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Heinrich Kramer: Ein Mastermind des Hexenwahns

Dank seines »Hexenhammers« galt Heinrich Kramer als Vordenker des Hexenverfolgung. Doch die Nachwelt scheint den Inquisitor überschätzt zu haben. Anders als die meisten Zeitgenossen.
Hexen und ihre Beschwörungen – Gemälde von Salvator Rosa, um 1646.
Das Gemälde von Salvator Rosa entstand ein Jahrhundert nach Kramers »Hexenhammer«. Doch es zeigt noch dieselben vermeintlichen Untaten der Hexen – in den Augen Heinrich Kramers vor allem Frauen, die wegen ihrer Schwäche zu willfährigen Opfern des Bösen wurden.

So stand er also nun vor ihm, dieser Mann. Dieser Kramer mit seinen wichtigen Dokumenten. Und erklärte ihm, dass ausgerechnet seine, Bischof Georg Golsers Brixener Diözese eine Brutstätte der Hexerei sei. Warum daran zweifeln? Immerhin war der Mann ein dominikanischer Inquisitor, immerhin hatte er eine vom Papst höchstselbst erlassene Bulle bei sich, die ihm umfassende Vollmachten verlieh. Auch Erzherzog Sigmund, Landesfürst von Tirol, hatte ihm schriftlich freies Geleit und Sicherheit für seine Mission zugesichert. Eine Autorität, der man trauen konnte, ja im Grunde musste.

Somit begann Heinrich Kramer (1430–1505) seine Untersuchung im August 1485 in Innsbruck. Bischof Golser hatte die Bulle in seiner Diözese verbreiten lassen und das kirchliche Personal angewiesen, den Inquisitor tatkräftig zu unterstützen. Kramer rief derweil mit Anschlägen dazu auf, jeglichen Verdacht der Hexerei zu melden. Sich selbst unterwarf er einem strengen Regiment ständiger Predigt: Wie gefährlich sind Schadenszauber? Woran erkennen wir sie? Die derart geschulte Bevölkerung lieferte ihm bald schon eine bemerkenswerte Fülle an Zeugenaussagen und Beweisen. Genug, um 50 Menschen der Hexerei anzuklagen; bis auf zwei Ausnahmen allesamt Frauen.

Für Kramer, der sich auch latinisiert »Institoris« nannte, war damit das Fass längst nicht ausgeschöpft. Er habe noch Anzeichen für vielerlei Teufelswerk mehr, ließ er wissen. Zusehends aber stieß er auf Widerstand: Auf Grund der umstrittenen Vorgehensweise Kramers herrsche großer Zank oder Unruhe im Volk, schrieb ein Augenzeuge, der Kirchenrechtler Paul Wann, in einem Brief. Offenbar genüge dem Inquisitor jedes noch so kleine Verdachtsmoment für eine Anklage.

Nicht lange, da »entdeckte« Kramer gar im Umfeld des Herrschers selbst mehrere der Hexerei verdächtige Frauen und ließ eine Warnung vor einem »magischen Anschlag« durchsickern, wie der österreichische Historiker Manfred Tschaikner in der kulturhistorischen Zeitschrift »Tiroler Heimat« darlegt. Wollte Kramer dafür sorgen, dass der Tiroler Landesfürst ein persönliches Interesse an der Hexenverfolgung bekommt? Dass er nur ja nicht nachlässt in seiner Unterstützung? Wie auch immer: Am Ende seiner Untersuchungen im Oktober erwirkte Kramer die Verhaftung von gerade einmal sieben Frauen.

Gewitterhexen | In diesem Holzschnitt aus dem Jahr 1489 brauen zwei Hexen ein Hagelunwetter. Auch Kramer beschreibt einen Fall von Unwetterzauber. Aus freien Stücken und angeblich unabhängig voneinander hätten die beiden Beschuldigten gestanden, den Anweisungen eines Dämons gefolgt zu sein. »So wurden sie am dritten Tage eingeäschert.«

Mit dem Inquisitor wurde kurzer Prozess gemacht

Hatte er zunächst lediglich die Bevölkerung gegen sich aufgebracht, verspielte er nun das Vertrauen und den Respekt der kirchlichen und weltlichen Prozessbeteiligten. Schon am ersten Verhandlungstag kippte das Verfahren zu Gunsten der Angeklagten. Der Inquisitor entsetzte seine Glaubensbrüder im Tribunal mit bohrenden und unangemessenen Nachfragen zum Sexualleben der vermeintlichen Hexe. Die Verhandlung wurde unterbrochen, und nur Stunden später trat, scheinbar aus dem Nichts, in Wahrheit aber wohl auf landesfürstliches Betreiben, ein Verteidiger auf den Plan. Er zerlegte Kramers wirre und chaotische Prozessführung als rechtsbrüchig. Binnen Tagen fiel die Anklage in sich zusammen, die Beschuldigten wurden frei gelassen.

Zur Überraschung aller bewog diese Demütigung Kramer nicht zum Verlassen Tirols, im Gegenteil: Unbeirrt arbeitete er an einer Wiederaufnahme der Hexenverfolgung. Der Inquisitor verweilte im Innsbrucker Land, sammelte Beweise, bedrängte Zeuginnen und Zeugen und hielt auf eigene Initiative hin sogar mindestens eine angebliche Hexe kurzzeitig fest. Golser hatte Kramer bereits im November zum Verlassen seiner Diözese aufgefordert, jetzt riss ihm der Geduldsfaden.

In bemerkenswert scharfem Ton untersagte er dem Inquisitor jegliche weitere Belästigung der Bevölkerung. Falls er nicht unverzüglich abreise, könne keiner mehr für seinen Schutz garantieren. Dieser Brief ließ sich nicht mehr ignorieren, Kramer verließ die Diözese.

Der einflussreichste Hexentheoretiker aller Zeiten?

Seine vielfach dokumentierte Hexenverfolgung in Innsbruck zeichnet das Bild eines streitsüchtigen, geschmähten und letztendlich gescheiterten Fanatikers. Ganz anders liest sich das Urteil der Nachwelt, in dem Kramer noch bis in die jüngere Vergangenheit der einflussreichste Hexentheoretiker aller Zeiten ist, der Autor des unheilvollsten und wirkmächtigsten Werks der Dämonologie: des »Malleus Maleficarum«, des »Hexenhammers«. Ein gefürchteter und respektierter Inquisitor, der mit seinem literarischen Wirken die Ära der legalen Hexenverfolgungen in Europa initiiert habe. Aber: »Das ist eine viel zu monokausale Sicht auf die Vorgänge«, sagt Rita Voltmer, Historikerin und Hexenforscherin an der Universität Trier. Dämonologische Traktate seien schon zuvor von Theologen und Juristen geschrieben worden, so Voltmer: »Im Raum um den Genfer See hat es auch vor Kramers Wirken Hexenjagden mit hohen Hinrichtungszahlen gegeben. Allerdings nutzte Institoris ganz bewusst das neue Medium des Buchdrucks, um sein Traktat zu verbreiten.«

Lob nur von allerhöchster Stelle

Was bleibt noch übrig vom zweifelhaften Ruhm des Hexenjägers? Quellen zu Kramers Leben sind dünn gesät, seine Biografie musste von der Geschichtswissenschaft aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt werden. Demnach trat der 1430 im elsässischen Schlettstadt geborene Kramer bereits in jungen Jahren ins örtliche Dominikanerkloster ein. Bruder Heinrich stammte zwar aus wohl eher ärmlichen Verhältnissen, war aber augenscheinlich talentiert. Bald begann er einen beeindruckenden Bildungsweg, studierte an verschiedenen renommierten Universitäten und stieg in der Ordenshierarchie auf. An einer rein akademischen Karriere war Kramer jedoch nie ernsthaft interessiert, auch wenn er sie zeitlebens vorantrieb und 1479, immerhin 49-jährig, den Doktortitel in Theologie erhielt.

Seine Berufung fand der Dominikaner, ganz in der Tradition seines Ordens, im Aufspüren, Verfolgen und Bestrafen von Häretikern – nicht nur den Hexen, sondern auch dem Waldenser- und Hussitentum wollte er im Auftrag der Kirche ein Ende bereiten. Mitte der 1480er Jahre, so schreibt es der Historiker Hans Peter Broedel in seinem Werk über den »Malleus Maleficarum«, dürfte Institoris der wohl erfahrenste Inquisitor des deutschsprachigen Raums gewesen sein. Als solcher war er ein hoch geschätzter Mann in Rom und erhielt sogar eigens Lob vom damaligen Papst Sixtus IV. (1414–1484), der in einem Brief Kramers religiösen Eifer, seine Weisheit und Integrität hervorhob.

»Hexenhammer« | Der Buchdruck erlaubte Kramers Traktat eine weite Verbreitung. Das sorgte wohl auch dafür, dass die Nachwelt den Inquisitor und sein Werk für einflussreicher hielt, als sie tatsächlich waren.

Die guten Verbindungen in die allerhöchsten Kreise brauchte Kramer auch, denn mit seinem Hexenfuror stand er allzu oft allein da. Ausgangs des 15. Jahrhunderts war die Hexenverfolgung noch vielerorts bloß eine Randerscheinung. Da auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation außerdem keine fest installierte Inquisitionsbehörde existierte, war Kramers Macht durchaus begrenzt, wie Rita Voltmer erklärt: »Wenn ein Inquisitor seine Arbeit aufnehmen wollte, dann brauchte er die Unterstützung vor Ort. Die päpstliche Bulle war vielmehr der Türöffner, sein Legitimationsschreiben.« Im »Hexenhammer« rühmte sich Institoris dennoch seines unvergleichlichen Erfolgs. 1490 behauptete er gar, mehr als 200 Hexen identifiziert und hingerichtet zu haben. Eine Behauptung, für die Geschichtswissenschaftler keine klaren Belege gefunden haben. Nur eine Beteiligung an Prozessen in Ravensburg und Innsbruck kann nachgewiesen werden.

Auch für die Wertschätzung, die Kramer aus der Ferne vom Heiligen Stuhl entgegengebracht wurde, finden sich keine Hinweise in anderen Quellen. Der Inquisitor wurde von seinen Zeitgenossen als streitsüchtiger, kompromissloser und selbstgerechter Individualist beschrieben, der eine Neigung dazu hatte, theologische Schriften zu seinem Vorteil zu verdrehen oder gar zu verfälschen, wie der emeritierte Historiker Peter Segl festhielt. Bischof Georg Golser beschrieb den Inquisitor in einem Brief gar als kindischen Alten, eine Formulierung, die sich ähnlich auch in einer franziskanischen Chronik finden lässt. Dass Kramer in einer Predigt 1474 mehrfach den Kaiser verleumdete und beleidigte, passt ins Bild eines streitlustigen, unbeherrschten Charakters. Allein das Eingreifen des dominikanischen Ordensmeisters rettete ihn damals vor einer Gefängnisstrafe. Auch wurde er 1475 sowie 1482 beschuldigt, finanzielle Mittel der Kirche veruntreut zu haben. In beiden Fällen kam er straffrei davon, vielleicht zu Recht, vielleicht nur dank guter Beziehungen, das lässt sich heute nicht mehr klären. Finanzielle Verantwortung wurde ihm fortan jedenfalls nicht mehr übertragen.

»Der ›Hexenhammer‹ ist auch als ein Dokument des Scheiterns zu betrachten«Rita Voltmer, Historikerin, Universität Trier

Tatsächlich lässt sich die päpstliche Bulle, die der Inquisitor so stolz in Innsbruck präsentierte, gerade auf die vielfachen Widerstände zurückführen, die Kramer erfuhr. Viel weniger Menschen, als er erhofft haben mag, teilten seine Sorge um die teuflischen Umtriebe der Hexen. Also reiste er 1484 nach Rom, um sich der Unterstützung von Papst Sixtus' gerade erst geweihtem Nachfolger zu versichern – mit Erfolg. Innozenz VIII. (1432–1492) unterschrieb die von Kramer vorformulierte Bulle, die ein grassierendes Hexenproblem in den deutschen Gebieten beschrieb, und ermächtigte den Inquisitor, dieser Herr zu werden. Vermutlich identifizierte Kramer die Diözese Brixen deshalb als Brutstätte der Hexerei, weil sie auf seinem Rückweg von Rom die erste war, in der er glaubte, seine neue Vollmacht zur Entfaltung bringen zu können.

Der »Hexenhammer« sollte den Wahn theoretisch unterfüttern

Stattdessen legte die unter Golser und Sigmund in Innsbruck erfahrene Schmach offen, dass sich Kramer nicht nur mit seiner Persönlichkeit selbst im Weg stand, sondern auch wenig Widerhall mit seinen Thesen von der Hexenverschwörung fand. Er nahm die Episode zum Anlass, sich in den folgenden Jahren dem Verfassen des »Hexenhammers« zu widmen. »Der ›Malleus Maleficarum‹ ist daher auch als ein Dokument des Scheiterns zu bezeichnen«, sagt Voltmer. Während Hexerei in der mittelalterlichen Vorstellungswelt als eher harmloses Vergehen einiger fehlgeleiteter Individuen wahrgenommen wurde, beschrieb Kramer nun eine mächtige konspirative Hexensekte, die im Pakt mit dem Teufel stehen sollte. Ihr Auftreten sei ein Zeichen für die bevorstehende Apokalypse und ihre Vernichtung dringend notwendig.

Diese Erzählung hatte er wahrscheinlich ab 1480 in den Schweizer Landen aufgegriffen und in der Folge mit voller Inbrunst in die Welt zu tragen versucht. Sein dominikanischer Ordensbruder Johannes Nider hatte bereits im um 1437 entstandenen »Formicarius« diese Vorstellung ausformuliert. Für Kramer war das neuartige Phänomen klar geschlechtsspezifisch: »Laut Kramer war es das weibliche Geschlecht, das auf Grund seiner körperlichen, geistigen und seelischen Defekte zum leicht verführbaren Opfer des Teufels wurde«, erklärt Voltmer. Oder in Kramers Worten: »Also schlecht ist das Weib von Natur, da es schneller am Glauben zweifelt, auch schneller den Glauben ableugnet, was die Grundlage für die Hexerei ist.«

Im »Hexenhammer« verband Institoris sein – angebliches – Erfahrungswissen mit den scholastischen Argumentationsfiguren, die die gelehrten Herren seiner Zeit erwarteten. Dadurch wollte er einen Paradigmenwechsel im Umgang mit Hexerei herbeiführen. Noch immer wirkte die mittelalterliche Auffassung nach, dass gerade derjenige, der an die Macht von Hexen und Dämonen glaubt, unter dem Verdacht der Ketzerei stehe. Denn: zu behaupten, das Böse könne sein Spiel mit den Menschen treiben, ohne dass ein gütiger Gott dem Einhalt zu gebieten vermag – hieße das nicht, an der Allmacht Gottes zu zweifeln?

Eine verdrehte Beweisführung

Seitenweise arbeitete sich Kramer am Beweis des Gegenteils ab: Die Teufel und die von ihnen missbrauchten Menschen seien deshalb in der Lage, Böses zu tun, weil Gott es mit Absicht zulasse. Das sei nicht immer leicht zu verstehen. »Aber durch das Böse, was von den Hexen durch die Macht der Dämonen verübt wird«, schrieb er an einer Stelle, »wird der Teufel indirekt aufs Heftigste gepeinigt, indem gegen seinen Willen Gott das Böse benutzt zum Ruhm seines Namens, zur Empfehlung des Glaubens, zur Läuterung der Auserwählten, zur Häufung der Verdienste.«

Ausführlich erörterte Institoris, warum Hexenwerk kein Blendwerk sei, sondern gefährlich real. Doch dem Inquisitor geriet sein Traktat konfus, ausufernd und schon in sich unplausibel. Um ihm mehr Autorität zu verleihen, stellte er dem »Malleus Maleficarum« die päpstliche Bulle und zwei Approbationen der theologischen Fakultät der Universität Köln voran, die jedoch zumindest bei genauerem Hinsehen den Eindruck der Schummelei erwecken. Auch trat Kramer mit Jakob Sprenger ein hoch angesehener Theologe namentlich als Mitautor an die Seite. Wie viel sein dominikanischer Ordensbruder und langjähriger Kompagnon tatsächlich beisteuerte, ist allerdings umstritten.

Zur allgemeinen Lehrmeinung wurde der »Malleus Maleficarum« nie. Die spanische Inquisition erklärte bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts, dass der »Hexenhammer« für sie keine Autorität besäße, einige bekannte Theologen und Humanisten gingen argumentativ gegen Kramers Werk vor. In welchem Umfang das Buch Einfluss auf die nachfolgende gelehrte Hexereidebatte, auf Rechtsgutachten oder lokale Prozesse gehabt habe, müsse jeweils im Einzelfall betrachtet werden, sagt Voltmer. Andere Werke wie das 1589 erschienene Traktat des Trierer Weihbischofs Peter Binsfeld (1545–1598) seien gleichfalls einflussreich gewesen.

Gemolkene Axt | In der Darstellung von 1517 melken Hexen den Stiel einer Axt. Die Abbildung aus einem Werk des Hexenpredigers Johann Geiler von Kayserberg gibt die Vorstellung wieder, dass ein Dämon den Kühen die Milch stiehlt und diese von Hexen andernorts ausmelken lässt.

Überschätzte Wirkung

Vollkommen wirkungslos war der »Hexenhammer« indessen nicht, davon zeugen bereits seine wahrscheinlich fast 30 Auflagen. Daneben gab es einige Theologen, die in Kramers Thesen zu wahren Bekehrungserlebnissen fanden, schreibt der inzwischen emeritierte Neuzeithistoriker Wolfgang Behringer.

Und dennoch ist Kramers Wirken als Inquisitor und Theologe lange überschätzt worden, was auch an der älteren Hexenforschung des 19. Jahrhunderts lag, die in ihrer Abscheu gegenüber den Verfolgungen zum Teil jedes wissenschaftliche Terrain verließ. Dies lässt sich besonders gut am Beispiel der so genannten Hexen-Hebammen veranschaulichen. Noch heute finden sich Vertreter der These, wonach die Verfolgungen in Wahrheit ein Kampf gegen das Wissen um Geburtenkontrolle und Abtreibung gewesen sein sollen, den Kirche und Staat mittels der Vernichtung von Hebammen als heilkundige Kräuterfrauen gewinnen wollten.

In der Tat hat Kramer in seinem »Hexenhammer« die Vorstellung von den »Hexen-Hebammen« ausgearbeitet. Er schrieb: »Denn wenn sie die Kinder nicht töten, dann tragen sie, gleich als wollten sie etwas besorgen, die Kinder aus der Kammer hinaus, und sie in die Luft hebend, opfern sie dieselben den Dämonen.« Allerdings hat sich in der Gerichtspraxis dieses Konzept nur in Ausnahmen und nie als Regel niedergeschlagen. Hebammen waren keine Außenseiterinnen in der Gesellschaft, sie traten vielmehr als respektierte Zeuginnen in Prozessen auf, zum Ziel von Hexenjagden wurden sie fast nie.

In der Tradierung seiner Hirngespinste, die sich auf der praktischen Verfolgungsebene nicht niederschlugen, haben ausgerechnet Kramers Gegner den Inquisitor größer gemacht, als er tatsächlich war. Für ein derart vielschichtiges Phänomen wie die Hexenverfolgungen, das sich über mehrere Jahrhunderte und verschiedene Länder erstreckte, kann man schwerlich einen einzelnen Autor und sein Buch verantwortlich machen. Aus den vielen erhaltenen Zeugnissen der Hexenverfolgung, den Gerichtsakten, Chroniken und Augenzeugenberichten, geht klar hervor: In aller Regel sind es lokale Konfliktkonstellationen, die Beginn und Ausgang einer Hexenjagd bestimmten, und das von Region zu Region und von Zeit zu Zeit auf unterschiedliche Weise.

Den Lebensabend verbrachte Kramer bis zu seinem Tod im Jahr 1505 in Böhmen, wo er als Inquisitor gegen die frühe Reformbewegung der Hussiten vorgehen sollte – jedoch auch hier ohne Erfolg. In Tirol allerdings hatte der Inquisitor womöglich bleibenden Eindruck hinterlassen, und das sogar auf Jahrhunderte: Das Land blieb in der Verfolgung von Hexerei bis ins 18. Jahrhundert sehr zurückhaltend, die Regierungen in Innsbruck hegten die Praxis mäßigend ein. Nicht gerade der Einfluss, den Heinrich Kramer im Sinn hatte.

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