Wendelstein 7-X: Heißer als im Zentrum der Sonne
Die Kernfusion ist eine verwegene Idee: Das Sonnenfeuer auf die Erde zu holen, ist technisch gesehen ungeheuer anspruchsvoll. Gleichzeitig weckt sie die Hoffnung, eine praktisch unerschöpfliche Energiequelle für die künftige Menschheit bereitzustellen. Bei der Kernfusion verschmelzen zwei leichte Wasserstoffatomkerne zu einem schwereren. Dieser Prozess, der unsere Sonne und alle anderen Sterne zum Leuchten bringt, setzt enorme Energie frei. Und zwar so viel, dass sich mit einem Gramm Brennstoff mehr Energie erzeugen lässt als durch die Verbrennung von zehn Tonnen Kohle. In den Weltmeeren gibt es so viel Wasserstoff, dass die Kernfusion die Energieversorgung der Menschheit für alle Zeiten leisten könnte.
In Greifswald sind Wissenschaftler diesem Traum nun einen Schritt näher gekommen: Das Fusionsexperiment Wendelstein 7-X hat seine erste Betriebsphase aufgenommen. Zum ersten Mal ist heißes Plasma durch den kurios geformten Ring gelaufen, der ein Markenzeichen dieses Reaktortyps ist. Denn Wendelstein 7-X gehört zu den Stellaratoren. Dieses Design zeichnet sich durch wünschenswerte, aber auch einige problematische Eigenschaften aus. Insbesondere das verdrillte Magnetfeld, das das Plasma einschließen soll, stellt die Techniker vor große Schwierigkeiten.
Rund 450 Mitarbeiter aus einem Dutzend Länder hat die Anlage fertig gestellt – ein 16 Meter durchmessender und über 700 Tonnen schwerer Ring aus glänzendem Metall, mit zahlreichen Anschlüssen und Leitungen. Auf engstem Raum liegt dort die Brennkammer mit dem ultraheißen Plasma neben den supraleitenden Magnetspulen, die auf knapp über den absoluten Nullpunkt gekühlt werden müssen. Die tonnenschweren Teile sind auf den Millimeter genau verschweißt.
Höllische Hitze
Um die Kernfusion überhaupt erst einmal zu zünden, benötigt man enorme Temperaturen. Im zentralen Bereich der Sonne, in dem Kernfusion stattfindet, herrschen unvorstellbare 15 Millionen Grad Celsius, bei einem Druck von 200 Milliarden Bar. Da solche Drücke auf der Erde nicht zur Verfügung stehen, benötigt man noch höhere Temperaturen, nämlich gut 100 Millionen Grad Celsius. Bei diesen Temperaturen geben die Atome ihre Elektronen ab und werden zu Ionen; es entsteht ein Plasma. Das darf aber keinesfalls in Kontakt mit den Wänden kommen, sonst würde es sofort seine Energie an diese abgeben und zusammenbrechen.
In Fusionsreaktoren schließt man das Plasma deshalb in ringförmigen Magnetfeldern ein und lässt die Teilchen dort rotieren, damit sie aufeinanderstoßen und es zu Kernfusionen kommt. Das Konzept hinter einem Fusionsreaktor ist zugleich so einfach, wie es schwierig zu realisieren ist: Man nehme einen Torus mit geeigneten Magnetfeldern und pumpe alle Luft heraus, bis ein möglichst perfektes Vakuum entsteht. Dann fülle man den Brennstoff hinein und heize ihn auf, bis es zu einer möglichst gleichmäßigen und lang anhaltenden Kernfusion kommt.
"Um das Plasma aufzuheizen, speisen wir starke Mikrowellenstrahlung in den Torus", sagt Thomas Klinger vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, der das Projekt leitet. Das ist im Prinzip ähnlich wie bei einem Mikrowellenherd, nur dass die Leistung hier mehrere Megawatt beträgt. Diese Hitze muss aber aus der Brennkammer auch wieder abgeführt werden. Bei Wendelstein 7-X sind rund vier Kilometer Leitungen verbaut, die das Kühlwasser verteilen. Nun klingt die Wasserkühlung zunächst nicht nach dem schwierigsten technischen Problem bei der Kernfusion. Doch in der Nähe extrem heißer Reaktorwände, die sich auf über 2000 Grad Celsius aufheizen können, ist dies ein nicht zu unterschätzendes Problem. Die Anschlüsse müssen zudem völlig dicht sein, denn der kleinste Verlust von Wasser würde das Plasma sofort negativ beeinflussen.
Magnetspulen wie Kunstwerke
Die größte Schwierigkeit bestand aber darin, die ungewöhnlich geformten Magnetspulen herzustellen, deren Feld das Plasma durch den Torus leiten soll. Die Magnetspulen sind supraleitend – leiten Strom also ohne Verluste – und müssen dafür knapp über den absoluten Nullpunkt gekühlt werden. Insgesamt 70 Spulen, jede mehrere Meter hoch, sorgen für das passende Magnetfeld. Um ihre optimale Form zu berechnen, mussten Supercomputer zum Teil über Monate arbeiten.
"Die nun gefundene Form stellt einen Kompromiss aus mehreren Kriterien dar", sagt Klinger. Zu diesen gehören unter anderem die Stabilität des Plasmas, eine hohe Wärmeisolation und der Einschluss schneller Teilchen, wie sie bei Fusionsprozessen entstehen. Wendelstein 7-X wird im Gegensatz zu ITER keine Kernfusion anstreben, sondern zunächst das Verhalten des Plasmas untersuchen. ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) ist eine internationale Forschungsanlage, die zurzeit im französischen Cadarache entsteht. Das Tokamak-Konzept, auf dem ITER beruht, ist schon etwas besser erforscht als das Stellarator-Konzept von Wendelstein 7-X mit seinen verwundenen Magnetfeldern.
Bei Tokamaks ist die Geometrie viel einfacher: Sie besitzen einen exakt kreisförmigen Torus. Um das Plasma einzuschließen, benötigen sie aber ein zusätzliches Magnetfeld, das vom Plasma selbst stammt. Eine externe Spule induziert im Plasma einen Strom – sie nutzt sozusagen das leitfähige Plasma, als wäre es die zweite Spule eines Transformators. Wie bei jedem Transformator muss man jedoch irgendwann das Magnetfeld umdrehen. Tokamaks können deshalb nur im Pulsbetrieb laufen. Bei ITER soll die Fusion jeweils einige Minuten lang laufen. Für Forschungsreaktoren ist dies aber weniger ein Problem als für Kraftwerke mit ihrer großen Leistung. Zwar könnte ein großer Fusionsreaktor mehrere Stunden laufen und müsste dann etwa eine halbe Stunde pausieren. Doch beim Aufheizen und Abkühlen entstehen thermische Spannungen, die auf Dauer zu Materialermüdung führen können und bei Ingenieuren deshalb nicht gern gesehen sind.
Die gewundenen Magnetfelder bei Stellaratoren hingegen erlauben einen Dauerbetrieb – ein wichtiger Grund für das weltweite Interesse an Wendelstein 7-X. Der Nachteil von Stellaratoren lag bislang darin, dass sie einerseits das Plasma schlechter einzuschließen vermögen als Tokamaks und sie andererseits die Eigenschaft haben, Verunreinigungen in das Plasma hineinzusaugen. So lösen sich hin und wieder Atome von den Wänden, die das Plasma negativ beeinflussen. Hier wartet viel Arbeit auf die Wissenschaftler in Greifswald, die die Magnetfelder entsprechend optimieren müssen, um diese Effekte weitestgehend auszuschließen.
Ein weiteres Problem bei Fusionskraftwerken ist die Abführung der Wärme. An einigen Stellen im Torus entspricht die Wärmeleistung durch das Plasma ungefähr dem, was ein Spaceshuttle beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre erfährt – nur dass hier die Wärme dauerhaft abgeführt werden muss. Dies gut in den Griff zu bekommen, wird in den kommenden Jahren ebenfalls eine Hauptaufgabe für die Techniker sein. Die Toruswände in Greifswald bestehen aus kohlenstofffaserverstärktem Kohlenstoff (kurz CFC), der extrem hitzebeständig ist und mangels Sauerstoff auch bei hohen Temperaturen nicht brennen kann. Experten diskutieren bereits den Einsatz von Wolfram für künftige Fusionsreaktoren.
Zumindest was die Magnetfelder betrifft, schöpfen die Forscher in Greifswald Hoffnungen aus einem Projekt in Japan. In Toki läuft ein etwas kleiner dimensionierter Stellarator mit dem Namen Large Helical Device, der bislang viel versprechende Plasmaeigenschaften aufweist. In den USA hingegen wurde vor rund zehn Jahren ein Projekt verworfen, das bereits zu rund 80 Prozent fertig gestellt war. Das National Compact Stellarator Experiment (NCSX) hatte Zeit- und Kostenrahmen deutlich gesprengt, so dass die Verantwortlichen 2008 die Notbremse zogen.
Der Name Wendelstein klingt für Mecklenburg-Vorpommern etwas ungewöhnlich: Er leitet sich von einem Berg in den Bayerischen Alpen ab. Verständlich wird der Name anhand seiner Vorgeschichte. Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik hat seinen Hauptsitz in Garching bei München und dort von 1988 bis 2002 den Vorläufer Wendelstein 7-AS betrieben. Der Name der ganzen Projektlinie war eine Anspielung auf das im Kalten Krieg ursprünglich als "top secret" eingestufte amerikanische Fusionsprojekt mit dem Namen Matterhorn. Nach der Wende beschloss man den Bau eines Fusionsexperiments in den neuen Bundesländern, um die Kompetenz der dort beheimateten Forscher zu erhalten. Für viele Wissenschaftler bedeutete das den Umzug in eine flachere Landschaft oder Pendeln über 800 Kilometer.
Auch Fusionskraftwerke produzieren radioaktiven Müll
Nun erfährt die Fusionsforschung trotz ihres Potenzials durchaus Kritik – etwa weil sie nicht ganz billig ist. In der Tat haben Großprojekte wie Wendelstein 7-X und in noch stärkerem Maß ITER Verzögerungen erfahren und das ursprünglich veranschlagte Budget überschritten. Im Vergleich zu den Ausgaben für andere Energieträger sind die Investitionen in die Fusionsforschung bislang allerdings noch überschaubar. Andere wissenschaftliche Großprojekte wie der Large Hadron Collider und die Internationale Raumstation sind ebenfalls nicht zum Nulltarif zu haben.
Auch die radioaktiven Abfälle von Fusionsreaktoren geben Anlass zu Besorgnis. Sie sind im Vergleich zu Kernkraftwerken allerdings als unproblematisch einzustufen. Das Reaktionsprodukt in Fusionskraftwerken ist Tritium, ein instabiles Isotop, auch überschwerer Wasserstoff genannt. Tritium zerfällt mit einer Halbwertszeit von zwölf Jahren in das stabile Isotop Helium-3. Im Gegensatz dazu bestehen die Produkte der Kernspaltung in den Brennelementen von Atommeilern aus einem breiten Gemisch radioaktiver Substanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften und Halbwertszeiten von teilweise über einer Million Jahren.
Neben Tritium, das beherrschbare Risiken und eine kontrollierbare Lebensdauer mit sich bringt, entsteht jedoch bei der Kernfusion auch Neutronenstrahlung, weshalb Fusionsreaktoren dicke Betonwände mit speziellen Elementen zur Abschirmung benötigen. Neutronen besitzen im Gegensatz zu anderen Arten radioaktiver Strahlung eine unangenehme Eigenschaft: Sie können sich an andere Atomkerne anlagern und diese dadurch radioaktiv werden lassen. Selbst von normalerweise harmlosen Subtanzen könnte dann eine Gesundheitsgefahr ausgehen, wenn sie derart "aktiviert" werden. Durch Wahl geeigneter Materialien für den Torus ist es aber möglich, hierbei nur recht kurzlebige radioaktive Isotope zu erzeugen. Eine solche Aktivierung geschieht etwa auch in den Druckbehältern von Kernkraftwerken. Sie ist der Grund dafür, dass solche Anlagen erst über Jahre abklingen müssen, bevor sie zurückgebaut werden können. Sie stellen im Vergleich zu hochradioaktiven Brennelementen jedoch ebenfalls kein gravierendes Problem dar.
Die nächsten 20 Jahre werden entscheidend
ITER wird auf längere Sicht das weltweit größte Fusionsforschungsprojekt bleiben, doch Konkurrenz belebt das Geschäft. Die Verzögerungen bei ITER sind zum Teil auch einer komplexen organisatorischen Struktur geschuldet, bei der viele Nationen mitreden wollen. Der deutlich kleinere Wendelstein 7-X ist da flexibler. Er hatte selbst eine schwierige Phase durchzustehen. Ursprünglich mit Gesamtkosten von einer halben Milliarde Euro projektiert, zeichnete sich Anfang der 2000er Jahre ab, dass viele Spezifikationen am Rand des technisch Machbaren lagen. Ein Drittel der Magnete erreichte in Tests nicht die gewünschte Leistung und musste an die Industrie zurückgeschickt werden. Ein Magnetproduzent ging Bankrott. Zudem erwiesen sich die Kräfte auf die Struktur als stärker als zunächst geschätzt. Deshalb mussten die Ingenieure den Bau stoppen und tragende Elemente neu konstruieren.
Es gelang jedoch, die nötigen Mittel für den Weiterbau aufzutreiben. Der Torus schlägt mit 370 Millionen Euro zu Buche, das gesamte Projekt inklusive Personalkosten mit rund einer Milliarde – das ist Faktor zwei über dem ursprünglichen Preisschild. Für ein Hochtechnologieprojekt, das auf unbekanntes Terrain vorstößt, ist das allerdings keine sonderlich ungewöhnliche Preissteigerung.
Laut einem alten Witz über die Kernfusion heißt es schon seit 50 Jahren, dass es nur noch 50 Jahre dauern werde, bis der erste funktionstüchtige Fusionsreaktor ans Netz geht. Und tatsächlich geben auch die meisten Fusionsforscher heute diese oder eine ähnliche Antwort – ergänzt um den Hinweis "wenn alles gut läuft". Nun gibt es aber gute Gründe, warum die Fusionsforschung in den letzten Jahrzehnten etwas ins Stocken gekommen ist. Einerseits hatte die Fusionsforschung lange Zeit keine hohe Priorität: Man hatte ja mit Kohle- und Atomkraftwerken billige Energie und wenig Bewusstsein für die langfristigen Probleme dieser Art der Energieerzeugung.
Andererseits hatten die Fusionsforscher in der Euphorie der 1960er Jahre nach ersten Erfolgen deutlich die Schwierigkeiten unterschätzt, die es bedeutet, das Sonnenfeuer in geregelte Bahnen zu lenken. Was in unkontrollierter Weise in thermonuklearen Wasserstoffbomben funktioniert hatte, erwies sich im Labor als sehr viel schwieriger. Das Plasma mit seinem instabilen Verhalten zeigte sich als sehr viel widerspenstiger als gedacht.
Mittlerweile fehlt aber nicht mehr viel bis zur Zündung. Wenn die Wissenschaftler bei Wendelstein 7-X zeigen können, dass sie ähnlich gute Plasmabedingungen erreichen wie bei den Tokamaks, und wenn es ihnen zugleich gelingt, die unerwünschten Effekte zu minimieren, werden auch die Tokamak-Experten hellhörig werden. Noch haben sie einen deutlichen Vorsprung – aber das Rennen ist eröffnet. Sehr viele andere Konzepte für Fusionsreaktoren gibt es nämlich nicht. In den 1950er bis 1970er Jahren haben Plasmaphysiker mehrere Dutzend Fusionskonzepte vorgelegt – allerdings haben sich bis heute praktisch nur Stellaratoren und Tokamaks als gangbar erwiesen. Beide Technologien benötigen nun Erfolge.
Doch auch wenn alles gut läuft, werden beide Reaktortypen noch mindestens eine weitere Forschungsanlage benötigen, bevor sich an ein kommerzielles Kraftwerk zur Stromproduktion denken ließe. Schon jetzt schauen Plasmaphysiker aus aller Welt neugierig nach Greifswald. In den kommenden Jahren wird die Fusionsforschung im wahrsten Sinn des Wortes heiß laufen.
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