Neurofeedback: Heilsame Rückmeldung
Durch Neurofeedback lernt man, eigene Hirnaktivitäten gezielt zu steuern. Menschen mit zentralnervösen Störungen wie ADHS oder Epilepsie können so ihre Symptome lindern.
Gebannt starrt der zehnjährige Patrick auf das Computerspiel am Monitor. Fußball ist angesagt, doch Patrick hat keinen Joystick in der Hand und bedient auch kein Keyboard: Er muss es allein mit der Macht seiner Gedanken schaffen, dass sein Torwart den Ball hält. Patricks Gehirnströme werden über aufgeklebte Elektroden abgeleitet und steuern die Software. Der Torwart hält den Ball nur dann, wenn eine Kugel im unteren Bildabschnitt durch die Konzentration des Jungen nach oben gelenkt wurde.
Was wie Sciencefiction klingt, wird heutzutage bei den unterschiedlichsten zentralnervösen Störungen eingesetzt. Mit dem "Neurofeedback" soll auch Patrick seine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in den Griff bekommen. Im Alltag prasseln Reize nur so auf ihn ein, werden kaum gefiltert. Das Training mit dem Computerspiel hilft ihm hingegen, sich besser zu konzentrieren und weniger impulsiv zu verhalten.
Der Computer analysiert dazu die Daten der EEG-Elektroden und bereitet sie grafisch auf. So erhält Patrick eine visuelle Rückmeldung (englisch feedback) über seine aktuelle Hirnaktivität. Die Hirnstrommuster hängen vom momentanen Bewusstseinszustand ab: Vom Schlaf über das Dösen und eine ruhige Entspanntheit bis zu geistiger Anspannung werden bestimmte Hirnwellen immer schneller.
So genannte Thetawellen etwa gehen mit tiefer Entspannung und Tagträumen einher, während Betawellen Aufmerksamkeit – also mentale Wachheit – bedeuten. Sie treten vor allem dann auf, wenn sich ein Mensch bewusst konzentriert. Wie Studien zeigen, behalten die langsamen EEG-Frequenzen bei Menschen mit ADHS die Oberhand, obwohl der Patient eigentlich aufmerksam sein will. Im Grunde ist das Gehirn der Betroffenen untererregt, was zunächst überrascht, wenn man bedenkt, wie hyperaktiv sie in ihrem Verhalten sind. Indem sie Rückmeldung in Form ihres eigenen Hirnstrommusters bekommen, können Probanden wie Patrick lernen, sich selbst besser zu steuern.
Hoch und runter mit den Wellen
Genau hier setzten Forscher um den Psychologen Holger Gevensleben von der Universitätsmedizin Göttingen an, die 2010 Vorgehen und Ergebnisse einer akribischen Studie zusammenfassten [1]. Neben Patrick baten sie rund 100 weitere Kinder mit ADHS ins Labor. Die Kleinen absolvierten über Wochen hinweg entweder ein Neurofeedback-Training oder ein herkömmliches computergestütztes Aufmerksamkeitstraining. Dabei sollten sie unter anderem lernen, die langsamen "verträumten" Thetawellen zu senken und schnelle Betawellen zu erhöhen. Auf dem Computerbildschirm sahen sie beispielsweise, wie eine animierte Figur auf einem Seil balanciert. Sie kam nur voran, wenn sich die Theta-Aktivität im EEG reduziert und die Beta-Aktivität erhöht hatte. Für jeden Schritt, die der Seiltänzer vorankam, erhielten die Kinder Punkte.
Doch woher wissen Probanden wie sie ihre Hirnwellen steuern sollen? "Sie lernen über Versuch und Irrtum", erklärt die Psychologin Ute Strehl von der Universität Tübingen. "Über die kontinuierliche Rückmeldung am Bildschirm sehen sie, ob es ihnen gelingt, ihre elektrischen Gehirnpotenziale in die gewünschte Richtung zu verändern." Mit der Zeit bekämen sie ein inneres Bild davon, was richtig ist. "Ähnlich wie wenn ein Tennistrainer einem Schützling immer wieder Aufnahmen von der eigenen Schlagtechnik zeigt und ihm Rückmeldung gibt." Nur passiere das bei Neurofeedback unmittelbar während des Verhaltens.
Forscher machen sich hierbei das Prinzip des operanten Konditionierens zu Nutze. Gewünschtes Verhalten wird belohnt und so positiv verstärkt. "Beim Neurofeedback handelt es sich um 'Lernen durch Erfolg'. Verhalten, das erfolgreich ist, behalten wir bei", sagt Ute Strehl.
Erfolgserlebnisse
In der Studie des Teams um Gevensleben hatten am Ende nicht nur die Kleinen Erfolgserlebnisse, sondern auch die Forscher. Zog man das Verhalten der Kinder heran, schnitt das Neurofeedback-Training deutlich besser ab als das Vergleichstraining. Das spiegelte sich auch auf neurophysiologischer Ebene wider. Die Abnahme der langsamen Thetawellen ging mit reduzierten ADHS-Symptomen einher. Die Besserung des Verhaltens erwies sich als stabil und ließ sich auch sechs Monate nach Abschluss des Trainings nachweisen.
Ihre Studie habe gezeigt, dass Neurofeedback die Symptome um fast ein Drittel reduziert und dabei einem gewöhnlichen computergestützten Aufmerksamkeitstraining deutlich überlegen ist, so Holger Gevensleben. "Es ist wichtig, dass die Kinder bei der Therapie aktiv mitarbeiten und ihre Eltern sie beim Transfer der erlernten Selbstregulationsstrategien in den Alltag unterstützen", fügt er hinzu.
Zusätzliche Unterstützung bekommen diese Ergebnisse durch eine Studie von Ute Strehl. 2009 konnte sie gemeinsam mit Kollegen in einer Metaanalyse der damals veröffentlichten Studien aufzeigen, dass Neurofeedback im Hinblick auf zwei Kernsymptome von ADHS – Impulsivität und Unaufmerksamkeit – sehr große Erfolge erzielt [2]. In Sachen Hyperaktivität konnten die Forscher immerhin mittlere Effekte nachweisen. Neben Medikation und anderen verhaltenstherapeutischen Ansätzen empfiehlt sich Neurofeedback offensichtlich als weiterer Therapiebaustein zur Behandlung von Menschen mit ADHS.
Hemmung und Erregung
In ihren eigenen Experimenten mit Neurofeedback setzen Strehl und ihre Kollegen vor allem auf so genannte langsame kortikale Potenziale. Diese spiegeln wider, wie sehr der Kortex erregbar ist. "Es sind Potenzialschwankungen, die immer zwischen elektrisch negativer Aktivität – das Gehirn ist erregt – und elektrisch positiver Aktivität – das Gehirn ist gehemmt – wechseln", erklärt Ute Strehl. Bei Schwankungen in negativer Richtung könne man sich schnell und aktiv auf Reize einstellen.
"Es stehen somit weniger Ressourcen zur Verfügung, mit denen eine kognitive oder motorische Antwort vorbereitet werden kann", meint Strehl. Beim Training mit Neurofeedback sollen die Betroffenen daher wieder und wieder negative Potenzialveränderungen herstellen. "Allerdings müssen sie auch gleichzeitig lernen, das Gehirn zu 'hemmen' und so die ganze Bandbreite von Erregung und Hemmung wie bei einem gesunden Menschen zu beherrschen", betont die Tübinger Psychologin.
Die richtige Balance zwischen Erregung und Hemmung ist also wichtig. Was nämlich passiert, wenn das Pendel in die andere Richtung ausschlägt und das Gehirn übererregt ist, zeigen die Fälle von Epilepsiepatienten. Bei dieser Erkrankung erleiden die Betroffenen spontan auftretende Krampfanfälle. Rund ein Drittel von ihnen spricht nicht auf herkömmliche Medikation an. Vor einem Anfall konnten Forscher starke negative Schwankungen im Gehirn der Betroffenen feststellen. "Die Patienten konnten nicht mehr hemmen", sagt Ute Strehl. "Daher trainieren wir heute mit dem Feedback, die negativen Schwankungen zu reduzieren."
Durch eine Metaanalyse belegten Strehl und ihre Kollegen, dass Neurofeedback die Häufigkeit der Anfälle signifikant reduzierte [3]. "Wir konnten auch neun Jahre nach der Therapie anhaltende Verbesserungen bei den Patienten feststellen, denen das Feedback ursprünglich etwas gebracht hatte."
Bereits in 1960er Jahren stieß der Psychologe Barry Sterman durch Zufall auf die besonderen Anwendungsmöglichkeiten von Neurofeedback. Er trainierte Katzen darauf, ihre EEG-Wellen so zu verändern, dass sie in einen entspannten Zustand gerieten. Später experimentierte er mit dem Gift Monomethylhydrazin, das normalerweise epileptische Anfälle auslöst. Interessanterweise jedoch wirkte es nicht bei den Katzen, die in den Genuss des "Entspannungstrainings" gekommen waren. Später begann man das Neurofeedback auch bei anderen Störungen wie ADHS und Autismus anzuwenden. Dennoch blieben handfeste Nachweise der Wirksamkeit aus und die Behandlung umstritten. Das könnte sich nun zumindest im Fall von ADHS und Epilepsie geändert haben.
Was wie Sciencefiction klingt, wird heutzutage bei den unterschiedlichsten zentralnervösen Störungen eingesetzt. Mit dem "Neurofeedback" soll auch Patrick seine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) in den Griff bekommen. Im Alltag prasseln Reize nur so auf ihn ein, werden kaum gefiltert. Das Training mit dem Computerspiel hilft ihm hingegen, sich besser zu konzentrieren und weniger impulsiv zu verhalten.
Der Computer analysiert dazu die Daten der EEG-Elektroden und bereitet sie grafisch auf. So erhält Patrick eine visuelle Rückmeldung (englisch feedback) über seine aktuelle Hirnaktivität. Die Hirnstrommuster hängen vom momentanen Bewusstseinszustand ab: Vom Schlaf über das Dösen und eine ruhige Entspanntheit bis zu geistiger Anspannung werden bestimmte Hirnwellen immer schneller.
So genannte Thetawellen etwa gehen mit tiefer Entspannung und Tagträumen einher, während Betawellen Aufmerksamkeit – also mentale Wachheit – bedeuten. Sie treten vor allem dann auf, wenn sich ein Mensch bewusst konzentriert. Wie Studien zeigen, behalten die langsamen EEG-Frequenzen bei Menschen mit ADHS die Oberhand, obwohl der Patient eigentlich aufmerksam sein will. Im Grunde ist das Gehirn der Betroffenen untererregt, was zunächst überrascht, wenn man bedenkt, wie hyperaktiv sie in ihrem Verhalten sind. Indem sie Rückmeldung in Form ihres eigenen Hirnstrommusters bekommen, können Probanden wie Patrick lernen, sich selbst besser zu steuern.
Hoch und runter mit den Wellen
Genau hier setzten Forscher um den Psychologen Holger Gevensleben von der Universitätsmedizin Göttingen an, die 2010 Vorgehen und Ergebnisse einer akribischen Studie zusammenfassten [1]. Neben Patrick baten sie rund 100 weitere Kinder mit ADHS ins Labor. Die Kleinen absolvierten über Wochen hinweg entweder ein Neurofeedback-Training oder ein herkömmliches computergestütztes Aufmerksamkeitstraining. Dabei sollten sie unter anderem lernen, die langsamen "verträumten" Thetawellen zu senken und schnelle Betawellen zu erhöhen. Auf dem Computerbildschirm sahen sie beispielsweise, wie eine animierte Figur auf einem Seil balanciert. Sie kam nur voran, wenn sich die Theta-Aktivität im EEG reduziert und die Beta-Aktivität erhöht hatte. Für jeden Schritt, die der Seiltänzer vorankam, erhielten die Kinder Punkte.
Doch woher wissen Probanden wie sie ihre Hirnwellen steuern sollen? "Sie lernen über Versuch und Irrtum", erklärt die Psychologin Ute Strehl von der Universität Tübingen. "Über die kontinuierliche Rückmeldung am Bildschirm sehen sie, ob es ihnen gelingt, ihre elektrischen Gehirnpotenziale in die gewünschte Richtung zu verändern." Mit der Zeit bekämen sie ein inneres Bild davon, was richtig ist. "Ähnlich wie wenn ein Tennistrainer einem Schützling immer wieder Aufnahmen von der eigenen Schlagtechnik zeigt und ihm Rückmeldung gibt." Nur passiere das bei Neurofeedback unmittelbar während des Verhaltens.
Forscher machen sich hierbei das Prinzip des operanten Konditionierens zu Nutze. Gewünschtes Verhalten wird belohnt und so positiv verstärkt. "Beim Neurofeedback handelt es sich um 'Lernen durch Erfolg'. Verhalten, das erfolgreich ist, behalten wir bei", sagt Ute Strehl.
Erfolgserlebnisse
In der Studie des Teams um Gevensleben hatten am Ende nicht nur die Kleinen Erfolgserlebnisse, sondern auch die Forscher. Zog man das Verhalten der Kinder heran, schnitt das Neurofeedback-Training deutlich besser ab als das Vergleichstraining. Das spiegelte sich auch auf neurophysiologischer Ebene wider. Die Abnahme der langsamen Thetawellen ging mit reduzierten ADHS-Symptomen einher. Die Besserung des Verhaltens erwies sich als stabil und ließ sich auch sechs Monate nach Abschluss des Trainings nachweisen.
Ihre Studie habe gezeigt, dass Neurofeedback die Symptome um fast ein Drittel reduziert und dabei einem gewöhnlichen computergestützten Aufmerksamkeitstraining deutlich überlegen ist, so Holger Gevensleben. "Es ist wichtig, dass die Kinder bei der Therapie aktiv mitarbeiten und ihre Eltern sie beim Transfer der erlernten Selbstregulationsstrategien in den Alltag unterstützen", fügt er hinzu.
Zusätzliche Unterstützung bekommen diese Ergebnisse durch eine Studie von Ute Strehl. 2009 konnte sie gemeinsam mit Kollegen in einer Metaanalyse der damals veröffentlichten Studien aufzeigen, dass Neurofeedback im Hinblick auf zwei Kernsymptome von ADHS – Impulsivität und Unaufmerksamkeit – sehr große Erfolge erzielt [2]. In Sachen Hyperaktivität konnten die Forscher immerhin mittlere Effekte nachweisen. Neben Medikation und anderen verhaltenstherapeutischen Ansätzen empfiehlt sich Neurofeedback offensichtlich als weiterer Therapiebaustein zur Behandlung von Menschen mit ADHS.
Hemmung und Erregung
In ihren eigenen Experimenten mit Neurofeedback setzen Strehl und ihre Kollegen vor allem auf so genannte langsame kortikale Potenziale. Diese spiegeln wider, wie sehr der Kortex erregbar ist. "Es sind Potenzialschwankungen, die immer zwischen elektrisch negativer Aktivität – das Gehirn ist erregt – und elektrisch positiver Aktivität – das Gehirn ist gehemmt – wechseln", erklärt Ute Strehl. Bei Schwankungen in negativer Richtung könne man sich schnell und aktiv auf Reize einstellen.
"Beim Neurofeedback handelt es sich um Lernen durch Erfolg. Verhalten, das erfolgreich ist, behalten wir bei"
(Ute Strehl)
Doch bei Menschen mit ADHS – die in Experimenten langsamer auf Reize reagieren – seien die Amplituden der Hirnwellen erkennbar niedriger. (Ute Strehl)
"Es stehen somit weniger Ressourcen zur Verfügung, mit denen eine kognitive oder motorische Antwort vorbereitet werden kann", meint Strehl. Beim Training mit Neurofeedback sollen die Betroffenen daher wieder und wieder negative Potenzialveränderungen herstellen. "Allerdings müssen sie auch gleichzeitig lernen, das Gehirn zu 'hemmen' und so die ganze Bandbreite von Erregung und Hemmung wie bei einem gesunden Menschen zu beherrschen", betont die Tübinger Psychologin.
Die richtige Balance zwischen Erregung und Hemmung ist also wichtig. Was nämlich passiert, wenn das Pendel in die andere Richtung ausschlägt und das Gehirn übererregt ist, zeigen die Fälle von Epilepsiepatienten. Bei dieser Erkrankung erleiden die Betroffenen spontan auftretende Krampfanfälle. Rund ein Drittel von ihnen spricht nicht auf herkömmliche Medikation an. Vor einem Anfall konnten Forscher starke negative Schwankungen im Gehirn der Betroffenen feststellen. "Die Patienten konnten nicht mehr hemmen", sagt Ute Strehl. "Daher trainieren wir heute mit dem Feedback, die negativen Schwankungen zu reduzieren."
Durch eine Metaanalyse belegten Strehl und ihre Kollegen, dass Neurofeedback die Häufigkeit der Anfälle signifikant reduzierte [3]. "Wir konnten auch neun Jahre nach der Therapie anhaltende Verbesserungen bei den Patienten feststellen, denen das Feedback ursprünglich etwas gebracht hatte."
Bereits in 1960er Jahren stieß der Psychologe Barry Sterman durch Zufall auf die besonderen Anwendungsmöglichkeiten von Neurofeedback. Er trainierte Katzen darauf, ihre EEG-Wellen so zu verändern, dass sie in einen entspannten Zustand gerieten. Später experimentierte er mit dem Gift Monomethylhydrazin, das normalerweise epileptische Anfälle auslöst. Interessanterweise jedoch wirkte es nicht bei den Katzen, die in den Genuss des "Entspannungstrainings" gekommen waren. Später begann man das Neurofeedback auch bei anderen Störungen wie ADHS und Autismus anzuwenden. Dennoch blieben handfeste Nachweise der Wirksamkeit aus und die Behandlung umstritten. Das könnte sich nun zumindest im Fall von ADHS und Epilepsie geändert haben.
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