Haiti: Die Revolution der Sklaven
»Ich war einer Ihrer Soldaten und der erste Diener der Republik, nun aber bin ich elend, ruiniert, entehrt, ein Opfer meiner Dienste!« So schrieb 1802 ein General dem anderen; ein Revolutionär, Feldherr und Gesetzgeber einem ebensolchen; ein aus seiner Heimat verschleppter Gefangener einem Mann, dem dieses Schicksal noch bevorstand. Es schrieb Toussaint Louverture an Napoleon Bonaparte. Die beiden waren einander zwar nie persönlich begegnet, hatten allerdings über einige Jahre gelegentlich quer über den Ozean brieflich miteinander verkehrt und sich dabei ihrer gegenseitigen Hochachtung und Sympathie versichert. Nun aber war es vorbei mit den Höflichkeiten.
Napoleon (1769–1821) – seit 1799 als Erster Konsul der Französischen Republik auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Macht – hatte genug von dem Aufrührer aus Übersee. Louvertures letzter, verzweifelter Brief sollte unbeantwortet bleiben. Er hatte ihn in der Festung Fort de Joux im französischen Jura verfasst, wo ihn Napoleon unter härtesten Bedingungen hatte einkerkern lassen.
Toussaint Louverture war 1743 als Kind von Sklaven auf der Plantage des Grafen von Bréda nahe Cap-Français, der Hauptstadt der französischen Kolonie Saint-Domingue, zur Welt gekommen. Über die ersten fünf Jahrzehnte seines Lebens ist nur wenig bekannt. Offenbar erhielt der Junge, dessen Vater vermutlich aus dem heutigen Benin stammte, eine relativ gute Ausbildung. Da Toussaint Bréda, wie er ursprünglich nach seinem Eigentümer hieß, eine schwächliche Konstitution hatte, gestattete ihm sein Herr, Lesen und Schreiben zu lernen. Später setzte der Aristokrat seinen Sklaven als Kutscher und Gutsverwalter ein – beides privilegierte Stellungen innerhalb der Sklavenhierarchie. 1776 entließ ihn der Graf in die Freiheit. Toussaint erwarb eine eigene kleine Kaffeeplantage, zu deren Bewirtschaftung er selbst zeitweise bis zu ein Dutzend Sklaven eingesetzt haben soll.
Toussaint war ein verhältnismäßig gebildeter Mann. Er beherrschte neben seiner Muttersprache, dem westafrikanischen Fon, sowohl Kreolisch als auch Französisch, las antike Klassiker wie die Schriften Cäsars und Werke der Aufklärung. Nach und nach vergrößerte der Freigelassene seinen Besitz, nahm 1782 die ehemalige Sklavin Suzanne Simone zur Frau, die ihm zwei Söhne schenkte. Toussaint Bréda wurde zu einem wohlhabenden, angesehenen Mann. So hätte ein Leben, das in der Sklaverei begann, bis zu seinem glücklichen Ende weitergehen können – und niemand hätte etwas davon erfahren. Wenn nicht 15 Jahre nach Toussaints Freilassung ein gewaltiger Sturm seine Heimatinsel erfasst hätte, dessen Auswirkungen auch in Europa zu spüren waren: die Sklavenrevolte von 1791. Sie endete erst 1804 nach langem, blutigem Ringen mit der Gründung des unabhängigen Staats Haiti.
Eine Umwälzung, die gelingen konnte, erläutert Jürgen Osterhammel, emeritierter Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Konstanz, »weil hier und nur hier eine Kraft von außen, die Französische Revolution, die weiße Herrenkaste spaltete; weil es hier und nur hier eine wohlhabende Zwischenschicht freier Farbiger (»gens de couleur«) gab, die die Verwirrung der Weißen zu einer eigenen Erhebung nutzte; und weil hier und nur hier ein internationaler Konflikt um eine Zuckerinsel geführt wurde, bei dem die beteiligten Mächte – Frankreich, Spanien und Großbritannien – Sklavensöldner bewaffneten«.
Wie die erste Kolonie Europas entstand
Um zu verstehen, wie es zu dieser einzigartigen Konstellation kam, hilft ein Blick zurück. Christoph Kolumbus hatte während seiner ersten Reise über den Atlantik im Dezember 1492 die Insel entdeckt, die sich heute die Staaten Haiti und Dominikanische Republik teilen. Er gab dem Eiland, das bei seinen Ureinwohnern Ayti hieß, den Namen La Isla Española (Hispaniola) und ließ dort aus den Planken der havarierten »Santa Maria« ein kleines Fort errichten, die erste spanische Kolonie in der Neuen Welt – und damit die erste europäische überhaupt.
Nahezu umgehend legten die Spanier auf der Insel erste Zuckerplantagen an, auf denen sie Angehörige des einheimischen Volks der Arawak zur Sklavenarbeit zwangen. Binnen weniger Jahrzehnte war das Volk, das bei der Ankunft der Europäer geschätzte 250 000 bis 400 000 Seelen zählte, so gut wie ausgerottet – durch Versklavung zu Grunde gerichtet, in Kämpfen niedergemetzelt und von eingeschleppten Krankheiten dahingerafft. Bereits ab 1503 setzten die spanischen Kolonisten daher auch Sklaven aus Afrika in den Erzminen und auf den Plantagen der Insel ein. Im Lauf der folgenden Jahrzehnte erlahmte die Entwicklung der Kolonie dennoch.
Die Spanier suchten vor allem Edelmetalle. Da die spärlichen Goldvorkommen Hispaniolas jedoch zur Neige gingen, verloren viele das Interesse an der Kolonie. Bald diente das Eiland lediglich als Brückenkopf auf dem Weg zu den ergiebigeren Besitzungen auf dem amerikanischen Festland. Im 17. Jahrhundert nisteten sich im Westen der Insel dann französische Freibeuter ein und legten den Grundstein für die Landnahme durch Frankreich. 1697 trat Spanien den westlichen Teil der Insel schließlich offiziell an das Land ab.
Die Sklaven produzierten Luxusgüter für Europa
Die neuen Siedler forcierten die Plantagenwirtschaft, und so wurde im 18. Jahrhundert aus Saint-Domingue, wie der Westen Hispaniolas nun hieß, eine der profitabelsten Kolonien jener Zeit – dank der massenhaften Verschleppung und Versklavung von Afrikanern, vorwiegend aus dem Gebiet der heutigen Staaten Gambia und Senegal. Auf diese Weise entstand auf der Karibikinsel innerhalb weniger Jahre eine Sklavengesellschaft. Die Sklaverei war das Mittel aller Produktion.
Voraussetzung und Motor dieser Entwicklung war das gewachsene Verlangen der westeuropäischen Bevölkerung nach Luxusgütern aus Übersee. Zucker, Kaffee, Kakao – mit dem Anstieg der Nachfrage nach diesen Gütern in der Alten Welt wuchs auch jene nach billigen Arbeitskräften auf den Plantagen der Neuen. Der transatlantische Handel mit Menschen nahm rasant zu. »Das 18. Jahrhundert, bekanntlich das Jahrhundert der Aufklärung, war auch das schrecklichste Jahrhundert der Verschleppungen«, betont Michael Zeuske vom Center for Dependency and Slavery Studies der Universität Bonn. Insgesamt wurden von zirka 1500 bis zur Abschaffung des transatlantischen Sklavenhandels um 1850 an die zwölf Millionen Afrikaner in die nord- und südamerikanischen Kolonien geschafft – rund die Hälfte davon allein im Zeitalter Voltaires.
Sainte-Domingue verlangte stetig nach Sklaven
Mit tausenden hochprofitablen Plantagen, auf denen afrikanische Sklaven schufteten, galt Saint-Domingue damals als eine der ertragreichsten Kolonien jener Zeit. Doch der Bedarf an neuen Arbeitern war hoch, was sich auf die Bevölkerungsstruktur auswirkte. Ende der 1780er Jahre lebten neben etwas mehr als 30 000 weißen Europäern ungefähr ebenso viele freie und zum Teil gleichfalls wohlhabende »gens de couleur« in der Kolonie. Sie waren meist die Nachkommen von Franzosen und Sklavinnen oder Freigelassene wie Toussaint Bréda. Gemeinsam verfügten sie über rund eine halbe Million schwarze Sklaven. »Beinahe 90 Prozent der in der Kolonie lebenden Menschen waren das Eigentum einer anderen Person«, schreibt der Historiker Philipp Hanke in seinem Buch »Revolution in Haiti«.
Die Entwicklung der sozialen Strukturen in Saint-Domingue nahm einen Sonderweg innerhalb der Sklavengesellschaften der Karibik. »Im Gegensatz zu anderen großen Plantagenökonomien der Zeit stellt sich die Gesellschaft nicht als einfaches Zweiklassensystem dar«, präzisiert Hanke. In der britischen Kolonie Jamaika etwa waren die Verhältnisse klar: Weiße Europäer hatten alle Macht und jeden Besitz, Schwarze wie Kreolen hatten als Sklaven zu dienen. In Saint-Domingue hingegen entstand eine Gesellschaft, »die aus vier teilweise ökonomisch, teils nach Hautfarbe definierten Klassen bestand«, erklärt Osterhammel.
Die oberste Schicht bildeten reiche europäische Plantagenbesitzer und Angehörige der Inselbürokratie, die so genannten »grands blancs«, die großen Weißen. Ihnen formell als Untertanen des französischen Königs gleichgestellt, faktisch jedoch aus dem öffentlichen Leben und allen politischen Entscheidungen ausgeschlossen, waren die freien »gens de couleur«, von denen es viele als Pflanzer ebenfalls zu beträchtlichem Reichtum gebracht hatten. Deren Wohlstand erregte Neid unter den so genannten kleinen Weißen (»petits blancs«). Sie waren meist Aufseher auf den Plantagen oder Händler und Handwerker in den Städten, ursprünglich aus einfachen Verhältnissen in Frankreich kommend. Die unterste Schicht bildete schließlich die Masse der Sklaven, von denen rund zwei Drittel in Afrika geboren worden waren.
Ein brutales Regelwerk für den Umgang mit Sklaven
Den rechtlichen Rahmen für die Sklaverei gab der so genannte »Code Noir« vor. Das von König Ludwig XIV. 1685 erlassene Dekret legte fest, wer Sklaven halten dürfte, wie sie gehandelt und behandelt werden sollten. So durften die Sklavenhalter ihr menschliches Eigentum ausdrücklich in Ketten legen und schlagen, es war ihnen jedoch verboten, ihre Sklaven zu foltern oder grundlos zu töten. Wenn aber etwa ein Sklave die Hand gegen seinen Herrn oder dessen Familie erhob, drohte ihm die Hinrichtung. Vor Willkür schützte das Regelwerk die versklavten Afrikaner dabei nicht.
Der »Code Noir« war bis 1848 gültig, geriet danach allerdings in Vergessenheit. Der französische Philosoph Louis Sala-Molins entdeckte das Dekret Ende der 1980er Jahre wieder und beklagte, dass kaum einer der französischen Aufklärer sich dazu geäußert hatte. Eine Ausnahme war Guillaume Thomas François Raynal (1713–1796), der in seiner »Geschichte beider Indien« (»Histoire des deux Indes«) die Unmenschlichkeit der Sklaverei geißelte und prophezeite, dass diese Gewaltherrschaft eines Tages einen »schwarzen Spartakus« als Anführer der Versklavten gegen ihre weißen Herren hervorbringen werde. Das enzyklopädische Werk wurde verboten und öffentlich verbrannt, sein Autor geschmäht und für einige Jahre außer Landes getrieben. Er sollte dennoch Recht behalten.
Die Werte der Französischen Revolution machten vor der Sklaverei Halt
Die Politisierung weiter Teile der französischen Bevölkerung während der 1780er Jahre erfasste auch die Kolonien des Königreichs. Bereits 1788 wurde in Paris die »Société des Amis des Noirs« (Gesellschaft der Freunde der Schwarzen) gegründet, die sich eher am Rand für die Abschaffung der Sklaverei, besonders aber für die tatsächliche Gleichberechtigung der freien »gens de couleur« einsetzte. Mit dem Beginn der Französischen Revolution im Jahr darauf, vor allem mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte am 26. August 1789 erhielt deren Sache erheblichen Auftrieb. Schließlich stellte der erste Artikel der Erklärung unmissverständlich fest: »Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.«
Von der Pariser Nationalversammlung wurde die Abschaffung der Sklaverei in den Kolonien jedoch mit der Begründung zurückgewiesen, dass sie der französischen Wirtschaft schaden würde. Weder die freien noch die versklavten Schwarzen wollten sich dem fügen. Vincent Ogé, einer jener Pflanzer, die in Paris die Gleichgültigkeit der Nationalversammlung miterlebt hatten, entschloss sich zu handeln. Im Juli 1790 führte er die erste bewaffnete Erhebung kreolischer Plantagenbesitzer in Saint-Domingue an. Die Revolte, an der gemäß seinem Willen keine Sklaven teilnahmen, scheiterte kläglich. Ogé wurde gemeinsam mit 20 Mitstreitern hingerichtet, ihre Leichen zur Schau gestellt.
Doch der Sturm ließ sich nicht mehr bändigen. Der Legende nach erhoben sich die Sklaven in der Nordebene Saint-Domingues spontan nach einer Voodoo-Zeremonie. Historiker gehen aber davon aus, dass »privilegierte« Sklaven in den Wochen vor der Revolte mehrere geheime Treffen abgehalten hatten, um den Aufstand zu organisieren und anzuführen. In der Nacht zum 23. August 1791 rebellierten jedenfalls die Sklaven auf einer Plantage im Norden, im reichsten Teil Saint-Domingues, wo auch die Hauptstadt Cap-Français lag.
Abertausende Sklaven befreiten sich selbst, bald tobte ein Bürgerkrieg
Die Aufrührer setzten Häuser und Felder in Brand, töteten ihre Herren samt Familien und eroberten innerhalb weniger Tage große Teile der Nordebene. Ihre Zahl stieg rasant: Den Anfang hatten 1000 bis 2000 Aufständische gemacht, keine drei Monate darauf sahen sich die Kolonialisten bereits einer Streitmacht von 80 000 Mann gegenüber. Rund die Hälfte der Sklaven auf den Plantagen des Nordens hatte sich unter dem kreolischen Schlachtruf »Tou moun se moun« (Alle Menschen sind Menschen) erhoben – und es gab kein Halten mehr. Am Ende des Jahres hatten sich abertausende Sklaven selbst befreit. In der ganzen Kolonie tobte ein Bürgerkrieg mit wechselnden Fronten und Loyalitäten.
Die »grands blancs« waren vorwiegend Aristokraten und hatten daher bereits die Erhebung in ihrem Heimatland abgelehnt. Die »kleinen Weißen« waren zwar eher für die Ideale der Französischen Revolution zu begeistern, wollten aber oft keine gemeinsame Sache mit den Schwarzen machen. Den Sklaven hingegen hatten die Anführer des Aufstands damit Hoffnungen gemacht, dass auch in Europa die »weißen Sklaven« ihre Herren verjagt hätten. Nun wollten sie es jenen gleichtun. Die freien und reichen »gens de couleur« waren allerdings zwiegespalten: Einerseits hofften sie, endlich Emanzipation zu erlangen; andererseits fürchteten sie, durch die Revolution allen Besitz und Wohlstand zu verlieren. Darüber hinaus witterten die Kolonialmächte Großbritannien und Spanien ihre Chance, aus den Unruhen Profit zu schlagen, und mischten kräftig mit – entweder indem sie Aufständische bewaffneten oder selbst in die Kampfhandlungen eingriffen.
Toussaint Louverture schlug sich auf die Seite der Revolutionäre
In dieser Situation betrat Toussaint Bréda die Bühne der Geschichte. Anfangs hatte er sich nicht am Aufstand beteiligt. Er soll sogar seinen einstigen Herrn und dessen Familie vor der Wut der Sklaven beschützt und ihnen das Leben gerettet haben. »Erst als deutlich wurde, dass die europäischen Kolonisten gegenüber den aufständischen Sklaven zu keinen Kompromissen bereit waren, schloss er sich den Rebellen an«, erklärt Hanke. Spätestens seit dem Jahr 1793 zeigte sich Toussaint Bréda unter dem selbst gewählten Namen »Louverture« als einer der bedeutendsten Heerführer der Revolutionäre.
Anfangs kämpfte er in spanischen Diensten gegen die französischen Kolonialherren. Nachdem aber die Nationalversammlung in Paris im August 1793 die Sklaverei in allen französischen Gebieten abgeschafft und alle männlichen Befreiten zu gleichberechtigten Staatsbürgern erklärt hatte, wechselte er die Fronten. Zu diesem Zeitpunkt standen die französischen Revolutionsarmeen in Europa gegen eine Koalition europäischer Mächte unter der Führung von Österreich, Preußen und Großbritannien. Im September 1793 landeten nun auch die ersten 600 britischen Soldaten in Saint-Domingue. In den nächsten fünf Jahren sollten ihnen über 20 000 folgen, von denen rund die Hälfte dem Gelbfieber erlag.
Die Verfassung eines neuen Staats tritt in Kraft
Louverture, der offenbar über einiges strategisches Geschick verfügte, gelang es, die Aufständischen unter seiner Führung zu vereinen sowie die spanischen und britischen Truppen nach und nach zurückzudrängen und schließlich 1798 zu besiegen. Just in diesem Jahr beschloss das nun in Paris regierende Direktorium, dass in Afrika oder den amerikanischen Besitzungen geborene Schwarze in Frankreich als Migranten zu gelten hatten, über deren weiteren Status individuell zu entscheiden sei. Die Sklaven, die sich selbst befreit hatten, verloren aber ihre gleichberechtigte Staatsbürgerschaft. Als sich dann 1799 abzuzeichnen begann, dass Napoleon Bonaparte erwog, die Sklaverei wieder einzuführen, kam auch Louvertures Loyalität zur Französischen Republik ins Wanken.
Am 4. Februar 1801 unterzeichnete Toussaint Louverture die Verfassung von Saint-Domingue. »Unter den Bedingungen des Kolonialismus sollte eine auf Freiheit und Gleichheit basierende Ordnung etabliert werden«, schreibt Hanke. Die Verfassung war die erste überhaupt, in der allein die Möglichkeit, ein Mensch könne Eigentum eines anderen sein, explizit ausgeschlossen wurde. Das war einzigartig. Obwohl in den Jahren zuvor unter anderem Maximilien de Robespierre (1758–1794) darauf gedrängt hatte, ein Sklavereiverbot in der französischen Verfassung festzuschreiben, war dies nicht geschehen. Von der einzigen anderen modernen Republik der westlichen Hemisphäre, den Vereinigten Staaten, war ein solches Verbot sowieso nicht zu erwarten – waren doch zahlreiche der Gründerväter selbst Sklavenhalter, allen voran der damals amtierende Präsident Thomas Jefferson (1743–1826).
Die Verfassung für Saint-Domingue beinhaltete zwar dezidiert keine Loslösung von Frankreich, Napoleon verstand sie dennoch als solche. In einem Brief an Louverture schrieb er, sie enthalte einiges, »was dem Stolz und der Souveränität des französischen Volkes« zuwiderliefe. Im Februar 1802 landete eine französische Streitmacht von mehr als 20 000 Mann unter der Führung von General Charles Victoire Emmanuel Leclerc (1772–1802), einem Schwager Napoleons, in Saint-Domingue. Ihr Auftrag war es, Toussaint Louverture festzunehmen, jedweden Aufruhr zu befrieden und die Wiedereinführung der Sklaverei durchzusetzen.
Frankreich bekam die Kolonie nicht mehr unter Kontrolle
Den ersten Teil seiner Aufgabe erledigte Leclerc umgehend: Louverture wurde Anfang Juni 1802 gefangen genommen und nach Frankreich deportiert. Nur zehn Monate darauf, am 7. April 1803, erlag er den Folgen der Haftbedingungen. Die Befriedung der Kolonie ließ sich allerdings weit schwieriger an. »Es ist notwendig, alle Schwarzen in den Bergen zu vernichten, Männer und Frauen, nur Kinder unter zwölf Jahren sollen verschont werden«, schrieb Leclerc an seinen Schwager. Anders sei die Kolonie nicht unter Kontrolle zu bringen.Der General behielt Recht, sollte jedoch den Tag, an dem die Kolonie endgültig für Frankreich verloren ging, ebenso wenig miterleben wie Louverture. Er starb wie viele seiner Soldaten am Gelbfieber. Die Schwarzen von Saint-Domingue, die sich selbst befreit hatten, kämpften unter der Führung von Jean-Jacques Dessalines (1758–1806), dem Weggefährten und Nachfolger Louvertures, weiter gegen die französischen Invasoren und schlugen diese in einer alles entscheidenden Schlacht im November 1803. Am 1. Januar 1804 proklamierte der siegreiche General die Unabhängigkeit seiner Heimat, die nun in Anlehnung an ihren ursprünglichen Namen Haiti hieß.
Sowohl die europäischen Kolonialmächte als auch die USA versagten dem jungen Staat über Jahrzehnte die Akzeptanz. Frankreich war 1825 bereit, Haiti als unabhängigen Staat anzuerkennen – unter extremen Bedingungen. »Die Vereinbarung mit Frankreich ist eines der seltenen Beispiele in der Geschichte, in dem ein militärisch siegreiches Land genötigt wurde, für seine Unabhängigkeit Reparationen zu zahlen«, weiß Hanke. Für die Anerkennung seiner Eigenständigkeit durch das frühere Mutterland musste sich Haiti unter Androhung einer neuerlichen Invasion und der Wiedereinführung der Sklaverei bereit erklären, die ungeheure Summe von 150 Millionen Goldfrancs zu bezahlen – als Entschädigung nicht nur für den Verlust von Land, sondern ausdrücklich auch für das verlorene Humankapital, die Sklaven. Die Auswirkung dieser Reparationen, die Haiti bis 1947 zu entrichten hatte, waren verheerend für das Land, das heute noch zu den ärmsten der Welt zählt.
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