Krankheiten: Hausgemachte Zeckenplage
Im Jahr 2002 meldeten sich in der Türkei die ersten Patienten mit heftigem Fieber bei Ärzten und in Krankenhäusern: Sie litten am Krim-Kongo-Fieber, an dem bis zu ein Drittel aller Erkrankten sterben kann. In den folgenden Jahren breitete sich Krankheit dann von Zentralanatolien bis an die Schwarzmeerküste und nach Ostanatolien aus, und auch die Todesfälle häuften sich rasant: 2003 fielen sechs Menschen dem Virus zum Opfer, fünf Jahre darauf verstarben bereits zehnmal so viele Patienten an der Seuche. Bis 2012 erkrankten in der Türkei mindestens 6392 Menschen – offiziell erfasst – am Krim-Kongo-Fieber, 322 starben daran.
Damit hatte sich das durch Zecken übertragene hämorrhagische Fieber erfolgreich in Kleinasien etabliert: 1944 wiesen es Mediziner erstmals auf der Krim-Halbinsel nach; 1969 gelang ihnen ein weiterer Beleg im Kongo, was schließlich zur heute üblichen Bezeichnung der Viruserkrankung führte. Seitdem brach sie verschiedentlich in Ost- und Südeuropa – etwa in Griechenland, im Kosovo oder in Russland – und dem Mittleren Osten, aber auch im nordwestlichen China, in Zentralasien oder Indien aus. Vor allem Zecken der Gattung Hyalomma übertragen die Viren, die sie von Gras fressenden Haus- und Wildtieren wie Ziegen oder Hasen aufnehmen und bei Biss auch an Menschen weitergeben können. Viele Theorien wurden bisher bemüht, warum sich das Krim-Kongo-Fieber auf dem Balkan und in der Türkei so stark ausbreiten konnte: Der verstärkte Handel mit Vieh habe Virenreservoire eingeschleppt, veränderte Landnutzungspraktiken ließen Menschen öfter mit Zecken in Kontakt kommen, der Klimawandel lasse die achtbeinigen Plagen besser gedeihen und sie länger aktiv bleiben.
Bislang gibt es keine Schutzimpfung gegen das Krim-Kongo-Virus; immerhin kann man Betroffene mit einer antiviralen Therapie behandeln, doch bleibt das Krim-Kongo-Fieber vorerst eine gefährliche, potenziell tödliche Seuche. Vor allem als erste Ausbrüche in der Nähe der Fremdenverkehrsregion Antalya auftraten, wurden die türkischen Behörden nervös: Rätselhafte Krankheitsfälle in der Nähe der Touristenzentren könnten sich zu einer Bedrohung für diesen wichtigen Wirtschaftszweig auswachsen – das galt es zu verhindern.
Mit Radioaktivität und Perlhuhn
Wohl in einem Akt der Verzweiflung schlug 2008 die Türkische Atomenergieanstalt (Türkiye Atom Enerjisi Kurumu) vor, die bedrohlichen Zecken mit radioaktiver Bestrahlung unschädlich zu machen. Über Laborversuche kam diese Initiative allerdings nicht hinaus. Stattdessen setzt die Regierung verstärkt auf eine biologische Bekämpfung: Seit der Jahrtausendwende setzten die Behörden mehr als 300 000 Hühnervögel aus, die bei der Futtersuche auch Zecken aufpicken und fressen und so deren Zahl klein halten sollen. Neben einheimischen Arten wie Fasan oder Steinhuhn bauen die Regierungsvertreter seit einigen Jahren dabei auch auf afrikanische Perlhühner – für den türkischen Ornithologen Çağan Şekercioğlu von der University of Utah in Salt Lake City eine fatale Strategie: "Sie wollen die Krankheit stoppen, aber tatsächlich könnten sie ihre Ausbreitung beschleunigen. Die Behörden sollten diese Auswilderungen sofort unterbrechen."
Abgesehen von den ökologischen Problemen, die eingeführte exotische Tierarten verursachen können, gibt es laut Şekercioğlu keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass das eingeführte Federvieh die Zecken überhaupt im Zaum hält. Eine einzige Studie aus dem Jahr 1992 deute dies an [1], so der Biologe: Damals sahen Forscher einen Zusammenhang zwischen der abnehmenden Zahl von bestimmten Rehzecken der Art Ixodes dammini – sie kann die Lyme-Borreliose übertragen – auf Waldwiesen und dem Fressverhalten der Perlhühner. Anschließend gingen deren Verkaufszahlen in die Höhe, weil Anwohner damit ihre Umgebung zeckenfrei halten wollten. Schon aus biologischen Gründen könne man diese Untersuchung jedoch nicht als Entscheidungsbasis für die Auswilderungen in der Türkei machen, kritisiert Şekercioğlu: "Ixodes-Zecken sind unbedeutende Überträger des Krim-Kongo-Virus. Und die meisten Infektionen mit dem Erreger geschehen in der Türkei in Wäldern ohne Wiesenflächen." Eine nachfolgende Arbeit von 2006 konnte zudem die Kontrollfunktion der Perlhühner nicht mehr bestätigen [2]: Sie bewertete ihren Vorgänger als eindeutig "nicht überzeugend". Eine etwas ältere Arbeit aus dem Jahr 1993 wiederum wies in den Mägen von mehr als 500 Perlhühnern insgesamt nur vier Zecken nach – eine Erfolg versprechende Quote sieht anders aus [3].
Schlimmer noch: Das Federvieh könnte das Zeckenproblem sogar noch verschärfen. "Wilde, am Boden lebende Vögel dienen oft als Wirt für Hyalomma-Zecken. Sie vergrößern also womöglich noch das Krim-Kongo-Problem und helfen dem Virus bei der Ausbreitung", warnt der Biologe. Tatsächlich deutet dies eine südafrikanische Arbeit aus dem Jahr 2006 an [4], in der 39 Vogelarten auf ihre Zeckenanfälligkeit untersucht wurden. Die Perlhühner waren davon am schlimmsten betroffen: 70 Prozent der betrachteten Individuen trugen Hyalomma-Zecken mit sich herum; allein ein Vogel war von mehr als 300 Larven und mehreren Nymphen der achtbeinigen Spinnentiere befallen. "Sie sind Kinderstuben für die Zecken", fasst der Ornithologe zusammen. Da in Zuchtanlagen produzierte Perlhühner kaum Scheu vor Menschen besitzen und auch natürlichen Beutegreifern wie Füchsen oder verwilderten Hunden leichter zum Opfer fallen, springen die Zecken womöglich schneller zwischen den Vögeln und Säugetieren – inklusive Jägern – hin und her, was das Infektionsrisiko insgesamt ebenfalls steigert.
Doch lieber klassische Prophylaxe?
Die Behörden vor Ort ficht das nicht an. Im Gegenteil: Sie verweisen stolz darauf, dass die Neuansteckungen mit dem Krim-Kongo-Fieber 2011 erstmals wieder zurückgingen, und sehen darin eine Bestätigung für den segensreichen Einsatz des afrikanischen Federviehs. "Das ist alles Unsinn", konstatiert auch Mustafa Hacıömeroğlu trocken. Erst habe sich die Atomenergieanstalt nur wichtig machen wollen mit ihrem Strahlungseinsatz. Und nun würden die Perlhühner die gefährlichen Zecken weniger verspeisen und vernichten, sondern vielmehr in ihrem Gefieder durch das Land tragen. "Viren muss man aber medizinisch bekämpfen."
"Das ist alles Unsinn"
Mustafa Hacıömeroğlu
Dieser Aufgabe stellte sich der Chemiker möglicherweise mit Erfolg. 2009 konnte er mit Hilfe klinischer Versuche mit am Krim-Kongo-Fieber erkrankten Patienten ein Antiserum entwickeln – von 26 Personen gesundeten 24 vollkommen, lediglich zwei fielen der Krankheit zum Opfer. 2011 gelang es dem Chemiker aus Ankara, der eng mit den Gesundheitsbehörden zusammenarbeitet, sogar, ein präventives Immunserum zu entwickeln. Dieses wird derzeit von der amerikanischen Food and Drug Administration geprüft und könnte bald zum Einsatz kommen.
Und auch ein paar einfache Verhaltenstipps könnten den Rückgang erklären, meint Çağan Şekercioğlu: "Viele Mediziner berichten von einer erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit. Sie sorgt dafür, dass Patienten schneller ins Krankenhaus kommen, dort besser diagnostiziert und behandelt werden." Er möchte daher, dass die türkische Regierung die Auswilderung der Perlhühner vorerst unterbricht und zumindest detailliert untersucht, ob das Federvieh überhaupt in einem Punkt der Zeckenbekämpfung besser abschneidet als die ebenfalls dafür eingesetzten einheimischen Fasane und Steinhühner: "Falls nein – warum sollte man dann noch eine Art einführen, die nicht in die regionalen Ökosysteme gehört?"
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