroht, weil sie nur in eng begrenzten Gebieten vorkommen. Die brasilianische Bromelie Acanthostachys calcicola etwa wächst auf Kalkfelsen, die für die Zementgewinnung abgebaut werden. Beweidung durch Rinder und Abholzung gefährden die farbenprächtige Pflanze zusätzlich. Prinzipiell sind Spezialisten auf Kalkgestein weltweit zunehmend bedroht, weil ihr Lebensraum für die Bauindustrie zerstört wird, schreiben die Wissenschaftler.
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