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Aids: Heikle Strategien

Millionen Menschen leben mit einem Virus, das sie letztendlich töten wird: HIV. Medikamente können den Krankheitsverlauf nur verzögern, der einzig wirksame Schutz heißt Ansteckung vermeiden. Wie das zu erreichen und Infizierten am effizientesten zu helfen ist, sorgt für erregte Debatten.
Aids-Therapie
38,6 Millionen, 4,1 Millionen, 2,8 Millionen – so viele Menschen unseres Planeten tragen das HI-Virus, infizierten sich im Jahr 2005 damit, starben im vergangenen Jahr an damit verbundenen Krankheiten. In den 1980er Jahren erstmals bewusst wahrgenommen und zunächst als Krankheit von Risikogruppen wie Homosexuellen und Drogensüchtigen eingestuft, hat der Aids-Erreger längst sämtliche Bevölkerungs- und Altersschichten erreicht und durchdrungen. Nach wie vor gibt es keine Heilung, nur eine Verzögerung der tödlichen Immunschwäche durch Medikamente. Nach wie vor bleibt Schutz vor Ansteckung das wichtigste Instrument, die weitere Ausbreitung zu verhindern. Nach wie vor gibt es unerklärliche und schockierende Hürden und Streit darüber, wie Vorsorge und Hilfe am sinnvollsten zu organisieren sei.

Und obwohl nach wie vor die Ärmsten der Armen am stärksten betroffen sind und am wenigsten Hilfe bekommen, sieht die Weltgesundheitsorganisation WHO Grund zu Optimismus: Ein Vierteljahrhundert nach dem ersten Alarm zeigen sich endlich Fortschritte in Gesundheitsprogrammen zur Vermeidung von Neuinfektionen und der Behandlung Infizierter. Auch in Afrika, auch bei Frauen und Kindern, auch in ländlichen Regionen.

Musterknabe Uganda?

Als Vorzeigebeispiel dient häufig Uganda. 1991 waren etwa 15 Prozent der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert, 2001 sank dieser Anteil auf fünf Prozent, zum Ende 2005 rechnete die WHO mit 6,7 Prozent. Zum Schlüssel des Erfolges dürfte zählen, dass hier schon sehr früh auf die neue Bedrohung reagiert wurde. So hatte Yoweri Museveni, Präsident des vom Bürgerkrieg zerrütteten Landes, bereits 1986 erklärt, die Nation sei noch immer im Krieg, und der Feind sei Aids. Staatliche Aufklärungskampagnen forderten dazu auf, sich sexuell verantwortungsbewusst zu verhalten und dem Ehepartner treu zu sein. In den späteren Jahren betonte Museveni dabei auch die Gleichstellung der Frauen: "Um Aids wirkungsvoll zu bekämpfen, müssen wir Frauen mehr Macht geben", sagte er 2001.

Er verfolgte damit die ABC-Strategie, die Basis des "Notfallsplans gegen Aids" des amerikanischen Präsidenten George W. Bush: Abstinenz, Treue (Be faithful) und Kondomgebrauch (Condom use). Und die Botschaft scheint anzukommen – Jugendliche machen ihre ersten sexuellen Erfahrungen inzwischen ein bis zwei Jahre später, der Prozentsatz von vorehelichem Geschlechtsverkehr ist dramatisch gesunken und auch die Zahl wechselnder Sexualpartner.
"Um Aids wirkungsvoll zu bekämpfen, müssen wir Frauen mehr Macht geben"
(Yoweri Museveni)
Seitensprünge treten seltener auf, und die frühere Ansicht, eine Geschlechtskrankheit adele einen Mann, gilt inzwischen als dumm. Abstinenz und Treue – diese Konzepte fielen auf fruchtbaren Boden, berichten Elaine Murphy vom Population Reference Bureau und Margaret Greene vom Internationalen Frauenforschungszentrum, beide in New York [1].

Doch wie sieht es aus mit dem Kondomgebrauch? Schließlich geht es hierbei nicht darum, ein "lockeres Liebeslotterleben" zu ermöglichen, sondern um Schutz für jeden mit aktivem Sexualleben. Selbst in Uganda, wo in Frauenfragen sicherlich einiges erreicht wurde, liegt hier noch vieles im Argen. Bei einer Befragung äußerten neun Prozent, sie könnten ihrem Ehepartner den Geschlechtsverkehr nicht verweigern, wenn er eine sexuell übertragbare Krankheit hätte. Damit liegt Uganda zwar ein gutes Stück vor anderen afrikanischen Ländern, in denen Frauen weit weniger Selbstbestimmung angeben, doch noch immer gibt es viel zu tun: Die Zahl der verheirateten Frauen, die zum Schutz vor HIV Kondome verwenden, kletterte von null auf gerade einmal 0,8 Prozent, bei unverheirateten Frauen von 15,4 auf 29 Prozent. Bei verheirateten Männern greifen inzwischen immerhin fünf Prozent zum Präservativ, bei jungen Singles sind es sogar 57  von hundert.

Abstinenz und Treue – wo bleiben die Kondome?

Dies weiter anzukurbeln, scheint aber nicht im Sinn des verantwortlichen Geldgebers USA, bemängeln Alexandra Mihailovic von der Universität Toronto und Peter Olupot-Olupot von der Universität Kapstadt in einer Erwiderung. Geldmittel aus dem Fond sollen verstärkt in Projekte zur Abstinenzförderung fließen, die als Mittel der Wahl gepredigt wird, eine Ansteckung zu vermeiden. Dabei verweisen die Verantwortlichen gern auf die Unzuverlässigkeit von Kondomen. Dass auch Abstinenz nur funktioniert, wenn sie konsequent eingehalten wird, fällt dabei häufig unter den Tisch.

"Die ABC-Strategien verfehlen die realen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ursachen der Epidemie. Sie enden darin, dass Infizierte beschuldigt werden, weil ihnen unterstellt wird, dass sie die ABC-Sätze nicht angenommen und praktiziert haben." Weiterhin ignoriere der ABC-Ansatz Risikogruppen wie Prostituierte und jene, denen die Entscheidung für sicheren Sex vorenthalten wird.
"Die ABC-Strategien verfehlen die realen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Ursachen der Epidemie"
(Alexandra Mihailovic und Peter Olupot-Olupot)
Zudem blieben gefährdete Homosexuelle und Drogensüchtige außen vor, mahnen Mihailovic und Olupot-Olupot. Sich auf Abstinenz und Treue zu konzentrieren, führe zu solch unsinnigen Projekten, dass die Gelder für Aufklärungskampagnen in Schulen verwendet werden dürfen – aber nicht für Informationen über Kondomgebrauch oder gar deren Verteilung. Angesichts dessen, dass 16 Prozent der Mädchen unter 15 bereits sexuelle Erfahrungen sammeln, eine fatale Einschränkung.

Die Betonung der Treue gefährde darüber hinaus ausgerechnet eine der größten Risikogruppen in Uganda, betonen die Forscher weiter – die der verheirateten Frauen. Schließlich seien Seitensprünge bei verheirateten Männern offenbar noch immer häufig, und die Ansicht, eine Ehefrau dürfe sich ihrem Mann nicht verweigern, sei noch weit verbreitet. Abstinenz können diese Frauen nicht durchsetzen, und Treue hilft ihnen nicht – Kondome schon. "Der enorme Schaden, der durch die letzte Kampagne gegen die Verwendung von Kondomen – basierend auf dem damit verknüpften Promiskuitätsverdacht – entstanden ist, kann gar nicht überschätzt werden", zürnen die Autoren. Wenn das Ziel des Notfallplans, bis 2010 sieben Millionen Neuinfektionen zu verhindern, erreicht werden soll, müssen Kondome und Aufklärung weit stärker in den Blickpunkt rücken, schließen Mihailovic und Olupot-Olupot.

Knappe Hilfe – für wen?

Ähnlich kontrovers wie die richtige Strategie zum Schutz vor Ansteckung wird die Behandlung Infizierter diskutiert. Wer soll in den Genuss der teuren Medikamente kommen, wenn nicht genug für alle zur Verfügung steht? Eine Frage, die sich unter anderem der südafrikanischen Regierung stellt – bis 2008 sollen in der Provinz KwaZulu-Natal 500 000 Menschen behandelt werden. Um einzelne Konzepte auf den möglichen Erfolg zu testen, entwickelten David Wilson von der Universität von Kalifornien in Los Angeles und seine Kollegen ein mathematisches Modell. Zwei untersuchte Strategien kamen sowohl Land- als Stadtbewohnern zugute, in der dritten wurden nur Infizierte in Durban versorgt.

Das Ergebnis ist höchst konfliktträchtig: Konzentriert sich die antiretrovirale Therapie allein auf Durban, warten die größten Erfolge hinsichtlich Eindämmung der Ausbreitung, Sterblichkeit und Resistenzentwicklung [2]. Die Zahl der Neuinfektionen würde um bis zu 46 Prozent sinken, darin gipfelnd, dass bis 2008 insgesamt 15 000 zusätzliche Ansteckungen verhindert werden könnten im Vergleich zu den beiden Taktiken, die auch die ländlichen Gegenden mit einbezögen.

Doch welche Folgen hätte das für die Menschen außerhalb der Stadt?
"Leider kann man nicht maximalen Erfolg haben und gleichzeitig ethisch handeln"
(Sally Blower)
Hier reduzierte sich die Übertragung um nicht einmmal fünf Prozent, und die Todesrate ginge sogar nur um 0,1 Prozent zurück. Würden die Medikamente aber gleich verteilt, profitierte Durban zwar deutlich weniger – um 11 bis 28 Prozent verminderte Übertragung, um 26 Prozent geringere Mortalität –, doch auch auf dem Land gäbe es Erfolge (um 17 bis 37 Prozent verringerte Neuansteckung, um 34 Prozent niedrigere Sterblichkeit).

"Leider kann man nicht maximalen Erfolg haben und gleichzeitig ethisch handeln", bedauert Sally Blower, Leiterin der Studie. Denn den nackten Fakten der Simulation steht nun natürlich die moralische Verantwortung der Regierung für die Betroffenen gegenüber. Ist sie der übergeordneten Gesundheit aller und damit dem größten Nutzen verpflichtet? Oder dem Prinzip ausgleichender Gerechtigkeit, wonach die sowieso bereits benachteiligten ländlichen Gegenden dem städtischen Zentrum gegenüber nicht vernachlässigt werden dürfen? Wer diese Entscheidung treffen muss, ist sicher nicht zu beneiden.

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