News: Heute groß, morgen klein
In einem Artikel in Nature vom 6. Januar 2000 beschreiben die Wissenschaftler ihre Studie über marine Leguane (Amblyrhynchus cristatus) von zwei Galapagos-Inseln. Sie stellten fest, daß die pflanzenfressenden Reptilien in einem Zeitraum von zwei Jahren um fast sieben Zentimeter schrumpften, das ist bis zu 20 Prozent ihrer Körperlänge. Ein solches Schrumpfen der Tiere hatten die Forscher in den Jahren 1982-83, 1987-88, 1992-93 und 1997-98 beobachtet und zunächst gar nicht beachtet. "1997-98 wurden die Tiere so viel kleiner, daß wir es einfach nicht mehr ignorieren konnten", sagte Wikelski. "Wir dachten, dies könne wirklich kein Artefakt mehr sein und schauten uns die Daten noch einmal genauer an. Und in der Tat, es ist sehr interssant." Die Forscher fanden bald ein ständig wiederkehrendes Muster: Die Tiere schrumpften immer in El Niño-Jahren.
Das Hauptfutter der Leguane sind Algen, die sie entlang des Gezeitenbasins der steinigen Küste des Galapagos-Archipels von Equador finden. Die Inseln sind normalerweise relativ kalt und vom Westen und Süden strömt reichlich Nahrung herein. Während El Niño-Jahren erhöhen warme Strömungen und starke Regenfälle die Wassertemperaturen. Weniger bekömmliche Braunalgen ersetzen die von den Tieren bevorzugten roten und grünen Algen. "Wenn die Tiere schrumpfen, werden sie auch schlanker und bekommen ein schmaleres Maul. Damit können sie effizienter die kleinen Mengen Algen ernten, die überhaupt noch für sie vorhanden sind", so Wikelski. "Sie schrumpfen bis zu einer Größe, bei der ihre Überlebenschancen steigen. Werden sie ungefähr einen Zentimeter kleiner, steigen ihre Chancen um circa zehn Prozent. Das können sie bis auf 35 Prozent steigern [...]."
In den Jahren nach dem El Niño finden die überlebenden Tiere wieder genug Nahrung. Sie fressen viel und gut, werden dicker und beginnen dann auch, wieder zu wachsen. Von den 600 Leguanen, welche die Forscher 1992 gemessen und markiert hatten, schrumpften die Tiere, die 30 Zentimeter lang und größer waren, im darauffolgenden El Niño-Jahr am meisten, hatten aber auch die besten Überlebenschancen.
Wikelski und Thom vermuten, daß der Hauptgrund dieses Vorganges im Abbau von Knochenmaterial zu sehen ist, da eine Reduktion des Bindegewebes zwischen den Knochen keine so starke Schrumpfung hervorzurufen vermag. Weiterhin meinen sie, daß sehr hohe Konzentrationen an Corticosteroid-Hormonen beteiligt sein könnten. Doch besonders interessant sei nicht nur, daß die Knochen schrumpfen, sondern daß sie sich auch wieder erneuern. Denn leidet ein Mensch an Osteoporose, eine vorwiegend altersbedingte Knochen-Krankheit, ist es bisher noch nicht gelungen, seinen Knochen ihre ursprüngliche Länge und Dichte wiederzugeben. Das gilt besonders für den Befall von langen Knochen. "Wir suchen nach der Ursache", sagte Wikelski. "Ist es ein spezielles Hormon, eine Kombination von Hormonen oder ein anderer physiologischer Mechanismus, der den Knochen sagt, schrumpfe oder wachse? Ich denke, diese Frage zu klären, wäre ein Gewinn für alle Wirbeltierarten."
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