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Teilchenphysik: Mehrere Higgs-Teilchen vor dem Aus?

Manche Erweiterungen des Standardmodells der Teilchenphysik setzen weitere Higgs-Teilchen voraus. Forschende haben nun gezeigt, dass eine der Theorien schwer wiegende Probleme mit sich bringt.
Eine schematische Darstellung einer Teilchenkollision
An Teilchenbeschleunigern könnten weitere Higgs-Bosonen detektiert werden – sofern sie existieren.

Der 4. Juli 2012 ist ein bedeutendes Datum für die Teilchenphysik. An diesem Tag gaben Fachleute des CERN bekannt, das lang ersehnte Higgs-Teilchen nachgewiesen zu haben. Damit war das Standardmodell der Teilchenphysik endlich vollständig: Alle vorhergesagten Teilchen und Phänomene deckten sich mit den experimentellen Beobachtungen. Allerdings haben sich die Teilchenphysiker anschließend nicht zur Ruhe gesetzt – im Gegenteil. Sie arbeiten seither unermüdlich weiter, sowohl an Experimenten als auch an mathematischen Modellen; in der Hoffnung, eine Abweichung vom Standardmodell zu finden.

Denn dieses lässt viele Fragen über unsere Welt unbeantwortet. Warum gibt es beispielsweise so viel mehr Materie als Antimaterie? Woraus besteht die mysteriöse Dunkle Materie, die sich in zahlreichen Galaxien anreichert? Und wie könnte eine Verbindung des Standardmodells mit der Schwerkraft aussehen? Mögliche Antworten könnte eine Theorie liefern, die das bisherige Modell erweitert. So könnte man zusätzliche, bisher unentdeckte Teilchen zum Standardmodell hinzufügen – etwa weitere Higgs-Bosonen. Wie Forschende in den 1970er Jahren erkannten, ließe sich der Überschuss an Materie im Universum vielleicht erklären, wenn man das Standardmodell um weitere Higgs-Teilchen ergänzt. Doch nun haben die Physikerin Heather Logan und ihr Kollege Carlos Enrique de Lima von der Carleton University in Ottawa gezeigt, dass diese Erweiterung zu schweren mathematischen Problemen führt. Ihre Ergebnisse haben sie im November 2024 im Fachjournal »Physical Review Letters« veröffentlicht.

Das Standardmodell der Teilchenphysik ist neben der allgemeinen Relativitätstheorie eine der zwei Säulen der modernen Physik. Es umfasst drei von vier Grundkräften – Elektromagnetismus sowie die starke und die schwache Kernkraft – und beschreibt, welche Elementarteilchen es gibt und wie sie miteinander wechselwirken. Eine Sonderrolle nimmt dabei das Higgs-Teilchen ein: Es ist kein Baustein der gewöhnlichen Materie und auch nicht mit einer Grundkraft verbunden. Stattdessen ist das damit verbundene Feld dafür verantwortlich, dass Elementarteilchen eine Masse besitzen.

Standardmodell der Teilchenphysik | Die bekannteste Quantenfeldtheorie, das Standardmodell, beschreibt drei der vier bekannten Grundkräfte: den Elektromagnetismus (Photon, Elektron) sowie die starke (Quarks, Gluonen) und die schwache Kernkraft (Neutrinos, Muon, Tauon, Elektron, W- und Z-Bosonen). Zudem enthält es das Higgs-Boson, das über einen bestimmten Mechanismus einigen der Elementarteilchen ihre Masse verleiht.

Allerdings gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie so ein Higgs-Mechanismus ablaufen könnte. In seiner einfachsten Version, die inzwischen Teil des Standardmodells ist, gibt es ein Higgs-Feld und ein dazugehöriges Teilchen. Doch es könnte auch zwei oder mehr Higgs-Felder geben, die entsprechend weitere Higgs-Teilchen erzeugen. Diese hypothetischen Teilchen besäßen Eigenschaften, durch die sie unterschiedlich auf Materie und Antimaterie reagieren – was den beobachteten Materieüberschuss in unserem Universum erklären könnte.

Nicht ein, sondern zwei Higgs-Felder

Die beliebteste Erweiterung des Standardmodells ist jene mit zwei Higgs-Feldern. Um herauszufinden, welche Auswirkungen ein zweites Higgs-Feld haben würde, muss man komplizierte Berechnungen anstellen. Eine beliebte Methode bei Teilchenphysikern ist die so genannte Störungstheorie: In diesem Fall nimmt man an, dass die Teilchen zunächst kaum miteinander wechselwirken, und fügt dann nach und nach kleine Störungen dieses Idealfalls hinzu.

Taylorreihe | Die einfachste Methode, sich einer komplizierten Funktion zu nähern, ist das Taylorverfahren, auf dem auch die in der Physik genutzte Störungstheorie basiert. Damit lassen sich Funktionen wie der Sinus (schwarz) nähern. Je mehr Terme man berücksichtigt (rot: einer, orange: zwei, gelb: drei und so weiter), desto besser bildet der Ansatz die gesamte Lösung ab.

Wenn zum Beispiel zwei Elektronen aneinander gestreut werden, dann tauschen sie im einfachsten Fall nur ein Photon aus, was dazu führt, dass sie sich abstoßen und ihre Flugbahn etwas ändern. Das ausgetauschte Photon könnte aber während des Flugs auch kurzzeitig ein Elektron-Positron-Paar bilden, das sich kurz darauf wieder zu einem Photon verbindet. Indem man solche Effekte berücksichtigt, lassen sich die Ereignisse während eines Streuexperiments, wie es etwa in einem Teilchenbeschleuniger stattfinden könnte, vorhersagen.

Eine solche störungstheoretische Untersuchung lässt sich bloß durchführen, wenn die Teilchen nicht allzu stark miteinander wechselwirken. Und sie bringt noch ein Manko mit sich: Es tauchen unweigerlich Unendlichkeiten auf. Denn manche der beschriebenen Prozesse, etwa der kurzzeitige Zerfall des Photons in ein Positron-Elektron-Paar, liefern unendliche Beiträge zu den Berechnungen. In den 1940er Jahren wurde jedoch eine mathematische Methode gefunden, um diese Unendlichkeiten zu beseitigen: die Renormierung. Indem man einige als konstant angenommene Werte wie die Elektronenmasse, die Elektronenladung oder die Wechselwirkungsstärke als veränderlich ansieht, lassen sich die lästigen Unendlichkeiten beseitigen. Was wie ein seltsamer mathematischer Trick wirkt, lässt sich physikalisch rechtfertigen.

Renormierung als Rettung vor Unendlichkeiten

Wenn man die Ladung eines Elektrons bestimmt, tut man das in der Regel aus der Ferne. Nähert man sich dem Elektron immer weiter, treten Quanteneffekte auf. Laut der Quantentheorie ist der leere Raum nie wirklich leer, ständig entstehen Teilchen-Antiteilchen-Paare, die sich sogleich wieder vernichten. In der unmittelbaren Umgebung eines Elektrons schwirren diese Paare auch herum – und richten sich so aus, dass ihre Ladungen die des Elektrons abschirmen. Je weiter man sich einem Elektron also nähert, desto größer erscheint seine wahre Ladung. Demnach variiert die wahrgenommene Ladung eines Teilchens mit der Distanz, aus der man es betrachtet. Indem man diese Tatsache beachtet, verschwinden die Unendlichkeiten der störungstheoretischen Behandlung für die Theorien des Standardmodells.

Renormierung | Messgrößen wie die Ladung eines Teilchens entsprechen nicht ihren tatsächlichen (»nackten«) Werten. Weil das Vakuum nicht leer ist und aus vielen kurzzeitig erscheinenden Teilchen-Antiteilchen-Paaren besteht, schirmen diese die Ladung eines Elektrons ab. Je mehr man sich dem Teilchen nähert, desto größer erscheint sie. Solche Effekte muss man berücksichtigen, wenn man die Gleichungen der Quantenfeldtheorien auswertet.

Doch als de Lima und Logan die Erweiterung des Standardmodells um ein weiteres Higgs-Feld untersuchten, erkannten sie ein Problem. Die störungstheoretische Renormierung scheint in diesem Fall nicht zu funktionieren. Grund dafür ist, dass einige Parameter der Higgs-Felder durch die Renormierung komplexe Werte annehmen, also eine Summe aus einer reellen Zahl und der Wurzel aus einer negativen Zahl. In der Regel setzen Fachleute letztere auf null und betrachten sie als irrelevant. Doch bei der Erweiterung des Standardmodells verhindert ein solches Vorgehen, dass die Unendlichkeiten in den störungstheoretischen Berechnungen verschwinden. Damit scheint das Modell aus störungstheoretischer Sicht nichtrenomierbar – was ein schwer wiegendes Problem darstellt.

»Das heißt nicht, dass man alle Erweiterungen mit doppelten Higgs-Feldern in den Müll wirft«, sagte der Physiker Howard Haber von der University of California in Santa Cruz gegenüber »Science«. Man könne die nichtrenormierbare Erweiterung des Standardmodells als Annäherung an eine übergeordnete Theorie – etwa eine Quantengravitationstheorie – sehen, die ihrerseits aber renormierbar sein sollte. Bis eine solche gefunden ist, kann man mit dem bisherigen Modell weiterrechnen, wenn man die komplexen Parameter in Kauf nimmt.

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  • Quellen
De Lima, C. H., Logan, H. E.: Is the real Two-Higgs-Doublet model consistent? Physical Review Letters 133, 2024

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