Ornithologie: Papageien in Deutschland
Touristen, die spätnachmittags in Köln am Rhein spazieren gehen, erleben mitunter eine Überraschung: Plötzlich schießt ein Schwarm grüner Vögel pfeilschnell über die Köpfe der Spaziergänger hinweg und landet in den Bäumen der Promenade. Weitere Schwärme folgen. Das Kreischen der Vögel wird immer lauter. Sie klingen nicht wie heimische Tiere, aber es sind sehr viele. Was sind das für rätselhafte Wesen?
Es handelt sich um Papageien, genauer gesagt um Asiatische Halsbandsittiche (Alexandrinus manillensis, auch bekannt als Psittacula krameri; siehe »Eine neue Gattung«). Moment, Papageien in Deutschland? Leben wir in den Tropen?
Tatsächlich fühlen sich die exotischen Tiere bei uns ausgesprochen wohl. Papageien kennt man in Europa zwar schon seit über zwei Jahrtausenden, wild lebende Vertreter gab es auf dem Kontinent bislang jedoch nie. Heute stößt man in vielen europäischen Ländern auf große Schwärme, die nicht zu überhören sind. Halsbandsittiche gelten als die Papageien mit der größten natürlichen Verbreitung und den meisten eingebürgerten Populationen weltweit. Meine eigene wissenschaftliche Beschäftigung mit den grünen Vögeln begann, als das Umweltamt der Stadt Heidelberg einen Forscher suchte, der die Beschädigung von Fassaden durch Halsbandsittiche untersucht. Die Vögel nisten gern an Hauswänden und nagen an den Isolierschichten, so dass das Styropor wie Schnee zu Boden rieselt.
Die erstaunliche Karriere der Linksfüßer
Charakteristisch für die attraktiven, smaragdgrünen Papageien sind ihr roter Schnabel, der lange blaue Schwanz sowie das namensgebende schwarz-rosa Halsband, das die Männchen tragen. Mittlerweile existieren ähnlich wie beim Wellensittich auch viele Farbmutationen beim Halsbandsittich. Die bisher mehr als 30 bekannten Formen umfassen gelbe, weiße, blaue und gescheckte Varianten. Kurios erscheint eine Beobachtung, die wir bereits 2009 in Heidelberg gemacht haben: Halsbandsittiche sind überwiegend Linksfüßer.
Bereits im Altertum wurden die Tiere in ihrer Heimat Indien gefangen und nach Europa verkauft, obwohl sie mit ihrer lauten Stimme und ihrem starken Nagetrieb nicht als optimale Heimvögel gelten. Hier zu Lande startete ihre Karriere als frei lebende Vögel vor mehr als 50 Jahren in Köln. Wie sie genau in die Freiheit gelangten, bleibt mysteriös. Der Kölner Zoo hatte Halsbandsittiche nicht in seinem Repertoire, trotzdem tauchten 1967 die ersten Exemplare auf dem dortigen Freigelände auf. Möglicherweise entkamen einem benachbarten Züchter einige Tiere, als ein Sturm dessen Volieren beschädigt hatte. Nachdem die Vögel dank menschlicher Unterstützung die ersten Winter überstanden hatten, schafften sie es 1969, im Freiland zu brüten.
Unabhängig voneinander entstanden in den 1970er Jahren durch entflogene Heimvögel zeitgleich Ansiedlungen von Halsbandsittichen in zahlreichen mitteleuropäischen Städten: im Raum Mannheim-Heidelberg sowie in Worms, Wiesbaden, Bonn, Brühl, Hamburg und Berlin. In Österreich begann die Geschichte der frei lebenden Sittiche im Innsbrucker Hofgarten, später gab es weitere in Wien.
Hart im Nehmen
Doch wie überleben die Tiere deutsche Winter? Papageien und Schnee – das Bild will einem nicht in den Kopf. Viele Papageien in Haltung – auch Halsbandsittiche – benötigen ein beheiztes oder zumindest frostfreies Schutzhaus. Den ersten frei lebenden Sittichen stellten Vogelliebhaber in den 1970er Jahren mancherorts im Winter sogar Wärmelampen zur Verfügung, damit die Tiere nicht zu arg frieren mussten.
Eine neue Gattung
Als meine Kollegen und ich die Genetik der Halsbandsittiche genauer analysierten, machten wir eine erstaunliche Entdeckung: Die früher als Unterarten deklarierten Afrikanischen und Indischen Halsbandsittiche (Psittacula krameri krameri und Psittacula krameri manillensis) unterscheiden sich genetisch so stark, dass wir 2016 eine neue Gattung Alexandrinus vorschlugen, zu der die Art Asiatischer Halsbandsittich (Alexandrinus manillensis) gehört. Der Gattungsname leitet sich von Alexander dem Großen (356–323 v. Chr.) ab, unter dessen Herrschaft die ersten Papageien von Indien nach Griechenland gelangten. Kurioserweise haben sich die asiatischen Vertreter des Halsbandsittichs auch in Afrika als Neubürger etabliert. Somit leben hier gleich zwei Halsbandsitticharten nebeneinander: eine einheimische sowie eine eingeführte.
Braun, M. P. et al.: Phylogenie und Taxonomie der Edelsittiche (Psittaciformes: Psittaculidae: Psittacula), mit Beschreibung von drei neuen Gattungen. Vogelwarte 54, 2016
Während die Papageien in den warmen Rheinstädten bis heute vorkommen, sind sie im kalten Innsbruck und auch in Wien sowie in Hamburg und Berlin wieder ausgestorben. In Mitteleuropa können sie offensichtlich nur in klimatisch begünstigten Gegenden überleben. Das leuchtet auf den ersten Blick ein. Als wir jedoch 2018 den Einfluss der Kälte auf die Population der Halsbandsittiche analysierten, wurden wir eines Besseren belehrt. Weder strenge Winter bis minus 13,7 Grad Celsius noch kühle Witterungsbedingungen in der Brutzeit im März und April konnten die Bestandsschwankungen innerhalb des Beobachtungszeitraums von 16 Jahren erklären. Die Sittiche litten offenbar viel weniger als vermutet unter der Witterung. Allerdings scheint die relativ frühe Brutzeit ihre Ausbreitung nach Norden zu behindern.
Den größten Einfluss auf die Population dürfte das Sozialverhalten ausüben: Lagen die Schlafplätze über mehrere Jahre stabil an einem Ort, so wuchs der Bestand der Halsbandsittiche auch nach kalten Wintern. Wechselten die Vögel dagegen öfter ihre Schlafbäume, so dauerte es eine ganze Weile, bis sich die Schwärme wieder erholten.
Ein wichtiger Faktor im Winter stellt allerdings die Frostempfindlichkeit der Füße dar. Verbringen die Halsbandsittiche in der kalten Jahreszeit die Nacht im Freien und sitzen dabei auf Metall, frieren ihnen manchmal an den längeren Zehen die Krallen oder sogar die Zehenglieder ab. In Heidelberg war ein Drittel der Alttiere von solchen Frostschäden betroffen. Im Extremfall haben manche Individuen keine Krallen mehr und können sich nicht richtig festhalten. Wie die Biologin Ulrike Ernst an der Universität zu Köln 1995 beobachtete, benötigte ein krallenloses Weibchen 80 Anläufe, um in seine Bruthöhle zu kommen. Bei der Paarung stürzte das Männchen immer wieder ab, weil seine Partnerin den Halt verlor.
Umfangreicher Speiseplan
In menschlicher Obhut verspeisen die meisten Papageien Körner wie Sonnenblumen oder Hirse. Dieses Futter steht den Halsbandsittichen in unseren Städten nur selten zur Verfügung. Doch die intelligenten Tiere haben sich sehr schnell auf die hiesigen Bedingungen eingestellt und ernähren sich von den zahlreichen heimischen und exotischen Sträuchern sowie von den Futterstellen für Wildvögel. Die wild lebenden Papageien fressen Knospen, Blüten, Früchte und Triebe von mindestens 85 verschiedenen Gehölzarten. Zusätzlich erfreuen sie sich an Erdnusssäckchen oder Meisenknödeln auf den Balkons und in den Gärten der Menschen.
Als Höhlenbrüter sind Halsbandsittiche wie fast alle anderen Papageien auf Specht- oder Fäulnishöhlen von alten Bäumen angewiesen. Platanen in den Parks der warmen Rheinstädte stellen mit ihren zahlreichen Hohlräumen ideale Brutplätze für sie dar. Diese großwüchsigen Bäume sind bei uns nicht heimisch, eignen sich aber gut für das Stadtklima und profitieren wie die Sittiche vom Klimawandel. Beste Chancen, frei lebende Papageien zu beobachten, haben Interessierte im Februar oder März. Dann tragen die Bäume noch keine Blätter, und die Bruthöhlen sind bereits seit dem Spätwinter besetzt.
In den 2000er Jahren schafften es Halsbandsittiche zum Leidwesen der Hausbesitzer, die von Spechten gehackten Löcher in Wärmedämmverbundsystemen an Hausfassaden als neuen Brutraum zu erobern. Der Wandel vom Baumhöhlenbrüter zum Fassadenbrüter hat sich recht schnell vollzogen. Die Vögel nutzen nicht nur Isolierwände mit ihrer Styroporschicht als Brutplatz, sondern auch Nistkästen oder andere Höhlen in Fassadenverkleidungen. Mittlerweile haben Halsbandsittiche sogar an den Mauerlöchern des altehrwürdigen Heidelberger Schlosses Gefallen gefunden.
Auf Grund der langen Brutzeit von insgesamt zehn Wochen brüten Halsbandsittiche nur einmal pro Jahr. Dabei legen sie durchschnittlich vier Eier, und zwei Jungtiere fliegen aus dem Nest. Die Entwicklung der Jungen dauert dreimal länger als bei gleich großen Singvögeln. Der Erfolg der Sittiche beruht jedoch nicht unbedingt auf der Anzahl der Nachkommen, sondern vielmehr auf ihrer Langlebigkeit.
Eine hohe Lebenserwartung
Laut Literatur werden Halsbandsittiche im Alter von zwei bis drei Jahren geschlechtsreif. Beringungsdaten an den Heidelberger Sittichen zeigten jedoch, dass schon einjährige Weibchen erfolgreich gebrütet haben. Diese Tatsache erhöht die Menge an geschlechtsreifen Tieren erheblich. Zweijährige Männchen, denen ein ausgefärbtes Halsband noch fehlt, können bereits verpaart sein. Das älteste mit Vogelringen der Vogelwarte Radolfzell versehene Weibchen in der Heidelberger Population brütete zwölf Jahre in Folge hintereinander. Zum Zeitpunkt der Beringung war das Tier mindestens zwei Jahre alt, so dass wir von einem Alter von 14 Jahren oder mehr in Freiheit ausgehen können. Die für einen kleinen Wildvogel erstaunliche Lebenserwartung entspricht ungefähr jener von Großvögeln wie Störchen. In menschlicher Obhut können Halsbandsittiche sogar 50 Jahre alt werden.
Auch wenn die Sittiche erst seit fünf Jahrzehnten in Europa wild leben, haben sie sich in ihrem Körperbau an die hiesigen Verhältnisse angepasst. Wie wir 2016 zusammen mit französischen und spanischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herausgefunden haben, zeichnen sich die europäischen Halsbandsittiche im Vergleich zu den ursprünglichen asiatischen Populationen durch längere Flügel sowie durch breitere und kräftigere Schnäbel aus.
Das beruht vermutlich auf der Anpassung an eine härtere Nahrung und ein kälteres Klima. Ebenso konnten wir nachweisen, dass die Sittiche im kühlen Europa deutlich schwerer werden als die in ihren tropischen Heimatländern. Die Größenzunahme vom Äquator Richtung Pol kennen Biologen als »bergmannsche Klimaregel«. Ein typisches Beispiel hierfür stellen Pinguine dar: Die größten Arten, die Kaiserpinguine, leben in der Antarktis und verlieren durch ihre im Vergleich zur Körpergröße geringere Oberfläche weniger Körperwärme als ihre kleineren Verwandten. Die kleinsten Pinguine kommen an den Stränden Australiens sowie auf den Galapagosinseln nahe dem Äquator vor und haben daher keine Probleme mit dem Wärmeverlust, der mit einer vergleichsweise großen Körperoberfläche einhergeht.
Eine weitere Anpassung zeigt sich im Verhalten der Papageien: Halsbandsittiche fliegen oft sehr tief – manchmal auf Höhe von Radfahrern oder flach über dem Fluss. Diese riskanten Flugmanöver dienen der Feindabwehr, denn so knapp über dem Boden erbeutet sie kein Wanderfalke.
Bestandserfassung am Schlafplatz
Jeden Abend sammeln sich große Schwärme der geselligen Papageien an gemeinsamen Schlafplätzen in den warmen Stadtzentren, um in wenigen Bäumen zu übernachten. Dabei findet sich mitunter die gesamte Population einer Stadt auf einem zentralen Platz oder an einer beleuchteten und viel befahrenen Straße ein. Große Ansammlungen von Artgenossen scheinen die Vögel wie magisch anzuziehen; der einzelne Sittich ist dort recht gut vor Fressfeinden geschützt.
Große Ansammlungen von Artgenossen scheinen die Vögel wie magisch anzuziehen
Dieses Sozialverhalten erleichtert uns die Bestandserfassung von wild lebenden Papageien. Dabei deckt ein Team von Freiwilligen die unterschiedlichen Flugrouten ab. Mindestens eine halbe Stunde vor dem abendlichen Einflug begeben sich die Helfer an ihre Positionen, zählen alle einfliegenden Schwärme und addieren am Schluss ihre Ergebnisse. Was einfach klingt, erweist sich in der Praxis manchmal als knifflig. Zwar kennen wir mittlerweile die meisten Schlafplätze, doch mitunter wechseln die Sittiche ihren Ort. Bei sehr großen Ansammlungen lassen sich die einfliegenden Schwärme nur von geübten Personen sicher abschätzen.
Wie haben sich nun die Bestände in Deutschland entwickelt? Als in den 1970er Jahren die ersten Bruten von frei lebenden Halsbandsittichen bekannt wurden, glaubte niemand, dass die Tiere sich hier dauerhaft ansiedeln könnten. Ausgehend von einem oder wenigen Paaren bildeten sich aber im Lauf der Jahre immer größere Schwärme.
In Wiesbaden zählten ab 1975 der Wiesbadener Hobbyornithologe Dieter Zingel, später dann sein Mainzer Kollege Detlev Franz sowie inzwischen auch die Vogelfreunde der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz die Population der Halsbandsittiche. Die Entwicklung ist daher außergewöhnlich gut dokumentiert und zeigt, dass ein einziges Brutpaar eine eigenständige und lebensfähige Population begründen kann, die sich heute – also nach knapp fünf Jahrzehnten – aus mehr als 4000 Tieren zusammensetzt. In Köln entstand innerhalb von nur 30 Jahren eine Population von 1000 Halsbandsittichen. 2016 schätzten wir zusammen mit Kollegen aus sechs europäischen Ländern den Sittichbestand in Deutschland auf knapp 11 000 und in Europa auf mehr als 85 000 Exemplare. Mittlerweile dürften hier zu Lande über 20 000 und auf dem gesamten Kontinent etwa 100 000 Papageien dieser aus Südasien stammenden Art leben.
Ein einziges Brutpaar kann eine eigenständige und lebensfähige Population begründen
Wenngleich häufig behauptet wird, dass sich die Papageien entlang des Rheins ausbreiteten, stimmt das nicht ganz. Sie haben sich zwar in den Rheinstädten etabliert, es fand aber keine überregionale Ansiedlung statt. Ihr Ausbreitungsvermögen erscheint somit stark eingeschränkt. Noch heute leben sie an den Orten, an denen sie vor Jahrzehnten frei gelassen wurden.
Der große Cousin
Neben den Halsbandsittichen haben es auch andere Papageienarten geschafft, die Großstädte der Erde zu erobern (siehe Zusatzartikel »Invasion der Papageien«). Mindestens 48 Spezies wurden seit dem 19. Jahrhundert in Europa absichtlich frei gelassen, und bis zu 40 haben wenigstens einmal im Freiland gebrütet. Zu den inzwischen in Deutschland heimischen Arten zählt der Große Alexandersittich (Palaeornis eupatria, früher Psittacula eupatria genannt), der etwa doppelt so schwer ist wie der Asiatische Halsbandsittich. Die Tiere mit ihrem großen Schnabel und ihrem roten Schulterfleck leben in Südasien in etlichen Gebieten gemeinsam mit dem viel häufigeren kleinen Verwandten. Durch den Fang für den Heimtiermarkt gilt der Große Alexandersittich in seinen Heimatländern zunehmend als bedroht. Seine Geschichte in Deutschland setzte erst 20 Jahre nach den ersten Ansiedlungen der Halsbandsittiche ein, so dass diese Papageien bei uns noch deutlich seltener auftreten. Die erste Brut in Europa fand 1988 in Wiesbaden statt; in Köln sind Bruten seit 1993 bekannt. Sowohl im Rheinland als auch im Rhein-Main-Gebiet nehmen die Bestände des Großen Alexandersittichs aktuell stark zu. Heute gehören sie wie die Halsbandsittiche längst zum gewohnten Stadtbild der Rheinstädte. Die Art brütet inzwischen ebenfalls in anderen europäischen Ländern wie Belgien, den Niederlanden, Griechenland und der Türkei. In Deutschland leben über 2000 Individuen; sie stellen damit die größte bekannte Population dieser als Wildvogel mittlerweile bedrohten Spezies außerhalb Asiens dar.
Über die Brutbiologie und Ökologie dieser großen Sittichart bei uns ist bislang nur sehr wenig bekannt. Sie brütet überwiegend in Platanen und verdrängt zunehmend die kleineren Halsbandsittiche aus den Kolonien. Bislang fehlen zum Alexandersittich systematische Untersuchungen zu Bruterfolg, Entwicklung, Überleben, Geschlechtsreife und Raumnutzung.
Schon länger als der Große Alexandersittich lebt die Gelbkopfamazone (Amazona oratrix) in Deutschland. Der ursprünglich aus Mexiko stammende taubengroße Vogel ist auf Grund seiner Sprachbegabung als Heimtier sehr beliebt. Die erste Freilandbrut fand 1986 auf dem Gelände des Stuttgarter Zoologisch-Botanischen Gartens Wilhelma statt. Seitdem stieg der Bestand des bedrohten und territorial lebenden Papageis langsam an, nahm aber seit Anfang der 2000er Jahre nicht so an Fahrt auf wie bei den anderen beiden Sittichen. Vielmehr bleibt die Population mit 40 bis 60 Tieren stabil. Auch diese Papageienart brütet bevorzugt in Platanen.
Ausgesetzte Tiere sterben meist schon nach wenigen Stunden oder Tagen
Freilandbruten oder Brutversuche unternahmen in Deutschland außerdem der Graupapagei, das Rosenköpfchen, der Tarantapapagei, die Blaustirnamazone, die Venezuelaamazone, der Braunohrsittich, der Mönchssittich, der Wellensittich, der Senegalpapagei, der Singsittich sowie der Regenbogenlori. Keine dieser Arten konnte sich bei uns etablieren. Ausgesetzte Tiere sterben meist schon nach wenigen Stunden oder Tagen, weil sie nichts zu fressen finden oder Greifvögeln zum Opfer fallen.
Die außergewöhnlichste Spezies unter den frei lebenden Papageien in Deutschland stellt der mittlerweile wieder verschwundene Karolinasittich (Conuropsis carolinensis) dar. In seiner Heimat Nordamerika wurde die Art in großen Zahlen von den weißen Siedlern geschossen. Die überlebenden Sittiche kamen herunter auf den Boden, um den sterbenden Artgenossen zu helfen. Die Farmer töteten dann rücksichtslos auch diese Tiere – ein trauriges Beispiel für das maßlose Ausbeuten der Natur durch den Menschen. Mit dem Tod eines Karolinasittichs im Zoo von Cincinnati 1918 gilt die Spezies seit 1939 als ausgestorben.
In Deutschland hätte der Karolinasittich beinahe durch den Ornithologen Hans Freiherr von Berlepsch (1857–1933) überlebt. Der Gründer der ersten deutschen staatlich anerkannten Vogelschutzwarte im thüringischen Seebach und Erfinder der Nistkästen (»berlepsche Nisthöhle«) kaufte 1874 einige Karolinasittiche, die damals normal im Tierhandel erhältlich waren. Bald darauf ließ er sie auf seinem Grundstück in Seebach fliegen. Nach kurzer Zeit brüteten die Tiere dort auch in Freiheit und vermehrten sich auf mehr als 20 Individuen. Mit der steigenden Größe des Schwarms unternahmen die Vögel Ausflüge in die Umgebung. Irgendwann kehrten Berlepschs Sittiche jedoch nicht mehr zurück. Erst Jahrzehnte später fand er in einer 50 Kilometer entfernten Dorfkneipe Überreste seiner Tiere. Der Kneipenwirt hatte die Vögel binnen weniger Tage von seiner Hoflinde heruntergeschossen, und wie in Nordamerika waren auch hier die Überlebenden immer wieder auf den Boden gekommen, wo sie das gleiche Schicksal ereilte.
Probleme mit den Neubürgern
Bei den Papageien in Europa handelt es sich um tierische Neubürger, also um Neozoen (von griechisch neos = neu und zoon = Tier). Bedrohen diese neuen Arten die heimischen Ökosysteme? Zurzeit stehen Halsbandsittiche und andere Papageienspezies nicht auf der EU-Liste der invasiven Arten. Das liegt daran, dass die Populationen auf die Städte beschränkt bleiben und negative Auswirkungen bislang nur lokal auftreten. Während Sittiche und Fledermäuse in einem Stadtpark in Sevilla stark um Bruthöhlen konkurrieren, fanden wir in Heidelberg in einem Zeitraum von 16 Jahren nie Fledermäuse in Nistkästen, obwohl viele davon nicht von Papageien oder anderen Vögeln besetzt waren. Vielleicht nutzen die Stadtfledermäuse andere Quartiere als Sittiche, etwa die Gesimse von Gebäuden. Es gibt jedoch auch Hinweise darauf, dass die in Deutschland streng geschützten Fledermausarten sogar gezielt die Brutkolonien der Sittiche aufsuchen, um dort ihre Jungen aufzuziehen. Möglicherweise profitieren die Fledermäuse von den großräumigen Höhlen, die durch die jahrzehntelange Nagetätigkeit der Sittiche entstehen.
Belgische Wissenschaftler befürchteten 2009, dass der Kleiber (Sitta europaea) durch die Konkurrenz zum Halsbandsittich benachteiligt wäre. Doch trotz der Zunahme der belgischen Sittichpopulation wuchsen gleichzeitig die Bestände des Kleibers. Britische Forscher konnten 2011 keinen negativen Effekt des Halsbandsittichs auf heimische Arten nachweisen. Demnach wehren Kleiber die Papageien erfolgreich ab, indem sie ihren Nesteingang mit Lehm verkleben. Diesen Trick – von dem sich der Name Kleiber ableitet – setzen die Vögel auch gegen heimische Konkurrenten und Fressfeinde wie Buntspechte ein.
2011 untersuchten wir in einer breit angelegten Studie in Deutschland, inwieweit der Halsbandsittich mit dem Star (Sturnus vulgaris) um Baumhöhlen konkurriert. Wie sich herausstellte, nutzt dieser Singvogel sowohl andere Baumarten als auch kleinere Bäume für seine Bruthöhlen. Außerdem erhöhen die Sittiche durch ihre Nagetätigkeit die Anzahl der Höhlen deutlich. Davon profitieren wiederum die seltenen heimischen Hohltauben. Normalerweise nutzen sie die großen Höhlen von Schwarzspechten, die jedoch in Städten nicht häufig vorkommen. Stattdessen übernehmen hier die Hohltauben die nach dem Ausfliegen der jungen Sittiche frei gewordenen Bruthöhlen.
Während Halsbandsittiche in ihrer ursprünglichen Heimat Indien zu den ärgsten Landwirtschaftsschädlingen zählen und selbst geschlossene Getreidesäcke mit ihren starken Schnäbeln öffnen können, sind sie bei uns Stadttiere geblieben. Ein Problem stellen allerdings die Bruten von Halsbandsittichen in Wärmedämmverbundsystemen von Hauswänden dar. Hier übernehmen die Papageien von Spechten gefertigte kleinere Löcher. Mit ihrem starken Nagetrieb entfernen sie große Mengen an Dämmmaterial und erweitern die Höhlen – ein enormer Schaden für die Hausbesitzer.
Mit passenden Nistkästen und dem Verschließen der alten Höhlen außerhalb der Brutzeit lassen sich die Schäden an den Fassaden relativ einfach in den Griff bekommen. In Gebieten, wo die Papageien mit Fledermäusen um Höhlen konkurrieren, sollten zahlreiche spezielle Fledermauskästen angebracht werden, in welche die Sittiche nicht eindringen können. Für Forschungszwecke lassen sich Nistkästen nutzen, die sich für beide eignen und in welche die Fledermäuse jederzeit flüchten können. Generell gibt es bei Nisthilfen noch viel Optimierungsbedarf, sowohl was das Design als auch was den spezifischen Ort der Ausbringung betrifft.
Manche Anwohner beschweren sich über den Lärm und den Kot, den die Papageien hinterlassen. Während das Gezeter der Sittichschwärme am Schlafplatz nur kurzzeitig andauert, bis sie ihre Schlafposition gefunden haben, können gegen die Kotverschmutzung technische Lösungen wie ein so genannter Guanoschirm helfen. Werden Sittiche von ihrem Schlafplatz vertrieben, führt das vor allem zu Unruhe im Schwarm und verlagert letztlich nur das Problem.
Ein fester Bestandteil unserer Natur
Das Bild von den Papageien in Europa hat sich im Lauf der Jahre deutlich gewandelt. Zunächst erschienen sie als Kuriosität, und jeder fand es erstaunlich, dass die kleinen Sittiche draußen überleben können. Egal, wie wir zu diesen Neubürgern stehen, sie sind zu einem festen Bestandteil unserer Natur geworden und gehören inzwischen zu den normalen Brutvögeln unserer Städte. Auch wenn etwaige negative Auswirkungen der Halsbandsittiche auf die heimischen Arten häufig in den Vordergrund der wissenschaftlichen Diskussion gestellt werden, treten diese Effekte in Europa doch eher lokal und nicht überall gleichermaßen auf, wie eine internationale Studie 2019 bestätigte.
Die Zukunft für Papageien sieht gut aus in Europa
Auf Grund der Klimaerwärmung werden die Papageien vermutlich Gebiete besiedeln, die ihnen bislang klimatisch verschlossen blieben. Das deutet sich bereits in den osteuropäischen Staaten an.
Die Zukunft für Papageien sieht also gut aus in Europa – wenn wir sie lassen. Wegen steigender Bestände und neu hinzugekommener Spezies gibt es aber noch viel zu erforschen, damit wir die Ökologie dieser Arten und ihre Rolle in der Natur bei uns besser verstehen. Daher zum Schluss ein kleiner Hinweis in eigener Sache: Für die jährlichen Bestandserfassungen an den Schlafplätzen der Papageien werden immer Helfer gesucht. Wer Lust hat, kann sich gerne melden.
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