Gesundheitsrisiken: Heikle Nanos im Warenregal
Während die Industrie bereits kräftig Nanopartikel in Produkte mischt, hinkt die Risikoforschung hinterher. Erst langsam können Gesundheitsgefahren realistisch eingeschätzt werden.
Die Shootingstars der Nanoszene sind aus Silber: In Socken bekämpfen sie Gerüche, in Kühlschrankwänden und Klimaanlagen den Bakterienbefall. Daneben stecken sie in Zahnpasta, Kosmetika und Frischhaltebeuteln. Sogar als Nahrungsergänzungsmittel gibt es sie zu kaufen.
Nanomaterialen – meist auf weniger als 100 Nanometer Durchmesser zerkleinerte Partikel – erobern an vielen Fronten den Markt. Titandioxid und Zinkoxid blocken UV-Strahlen in Sonnenkremes, Textilien und Holzschutzmitteln, Goldnanopartikel tauchen in Schwangerschaftstests auf.
Dahinter steckt ein einfaches Prinzip: Zerkleinert man ein Material in immer winzigere Teilchen, wächst seine Oberfläche um ein Vielfaches. Verglichen mit einem Fußball ist ein Nanopartikel so groß wie der Fußball verglichen mit der Erde. Ein Pulver aus diesen Teilchen bietet seiner Umgebung daher enorm viel Kontaktfläche. Resultat: Nanopartikel aus Silber machen Bakterien weitaus effizienter den Garaus als Staub aus größeren Körnchen.
Keiner weiß, wo überall Nanoprodukte drin sind
Kein Wunder, dass die Zahl der Konsumprodukte, die Nanopartikel enthalten, explodiert. Zählte die Datenbank des Project on Emerging Nanotechnologies des US-amerikanischen Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington D.C. vor gut drei Jahren weltweit rund 200 Produkte, sind es mittlerweile über 800.
Dabei dürfte die tatsächliche Anzahl sogar noch weit darüber liegen. "Allein in Deutschland sind es vielleicht schon mehr als 800", schätzt Jurek Vengels vom Projekt Chemikalienpolitik und Nanotechnologie des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Viele Hersteller halten ihre Rezepturen lieber geheim und geben die Verwendung von Nanomaterialien nicht bekannt.
Doch in die allgemeine Euphorie mischen sich warnende Stimmen, mehren sich doch Hinweise, dass Nanoteilchen der menschlichen Gesundheit schaden könnten. Aber während die Industrie längst Fakten schafft, hinkt die Forschung hinterher. Um Gewissheit über die Gesundheitsgefahr zu bekommen, müssen Risikoforscher eine Herkulesaufgabe stemmen.
Denn "Nano" ist nicht gleich "Nano". So unterschiedlich Form und Material der Partikel, so verschieden ist auch ihre Wirkung auf den Organismus. Beispielsweise ähneln die Kohlenstoffröhrchen Asbestfasern, die Entzündungen und auf Dauer Krebs auslösen können. Britische Forscher, die daraufhin die Nanonadeln in die Bauchhöhle von Mäusen injizierten, beobachteten Entzündungen im so genannten Mesothel, einem Gewebe, das die Lunge ummantelt. Allerdings hatten nur lange Röhrchen diese Wirkung, kurze hingegen nicht [1].
"Typische Reaktion auf fremde Partikel"
Riskant ist auch die Winzigkeit der Teilchen selbst. Eingeatmete Partikel gelangen in die kleinsten Lungenbläschen, wo normalerweise Fremdkörper von Makrophagen des Immunsystems unschädlich gemacht werden.
Dazu passt ein Befund des Forschungsprojekts NanoCare, das von Bund und Industrieunternehmen finanziert wurde und vor Kurzem seinen Abschlussbericht vorlegte. Die Forscher ließen Ratten Titandioxid-Nanopartikel einatmen. "Sie riefen eine Entzündung der Lunge hervor", heißt es auf der Internetseite von NanoCare. Dies sei zwar eine typische Reaktion auf fremde Partikel. Die Reaktion sei aber stärker gewesen als auf Stäube aus gröberem Titandioxid.
Insgesamt habe das dreijährige Forschungsprojekt für einige gebräuchliche Nanomaterialien "keine ernsten biologischen Wirkungen" nachweisen können, heißt es in einer Mitteilung von NanoCare. Allerdings haben die NanoCare-Forscher einige der laut Woodrow-Wilson-Datenbank am weitesten verbreiteten Nanopartikelarten, insbesondere solche aus Silber und Gold, nicht untersucht.
Zurück zur menschlichen Lunge: Sie ist nicht nur ein gefährdetes Organ, sondern nach Ansicht von Experten auch ein Einfallstor in den Blutkreislauf. Denn die rund ein tausendstel Millimeter dicke Wand zwischen Lungenbläschen und Blutgefäßen können manche der Partikel einfach durchdringen. Forscher fanden dementsprechend von Versuchstieren und Menschen eingeatmete Nanoteilchen im Blut oder in Organen wieder.
Nicht immer ist auch "Nano" drin
"Der letztendlich erreichte Anteil im Blut hängt sehr vom Material ab, aus dem die Teilchen bestehen, sowie von deren Größe und Oberflächeneigenschaften", sagt Kreyling. Entsprechend stark schwanken die im Körper nachgewiesenen Anteile: Je nach Art der Teilchen lagen sie mal bei weniger als einem, mal bei 50 Prozent der eingeatmeten Mengen [2, 3]. Während die gesunde Haut als undurchlässig für Nanoteilchen gelte, würden es laut Kreyling je nach Material bis zu fünf Prozent der Partikel auch durch die Darmwand schaffen.
Im Blut angelangt, ist der Weg in die Zellen frei. Was dort passieren kann, zeigen mehrere Studien an Zellkulturen. So scheinen etwa Titandioxid-Nanopartikel so genannten oxidativen Stress auszulösen, der Zellproteine und die Erbsubstanz schädigen kann, während Silber-Nanoteilchen in Zellkerne eindringen und die Teilungsfähigkeit der DNA herabsetzen [4]. Schleichen sich bei der Vervielfältigung des Erbmoleküls Fehler ein, kann das schließlich sogar zu Krebs führen.
Machen Nanoprodukte also krank? Diese und noch viele weitere Befunde beweisen weder das eine noch das andere. Denn selbst vom giftigsten Stoff geht keine Gefahr aus, wenn er nicht in ausreichender Menge in den Körper gelangt. Und darin besteht ein Grundproblem der Risikoforscher: Sie wissen nicht, wie viele Nanopartikel aus Produkten heraus- und in den menschlichen Körper hineingelangen.
Sie wissen nicht einmal, ob Konsumenten überhaupt in nennenswertem Maß mit ihnen in Kontakt kommen: "Wahrscheinlich sind viele der Teilchen in den mit 'Nano' etikettierten Produkten gar keine Nanopartikel", sagt Kreyling. Denn oft verklumpen sie zu Agglomeraten, die mit mehr als tausend Nanometer Durchmesser keine Chance haben, ins Blut einzudringen. Aber sicher sind sich die Forscher nicht. "Es gibt keine Daten von der Industrie über den Anteil wirklicher Nanoteilchen", sagt Kreyling.
Auch Feststoffe setzen Partikel frei
Forscher des Projekts NanoCare stellten deshalb eine Produktionssituation experimentell nach, indem sie Pulver über eine Rüttelschiene in ein Fallrohr gaben, das im Gegenstrom mit sauberer Luft durchpustet wurde. Dieses Verfahren simuliert die beim Umschütten der Pulver auftretenden Kräfte. Insgesamt untersuchten sie 19 Variationen von acht Materialien. Bei acht der Materialvarianten erhöhte sich die Zahl der Nanopartikel durch das Schütten deutlich [5]. Zumindest ein Teil der Nanoprodukte dürfte also tatsächlich Nanoteilchen enthalten.
Bleibt die Frage, wie viel davon in die Umgebung gelangt. Flüssigkeiten und Kremes setzen, so die vorherrschende Meinung, Teilchen leichter frei als Gegenstände wie der Tennisschläger mit Nanoröhrchen. Doch auch hier sind sie nicht so fest gebunden, wie man annimmt. Forscher um Tinh Nguyen vom US-amerikanischen National Institute of Standards and Technology (NIST) bestrahlten einen Verbundwerkstoff aus Epoxidharz und Kohlenstoff-Nanoröhrchen mit UV-Licht. Der Kunststoff zersetzte sich, und die Nanoröhrchen wanderten an seine Oberfläche, wo sie sich zu einem Netzwerk verbanden [6].
Claudia Som von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Sankt Gallen vermutet, dass Nanopartikel in allen Phasen des Produktlebenszyklus in die Umwelt gelangen können – auch während des Recyclings. "Würde beim Innovationsprozess dem Recycling und der Entsorgung eines Produkts mehr Beachtung geschenkt, ließe sich die unabsichtliche Freisetzung der Nanopartikel auch während dieser Phasen vermindern", sagt die Biologin.
Unbedenklich selbst im "worst Case"
Wie hoch die Belastung von Böden, Luft und Wasser tatsächlich ist, können Forscher bestenfalls nur abschätzen, denn nachweisen lassen sich künstlich hergestellte Nanoteilchen in der Umwelt noch nicht. Nach einer solchen Modellrechnung gibt eine Schweizer Studie jetzt vorsichtige Entwarnung. Nicole Mueller und Bernd Nowack von der Empa schätzten im Jahr 2008 das Aufkommen ab anhand von Annahmen über das weltweite Produktionsvolumen, über deren Verteilung auf verschiedene Produktkategorien und darüber, wie Wasser, Böden und Luft die Teilchen untereinander austauschen ab [7].
Dabei gelangten sie zu Konzentrationswerten für Wasser, Luft und Böden, die nach bisherigen Erkenntnissen als ungefährlich für Lebewesen gelten. Wegen der Unsicherheit der Annahmen schwankten die Ergebnisse jedoch erheblich. Doch selbst im "Worst-Case-Szenario" ergab sich lediglich für Titandioxid-Nanopartikel ein nennenswertes Risiko für Wasserlebewesen. Hier überstieg die Konzentration den Grenzwert um das 16-Fache. Das zu erwartende starke Anwachsen in der Produktion von Nanopartikeln berücksichtigte die Studie allerdings nicht.
Ungewissheit über ihre Verbreitung, mannigfaltige Wirkungen und unterschiedliche Materialien, Formen, Größen und Oberflächenbeschichtungen – angesichts dieser Unsicherheitsfaktoren verbieten sich pauschale Aussagen über die Gesundheitsgefahr. Nanopartikel seien eben nur über ihre Größe definiert, meint Rolf Hertel vom Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung. "Das ist ungefähr so, als würde man alle Dinge erforschen, die kleiner sind als einen Meter." Und deren Gefährlichkeit schwankt bekanntlich zwischen der einer Pistole und der eines Fußballs.
Nanomaterialen – meist auf weniger als 100 Nanometer Durchmesser zerkleinerte Partikel – erobern an vielen Fronten den Markt. Titandioxid und Zinkoxid blocken UV-Strahlen in Sonnenkremes, Textilien und Holzschutzmitteln, Goldnanopartikel tauchen in Schwangerschaftstests auf.
Dahinter steckt ein einfaches Prinzip: Zerkleinert man ein Material in immer winzigere Teilchen, wächst seine Oberfläche um ein Vielfaches. Verglichen mit einem Fußball ist ein Nanopartikel so groß wie der Fußball verglichen mit der Erde. Ein Pulver aus diesen Teilchen bietet seiner Umgebung daher enorm viel Kontaktfläche. Resultat: Nanopartikel aus Silber machen Bakterien weitaus effizienter den Garaus als Staub aus größeren Körnchen.
Manchmal entscheidet eher die Form: Winzige Röhrchen aus reinem Kohlenstoff erhöhen in Kunststoffe eingebettet die Bruchzähigkeit von Tennisschlägern oder Fahrradrahmen. Die Struktur der Fasern verleiht ihnen eine höhere Festigkeit als Stahl, dabei sind sie sechsmal leichter. Ein Traummaterial für Ingenieure.
Keiner weiß, wo überall Nanoprodukte drin sind
Kein Wunder, dass die Zahl der Konsumprodukte, die Nanopartikel enthalten, explodiert. Zählte die Datenbank des Project on Emerging Nanotechnologies des US-amerikanischen Woodrow Wilson International Center for Scholars in Washington D.C. vor gut drei Jahren weltweit rund 200 Produkte, sind es mittlerweile über 800.
Dabei dürfte die tatsächliche Anzahl sogar noch weit darüber liegen. "Allein in Deutschland sind es vielleicht schon mehr als 800", schätzt Jurek Vengels vom Projekt Chemikalienpolitik und Nanotechnologie des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Viele Hersteller halten ihre Rezepturen lieber geheim und geben die Verwendung von Nanomaterialien nicht bekannt.
Doch in die allgemeine Euphorie mischen sich warnende Stimmen, mehren sich doch Hinweise, dass Nanoteilchen der menschlichen Gesundheit schaden könnten. Aber während die Industrie längst Fakten schafft, hinkt die Forschung hinterher. Um Gewissheit über die Gesundheitsgefahr zu bekommen, müssen Risikoforscher eine Herkulesaufgabe stemmen.
Denn "Nano" ist nicht gleich "Nano". So unterschiedlich Form und Material der Partikel, so verschieden ist auch ihre Wirkung auf den Organismus. Beispielsweise ähneln die Kohlenstoffröhrchen Asbestfasern, die Entzündungen und auf Dauer Krebs auslösen können. Britische Forscher, die daraufhin die Nanonadeln in die Bauchhöhle von Mäusen injizierten, beobachteten Entzündungen im so genannten Mesothel, einem Gewebe, das die Lunge ummantelt. Allerdings hatten nur lange Röhrchen diese Wirkung, kurze hingegen nicht [1].
"Typische Reaktion auf fremde Partikel"
Riskant ist auch die Winzigkeit der Teilchen selbst. Eingeatmete Partikel gelangen in die kleinsten Lungenbläschen, wo normalerweise Fremdkörper von Makrophagen des Immunsystems unschädlich gemacht werden.
"Wahrscheinlich sind viele der Teilchen in den mit 'Nano' etikettierten Produkten gar keine Nanopartikel"
(Wolfgang Kreyling)
Doch auf die neuen Nanomaterialien sind diese Zellen nicht eingerichtet: "Unser körpereigenes Abwehrsystem bekämpft Fremdkörper, die 10 bis 100 Mal größer sind als Nanopartikel", sagt Wolfgang Kreyling vom Deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt in München. (Wolfgang Kreyling)
Dazu passt ein Befund des Forschungsprojekts NanoCare, das von Bund und Industrieunternehmen finanziert wurde und vor Kurzem seinen Abschlussbericht vorlegte. Die Forscher ließen Ratten Titandioxid-Nanopartikel einatmen. "Sie riefen eine Entzündung der Lunge hervor", heißt es auf der Internetseite von NanoCare. Dies sei zwar eine typische Reaktion auf fremde Partikel. Die Reaktion sei aber stärker gewesen als auf Stäube aus gröberem Titandioxid.
Insgesamt habe das dreijährige Forschungsprojekt für einige gebräuchliche Nanomaterialien "keine ernsten biologischen Wirkungen" nachweisen können, heißt es in einer Mitteilung von NanoCare. Allerdings haben die NanoCare-Forscher einige der laut Woodrow-Wilson-Datenbank am weitesten verbreiteten Nanopartikelarten, insbesondere solche aus Silber und Gold, nicht untersucht.
Zurück zur menschlichen Lunge: Sie ist nicht nur ein gefährdetes Organ, sondern nach Ansicht von Experten auch ein Einfallstor in den Blutkreislauf. Denn die rund ein tausendstel Millimeter dicke Wand zwischen Lungenbläschen und Blutgefäßen können manche der Partikel einfach durchdringen. Forscher fanden dementsprechend von Versuchstieren und Menschen eingeatmete Nanoteilchen im Blut oder in Organen wieder.
Nicht immer ist auch "Nano" drin
"Der letztendlich erreichte Anteil im Blut hängt sehr vom Material ab, aus dem die Teilchen bestehen, sowie von deren Größe und Oberflächeneigenschaften", sagt Kreyling. Entsprechend stark schwanken die im Körper nachgewiesenen Anteile: Je nach Art der Teilchen lagen sie mal bei weniger als einem, mal bei 50 Prozent der eingeatmeten Mengen [2, 3]. Während die gesunde Haut als undurchlässig für Nanoteilchen gelte, würden es laut Kreyling je nach Material bis zu fünf Prozent der Partikel auch durch die Darmwand schaffen.
Im Blut angelangt, ist der Weg in die Zellen frei. Was dort passieren kann, zeigen mehrere Studien an Zellkulturen. So scheinen etwa Titandioxid-Nanopartikel so genannten oxidativen Stress auszulösen, der Zellproteine und die Erbsubstanz schädigen kann, während Silber-Nanoteilchen in Zellkerne eindringen und die Teilungsfähigkeit der DNA herabsetzen [4]. Schleichen sich bei der Vervielfältigung des Erbmoleküls Fehler ein, kann das schließlich sogar zu Krebs führen.
Machen Nanoprodukte also krank? Diese und noch viele weitere Befunde beweisen weder das eine noch das andere. Denn selbst vom giftigsten Stoff geht keine Gefahr aus, wenn er nicht in ausreichender Menge in den Körper gelangt. Und darin besteht ein Grundproblem der Risikoforscher: Sie wissen nicht, wie viele Nanopartikel aus Produkten heraus- und in den menschlichen Körper hineingelangen.
Sie wissen nicht einmal, ob Konsumenten überhaupt in nennenswertem Maß mit ihnen in Kontakt kommen: "Wahrscheinlich sind viele der Teilchen in den mit 'Nano' etikettierten Produkten gar keine Nanopartikel", sagt Kreyling. Denn oft verklumpen sie zu Agglomeraten, die mit mehr als tausend Nanometer Durchmesser keine Chance haben, ins Blut einzudringen. Aber sicher sind sich die Forscher nicht. "Es gibt keine Daten von der Industrie über den Anteil wirklicher Nanoteilchen", sagt Kreyling.
Auch Feststoffe setzen Partikel frei
Forscher des Projekts NanoCare stellten deshalb eine Produktionssituation experimentell nach, indem sie Pulver über eine Rüttelschiene in ein Fallrohr gaben, das im Gegenstrom mit sauberer Luft durchpustet wurde. Dieses Verfahren simuliert die beim Umschütten der Pulver auftretenden Kräfte. Insgesamt untersuchten sie 19 Variationen von acht Materialien. Bei acht der Materialvarianten erhöhte sich die Zahl der Nanopartikel durch das Schütten deutlich [5]. Zumindest ein Teil der Nanoprodukte dürfte also tatsächlich Nanoteilchen enthalten.
Bleibt die Frage, wie viel davon in die Umgebung gelangt. Flüssigkeiten und Kremes setzen, so die vorherrschende Meinung, Teilchen leichter frei als Gegenstände wie der Tennisschläger mit Nanoröhrchen. Doch auch hier sind sie nicht so fest gebunden, wie man annimmt. Forscher um Tinh Nguyen vom US-amerikanischen National Institute of Standards and Technology (NIST) bestrahlten einen Verbundwerkstoff aus Epoxidharz und Kohlenstoff-Nanoröhrchen mit UV-Licht. Der Kunststoff zersetzte sich, und die Nanoröhrchen wanderten an seine Oberfläche, wo sie sich zu einem Netzwerk verbanden [6].
Claudia Som von der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) in Sankt Gallen vermutet, dass Nanopartikel in allen Phasen des Produktlebenszyklus in die Umwelt gelangen können – auch während des Recyclings. "Würde beim Innovationsprozess dem Recycling und der Entsorgung eines Produkts mehr Beachtung geschenkt, ließe sich die unabsichtliche Freisetzung der Nanopartikel auch während dieser Phasen vermindern", sagt die Biologin.
Unbedenklich selbst im "worst Case"
Wie hoch die Belastung von Böden, Luft und Wasser tatsächlich ist, können Forscher bestenfalls nur abschätzen, denn nachweisen lassen sich künstlich hergestellte Nanoteilchen in der Umwelt noch nicht. Nach einer solchen Modellrechnung gibt eine Schweizer Studie jetzt vorsichtige Entwarnung. Nicole Mueller und Bernd Nowack von der Empa schätzten im Jahr 2008 das Aufkommen ab anhand von Annahmen über das weltweite Produktionsvolumen, über deren Verteilung auf verschiedene Produktkategorien und darüber, wie Wasser, Böden und Luft die Teilchen untereinander austauschen ab [7].
Dabei gelangten sie zu Konzentrationswerten für Wasser, Luft und Böden, die nach bisherigen Erkenntnissen als ungefährlich für Lebewesen gelten. Wegen der Unsicherheit der Annahmen schwankten die Ergebnisse jedoch erheblich. Doch selbst im "Worst-Case-Szenario" ergab sich lediglich für Titandioxid-Nanopartikel ein nennenswertes Risiko für Wasserlebewesen. Hier überstieg die Konzentration den Grenzwert um das 16-Fache. Das zu erwartende starke Anwachsen in der Produktion von Nanopartikeln berücksichtigte die Studie allerdings nicht.
Ungewissheit über ihre Verbreitung, mannigfaltige Wirkungen und unterschiedliche Materialien, Formen, Größen und Oberflächenbeschichtungen – angesichts dieser Unsicherheitsfaktoren verbieten sich pauschale Aussagen über die Gesundheitsgefahr. Nanopartikel seien eben nur über ihre Größe definiert, meint Rolf Hertel vom Berliner Bundesinstitut für Risikobewertung. "Das ist ungefähr so, als würde man alle Dinge erforschen, die kleiner sind als einen Meter." Und deren Gefährlichkeit schwankt bekanntlich zwischen der einer Pistole und der eines Fußballs.
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