Farbwahrnehmung: Hierarchie von Farbbezeichnungen simuliert
Wo die eine Sprache bloß zwischen "hell gefärbt" und "dunkel gefärbt" unterscheidet, macht die andere äußerst feine Abstufungen: Das kontinuierliche Spektrum sichtbaren Lichts lässt sich nahezu beliebig in separate Farbkategorien aufteilen, und jede Sprache tut dies auf ihre eigene Weise. Allerdings geht es dabei offenbar nicht völlig mit dem Zufall zu: Wie Forscher beobachteten, ordnen sich Farbbezeichnungen weltweit in die Hierarchie dunkel > hell > rot > grün > gelb > blau > braun ein.
Gemeint ist damit Folgendes: Wenn in einer Sprache eine gegebene Farbbezeichnung existiert, kommen auch alle in der Hierarchie links davon stehenden Bezeichnungen vor. Kennt eine Sprache beispielsweise ein Wort für gelbe Farbschattierungen, kennt sie zwangsläufig auch eines für rote; umgekehrt ist dies jedoch nicht der Fall.
Eine überzeugende Erklärung für dieses Phänomen steht noch aus. So lässt sich etwa spekulieren, ob ihre Bedeutungen in der Umwelt die Spektralbereiche nach Wichtigkeit ordnen – Rot könnte als Warnfarbe giftiger Tiere vielleicht besondere kommunikative Relevanz haben. Denkbar wäre auch, dass dem Menschen ein grobes Kategoriensystem angeboren ist, das sich in der Hierarchie niederschlägt.
Nun aber haben Forscher um Francesca Tria vom Institute for Scientific Interchange in Turin eine vergleichsweise einfache Erklärung für dieses Phänomen experimentell untersucht, die ohne den Rückgriff auf solche komplexen Faktoren auskommt: Sie ließen in einem so genannten Sprachspiel sehr simple simulierte "Sprecher" und "Zuhörer" in abertausenden Ratespielen Farbnamen aushandeln. Ergebnis: Die virtuelle Sprachgemeinschaft einigte sich umso schneller auf eine Farbkategorie, je weiter vorne sie in der Hierarchie steht.
Lediglich eine zentrale Eigenschaft menschlicher Farbwahrnehmung mussten die Wissenschaftler ihren simulierten Sprechern mitgeben: die differenzielle Wahrnehmbarkeitsschwelle, die charakteristische Detailauflösung unseres Farbsehens. Zwei Farben, die so eng benachbart sind, dass sie diese Schwelle unterschreiten, können von Menschen nicht mehr als getrennte Farbschattierungen wahrgenommen werden. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Schwelle über das gesamte Spektrum variiert und beispielsweise im roten Bereich besonders hoch ist.
Die simulierten Agenten verfügten nun über ein simples Kategorisierungssystem, mit dem sie Ausschnitten des Spektrums eine Bezeichnung zuordnen konnten (etwa eine willkürlich gewählte Buchstabenkombination). Zu Beginn des Sprachspiels war diese Zuordnung noch leer. Nun nahmen die Agenten mal die Rolle des Sprechers, mal die des Zuhörers ein und bekamen dann zwei unterschiedlich gefärbte Objekte präsentiert. Die Forscher suchten die Färbung der zwei Objekte so heraus, dass sie nie die differenzielle Wahrnehmbarkeitsschwelle unterschritten.
Der Sprecher wählte nun nach dem Zufallsprinzip eines davon aus und teilte dem Zuhörer seine Wahl mit, indem er in seinem Kategorisierungssystem den entsprechenden Begriff heraussuchte oder – falls beide Objekte seiner internen Zuordnung zufolge in dieselbe Kategorie fielen – das System an dieser Stelle verfeinerte und zwei neue Begriffe erfand.
Stimmten die Kategoriensysteme der beiden Agenten überein, "verstand" der Zuhörer, welches Objekt gemeint war, und die Kommunikation galt als geglückt. Gab es zwischen den beiden Systemen Diskrepanzen, scheiterte die Kommunikation, und der Zuhörer tippte auf das falsche Objekt. Nun wurde er darüber informiert, welches der Objekte der Sprecher eigentlich gemeint hatte und mit welcher Bezeichnung er es belegt hatte. Diesen für ihn neuen Namen legte der Hörer nun in seinem eigenen Inventar ab und konnte ihn in folgenden Runden selbst benutzen.
Mit der Zeit einigten sich die Spieler so auf ein einheitliches Kategoriensystem, wobei die Forscher auch die Möglichkeit von verfeinernden Unterteilungen einräumten: Die Agenten konnten beispielsweise zusätzlich zur Kategorie "Blau" auch noch die Unterteilung in "Dunkel-" und "Hellblau" vornehmen, falls sie mit zwei blauen Gegenständen konfrontiert wurden.
Die statistische Auswertung tausender Runden mit bis zu 700 Spielern offenbarte anschließend, dass in aller Regel zunächst im roten oder magentafarbenen Bereich Einigkeit hergestellt wurde, anschließend im violetten Teil des Spektrums, gefolgt von Grün/Gelb, Blau, Orange und Cyan.
Die Forscher sind daher überzeugt, die Existenz der universellen Farbnamenhierarchie vorrangig mit der differenziellen Wahrnehmbarkeitsschwelle erklären zu können. Schnelle Einigkeit werde in erster Linie dort erreicht, wo sie besonders hoch ist. Nach demselben Prinzip könnte sich auch eine Sprachgemeinschaft am leichtesten auf diese Kategorien einigen beziehungsweise könnten solche Farbkategorien in der Kommunikation am stabilsten sein, erläutern die Forscher.
Anders als in der realen Welt bildete sich bei ihren Simulationen allerdings "Violett" als zweitschnellste Kategorie, während die Kategorie "Braun" überhaupt nicht auftrat. Hier verweisen die Wissenschaftler darauf, dass die erste Kategorie "Rot" zwar am anderen Ende des Spektrums liegt, jedoch häufig auch die violetten Schattierungen umfasst – insbesondere in jenem Stadium, in dem Sprachen nur über diese eine Bezeichnung verfügen. "Braun" hingegen sei bei genauerer Betrachtung eine uneinheitliche Kategorie, die verschiedene Töne umfasse und am ehesten mit "dunklem Orange" gleichzusetzen sei. In diesem Zusammenhang verweisen Tria und Kollegen auch darauf, dass das von ihnen verwendete eindimensionale Spektrum nicht völlig der Realität der menschlichen Farbwahrnehmung entspricht. Realistischer wäre es demnach gewesen, einen dreidimensionalen Farbraum aus Farbton, Sättigung und Helligkeit vorzugeben.
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