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Neurodegenerative Erkrankungen: Henne oder Ei in der Altersdemenz

Merkwürdige Halden von verklumpten Eiweißen zwischen den Hirnzellen sind altbekannte, hervorstechende Merkmale der Alzheimer-Demenz. Dabei bleibt unklar, wo diese Proteinplaques herkommen - und ob sie Ursache oder Folge der Krankheit sind.
Manche Vorstellungen klingen intuitiv derart richtig, dass es schwer fällt, sie nicht zu glauben. Das gilt auch für Medizin und Alzheimerforschung. Hier erscheint sehr glaubhaft, dass die nach und nach schleichend zerrüttende Demenzerkrankung ihre Ursachen in einem ebenso langsam und schleichend nagenden Prozess hat, der mehr und mehr zu geistigen Ausfallerscheinungen führt, sobald der im Laufe eines langen Lebens angehäufte Schaden nicht länger ausreichend zu kompensieren ist.

Morbus Alzheimer | Morbus Alzheimer führt zu typischen Veränderungen im Gehirn, die nach dem Tod der Patienten nachgewiesen werden können: Außerhalb der Nervenzellen tauchen beta-Amyloid-Plaques auf (grauer Pfeil) auf, während innerhalb der Neuronen Tau-Proteine sich zu faserartigen Strukturen verfilzen (schwarzer Pfeil).
Was genau den Schaden anrichtet und Gedächtnisverlust wie Demenz nach sich zieht, ist dabei allerdings unklar – sogar die Diagnose "Alzheimer" steht ja stets erst nach dem Tod der Betroffenen und einer Untersuchung des Gehirns unumstößlich fest. Dann finden sich einige typische Veränderungen: Innerhalb der Nervenzellen sind unnatürliche Mengen von Fibrillenbündeln aus Tau-Proteinen zu entdecken, außerhalb der Hirn-Neuronen fallen zusammengebackene Plaques von Amyloid-beta-Proteinen ins Auge. Wann genau und warum sich diese Plaques bilden weiß niemand. Intuitiv, siehe oben, nehmen große Teile der Forschergemeinde an, dass gemächlich wachsende Mengen der sperrigen Ablagerungen nach und nach die neuronale Architektur der Umgebung zerstören und dabei schließlich die Ausfälle der Gehirnleistung bewirken.

Das könnte ein Trugschluss sein, meinen nun Bradley Hyman von der Harvard Medical School und seine Kollegen. Die Wissenschaftler wollten Genaueres über den Prozess herausfinden, der zur Bildung der Amyloid-beta-Plaques führt und untersuchten dazu transgene Mäuse, die unter einer Tiermodellform der Alzheimerdemenz leiden. Dabei nutzten sie die rasch leistungsfähiger werdende Technik der Multiphotonen-Mikroskopie, die es erlaubt, auch tiefere Schichten von stark Licht streuenden Geweben in vivo darzustellen – es entstehen so detailliert aufgelöste, dreidimensionale Bilder aus dem Körper lebender und atmender Untersuchungsobjekte.

Ganz plötzliche Halde

Hymans Beobachterteam stutzte allerdings, nachdem sie die Bilder der alzheimergeplagten Nagerhirne zu einem dynamischen Gesamtbild zusammengestellt hatten, das ihnen Auskunft über die Vorgänge zwischen den Neuronen der erst jungen und agilen, später dann dementen und senilen Nager geben sollte. Offensichtlich, so die Forscher, entstehen bei den Tieren im Alter von fünf bis sechs Monaten typische Amyloid-Plaques zwischen den Nervenzellen urplötzlich in ungeahnter Geschwindigkeit.

Dabei folgt die Plaque-Bildung stets einem typischen Schema: Zunächst bildet sich eine kleinere Version der späteren Ablagerung, ein Mikroplaque – der dann als Kristallisationskeim eines hektischen Wachstums dient, das innerhalb von nur 24 Stunden zu typischen Mega-Ablagerungen führt. Schon sehr kurz nach dem Entstehen werden diese Plaques offenbar von der hirneigenen Abwehr bemerkt, die ihre Schutztruppen, die Mikrogliazellen, zeitnah und schnell an Ort und Stelle aufmarschieren lässt.

Schuft oder Schutzengel?

Ob diese Hirnimmunzellen Teil eines Lösungsversuches oder des Problems der Alzheimer-Demenz sind, war umstritten und wird es vorerst bleiben. Offenbar, so Hymans Team, bauen die Miroglia entstandene Amyloidplaques nicht ab, beschränken aber wohl ihr Wachstum. In jedem Fall treten mit ihrer Anwesenheit lokale Entzündungsreaktionen auf, die zu pathologischen Verformungen der örtlichen Nervenfortsätze führen – und schließlich zum Ausfall der neuronalen Infrastruktur in der Umgebung der Plaques. Ob die Mikrogliazellen dabei die Hauptschuldigen sind ist nicht bewiesen: Hyman und Kollegen halten auch für denkbar, dass die entstandenen Plaques als Reservoir von bioaktiven Molekülen dienen, die sich schließlich auf die Nachbarschaft destruktiv auswirken.

Eines steht für die Forscher aber immerhin recht eindeutig fest: Die Bildung der Amyloidplaques ist – zumindest beim Mausmodell der Alzheimer'schen Demenz – ein wichtiger Schlüsselmoment, der einigen der letztlich fatalen hirnzerstörenden Ereignisse vorangehen muss. Bleibt nun aber zu klären, was genau eigentlich zu diesen überraschenden akuten Phase der Erkrankung vor Ort beiträgt, die offenbar häufig an immer neuen Stellen während der jahrelangen Degeneration des gesamten Gehirns auftritt.

Hier dürfen Forscher weiter auch nach langsamen und schleichenden Prozessen Ausschau halten; in Frage käme etwa eine gemächlich ansteigende Konzentration von mikroskopisch nicht sichtbaren, kleineren Amyloid-Klümpchen. Irgendwann aber ballen sich dann an Ort und Stelle die von Hyman und Kollegen beobachteten Mikroplaques – und von da an geht alles ganz plötzlich. Offenbar existiert also ein Zeitpunkt, ab dem die Zusammenrottung der Plaques nicht mehr aufzuhalten ist und akut wird – wo er liegt und warum gerade dort, dürfte eine der kommenden Fragen der Demenzforscher sein.

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