Klimawandel: Harte Hölzer
Bäume wandern. In Alaska ist es relativ warm. Und ja doch - sie können dem vertrauen, was Sie hier lesen. Von Eiszeitalter zu Nach-Eiszeitalter wälzt sich sich eben einiges revolutionär um.
Könnten Amerikas Fichten ihren Enkeln Geschichten von früher erzählen, dann würde die Eiszeit sicher eine ziemlich große Rolle spielen: "Wo unsere Urgroßeltern herkamen, das war nichts für euch verweichlichte Jungspunde", hieße es, und "da kamen echt nur die härtesten durch, einst, nördlich von Klondike". Womit die Familiengeschichte der gemeinen nordamerikanischen Weiß-Fichte Picea glauca tatsächlich ziemlich gut umrissen wäre – die Bäume mussten einst wirklich durch die Eishölle gehen, um zu dem dominierenden, allüberall wuchernden Allerweltsbaum zu werden, der sie heute zwischen Nordpazifik und Nordatlantik sind. Ort der Handlung der Fichtenopa-Geschichte: Die Gegend, die einmal Alaska und Kanada genannt werden würde. Zeit der Weißfichten-Saga: Das letzte glaziale Maximum, vor 17 000 bis 25 000 Jahren.
Wo eine Wissenschaftlergruppe sich sicher ist, widerspricht allerdings ganz sicher eine andere. Und nicht ohne Argumente: Da finden sich zum Beispiel uralte Pollen von Fichten in eiszeitalten Sedimenten von Seen, die ziemlich weit im Norden Alaskas liegen. Wo kamen diese Pollen damals her? Mit dem Wind aus dem tiefen Süden übers Eis verblasen, oder doch von lokalen Gewächsen, die dort über Jahrtausende der Kälte kümmerten, ihr aber trotzten? Wenn irgendwo ein Nord-Baum die widrige Kältephase hat überstehen können, so die Wissenschaftler weiter, dann im pazifikseitigen, Beringia genannten Landstrich des Yukon, der während der Eiszeit möglicherweise durch kleinteilige Klimaoasen mit relativer Wärme punkten konnte.
Haben Weiß-Fichten also in nordischen Refugien überlebt und ihre Gene in die heutige Baum-Population eingebracht – oder nicht? Der Streit zwischen Forschergemeinde A und Wissenschaftlerlager B tobt eigentlich seit 1937, als der schwedische Botaniker Eric Hultén erstmals "Beringia" als einen während der Eiszeit gemäßigten Rückzugsraum postulierte. Jetzt aber sollte der Streit beigelegt werden, meinen Feng Sheng Hu und seine Kollegen von der Universität von Illinois – ihr genetischer Weiß-Fichten-Abstammungsnachweis neige die Waage der Argumente eindeutig in eine Richtung.
Die Wissenschaftler entzifferten das Erbgut der Chloroplasten von 326 Weiß-Fichten an 24 Standorten, die entlang der möglichen Ausbreitungsrichtung der Baumspezies nach dem Ende der Eiszeit wuchsen – genauer, vom pazifiknahen Alaska bis zum Atlantik an der nördlichen Grenze der USA. Chloroplasten sind zur Fotosynthese dienende Organellen, die ihr eigenes kleines ringförmiges Stück "cpDNA" mit den Pollen nur vom Vater- auf den Sohn- und Tochterbaum übertragen. In der männlichen Erblinie entlarvten die Forscher drei variable, prominente Veränderungen, die sich zu typischen Kombinationen und Ahnenreihen kombinieren ließen.
Eine der Drei-Eigenschaften-Kombination, der so genannte Haplotyp 1, erwies sich dabei als der älteste – er zeigte die größte Ähnlichkeit zu Schwarz-Fichte und unserer heimischen Gemeinen Fichte, alten Schwesterarten der Weiß-Fichte. Sowohl die alten Gene von Haplotyp 1 als auch die anderen Haplotypen fanden die Baumforscher aber an allen durchsuchten Waldstücken der Weiten Nordamerikas. Chloroplasten-DNA mutiert nur selten und daher extrem langsam – alle Genvarianten müssen schon lange vor dem letzten glazialen Maximum existiert und in einem gemeinsamen Schmelztiegel von Norden bis Süden durchmischt haben. Dann kam das Eis.
Und damit ein evolutionärer Flaschenhals. Oder, wie eben die Weiß-Fichten-Opas sagen würden: Nur die härtesten kamen durch. Genvarianten starben also im kalten Norden aus, und zwar, nach der Meinung des Wissenschaftlerlagers B, alle. Die DNA-Mischung der modernen Fichten des Nordens sollten dann allerdings nicht anders aussehen als jene des Südens – von wo aus die Bäume nach dem großen Tauen wieder vordrangen und ihren Südland-Haplotypen-Mix mitbrachten. Tatsächlich aber dominiert den Süden heute eine andere Haplotypen-Mischung als den Norden: Dort, im Yukon und angrenzenden Wäldern, dominiert ein alter Haplotyp, der weiter südlich viel seltener ist – er muss von Überlebenden der Eiszeit stammen, die im Kernbereich Beringias überwintert haben und nach Eiszeit-Ende jene Gegenden besiedelten, welche die aus dem Süden vorrückende Baumfront erst später erreicht hat, so Hu und seine Kollegen.
In Beringia, so schließen die Forscher, muss also vor rund 20 000 Jahren Überleben trotz des Eises möglich gewesen sein – und auch wenn Pflanzen wie Picea glauca scheinbar härter im Nehmen sind, als man sich vorstellen konnte, sind sie zugleich wohl auch von Süden aus langsamer vorangekommen, als Optimisten der Wiederbesiedlungsfähigkeiten dies bisher in Modellrechnungen annahmen. Pessimistisch schreiben Hu und Co, das Picea glauca und seine Baumverwandtschaft derartige Hartholzigkeit bald wieder wird brauchen können. Diesmal wird es allerdings wohl wärmer, nicht kälter – der Klimawandel lässt grüßen. Hoffentlich wandern die Bäume wenigstens anschließend, in besseren Zeiten, schnell genug, um ehemals angestammte Territorien zurückzuerobern. Welche Wissenschaftlermeinung dann auf sie wartet, steht in den Sternen.
Wobei einige menschliche Forscher den Weiß-Fichten (könnten diese reden) Aufschneiderei vorwerfen würden. Denn viele Baumevolutions-Historiker glauben kein Wort: Niemals hätte P. glauca hoch im Norden eine Eiszeit überlebt. Alle heute in Nord-Amerika lebenden Weiß-Fichten, so ihr Credo, stammen vielmehr von Bäumen ab, die im Süden die Eiszeit in erträglicherem Klima abgewartet haben. Sie folgten dann dem tauenden Eis nach dem Ende des Glazials auf dem Fuß und eroberten in den Jahrtausenden auch den Norden zurück. Ein harter Weiß-Fichten-Überlebender aus Alaska, der Baumadam Amerikas? Niemals.
Wo eine Wissenschaftlergruppe sich sicher ist, widerspricht allerdings ganz sicher eine andere. Und nicht ohne Argumente: Da finden sich zum Beispiel uralte Pollen von Fichten in eiszeitalten Sedimenten von Seen, die ziemlich weit im Norden Alaskas liegen. Wo kamen diese Pollen damals her? Mit dem Wind aus dem tiefen Süden übers Eis verblasen, oder doch von lokalen Gewächsen, die dort über Jahrtausende der Kälte kümmerten, ihr aber trotzten? Wenn irgendwo ein Nord-Baum die widrige Kältephase hat überstehen können, so die Wissenschaftler weiter, dann im pazifikseitigen, Beringia genannten Landstrich des Yukon, der während der Eiszeit möglicherweise durch kleinteilige Klimaoasen mit relativer Wärme punkten konnte.
Haben Weiß-Fichten also in nordischen Refugien überlebt und ihre Gene in die heutige Baum-Population eingebracht – oder nicht? Der Streit zwischen Forschergemeinde A und Wissenschaftlerlager B tobt eigentlich seit 1937, als der schwedische Botaniker Eric Hultén erstmals "Beringia" als einen während der Eiszeit gemäßigten Rückzugsraum postulierte. Jetzt aber sollte der Streit beigelegt werden, meinen Feng Sheng Hu und seine Kollegen von der Universität von Illinois – ihr genetischer Weiß-Fichten-Abstammungsnachweis neige die Waage der Argumente eindeutig in eine Richtung.
Die Wissenschaftler entzifferten das Erbgut der Chloroplasten von 326 Weiß-Fichten an 24 Standorten, die entlang der möglichen Ausbreitungsrichtung der Baumspezies nach dem Ende der Eiszeit wuchsen – genauer, vom pazifiknahen Alaska bis zum Atlantik an der nördlichen Grenze der USA. Chloroplasten sind zur Fotosynthese dienende Organellen, die ihr eigenes kleines ringförmiges Stück "cpDNA" mit den Pollen nur vom Vater- auf den Sohn- und Tochterbaum übertragen. In der männlichen Erblinie entlarvten die Forscher drei variable, prominente Veränderungen, die sich zu typischen Kombinationen und Ahnenreihen kombinieren ließen.
Eine der Drei-Eigenschaften-Kombination, der so genannte Haplotyp 1, erwies sich dabei als der älteste – er zeigte die größte Ähnlichkeit zu Schwarz-Fichte und unserer heimischen Gemeinen Fichte, alten Schwesterarten der Weiß-Fichte. Sowohl die alten Gene von Haplotyp 1 als auch die anderen Haplotypen fanden die Baumforscher aber an allen durchsuchten Waldstücken der Weiten Nordamerikas. Chloroplasten-DNA mutiert nur selten und daher extrem langsam – alle Genvarianten müssen schon lange vor dem letzten glazialen Maximum existiert und in einem gemeinsamen Schmelztiegel von Norden bis Süden durchmischt haben. Dann kam das Eis.
Und damit ein evolutionärer Flaschenhals. Oder, wie eben die Weiß-Fichten-Opas sagen würden: Nur die härtesten kamen durch. Genvarianten starben also im kalten Norden aus, und zwar, nach der Meinung des Wissenschaftlerlagers B, alle. Die DNA-Mischung der modernen Fichten des Nordens sollten dann allerdings nicht anders aussehen als jene des Südens – von wo aus die Bäume nach dem großen Tauen wieder vordrangen und ihren Südland-Haplotypen-Mix mitbrachten. Tatsächlich aber dominiert den Süden heute eine andere Haplotypen-Mischung als den Norden: Dort, im Yukon und angrenzenden Wäldern, dominiert ein alter Haplotyp, der weiter südlich viel seltener ist – er muss von Überlebenden der Eiszeit stammen, die im Kernbereich Beringias überwintert haben und nach Eiszeit-Ende jene Gegenden besiedelten, welche die aus dem Süden vorrückende Baumfront erst später erreicht hat, so Hu und seine Kollegen.
In Beringia, so schließen die Forscher, muss also vor rund 20 000 Jahren Überleben trotz des Eises möglich gewesen sein – und auch wenn Pflanzen wie Picea glauca scheinbar härter im Nehmen sind, als man sich vorstellen konnte, sind sie zugleich wohl auch von Süden aus langsamer vorangekommen, als Optimisten der Wiederbesiedlungsfähigkeiten dies bisher in Modellrechnungen annahmen. Pessimistisch schreiben Hu und Co, das Picea glauca und seine Baumverwandtschaft derartige Hartholzigkeit bald wieder wird brauchen können. Diesmal wird es allerdings wohl wärmer, nicht kälter – der Klimawandel lässt grüßen. Hoffentlich wandern die Bäume wenigstens anschließend, in besseren Zeiten, schnell genug, um ehemals angestammte Territorien zurückzuerobern. Welche Wissenschaftlermeinung dann auf sie wartet, steht in den Sternen.
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