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Häusliche Gewalt: Den Opfern wieder Macht über ihr Leben geben

Gewalt in der Partnerschaft hat viele Gesichter. Für die Betroffenen ist es oft schwierig, sich selbst Hilfe zu suchen. Was Nachbarn und Angehörige bei einem Verdacht tun sollten.
Frau mittleren Alters mit blauem Auge, im Hintergrund ein Mann, der sich an den Kopf greift
Im ersten Corona-Jahr stieg die Zahl der registrierten Opfer von häuslicher Gewalt um fast fünf Prozent. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Betroffenen um Frauen. (Symbolbild)

Polizei Hagen, Mai 2022: »Montagabend zog sich eine Frau eine Platzwunde am Kopf zu. Die Hagenerin stritt sich in der gemeinsamen Wohnung mit ihrem Ehemann, der ihr dabei mit der Hand ins Gesicht schlug. Grund für die Auseinandersetzung sei gewesen, dass der 29-Jährige sich beschwert habe, dass seine Frau ihm das Essen zu spät gemacht hätte. Durch den Schlag prallte die Frau mit dem Kopf gegen einen Türrahmen.«

Zu solchen Fällen von häuslicher Gewalt oder Partnerschaftsgewalt kommt es in Deutschland immer öfter. Im Schnitt alle 45 Minuten ruft jemand die Polizei, weil Menschen in einem Haushalt gewalttätig werden, berichtet der Verein »Frauenhauskoordinierung« in Berlin. Die Zahl der Opfer ist in den vergangenen Jahren gestiegen: zunächst von knapp 142 000 im Jahr 2019 auf gut 148 000 im ersten Corona-Jahr 2020. Im zweiten Jahr der Pandemie kam es laut der Zeitung »Welt am Sonntag« zu einem weiteren Anstieg auf rund 161 000 registrierte Fälle.

Häusliche Gewalt in Zahlen

Alle 45 Minuten rückt in Deutschland die Polizei wegen häuslicher Gewalt aus.

160 921 Fälle registrierte die Polizei bundesweit im Jahr 2021.

82 Prozent der Opfer sind weiblich, 18 Prozent männlich.

Jede vierte Frau in Deutschland hat bereits häusliche Gewalt erfahren.

Alle drei Tage wird eine Frau in Deutschland von ihrem Partner oder Expartner getötet.

Im Mittel alle 22 Minuten berät das bundesweite Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« jemanden wegen häuslicher Gewalt. Die Dunkelziffer ist hoch. Die Hilfsorganisation »Weißer Ring« geht davon aus, dass mindestens 80 Prozent der Taten im Verborgenen geschehen. Männer suchen sich noch seltener Hilfe als Frauen.

Den offiziellen Zahlen zufolge sind rund vier von fünf Opfern weiblich. Doch weniger als zehn Prozent der von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen haben in der ersten Phase der Pandemie Hilfe gesucht, wie Janina Isabel Steinert, Professorin für Global Health an der Hochschule für Politik der TU München, bei einer eigenen Erhebung im April 2020 feststellte. »Administrative Daten wie die Anzahl der Anrufe bei Polizei oder Hilfe-Hotlines sagen daher wenig über die tatsächliche Häufigkeit aus.«

»Wir müssen davon ausgehen, dass manche sogar in einer Umfrage nicht bereit sind zu berichten, dass sie Gewalt erfahren. Das heißt: Wir kennen die wahre Häufigkeit häuslicher Gewalt nicht«Janina Isabel Steinert, Professorin für Global Health

Um die Dunkelziffer besser abbilden zu können, hat Steinert zusammen mit Cara Ebert vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen teils mittels indirekter Fragetechniken aus der Kriminalforschung 3800 Frauen interviewt. Hinsichtlich Alter, Bildungsstand, Einkommen, Haushaltsgröße und Wohnort standen die Teilnehmerinnen repräsentativ für die deutsche Gesamtbevölkerung.

3,1 Prozent von ihnen berichteten von körperlichen Auseinandersetzungen mit ihrem Partner innerhalb der ersten vier Wochen des Lockdowns. 3,8 Prozent fühlten sich von ihrem Partner bedroht, 3,6 Prozent waren vergewaltigt worden. 2,2 Prozent der befragten Frauen durften das Haus nicht ohne Erlaubnis ihres Partners verlassen; bei 4,6 Prozent regulierte er soziale Kontakte. »Wir müssen davon ausgehen, dass manche sogar in so einer Umfrage nicht bereit sind zu berichten, dass sie Gewalt erfahren«, sagt Steinert. »Das heißt: Wir kennen die wahre Häufigkeit häuslicher Gewalt nicht.«

Häusliche Gewalt in Zeiten von Corona

Die Corona-Pandemie habe die Situation verschärft, vermutlich aus mehreren Gründen, erklärt Steinert: »Einerseits gab es während des Lockdowns weniger Möglichkeiten, einem Täter im Haus zu entkommen. Gleichzeitig hatten Betroffene weniger soziale Kontakte und dadurch weniger Zugang zu Unterstützungsnetzwerken, zum Beispiel Bekannten oder Anlaufstellen mit Vermittlerfunktion wie Schulen, Kindergärten, Arztpraxen.« Die psychische Gesundheit und die finanzielle Situation spielten wohl ebenfalls eine Rolle: Während der Pandemie haben Depressionen und Angststörungen in der Bevölkerung zugenommen – »Faktoren, die mit einem erhöhten Risiko häuslicher Gewalt korreliert sind«, wie Steinert sagt. Gleichzeitig sei aus den USA bekannt, dass wirtschaftliche Sorgen zu häuslicher Gewalt beitragen, weil das Stresslevel steige. Auch der größere Betreuungsaufwand im Lockdown durch die Schließung von Kitas und Schulen hätte bei Eltern zu Stress und Konflikten geführt.

Polizei Nordsaarland, Juni 2022: »Am Abend ging ein Notruf ein, wonach der Papa die Mama schlüge und dieser betrunken sei. Es kam den Angaben zufolge zu Schlägen ins Gesicht der 43-jährigen Ehefrau als auch der 19-jährigen Tochter, welche dazwischengehen wollte, durch den betrunkenen 47-jährigen Vater.«

Alkohol- und Drogenkonsum gelten als Risikofaktoren für häusliche Gewalt, ebenso wie psychische Probleme. »Einer der wichtigsten Risikofaktoren aber ist Gewalt, die in der Kindheit erfahren wurde«, berichtet Steinert. »Hat eine Frau als Kind Gewalt durch die Eltern erlebt, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass sie in einer Beziehung endet, die von Gewalt geprägt ist.« Und kennt ein Mann Gewalt aus seiner Kindheit, besteht ein größeres Risiko, dass er in seiner Beziehung zum Täter wird.

Bildungs- und sozioökonomische Faktoren scheinen hingegen keine Rolle zu spielen. »Häusliche Gewalt betrifft alle Bildungs- und Einkommensschichten, existiert in allen Altersgruppen, Nationalitäten, Religionen und Kulturen«, heißt es auf der Website der Polizeilichen Kriminalprävention. »Sie entsteht nicht wie bei einer Kneipenschlägerei aus einer konkreten Situation heraus.« Vielmehr sei sie Ausdruck eines Macht- und Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Täter und Opfer. Gewalt zwischen Menschen aus einem Haushalt, Partnern oder Expartnern ist zudem nicht nur körperlicher oder sexueller Natur. Auch psychische, ökonomische und soziale Gewalt sowie Stalking zählen dazu.

Häusliche Gewalt hat viele Gesichter

Körperliche Gewalt

Schlagen, stoßen, boxen, würgen, ohrfeigen, treten, fest zupacken, an den Haaren ziehen; mit Zigaretten verbrennen; Kopf gegen eine Wand schlagen; Angriffe mit Messer, Gürtel und anderen Gegenständen oder Flüssigkeiten; Mordversuch und Mord

Sexuelle Gewalt

Sexuelle Belästigung oder Nötigung, (versuchte) Vergewaltigung, alle Formen sexueller Bedrohung

Psychische Gewalt

Beleidigen, demütigen, abwerten, verleumden, missachten, schweigen, schreien, körperliche Gewalt herunterspielen, persönliche Dinge zerstören, Eifersucht, Kontakte kontrollieren

Soziale Gewalt

Verbieten oder Verhindern von Kontakten zu Verwandten, Freunden und Bekannten oder von anderen Freizeitaktivitäten

Ökonomische Gewalt

Verweigerung des Zugangs zu Geld, zum Beispiel durch das Verbot, berufstätig zu sein, oder Zuteilung von Geld als Mittel zur Belohnung

Belästigung und Nachstellung (Stalking)

Häufige und unerwünschte Anrufe oder Nachrichten über SMS, Briefe, E-Mails oder soziale Medien; Bestellen oder Erstellen von Fake-Accounts auf den Namen der Betroffenen; ständiges Beobachten und Verfolgen; anhaltende Beschimpfung und Bedrohung; Kontaktaufnahme über Dritte

Quelle: Sozialdienst katholischer Frauen Radebeul

Polizei Rhein-Erft-Kreis, April 2022: »Gegen 20 Uhr trafen alarmierte Polizisten auf eine Frau, die auf dem Balkon ihrer Wohnung stand und erklärte, Hilfe zu brauchen. Ihr Ehemann (50), der Tatverdächtige, verweigerte die Behandlung seiner Ehefrau. Nachdem sich Anhaltspunkte ergeben hatten, dass sich in der Wohnung Schusswaffen befinden könnten, forderte die Polizei Spezialeinheiten an. Neben dem Ehepaar befanden sich noch zwei kleine Kinder in der Wohnung.«

Werden Kinder Zeuge von Gewalt, tragen sie »fast immer seelische und häufig körperliche Spuren wie Schlaflosigkeit oder Konzentrationsstörungen davon«, heißt es auf der Website des Hilfetelefons. »Die Folgen variieren, je nachdem ob die Kinder Zeuge der Gewalttaten sind oder selbst misshandelt werden, wie viel Zeit seit der miterlebten Gewalttat vergangen ist und mit welchen Maßnahmen die akute Situation gelöst wurde.«

Den Notruf zu wählen trauen sich in so einer Situation nur wenige. »Viele Betroffene schämen sich sehr dafür, dass sie Gewalt erfahren«, erklärt Expertin Steinert. »Zudem gibt es Frauen, die Rechtfertigungsmuster finden und akzeptieren, dass sie die Gewalt, die ihnen widerfährt, verdienen. Sie nehmen den misshandelnden Partner sogar in Schutz.« Anderen ist es gar nicht erst möglich, um Hilfe zu bitten: Zu stark sind Überwachung und Kontrolle durch den Täter.

Polizei Ulm, Dezember 2021: »Eines der Kinder der Familie hatte sich Hilfe suchend an die Polizei gewandt. Der Vater habe das Wochenende über die gesamte Familie eingeschüchtert. Jetzt sorgte sich das Mädchen. Zur Sicherheit nahm die Polizei die Kinder und die Mutter zu sich.«

Betroffene brauchen Hilfe aus dem Umfeld

Häusliche Gewalt ist keine Privatangelegenheit, sondern eine Straftat. Deshalb ist es wichtig, dass sich Opfer jemandem anvertrauen oder die Polizei rufen. Und dass Nachbarn oder Freunde nicht wegschauen, wenn sie Hinweise auf häusliche Gewalt bemerken.

Als Opfer den Notruf zu wählen, dazu rät auch die Polizeiliche Kriminalprävention: »Doch wenn Sie sich noch nicht entscheiden können, die Polizei zu rufen, wenden Sie sich an eine Person Ihres Vertrauens oder lassen Sie sich beraten. Aber handeln Sie!« Das Gleiche gilt für Nachbarn und Bekannte, die etwas bemerkt haben. Steinert appelliert: »Oft ist es für Betroffene schwierig, sich aktiv Hilfe zu suchen, weshalb sie auf Unterstützung von Außenstehenden angewiesen sind. Bei einem Verdacht sollte man lieber einmal zu viel als einmal zu wenig die Polizei rufen. Oder man versucht, das Opfer bei Gelegenheit für ein Gespräch zur Seite zu nehmen.«

Zeuge von häuslicher Gewalt? So helfen Sie.

• Sprechen Sie die Betroffenen an, wenn Sie diesen allein begegnen, und bieten Sie Ihre Hilfe an.

• Wenden Sie sich an das kostenlose Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« unter der Telefonnummer 08000 116 016, an die Chat- und Online-Beratung unter www.hilfetelefon.de oder an eine Beratungsstelle.

• Geben Sie auch Betroffenen diese Telefonnummern oder Hinweise auf eine Beratungsstelle.

• Wenden Sie sich im Zweifel immer unter 110 an die Polizei und stellen Sie sich als Zeuge oder Zeugin zur Verfügung.

Steinert ärgert es, dass es meist die Opfer sind, die handeln müssen: »Viele Programme zur Bekämpfung häuslicher Gewalt adressieren eher die Betroffenen. Aber das reicht natürlich nicht, um das Problem zu lösen, weil dazu ganz massiv der Täter gehört.«

Polizei Bonn, Mai 2022: »In der Nacht zu Sonntag eilten Polizeibeamte einer Frau zu Hilfe. Sie hatte die Polizei verständigt, da ihr Ehemann sie körperlich attackiert hatte. Den 35-Jährigen verwiesen die Polizisten aus der Wohnung und sprachen gegen ihn ein zehntägiges Rückkehrverbot aus.«

Wer schlägt, der geht – so lautet die Devise, um die Eskalation zu unterbrechen. Neben der Wohnungsverweisung kann die Polizei Näherungsverbote aussprechen oder dem Täter die Kontaktaufnahme untersagen. »Die Möglichkeit der Wegweisung ist sehr begrüßenswert«, sagt Elisabeth Oberthür, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim Verein »Frauenhauskoordinierung« in Berlin. »Dann muss sich nicht die Betroffene, die ohnehin schon Gewalt erlebt hat, eine Zuflucht suchen, sondern derjenige, der Gewalt ausgeübt hat, steht in der Verantwortung.« Auch wenn der Wohnungsverweis zunächst maximal zwei Wochen gilt: »Für Betroffene ist die Zeit hilfreich, um sich wieder zu sortieren und weitere Schutzmaßnahmen einzuleiten«, erläutert Oberthür.

Es fehlen 14 000 Plätze in Frauenhäusern

Polizei Eschwege, April 2022: »Am Sonntagabend kam es zu einer Auseinandersetzung, nachdem eine 37-Jährige ihren ehemaligen 31-jährigen Lebensgefährten, gegen den noch ein aktuelles Annäherungsverbot besteht, bereits vor einigen Tagen wieder in die Wohnung ließ. Zunächst kam es zu einem verbalen Streit, worauf der 31-Jährige der Geschädigten ins Gesicht spuckte. Weiterhin schlug er ihr gegen den Kopf und Arm und stieß sie gegen die Wand.«

Sind Frauen in ihrer eigenen Wohnung nicht mehr sicher, bleibt ihnen häufig nur die Flucht ins Frauenhaus. 376 Häuser mit rund 6800 Plätzen gibt es in Deutschland – viel zu wenig, sagt Oberthür: »Laut den Empfehlungen zur Istanbul-Konvention müsste es ungefähr 21 000 Plätze geben. Es fehlen also über 14 000, eine irrsinnige Zahl. Dazu kommt, dass die Frauenhäuser, die es gibt, oft chronisch unter- oder nur unsicher finanziert sind.«

Oberthür rät betroffenen Frauen, sich an das bundesweite Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« oder eine Beratungsstelle zu wenden. Darüber hinaus ist es möglich, auf der Website des Vereins »Frauenhauskoordinierung« direkt nach einem Frauenhaus zu suchen und per E-Mail oder Telefon Kontakt aufzunehmen. Die Adressen sind in der Regel geheim, doch die meisten Häuser sind rund um die Uhr erreichbar. Ist ein geeigneter Platz frei, wird ein Treffpunkt vereinbart, an dem die Frau abgeholt wird.

Fast jede Fünfte kehrt zu ihrem gewalttätigen Partner zurück

Dort ist sie sicher und kann sich von Expertinnen beraten und unterstützen lassen – psychologisch ebenso wie organisatorisch, zum Beispiel beim Gang zum Amt oder wenn es um Aufenthaltsrecht, Sozialleistungsbezug, Existenzsicherung oder die Suche nach einem Kitaplatz geht. »Ziel der Beratung ist auch, der Frau wieder Macht über ihr Leben zu geben und sie darin zu bestärken, die Abhängigkeit aus der Gewaltbeziehung hinter sich zu lassen und sich ein eigenes Leben aufzubauen«, sagt Oberthür. Im Frauenhaus blieben die Opfer so lange, wie es nötig ist: »Mal sind es nur Tage, manchmal Monate oder ein Jahr.« Über ein Viertel der Frauen zieht danach in eine eigene, neue Wohnung. Fast jede Fünfte kehrt zu ihrem gewalttätigen Partner zurück.

Polizei Northeim, Januar 2022: »Am Sonntagabend rief eine 22-Jährige die Polizei, da sie von ihrem 19-jährigen Freund nach einer verbalen Auseinandersetzung geschlagen worden sei. Die Beamten stellten fest, dass die junge Frau in der Vergangenheit bereits mehrfach von ihrem Freund geschlagen worden war. Kleinere Verletzungen, die bereits verheilten, waren noch ersichtlich.«

Warum verlässt ein Opfer den Täter nicht einfach?

Frauen, die in ihrer Beziehung Gewalt erfahren, schaffen es häufig nicht, den Partner zu verlassen, oder sie kehren immer wieder zu ihm zurück. Für Außenstehende ist das schwer zu verstehen. Es hat aber Gründe.

»Oft haben Betroffene psychische Probleme oder Erkrankungen und ein sehr geringes Selbstbewusstsein. Insofern sind sie gar nicht in der Lage, sich aus so einer Beziehung zu lösen und auf eigenen Beinen zu stehen«, sagt Janina Isabel Steinert, Professorin für Global Health an der Hochschule für Politik der TU München.

Eine große Rolle spielt auch die finanzielle Situation. »Viele Frauen sind von ihrem Partner ökonomisch abhängig, vor allem, wenn Kinder in der Familie sind«, berichtet die Gesundheitswissenschaftlerin. »Dann stehen sie vor der Entscheidung: Sollen sie einen sozialen Abstieg nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Kinder riskieren? Oder harren sie in der von Gewalt geprägten Beziehung aus?« Vor allem, wenn es um Kinder geht, bleiben viele Frauen beim Täter und halten die Gewalt aus.

Viele Opfer haben ein ambivalentes Verhältnis zum Täter, weil dessen Verhalten oft zwischen liebevollen und gewaltsamen Phasen wechselt. Der Berliner Verein »Frauen gegen Gewalt« schreibt: »Häufig äußern Täter nach Gewalthandlungen Reue und versprechen, dass so etwas nie wieder vorkommen wird. Das kann dazu führen, dass Betroffene kurzzeitige realistische Einschätzungen der Situation und Gefahr in den Hintergrund stellen.«

Mögliche Gründe, den Täter nicht zu verlassen, sind auch die Angst vor seiner Reaktion, vor gesellschaftlicher Abwertung und vor dem Verlust der Kinder. »Die Zeit der Trennung ist für betroffene Frauen oft die gefährlichste, hier erfolgen die meisten Misshandlungen und Tötungen«, heißt es auf der Website des Vereins »Frauen gegen Gewalt«.

Oberthür kritisiert, dass es keine bundeseinheitliche Regelung gibt, wie ein Frauenhaus finanziert wird: »Wir sehen einen Flickenteppich unterschiedlicher Finanzierungsmodelle, von denen die meisten gemein haben, dass sie nicht langfristig und nur ungenügend gesichert sind. In manchen Häusern müssen Frauen, die nicht sozialleistungsberechtigt sind, ihren Aufenthalt selbst finanzieren, was aus unserer Sicht völlig inakzeptabel ist.«

Verbesserungen versprach Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Frühjahr 2022, als sie twitterte: »Bei Gewalt gegen Frauen müssen Ermittlungsbehörden noch sensibler werden. Dafür brauchen wir bei der Polizei spezielle Ansprechstellen mit extra geschultem Personal. Wir bauen zudem das Hilfesystem für Frauen aus, vor allem die Frauenhäuser.«

Polizei Köln, März 2022: »Am Sonntagnachmittag hat eine 63 Jahre alte Frau bei einer Auseinandersetzung in ihrer Wohnung schwerste Kopfverletzungen erlitten. Dringend tatverdächtig ist ihr gleichaltriger Ehemann. Ein Rettungshubschrauber flog die Geschädigte in eine Klinik, wo sie ihren Verletzungen erlag.«

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