Direkt zum Inhalt

Doping: Hase und Igel

Mehrfach wurden in London wieder Dopingsünder erwischt und von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Selbst manch einer der Goldmedaillengewinner musste sich kritischer Fragen erwehren. Doch auch wenn die Labordetektive ihnen auf den Fersen sind: Die Tricks der Betrüger werden immer raffinierter.
Doping

Irgendwann im Jahr 2007, 90 Minuten bis zum Start: In der Unterkunft von Tatjana Tomaschowa, der zweifachen Weltmeisterin über 1500 Meter, klingelt es an der Tür. Ihr Trainer – oder vielleicht ihr medizinischer Betreuer – kommt herein, im Gepäck einen Beutel Urin und ein kleines Röhrchen. Tomaschowa verschwindet im Bad, entleert ihre Blase, führt sich das sechs Zentimeter lange Röhrchen transvaginal ein (oder lässt es sich entspannt einführen) und füllt so ihre Blase mit dem fremden Urin. Wenig später läuft sie eine Spitzenzeit. In der unmittelbar im Anschluss genommenen Urinprobe finden die Kontrolleure keine Spuren eines Dopingmittels.

So oder so ähnlich müsse es bei Tomaschowa und sechs weiteren russischen Athletinnen von Weltrang abgelaufen sein. Das schließt Werner Franke, Biochemiker am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, aus der Tatsache, dass insgesamt sieben russische Weltklasse-Athletinnen 2008 nur zwei Wochen vor Beginn der Olympischem Spiele in Peking wegen Urinmanipulation für zwei Jahre gesperrt wurden. Dopingmittel wies ihr Urin aus dem Jahr 2007 zwar nicht auf, dafür aber eine andere Merkwürdigkeit, als er gut ein Jahr später genetisch untersucht wurde: Die Flüssigkeit war bei allen sieben Sportlerinnen identisch – und männlich.

Vier der sieben gesperrten Russinnen sind nun zurück auf der großen Bühne. Sie werden bei den Olympischen Spielen in London erneut um Medaillen kämpfen. Darija Pischtschalnikova, die bereits Europameisterin war und 2008 Weltbeste im Diskuswerfen, erzielte vor drei Wochen ganz plötzlich eine Weltjahresbestleistung – nach Jahren in der Versenkung.

Betrügereien mit Fremdurin

Dopinggegner Franke geht davon aus, dass der Urinbetrug aus dem Jahr 2007 auf jeden Fall verbergen sollte, dass die Athletinnen anabole Steroide, sprich: Anabolika genommen hatten. "Sonst hätte das für eine Werferin ja keinen Sinn gehabt", sagt Franke. Anabole Steroide bilden zusammen mit dem Ausdauerverstärker Epo und Stimulanzien wie Koffein nach wie vor die drei großen Bereiche des Dopings: Anabole Wirkstoffe beispielsweise beschleunigen den Aufbau des Muskelgewebes. "Sie sind dem männlichen Sexualhormon Testosteron nachgeahmt", erklärt Mario Thevis, Biochemiker an der Deutschen Sporthochschule in Köln. Dadurch binden die anabolen Wirkstoffe an den gleichen Rezeptor wie das Hormon und stimulieren so die Herstellung von Eiweißen für den Muskelaufbau. Verboten sind Anabolika im Sport seit 1974; olympische Dopingkontrollen auf das diese Hormone gab es zuerst 1976 in Montreal. Trotzdem hat es sich nicht zuletzt bei Hobby-Bodybuildern nachhaltig etabliert. Die Welt-Antidoping-Agentur WADA schätzt, dass jährlich 15 Millionen Konsumenten 700 Tonnen Anabolika schlucken.

"Die Stoffe müssen für die Sportler schnell absetzbar sein"
Werner Franke

Die Liste der schädlichen Nebenwirkungen ist lang und reicht von schweren Herzschäden bis zu Lebertumoren. Auch psychische Veränderungen gehören dazu. Für weibliche Sportler problematisch ist zudem, dass solch androgene Wirkstoffe männlicher machen. Bei jugendlichen Sportlern führen Anabolika obendrein zu einer frühzeitigen Verknöcherung noch wachsender Knorpelstrukturen, das Körperwachstum endet bei verringerter Endgröße.

Den Nachweis für Testosterondoping führen Kontrolleure anhand eines so genannten Steroidprofils. Stellen die Tester einen auffällig hohen Testosteronwert fest, setzen sie ihn in Relation zur Konzentration anderer Steroidhormone. Weicht das Verhältnis von dem Profil ab, das über mehrere Monate für diesen Sportler als Normalwert bestimmt worden ist, muss Doping vorliegen. Zusätzlich müssen Biochemiker künstliches von natürlichem Testosteron mittels einer Isotopenverhältnismassenspektrometrie unterscheiden, wenn das Hormon aus pflanzlichem Material hergestellt wurde, da sich dann die Mengen an Kohlenstoff-12 und -13 unterscheiden.

Wettlauf gegen die Zeit

Ein Problem bleibt jedoch: "Die Kontrollen auf anabole Steroide sind häufig geworden, daher müssen die Stoffe für die Sportler schnell absetzbar sein", betont Werner Franke. "Wer abends eine Tablette Andriol nimmt, dem kann man schon um 14 Uhr am nächsten Tag nichts mehr nachweisen."

Immerhin bis zu zwei Tage lang nachweisen lässt sich Erythropoetin, besser bekannt als Epo. Es ist ein sogenanntes Glykoproteinhormon, das die Produktion der roten Blutkörperchen steuert. "Da die roten Blutkörperchen für den Sauerstofftransport im Blut verantwortlich sind, bedeuten mehr rote Blutkörperchen eine bessere Sauerstoffversorgung der Muskeln und somit mehr Ausdauerleistungsfähigkeit", fasst Thevis die Wirkung zusammen. Das belegt auch ein Selbstversuch 2007, den der Arzt und Ausdauersportler Jürgen Reul unternahm. Er fuhr eine der anspruchsvollsten Etappen der Tour de France, nahm dann zwei Wochen lang Epo und fuhr die Etappe – bei schlechteren Wetterbedingungen – noch einmal. Im zweiten Durchgang war er rund fünf Prozent schneller.

Epo-Doping gibt es etwa seit dem Ende der 1980er Jahre. Kontrolleure haben inzwischen bei so ziemlich allen Ausdauersportarten entsprechende Dopingfälle nachgewiesen. Vor allem bei Radrennen wie der Tour de France sorgt das vermeintliche Wundermittel immer wieder für Schlagzeilen, auch wenn es speziell bei der Tour de France seit einigen Jahren ruhiger geworden ist. Der Grund dafür liegt im Skandal um den Arzt Eufemiano Fuentes: Die spanische Polizei beschlagnahmte 2006 bei einer Razzia große Mengen Blutbeutel und Dopingmittel sowie eine Liste mit Kodenamen von Patienten und Substanzen.

Doping

Biochemiker Werner Franke hatte nach eigener Auskunft Einsicht in die Ermittlungsakten der spanischen Polizei. Er sagt, in den sichergestellten Dokumenten habe es mehrere Einträge für einen "Jan" gegeben. "Vino" sei das Codewort für Doping mit Epo oder Blut gewesen, "Nino" habe für Wachstumshormone gestanden, "Ignacio" für den Wachstumsfaktor IGF-1, "Parches" für Testosteronpflaster und "Polvos rochos" für einen Mix aus Proteasen. Und "Jan" sei natürlich niemand anderer als Jan Ullrich gewesen, so Franke.

Ullrich klagte gegen Frankes Behauptung, der Radsportler habe sich bei Fuentes für rund 35 000 Euro illegale Substanzen besorgt. Das Oberlandesgericht Hamburg urteilte jedoch, dass die Behauptung "hinsichtlich ihres tatsächlichen Gehalts als wahr anzusehen sei und den Kläger nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze". 58 Fahrer wurden allein nach der Razzia von der Tour de France 2006 ausgeschlossen, darunter der spätere dreifache Tour-Sieger Alberto Contador – und eben Jan Ullrich.

Epo – der immer aktuelle Klassiker

Wer glaubt, das Thema Epo sei im Doping seitdem erledigt, der irrt. Vor drei Wochen erst wurden drei russische Top-Läuferinnen wegen "abnormaler Werte im Blutpass" für zwei Jahre gesperrt, darunter die Marathon-Europameisterin Natalia Julamanowa. Die WADA schätzt, dass rund eine halbe Million Sportler Epo nehmen. Der Jahresumsatz übersteigt den therapeutischen Bedarf etwa um das Fünffache. Im Profisport sind zudem Epo-Mimetika an die Stelle des Hormons getreten. Es sind synthetische Substanzen, die an den gleichen Rezeptor binden, biochemisch also die gleiche Wirkung haben, aber eine gänzlich andere Gesamtstruktur aufweisen. "Nur, wenn noch ein Stück vom ursprünglichen Epo drin ist, hat man eine Chance, das mit den heute verfügbaren Antikörpern nachzuweisen", erläutert Werner Franke.

Besonders raffiniert seien beispielsweise sogenannte Hematide. Deren Seitenketten unterscheiden sich in der Länge um den Faktor Hundert. Den Nachweis erschwert das enorm. "Hematide sind noch nicht am Markt, aber durch illegale Kanäle schon aus den Labors nach außen gedrungen", sagt Franke, anscheinend sogar schon 2009.

Der wohl älteste Weg des Dopings sind schließlich Stimulanzien. Anders als Anabolika und Epo nehmen Athleten Amphetamine und Co nicht im Training, sondern während des eigentlichen Wettkampfes. "Stimulanzien machen wacher, aggressiver, leistungsbereiter", erklärt Mario Thevis. Dabei handelt es sich meist um indirekt wirkende Substanzen. Sie verlängern die Reizweiterleitung durch das Hormon Noradrenalin, indem sie dessen Abbau am synaptischen Spalt verhindern.

Weil die Substanzen während des Wettkampfes wirken müssen, sollte eine Kontrolle eigentlich leichter sein. "Das Stimulanz Methylhexanamin wurde aber auch schon in Nahrungsergänzungsmitteln bestimmt", sagt Thevis. Da sei es schwierig zu beweisen, dass ein Sportler das Mittel zu gezielter Leistungssteigerung eingenommen habe. In jedem Fall liegt zunächst ein positiver Befund bei der Dopingkontrolle vor. Die kroatische Diskus-Europameisterin Sandra Perkovic wurde damit erwischt, aber nicht gesperrt.

Eine zukünftige Entwicklung im Wettkampfbetrug könnte das Gendoping darstellen. Dabei geht es nicht etwa darum, bestimmte Genvarianten in die Zellen einzuschleusen, die die Leistungsfähigkeit steigern. Das wäre wohl technisch sehr aufwändig und mit großen Risiken verknüpft. "Erwartet wird zurzeit eine Manipulation der Genexpression mittels RNA-Interferenz", berichtet Thevis. Dabei legt sich eine passgenaue RNA-Sequenz auf einen Genabschnitt und verhindert so, dass das entsprechende Protein produziert wird. Ist das Protein beispielsweise dazu da, Biostatin in Myostatin umzuwandeln, bildet die Zelle weniger Myostatin. Normalerweise dient Myostatin dazu, unkontrolliertes Muskelwachstum zu verhindern. Wird es ausgeschaltet, nimmt die Muskelmasse rasant zu. Sobald der Mediziner die RNA-Interferenz beendet, ist kein Nachweis des Dopings mehr möglich.

Für die diesjährigen Olympischen Spiele, glaubt Thevis, habe dennoch ein großer Abschreckungseffekt erzielt werden können: "Wir haben ein großes, exzellentes Dopinglabor in London, das selbst Kleinstmengen aufspüren dürfte." Viele Nationen kontrollierten zudem stark im Vorfeld, weil sich keine Nation bei den Olympischen Spielen eine Blöße geben möchte, vermutet der Biochemiker. Hinzu kommt, dass inzwischen Proben acht Jahre lang aufbewahrt werden, um später mit heute noch nicht vorhandenen Möglichkeiten rückwirkend zu testen. "Wenn wir in London wenig positive Befunde haben, muss das nicht gegen die Kontrollen sprechen. Es wäre auch ein Zeichen, dass die Sportler wenig Möglichkeiten zum Dopen haben", betont der Kölner Experte.

"Stimulanzien machen wacher, aggressiver, leistungsbereiter"
Mario Thevis

Sein Heidelberger Kollege Werner Franke findet dagegen: "Kontrollen in London sind nicht intelligent." Er fordert, dass im Training häufiger kontrolliert werden müsse, gerade in Phasen starker Belastung, weil sich dort der Großteil des Missbrauchs abspiele. "Wenn wir überhaupt eine Chance haben, Doping nachzuweisen, dann da", urteilt er. Fortschritte erkennt er dennoch an. "Man sieht, dass die Kontrollen wirken", sagt er. Dazu müsse man nur mal die heutigen Spitzenleistungen mit den Allzeitbestmarken vergleichen: "Rekorde, die auf Doping zurückgehen."

Doping legalisieren?

Angesichts des dennoch weiterhin stattfindenden Missbrauchs, gibt es deshalb bereits Stimmen, die für eine Freigabe der Chemikalien plädieren: Der Philosoph und Ethiker Julian Savulescu von der University of Oxford etwa spricht sich dafür aus, das Doping in großem Umfang zu legalisieren. Seine Argumente: Dann herrsche endlich wieder Chancengleichheit für ehrliche Athleten. Man könne sogar so weit gehen, zusätzlich zu den erzielten Ergebnissen der Sportler anzugeben, welche Mittel sie genommen haben. Außerdem könne man die medizinischen Betreuer verantwortlich dafür machen, wenn Doping bei Athleten zu gesundheitlichen Schäden führt. So würden nur harmlose Mittel und unbedenklichen Dosen eingesetzt.

Biochemiker und Ärzte halten dem jedoch entgegen, dass es keine gesundheitlich unbedenklichen Dopingmittel gebe – und Doping damit nach Arzneimittel- wie Strafgesetzen eine Straftat sei. Wahrscheinlich wäre zudem, dass auch die besonders gefährlichen Mittel weiter illegal eingesetzt würden. Auf einer Konferenz wurde Savulescu deshalb unlängst von Franke gefragt: "Würden Sie Ihre Tochter virilisieren lassen?" Als Antwort kam: "Natürlich nicht."

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.