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Kernphysik : Heißer Kampf um die kalte Fusion

Es geht um Milliarden! So viel Geld kann die Suche nach der wissenschaftlichen Wahrheit beschwerlich machen. Denn funktioniert die simple Kernfusion auf dem Labortisch, ist das geplante Megaprojekt Iter bereits vor seinem Bau eine Forschungsruine. Entsprechend skeptisch nehmen Physiker die neuesten Resultate zur "kalten" Fusion auf.
Zuerst die gute Nachricht: Das System funktioniert anscheinend. Nun die schlechte Nachricht: Mit "System" ist kein Apparat zur so genannten kalten Kerfusion gemeint, sondern der Mechanismus, nach dem die Wissenschaftsgemeinde neue Erkenntnisse gewinnt. Experimentieren, überprüfen, publizieren, diskutieren, reproduzieren, verwerfen oder bestätigen – und das alles immer wieder von vorne, bis sich (fast) alle einig sind: So ist es! Ob neu entdeckte Farnsorte im kolumbianischen Dschungel oder Riesenplaneten auf kosmischen Abwegen – erst wenn dieses Ringen der Experten abgeschlossen ist, gilt das Wissen als gesichert. Ein bewährtes System, das beachtliche Erfolge vorweisen kann. Auch wenn die Öffentlichkeit meist nicht viel vom konstruktiven Streit der Forscher mitbekommt.

Es sei denn, die Wogen schlagen hoch, wenn es um Sensationen, Revolutionen und viel Geld geht. In dieser Hinsicht erfüllt die kalte Kernfusion schon jetzt alle Anforderungen. Ihre Verfechter geben an, mit vergleichsweise einfachen Mitteln, die jede beliebige Physik-Fakultät leicht aufbringen könnte, Energie nach dem Vorbild der Sonne erzeugen zu können. "Unglaublich!", sagen manche, weil damit das zehn Milliarden Euro teure Experimentalkraftwerk Iter zum kostspieligen Witz würde. "Unglaublich!", sagen andere, weil sie die Versuche selbst nachvollzogen haben, ohne dabei auf Anzeichen einer Kernfusion zu stoßen. Unglaublich, mögen wir denken, dass diese Frage noch nicht geklärt ist.

Im Prinzip erscheint nämlich alles so einfach: Es müssen nur zwei Deuterium-Kerne, die jeweils aus einem Proton und einem Neutron bestehen, miteinander verschmelzen und dabei Tritium (ein Proton und zwei Neutronen) und ein Proton oder Helium-3 (zwei Protonen und ein Neutron) und ein Neutron bilden. Das freie Proton beziehungsweise Neutron würde die enorme Energie von rund 2,5 Megaelektronenvolt mitnehmen und in einem späteren Reaktor der Menschheit zur Verfügung stellen.

Die Probleme bei der Umsetzung des Plans liegen vor allem darin, die Deuterium-Kerne zur Fusion zu bringen. Normalerweise stoßen sie sich heftig ab, erst bei Temperaturen von mehreren Millionen Grad Celsius kommt es zu den gewünschten folgenreichen Kollisionen. Diese Hitze hält kein bekanntes Material aus, weshalb das "Brennmaterial" im Iter in magnetische Felder eingeschlossen sein wird, die es von den Wänden der Kammer fernhalten. Wie sollte ein kleiner Aufbau mit solchen Energien fertig werden?

Indem er die Reaktion auf kleinsten Raum beschränkt. Denn auch manche Versionen der "kalten" Kernfusion setzen auf die Temperatur als treibende Kraft für die Fusion. Allerdings bleibt sie auf winzige Bläschen in einer Flüssigkeit beschränkt. Der Physiker Rusi Taleyarkhan hatte im Jahr 2002 in der angesehenen Zeitschrift Science angegeben, einen Zylinder mit Aceton beschallt und mit Neutronenpulsen beschossen zu haben, sodass sich kleine Bläschen bildeten, die urplötzlich implodieren. Diese so genannte Kavitation ist ein bekannter Effekt, der Löcher in Schiffsschrauben reißen kann und sogar Lichtblitze zu erzeugen vermag. Taleyarkhan gab jedoch an, auf Grund der zusätzlichen Neutronen würden größere Bläschen mit mehr Energie entstehen, die es bei der Implosion auf ein bis zehn Millionen Grad Celsius bringen. Wird der Versuch mit Aceton durchgeführt, in dem der normale Wasserstoff durch Deuterium ersetzt ist, sind tatsächlich Tritium und Neutronen mit der passenden Energie zu messen – beides Anzeichen für eine erfolgte Kernfusion.

Die besagten Experimente hatten nur einen Haken: Wissenschaftler in anderen Laboratorien konnten sie nicht bestätigen. Selbst am Oak Ridge National Laboratory, wo Taleyarkhan damals angestellt war, gelang es den Forscherkollegen nicht.

Yiban Xu und Adam Butt | Zwei junge Wissenschaftler haben die früheren Ergebnisse ihres jetzigen Chefs bestätigt. Gelang Yiban Xu und Adam Butt damit der Nachweis einer Kernfusion im Labormaßstab?
Eine verfahrene Situation, aus der neue Messungen einen Ausweg bieten wollten. Die jungen Wissenschaftler Yiban Xu und Adam Butt von der Purdue-Universität haben Taleyarkhans Experiment von damals wiederholt. Mit einer Abweichung: Anstelle einer teuren gepulsten Neutronenquelle verwendeten sie einen kontinuierlichen Strahler aus Californium-252. Wie ihr Vorgänger registrierten sie Neutronen und Tritium, solange das Aceton in der Versuchskammer mit Deuterium bestückt war. Gewöhnliches Wasserstoff-Aceton zeigte nach ihren Angaben gar nichts. Außerdem fiel den beiden auf, dass nur besonders runde Blasen die nötige Energie für eine Fusion aufbrachten. Also endlich die ersehnte Bestätigung?

Vielleicht. Denn Skeptiker sehen noch immer nicht ihre Zweifel an Taleyarkhans Versuchen widerlegt. Sie verlangen einen Nachweis, dass die Implosion der Blasen zeitlich mit dem Auftreten der energiereichen Neutronen zusammenfällt. Andernfalls wäre ein Artefakt nicht auszuschließen. Und Zyniker verweisen darauf, dass Taleyarkhan inzwischen an die Purdue-Universität gewechselt ist, wo Xu und Butt seit kurzem zu seiner Arbeitsgruppe gehören. Allerdings, das betont die Universität, haben die Experimente zwei Jahre früher angefangen und waren die Messungen für die neue Veröffentlichung abgeschlossen, bevor die Nachwuchsforscher das Team wechselten.

Die heiße Diskussion zur "kalten" Fusion kühlt sich darum noch lange nicht ab. Weltweit bemühen sich verschiedene, voneinander unabhängige Wissenschaftler, eine Fusion im Labormaßstab zu kreieren. Wer weiß, ob nicht eines Tages jemand ein verlässliches Rezept veröffentlicht, das jederzeit und überall funktioniert. Das wäre dann ein doppelter Triumph für die Wissenschaft – die mit ihren internen Streitereien meistens doch irgendwie Kurs auf das Fünkchen Wahrheit am Horizont hält.

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