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Wissenschaftsfreiheit: Forscher am Pranger

Wenn Fachleute ihre Erkenntnisse zu kontroversen Themen einbringen, werden sie oft zur Zielscheibe von Shitstorms und Hasskampagnen. Darunter leiden nicht nur die Betroffenen, sondern auch Forschung und Lehre.
Demonstranten verschiedener Gruppierungen wie etwa der Initiative Querdenken 711 protestierten mit einer Großdemonstration in Berlin gegen die bestehenden Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie.

»Die Lockdown-Macher« titelte »Bild« am 4. Dezember 2021 neben Fotos der Physikerin Viola Priesemann sowie ihrer Kollegen Dirk Brockmann und Michael Meyer-Hermann. Die drei untersuchen die Ausbreitungsdynamik von Sars-CoV-2 und hatten sich für ein schnelles Handeln gegen das Coronavirus ausgesprochen. Dafür stellte das Boulevardblatt die Wissenschaftler nun an den Pranger: Sie würden den Bürgern mit ihrer Forderung »Frust zum Fest« bescheren, was die Zeitung grafisch durch Weihnachtspäckchen mit der Aufschrift »Geschenke-Kauf 2G«, »Familienfest nach Corona-Regeln« und »Kino-Verbot für Ungeimpfte« ergänzte. Der Deutsche Presserat leitete daraufhin ein Verfahren gegen »Bild« ein. Begründung: Der Artikel erwecke den Eindruck, dass die Fachleute selbst Coronamaßnahmen beschließen würden, für die aber die Politik verantwortlich ist. Das schüre Ressentiments gegenüber den Forschern.

Immer wieder werden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler angegangen, weil manchen die Erkenntnisse, die sie liefern, zuwider sind. Parallel zu ihrer Arbeit ertragen sie Online-Shitstorms oder wühlen sich durch Berge von Hassnachrichten, um besonders heftige Angriffe zur Anzeige zu bringen. Zwar haben sich durch die Digitalisierung die Einfallstore für solche Attacken verändert, neu ist das Phänomen aber nicht.

Als die Kirche den Menschen noch das Denken verbieten wollte, war sie es, die unliebsamen Gelehrten das Leben schwer machte. So endete etwa die Forscherkarriere des italienischen Astronomen Giordano Bruno am 17. Februar 1600 auf dem Scheiterhaufen. Er hatte postuliert, der Weltraum sei unendlich groß und auch auf anderen Planeten könne es Leben geben. Für die Vertreter der Inquisition kam in dieser Theorie der Schöpfer und sein Meisterwerk, der Mensch, entschieden zu kurz. Brunos Kollege Galileo Galilei entging nur knapp einem ähnlichen Schicksal, seine Entdeckungen passten aber ebenso wenig ins damalige Weltbild. Er konnte als Erster belegen, dass die Planeten um die Sonne kreisen – und bedrohte damit das klerikale Dogma von der Erde als Zentrum des Universums. Die Kirche verbot Galileis Lehre, er kam ins Gefängnis, stand dann unter Hausarrest.

Viel später, in den 1950er Jahren, knöpften sich christlich-konservative Gruppen den US-amerikanischen Sexualforscher Alfred Charles Kinsey vor. Zu seinen bahnbrechenden Erkenntnissen gehörte, dass Frauen, die masturbieren, zufriedener mit dem ehelichen Sexleben waren und dass fast die Hälfte der Befragten sich gelegentlich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlte. Der als »Dr. Sex« bekannt gewordene Wissenschaftler wurde dafür bedroht und als Kinderschänder diffamiert. Und wie steht es heute um die akademische Freiheit?

Wer Pia Lamberty erreichen will, kann das nur per E-Mail. Von der Sozialpsychologin, die Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie in Berlin ist, gibt es keine Durchwahl auf der Unternehmens-Website. Der Grund ist das Thema ihrer Forschung: Verschwörungsmythen und wie der Glaube daran Menschen radikalisieren kann. »Mir schlägt wegen meiner Arbeit schon länger viel Hass entgegen, vor allem aus dem rechtsextremen Milieu. Seit der Pandemie hat es sich aber nochmal verschärft«, erklärt Lamberty, die sich als Expertin auch öffentlich zur »Querdenker«-Szene äußert. Täglich erreichen sie E-Mails und Social-Media-Nachrichten mit persönlichen Beleidigungen – viele von ihnen sexistisch oder antisemitisch – und immer wieder bekommt sie Morddrohungen.

Die Attacken kosten Zeit und Nerven

»Oft wird angenommen, die Leute trauen sich das nur in der Anonymität des Internets, aber viele schreiben mir mit Klarnamen oder sogar von ihrer dienstlichen Mailadresse«, so Lamberty. Einmal wurde es so schlimm, dass sie zwischenzeitlich ihren Twitteraccount nicht mehr nutzen konnte. »Der deutsche Ableger der Q-Anon-Bewegung, die rechtsextreme Verschwörungserzählungen verbreitet – etwa, dass eine satanistische Elite ein Verjüngungsserum aus Kinderblut gewinne – rief Anhänger dazu auf, gegen mich vorzugehen. Was folgte, war ein orchestrierter Shitstorm. Kolleginnen und Freunde mussten mir helfen, reihenweise Accounts zu blocken. Hass und Hetze machen viel Arbeit.«

Pia Lamberty | »Es gibt Menschen, die mich auf Grund meiner Arbeit tot sehen wollen. Das ist nichts, was man einfach wegsteckt«, berichtet die Sozialpsychologin.

Forscherinnen und Forscher müssten inhaltliche Kritik aushalten, meint Lamberty. Mit Diskurs hätten solche Attacken aber nichts mehr zu tun: »Du Miststück, wir kriegen Dich bald, dann gnade Dir Gott!« Derartige Anfeindungen gehen an Betroffenen keineswegs spurlos vorbei. »Es gibt Menschen, die mich auf Grund meiner Arbeit tot sehen wollen. Das ist nichts, was man einfach wegsteckt«, sagt Lamberty und ergänzt: »Fälle wie die des NSU, des Mordes an Walter Lübcke oder an einem jungen Mann an einer Tankstelle in Idar-Oberstein zeigen immer wieder, dass von diesen Leuten eine reale Gefahr ausgeht.«

Sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen oder das Forschungsfeld zu wechseln, kommt für Pia Lamberty trotzdem nicht in Frage. Denn dann hätten die Hetzer das letzte Wort. Wer die Psychologin wüst beleidigt oder ihr Gewalt androht, wird dafür angezeigt. »Ich würde aber jedem Kollegen, der Ähnliches erlebt, raten, das nicht allein zu machen«, empfiehlt sie. »Es gibt Opferberatungsstellen, die einen bei der Verfolgung von Straftaten unterstützen.«

Hass schlägt Wissenschaftlern dabei nicht nur von einer Seite des politischen Spektrums entgegen. So sah sich der Bildungsforscher Heiner Rindermann plötzlich von einer ganz anderen Gruppe als Lamberty attackiert. Rindermann, damals Vertretungsprofessor an der Universität Paderborn, untersuchte, inwiefern sich die kognitiven Fähigkeiten verschiedener Populationen unterscheiden. Studien hatten gezeigt, dass Länder mit mehrheitlich asiatisch- und europäischstämmiger Bevölkerung in Schulleistungs- und IQ-Tests besser abschneiden als solche mit mehrheitlich afrikanischstämmigen Einwohnern. Innerhalb der USA und Großbritanniens, wo Menschen verschiedener Herkunft und Ethnien in großer Zahl zusammenleben, findet man ähnliche Muster. Doch wie sind solche Unterschiede zu erklären? Bildung spielt offenbar eine Schlüsselrolle: Der Intelligenzquotient steigt mit jedem absolvierten Schuljahr um drei bis vier Punkte. Auch das kulturelle Umfeld, in dem ein Mensch aufwächst, beeinflusst die Testergebnisse. Zwar hat Intelligenz durchaus eine genetische Komponente – die Umwelt bestimmt aber stark, inwiefern sich die ererbte Disposition entfalten kann. Und in vielen westlichen Gesellschaften habe die nicht weiße Bevölkerung nach wie vor schlechteren Zugang zu Bildung und Berufserfolg, erklärt Rindermann.

Heiner Rindermann | »Nach der Hetzkampagne gegen mich habe ich erst einmal einige Jahre lang keine Professur bekommen«, erklärt der Bildungsforscher.

Infolge eines Interviews mit dem Deutschlandradio Kultur im Dezember 2007 flog ihm die Aussage, Asiaten und Weiße seien im Schnitt intelligenter als Schwarze, um die Ohren. Am nächsten Morgen stand sein Telefon nicht mehr still. Carola Lentz, damals Professorin am Institut für Ethnologie und Afrikastudien an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, veröffentlichte gemeinsam mit zwei weiteren Ethnologinnen eine Pressemitteilung, in der sie Rindermann vorwarf, rassistische Theorien zu verbreiten. Es folgten Anfeindungen und Proteste von Aktivisten vor Vorträgen des Forschers. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie und zahlreiche Kollegen stellten sich hinter Rindermann: Seine Äußerungen seien seriös und wissenschaftlich einwandfrei.

»Trotzdem habe ich nach der Hetzkampagne gegen mich erst einmal einige Jahre lang keine Professur bekommen«, erzählt er. Die Gefahr, dass heikle Forschungserkenntnisse zu politischen Zwecken missbraucht werden können, sieht er zwar durchaus. Dennoch betont er: »In der Wissenschaft hat die Wahrheit höchste Priorität.« Auch wenn die manchmal verwirrend und verfänglich ist. Fördergelder für dieses Thema zu bekommen – das könne man allerdings vergessen, so Rindermann.

Verworfene Themen, beendete Karrieren

Auch heute bergen manche Forschungsthemen also ein Risiko, Teile der Öffentlichkeit gegen sich aufzubringen. Fachleute fällen immer wieder Entscheidungen, welche von all den Dingen im Kosmos sie näher erforschen wollen. Einige Fragen, die sie sich dabei stellen, können das Karriere-Aus bedeuten. Mal wird ein Thema politisiert, mal kollidiert es auch einfach mit dem Zeitgeist. Das gesellschaftliche Klima und sich wandelnde Moralvorstellungen führen dazu, dass in unserem Wissen über die Welt systematische Lücken klaffen.

Die US-Soziologin Joanna Kempner von der Rutgers University in New Jersey (USA) hat untersucht, wie politische Kontroversen die Wissenschaft beeinflussen. Sie befragte mehr als 80 Forschende, die öffentlich wegen ihres Themas angegangen worden waren. Die Ergebnisse erschienen 2008. Rund die Hälfte der Teilnehmer gab an, bestimmte Begriffe aus Förderanträgen zu streichen, um sich weniger angreifbar zu machen. Etwa ein Viertel ließ gewisse Ideen ganz fallen. Vier wechselten sogar den Job. »Das zeigt, dass das politische Klima mit darüber entscheidet, welchen Fragen sich Wissenschaftler widmen«, so Kempner. »Selbstzensur spielt eine wichtige Rolle.« Oft wählten Fachleute nicht das ihrer Meinung nach spannendste Projekt, sondern das, das am meisten Anklang findet, erklärt die Soziologin. Frühere Kontroversen steckten den Bereich des Machbaren ab. Kollegen, die ihrer Karriere mit einem ähnlichen Forschungsvorhaben geschadet hatten, gelten als Warnung.

Zum gleichen Schluss kam 2015 Amelia Sharman von der London School of Economics and Political Science. Sie hatte 30 Klimaforscherinnen und -forscher dazu befragt, ob Angriffe und öffentliche Kritik aus den Reihen von Klimaskeptikern sie beeinflussen. 24 Fachleute bejahten. Am häufigsten gaben sie an, vorsichtiger in ihren Äußerungen zu werden, um möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten. Viele waren dadurch weniger bereit, in den Medien als Experten aufzutreten.

Die mitunter zweifelhafte Rolle von Presse, Funk und Fernsehen offenbarte ein anderer Fall. Der renommierte Neurowissenschaftler Nikos Logothetis, damals Direktor am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, forschte zu den Grundlagen der visuellen Wahrnehmung, als 2014 ein heimlich gedrehtes Video aus seinem Affenlabor auftauchte. Ein Mitglied einer Aktivistengruppe hatte sich für ein halbes Jahr als Tierpfleger in das Institut eingeschleust und aus 100 Stunden Material ein effektvolles Video geschnitten. Es zeigte frisch operierte Makaken, ein Versuchstier, das Schleim erbricht, und einen toten Primaten, der in einen Müllsack gelegt wird. Das RTL-Magazin »Stern TV« sendete die Bilder, berichtete groß über den vermeintlichen Skandal und löste damit eine Welle der Empörung aus. Es folgten reißerische Medienbeiträge, Menschen gingen gegen die Praktiken am Tübinger Max-Planck-Institut auf die Straße.

Proteste, Strafanzeigen, Todesdrohungen

Als die Welle über Logothetis und seine Kollegen hereinbrach, reagierten sie zunächst ungläubig: Für sie war das Video offensichtlich böswillig montiert und zeigte ein verzerrtes Bild ihrer Forschung an Tieren. Dass den Affen Mikroelektroden in den Kopf eingeführt wurden, um ihre Hirnströme zu messen, war schließlich von der Ethikkommission genehmigt worden. Doch dann wurde die Welle zum Tsunami. Es hagelte Strafanzeigen und Todesdrohungen gegen den Hirnforscher, der als ein Kandidat für den Nobelpreis gehandelt worden war. Er sollte laut Hassnachrichten »das Gebäude nur mit Sturzhelm verlassen«, wurde mit dem KZ-Arzt Josef Mengele verglichen und einmal, beim Friseur, weigerte man sich, ihn zu bedienen. Für die Öffentlichkeit war Logothetis ein Tierquäler. Kollegen und Mitarbeiter beteuerten, der Hirnforscher habe sich immer an höchste Standards gehalten und in seinem Labor wurde keinem Tier unnötig Leid zugefügt. Das bestätigte später auch ein offizielles Gutachten.

Nikos Logothetis | Der Neurowissenschaftler hat sich nach den Anfeindungen aus Deutschland zurückgezogen. »Ich habe Herzprobleme, Depressionen und Schlafstörungen bekommen. Meine Forschung wurde zerstört.«

Tierversuche sind umstritten. Es bedarf immer einer Abwägung, wo sie zum Einsatz kommen und wo nicht. Gänzlich verzichtbar sind sie, anders als von manchem behauptet, allerdings nicht. Beim Gehirn, das wir in weiten Teilen noch nicht verstehen, gibt es keine Simulationen, keine Nachbauten in der Petrischale, die Versuche an Lebewesen ersetzen könnten. Der Nutzen von Grundlagenforschung, wie Logothetis sie betreibt, erschließt sich womöglich nicht sofort. Einige fragen sich deshalb, warum Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unseren nächsten Verwandten aus dem Tierreich Leid zufügen, nur um das Gehirn zu vermessen. Doch ohne derartige Erkenntnisse über die Funktionsweise des Denkorgans kämen etwa auch Fortschritte in der Behandlung psychischer Störungen und Hirnerkrankungen wie Morbus Alzheimer oder Parkinson ins Stocken – Krankheiten, die Millionen von Menschen betreffen.

»Tierversuche sind in Deutschland außerordentlich streng reglementiert«, stellt Bernd Engler klar, Rektor der Universität Tübingen. »Sie sind nur genehmigungsfähig, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse auf anderem Weg nicht zu erlangen sind. An den Genehmigungsverfahren, die teils viele Monate dauern, sind zudem laut Gesetz auch Vertreterinnen und Vertreter von Tierschutzorganisationen beteiligt.« Daher sei es unerträglich, wenn Forscher wie Logothetis in der Öffentlichkeit als »Affenfolterer« diffamiert würden.

Rund 4000 internationale Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterzeichneten einen Solidaritätsaufruf für Nikos Logothetis, darunter prominente Fachleute wie die Nobelpreisträger Erwin Neher, Phillip A. Sharp und Torsten Wiesel. Denn Logothetis ist mit seiner Geschichte nicht allein. Weltweit arbeiten Forschungslabors mit Versuchstieren und in vielen Ländern sind sie Anfeindungen von Aktivisten ausgesetzt, denen die Urteile von Ethikkommissionen nicht weit genug gehen. Was bleibt, sind ungeklärte Fragen und ruinierte Karrieren: »Ich habe Herzprobleme, Depressionen und Schlafstörungen bekommen«, schreibt Logothetis, der nur selten Interviews zu diesem Thema gibt, per Mail. »Meine Forschung wurde zerstört.« Der ehemalige Hoffnungsträger hat sich von Deutschland abgewandt und will seine Arbeit in Schanghai fortsetzen.

Eva Hoch | »Man steht da mit seinem Namen, seinem Bild und bekommt den geballten Hass des Mobs ab«, sagt die Suchtforscherin.

Auch Eva Hoch war jüngst Anfeindungen ausgesetzt. Die Suchtforscherin beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit der Wirkung von Cannabis. Sie ist eine der hier zu Lande angesehensten Expertinnen zum Thema und behandelt am Klinikum der Universität München Menschen, die von der Droge abhängig geworden sind. War bis Mitte der 2000er Jahre noch umstritten, ob Kiffen überhaupt süchtig machen kann, gilt dies heute als gut belegt. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation ist Cannabissucht sogar eine der am meisten verbreiteten Süchte weltweit.

Vor etwa zehn Jahren bemerkte Eva Hoch erstmals, wie sich die Reaktionen auf ihre Forschung veränderten. Man schien sich immer weniger mit den Risiken der Droge auseinandersetzen zu wollen und für das Thema Forschungsgelder zu bekommen, gestaltete sich schwierig. »Die einen wollten Cannabis unbedingt legalisieren, die anderen die Substanz verteufeln. Keine Seite war wirklich an wissenschaftlichen Daten interessiert«, so Hoch. Als sie und ihre Kollegen 2015 den Auftrag der Bundesregierung erhielten, einen Bericht zum Thema zu verfassen, schwang bei der Arbeit Angst mit. »Wir hatten tatsächlich Bedenken, dass unsere Computer mit den Studiendaten gehackt werden könnten. Es gibt eine Reihe von Aktivisten, die sich aggressiv für eine Legalisierung von Cannabis einsetzen und dabei gezielt Wissenschaftler angreifen.« Wie sie selbst betroffen sein würde, ahnte die Psychologin damals noch nicht.

Auf den Vortrag folgte der Shitstorm

Im Herbst 2021 hielt Hoch bei einer Veranstaltung der Ärztekammer einen Vortrag. Sie sollte den Kenntnisstand zu den Risiken der Droge vorstellen – ob eine Legalisierung sinnvoll ist, war gar nicht Thema. Als ein Foto ihrer Präsentation mit einer Statistik über Drogennotfälle durch Cannabis auf Twitter auftauchte, braute sich ein Shitstorm zusammen. »Ich habe unzählige Nachrichten bekommen: leider auch Beschimpfungen, Häme und Morddrohungen. Sie würden kommen und mich richten, hieß es. Da habe ich die Reißleine gezogen und meinen Twitteraccount gelöscht«, berichtet Hoch. »Diese Einschüchterungstaktik funktioniert! Viele Forscher wollen sich verständlicherweise nicht mehr zu diesem Thema äußern. Man steht da mit seinem Namen, seinem Bild und bekommt den geballten Hass des Mobs ab.«

Was kann man tun, um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor solchen Angriffen zu schützen? Pia Lamberty wünscht sich vor allem Anlaufstellen an den Hochschulen. Sie können Betroffene unterstützen und Information zu dringenden Fragen bereitstellen, zum Beispiel: Wie gehe ich mit einem Shitstorm um? Was, wenn ich Hassnachrichten erhalte, nachdem ich ein Interview gegeben habe? Welche rechtlichen Schritte kann ich ergreifen, um mich zu verteidigen? »Da übernehmen die Universitäten zu wenig Verantwortung«, so Lamberty.

Joanna Kempner stellt klar: »Es gibt natürlich auch einfach schlechte Forschung. Und die muss kritisiert werden.« Sobald aber Gefühle über Fakten gestellt werden, wird es problematisch. Wissenschaftler müssen heikle Fragen stellen können und dürfen nicht im Stich gelassen werden, wenn sie für ihre Erkenntnisse unter Beschuss geraten. Einschüchterungsversuche wirken, indem sie den Nachwuchs abschrecken, Forschende von ihrer Arbeit abhalten und so den Erkenntnisgewinn behindern. Am Ende gefährden die Attacken damit auch die Wissenschaftsfreiheit.

  • Quellen

Kempner, J.: The production of forbidden knowledge. In: Gross, M., McGoey, L. (Hg.): Routledge international handbook of ignorance studies. Routledge, 2015, S. 77–83

Kempner, J. et al.: Forbidden knowledge: Public controversy and the production of nonknowledge. Sociological Forum 26, 2011

Kempner, J.: The chilling effect: How do researchers react to controversy? PLOS Medicine 5, 2008

Sharman, A.: The impact of controversy on the production of scientific knowledge. Arbeitspapier 207 des Grantham Research Institute on Climate Change and the Environment, London, 2015

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