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Trauer: »Ein Haustier ist kein Kühlschrank, den man einfach austauscht«

Manche Menschen trauern noch nach Monaten oder Jahren um ihren verstorbenen Vierbeiner: Das Tier war für sie ein Familienmitglied. Was hilft ihnen beim Trauern – und wann ist der richtige Zeitpunkt für einen neuen Mitbewohner?
Die Autorin Delia Filippone und ihr ehemaliger Hund Bingo
Autorin Delia Filippone und ihr erster Hund Bingo: Er starb vor ungefähr sieben Jahren.

Der 21. Dezember 2015 hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. An diesem Tag verlor ich meinen geliebten Hund Bingo. Er war erst drei Jahre alt. Er litt an Epilepsie, und die Medikamente halfen nicht mehr; in der Woche vor seinem Tod hatte er schwere Anfälle und wurde sehr krank. Der Tierarzt sah keinen anderen Ausweg mehr, als ihn von seinem Leid zu erlösen.

Für mich war Bingo etwas Besonderes. Er hatte einen kleinen weißen Fleck auf der Brust und wunderschöne braune Augen. Sobald ich die Worte »Gehen wir ...« sagte, wusste er, dass wir spazieren gehen. Außerdem war er besessen von seinem Ball. Er bellte und bellte, bis wir den Ball quer durch den Garten warfen und er ihn fangen und zurückbringen konnte. Für ihn konnte das Spiel stundenlang dauern. Wie gerne würde ich wieder mit ihm spielen.

Rund sieben Jahre später kämpfe ich immer noch mit dem Verlust. Dennoch spreche ich nicht oft darüber, aus Angst vor Reaktionen wie »Aber es war doch nur ein Hund«. Es ist mir unangenehm zuzugeben, wie sehr ich nach Bingos Tod getrauert habe – mehr als nach dem Tod eines Familienmitglieds. Ich finde es peinlich, dass ich beim Gedanken an ihn auch nach so vielen Jahren noch manchmal weinen muss.

»Acht von zehn Besitzern sehen ihr Haustier als vollwertiges Familienmitglied an«Nienke Endenburg, Professorin für Mensch-Tier-Beziehungen an der Universität Utrecht

»Der Verlust eines Haustiers ist ein Tabu. Die Menschen schämen sich für ihre Trauer«, bestätigt die Gesundheitspsychologin Nienke Endenburg, Professorin für Mensch-Tier-Beziehungen im Fachbereich Veterinärmedizin der Universität Utrecht. Sie berät Menschen, die ein Haustier verloren haben, bei ihrem Trauerprozess. »Die Vorstellung ist, dass es ›nur‹ ein Tier ist und man sich einfach ein neues Haustier aus dem Tierheim holen sollte. Aber acht von zehn Besitzern sehen ihr Haustier als vollwertiges Familienmitglied an. Ein Haustier ist kein Kühlschrank, den man einfach austauscht.«

Für manche Menschen sei das Haustier der liebste Begleiter, es bedeute ihnen sehr viel, sagt auch der Trauerexperte Manu Keirse, klinischer Psychologe und Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Löwen in Belgien. Ihm zufolge sind Trauer und Kummer in der Gesellschaft allgemein mit einem Tabu belegt. »Die Menschen lernen nicht mehr, damit umzugehen. Sie neigen dazu, ihren Kummer zu verdrängen.« Nach ein paar Wochen sollten sie über den Verlust hinweg sein, so die Erwartung. Früher habe man viel länger getrauert.

Wie der Trauerprozess verläuft, hängt weitgehend von der Bindung an das verstorbene Tier ab, aber auch vom Verständnis der Mitmenschen und von anderen belastenden Faktoren. Das zeigt eine Studie der New Yorker Forscher Gerald Gosse und Michael Barnes. Die beiden hatten mehr als 200 Personen befragt, deren Haustier kurz zuvor verstorben war.

Auch Nienke Endenburg hat den Verlust von Haustieren untersucht. »Im Durchschnitt dauerte der Trauerprozess über acht Monate. Doch es gab große Unterschiede. Manche waren schon nach zwei Tagen darüber hinweg, andere brauchen Jahre.« Endenburg wollte wissen, wie die Unterschiede zu Stande kommen. »Es lag vor allem an der Bindung zu dem Tier und an der Art, wie es starb. Wenn das Einschläfern nicht gut verläuft, kann das zu einem Trauma führen.« Manchmal werden die Tiere nicht genug sediert, berichtet Endenburg. Und manchmal tut die Narkosespritze weh oder das Tier wird desorientiert und fängt an zu jaulen.

»Beim Trauern gibt es für mich keine zeitliche Begrenzung«, fügt Keirse hinzu. »Es dauert so lange, wie es dauert.« Das hänge zum Teil davon ab, welche Bedeutung das Haustier im Leben der betreffenden Person hatte. Ein Hund bestimme auch die Tagesstruktur mit: »Man geht mit ihm spazieren, füttert ihn und kümmert sich um ihn. Er wartet auf einen, wenn man abends nach Hause kommt. All das fällt weg, wenn er stirbt.«

Entscheidung über Leben und Tod

Das Einschläfern von Bingo verlief ohne Zwischenfälle, aber für mich ging alles sehr schnell. Den einen Tag lief er noch zu Hause herum, am nächsten war er plötzlich nicht mehr da. Er war noch jung, auch darum kann ich seinen Tod nicht so einfach akzeptieren.

»Euer Hund wäre normalerweise zwölf Jahre alt geworden«, sagt Endenburg. »Da rechnet man nicht damit, dass sein Leben schon nach drei Jahren endet. Das ist einfach ungerecht. Man fragt sich, warum alle anderen Hunde zwölf Jahre alt werden, nur der eigene nicht.«

Ich frage mich auch manchmal, ob es keine Alternative gab. Vielleicht existierte doch irgendwo ein neues Medikament gegen Epilepsie bei Hunden? Oder hätte es eines gegeben, wenn wir noch ein wenig länger gewartet hätten? Ich fühle mich oft schuldig, und laut Endenburg bin ich damit nicht die Einzige.

»Mit Ritualen gießt man eine persönliche Erfahrung in eine gesellschaftliche Form. So wird das, was man fühlt und erlebt, in der Gesellschaft sichtbar«Manu Keirse, Trauerexperte und Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität Löwen

Viele Besitzer kämpfen nach dem Einschläfern mit Schuldgefühlen, sagt die Psychologin. Denn es sei schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu finden: »Es ist eine Entscheidung über Leben und Tod. Das ist unumkehrbar.« Viele Menschen fragen sich, ob sie nicht doch länger hätten warten müssen – oder umgekehrt, ob sie das Tier schon früher hätten erlösen sollen.

Die Schuldgefühle und der Kummer kommen jedes Jahr wieder. Im Dezember denke ich mehr an Bingo als in den anderen Monaten. »Ein Jahr nach dem Tod des Tiers erlebe ich in der Regel, dass die Trauer bei meinen Klienten wieder auflebt«, sagt Endenburg. »Es kann helfen, am Todestag an einem Ort spazieren zu gehen, den der Hund geliebt hat, oder etwas mit einem Foto zu machen.«

Wie Rituale helfen können

Laut dem klinischen Psychologen und Trauerexperten Manu Keirse kann ein Ritual wie eine Gedenkfeier dabei helfen, den Verlust eines Haustiers zu verarbeiten. »Mit Ritualen gießt man eine persönliche, private Erfahrung in eine gesellschaftliche Form. So wird das, was man fühlt und erlebt, in der Gesellschaft sichtbar.« Das helfe, weil sich die Gesellschaft auf diese Weise auch damit beschäftige.

Bestattungen für Hunde oder Katzen sind nicht sehr verbreitet. Es gibt Tierkrematorien, in denen man sein Tier einäschern lassen und eine Urne oder eine Kette mit der Asche mit nach Hause nehmen kann. In Belgien, wo meine Familie und ich wohnen, gibt es derzeit 15 Friedhöfe und Krematorien für Tiere. Wir haben Bingo im Garten vergraben, aber das ist nicht immer und überall erlaubt. Beispielsweise darf das Tier nicht an einer Infektionskrankheit gestorben sein, und der Boden darf nicht aus Lehm oder Ton sein.

Letzte Ruhestätte

Haustiere können auf speziellen Tierfriedhöfen bestattet werden. Auch eine gemeinsame Bestattung von Mensch und Tier ist möglich, aber nur in getrennten Urnen: Das Tier wird dazu in einem Tierkrematorium eingeäschert, der Mensch in einem Humankrematorium.

Das Begraben im eigenen Garten ist in den meisten Bundesländern unter bestimmten Bedingungen – im Rahmen der gesetzlichen Hygienevorschriften für »tierische Nebenprodukte« – erlaubt. Voraussetzung ist unter anderem die Zustimmung der Grundstückseigentümer; ausgeschlossen sind Tiere mit meldepflichtigen Krankheiten. Außerdem sollte man vorab bei Stadt oder Gemeinde nachfragen, ob eine Genehmigung des Veterinäramts erforderlich ist.

»Rituale wie Beerdigungen haben wir natürlich nicht ohne Grund erfunden. Sie haben eine äußerst wichtige Funktion«, sagt Endenburg. »Wenn man auf diese Weise Abschied nimmt, gibt es viel Unterstützung von Familie und Freunden.« Diese Anteilnahme sei wichtig. Das gilt auch für den Verlust eines Haustiers. »Eine Karte zu schicken oder eine Kerze anzuzünden, kann viel bedeuten. Aber leider geschieht das nicht sehr oft.«

Manche brauchen nach dem Verlust eines Haustiers eine Trauerbegleitung, wie die Menschen, die bei Endenburg Hilfe suchen. Das sei jedoch nicht immer so, meint Manu Keirse: »Trauer nach einem Verlust zu empfinden, ist normal. Verweilen Sie in diesem Kummer. Ein Foto oder ein Gedenkbuch können helfen. Und sprechen Sie darüber mit Menschen, die das ernst nehmen und von denen Sie wissen, dass Sie ihnen davon erzählen können.«

Neues Tier, neue Persönlichkeit

Im April hießen meine Eltern und ich unseren neuen Hund Bono willkommen. Sechs Jahre lang hatten wir keinen Hund, aus Angst, noch einmal einen so schweren Verlust zu erleben. Doch plötzlich kam Bono zu uns, und er brachte viel Freude ins Haus. Zuerst war ich von ihm nicht so angetan. Als wir ihn abholten, bellte er uns ständig an. Auf einmal fiel mir das alles wieder sehr schwer, ich wollte keinen anderen Hund – ich wollte Bingo. Aber als Bono noch am selben Abend in meinen Armen schlief, war ich überzeugt.

Delia und Bono | Sechs Jahre nach dem Tod von Bingo ist Bono eingezogen. Am ersten Tag war Delia skeptisch, doch das änderte sich schnell.

Wir haben sechs Jahre gewartet. Manche Menschen nehmen ein neues Haustier bereits wenige Tage oder Wochen nach dem Tod des vorherigen auf. Laut Manu Keirse lenkt das ein wenig von der Trauer ab. »Dann sieht es so aus, als ob ein Hund ersetzbar wäre, aber so ist es nicht.«

Jeder müsse für sich selbst entscheiden, wann er ein neues Haustier möchte, sagt Nienke Endenburg. »Einige Leute sind sehr schnell so weit, andere warten jahrelang. Und manche sagen, sie wollen kein neues Haustier, weil sie diesen Kummer nie wieder erleben wollen, legen sich nach einiger Zeit aber doch ein neues Tier zu.«

Das sei völlig in Ordnung. »Allerdings erlebe ich auch Menschen, die den Trauerprozess nicht beginnen wollen und schnell die gleiche Art von Tier kaufen wie das verstorbene«, berichtet die Psychologin. Dann stelle sich heraus, dass das Tier ganz anders ist und die Erwartungen nicht erfüllen kann. Jedes Tier habe seinen eigenen Charakter. Endenburg betont, man müsse sich dessen bewusst sein, dass es Zeit und Energie braucht, um ein neues Tier kennen zu lernen und eine Bindung zu ihm aufzubauen.

»Wenn Sie dazu bereit sind, sollten Sie sich unbedingt ein neues Haustier zulegen. Solange Sie sich darüber im Klaren sind, dass es niemals Ihr voriges ersetzen kann«Nienke Endenburg, Psychologin

Häufig haben die Menschen auch ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrem verstorbenen Hund, wenn sie sich einen neuen anschaffen – als ob sie deshalb nicht mehr an ihn denken oder sie ihn einfach ersetzen würden. »Doch wenn Sie dazu bereit sind, sollten Sie sich unbedingt ein neues Haustier zulegen«, rät Endenburg. »Solange Sie sich darüber im Klaren sind, dass es niemals Ihr voriges ersetzen kann.«

Für mich wird Bono niemals Bingo ersetzen – das steht fest. Bono hat seine eigene Persönlichkeit. Er ist schwarz mit braunen Pfoten und zwei kleinen braunen Flecken über den Augen. Er spielt nicht so oft mit dem Ball wie Bingo, sondern beißt lieber in Äste (was wir ihm gerade abgewöhnen wollen) und jagt Fliegen. Wenn ich eine Weile weg war und er mich wiedersieht, rennt er wie verrückt durch den ganzen Garten. Er liebt es über alles, in meinen Armen zu liegen. Ich weiß, dass auch er eines Tages sterben wird. Und ich weiß, dass das sehr weh tun wird. Aber alles, was ich tun kann, ist, die Zeit mit ihm zu genießen und zu hoffen, dass er so lange wie möglich ein Mitglied unserer Familie sein kann.

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