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News: High Noon

Miesmuscheln, die in der Gezeitenzone an der Küste des US-Staates Washington leben, haben Pech: Im Sommer fallen sie ausgerechnet zur Mittagszeit häufig trocken und sind so besonders hohen Lufttemperaturen ausgesetzt.
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Es wird wärmer. Ob die Durchschnittstemperatur bis zum Ende des 21. Jahrhunderts "nur" um ein Grad oder um fast sechs Grad Celsius ansteigen wird, an der anthropogen bedingten Klimaänderung zweifelt kaum noch jemand. Bereits jetzt wirken sich Temperaturerhöhungen auf Tier- und Pflanzenarten aus. Insbesondere jenen Spezies, die bereits an ihrer oberen thermischen Verbreitungsgrenze leben, kann ein weiterer Temperaturanstieg arg zusetzen. Dies gilt beispielsweise auch für die Kalifornische Miesmuschel (Mytilus californianus), von der einige Wissenschaftler befürchten, dass sie durch ansteigende Temperaturen aus dem sonnigen Kalifornien vertrieben wird.

Demnach sollten sich vor allem die weiter im Süden lebenden Tiere in kältere Gewässer der nördlicheren Breiten zurückziehen. Doch Brian Helmuth von der University of South Carolina war dieses Modell zu simpel. Er wollte genau wissen, welchem Temperaturstress die Miesmuscheln der amerikanischen Pazifikküste tatsächlich ausgesetzt sind. Zusammen mit seinen Kollegen setzte er deshalb Temperaturfühler in ausgesuchte Muschelbänke, von Santa Barbara im südlichen Kalifornien bis nach Friday Harbor im US-Staat Washington an der Grenze zu Kanada. Damit deckte das Untersuchungsgebiet 14 Breitengrade beziehungsweise eine Distanz von über 1500 Kilometern ab.

Überraschenderweise litten die Bewohner Kaliforniens gar nicht so sehr unter der Wärme. Die Messungen zeigten vielmehr, dass gerade die Muscheln, die im eigentlich eher kühleren Washington lebten, zeitweilig besonders hohen Temperaturen ausgesetzt waren. Was war geschehen?

Die Antwort lieferte der Tidenkalender. Denn schließlich fallen die Tiere regelmäßig bei Niedrigwasser trocken und sind dann der Lufttemperatur unmittelbar ausgesetzt. Und da diese wesentlich stärker schwankt als die Wassertemperatur, spielt sie für den Temperaturstress der Tiere die entscheidende Rolle. Es kommt also darauf an, zu welcher Tageszeit das Wasser sich zurückzieht.

Der Eintritt der Gezeiten verschiebt sich nun jeden Tag. Doch der Zufall will es, dass für den Zeitraum von 1985 bis 2009 ausgerechnet die Stationen im Norden in den Sommermonaten Juni, Juli und August besonders häufig zur Mittagszeit trockenfallen, während in Kalifornien das Niedrigwasser öfter in den kühleren Morgen- und Abendstunden auftritt. Deshalb gibt es keinen Gradienten des Temperaturstresses, der von Süden nach Norden kontinuierlich abnimmt, sondern es tauchen im wahrsten Sinne des Wortes hot spots auf, bei denen die Temperatur besonders hoch ansteigen kann.

Dies erklärt auch, warum im Sommer 2002 besonders viele Miesmuscheln in Washington und Oregon das Zeitliche gesegnet hatten. Und ein Blick in die Zukunft ist auch möglich: Im Sommer 2003 werden viele Muschelbänke in Washington noch häufiger während der Mittagszeit trockenfallen. Entsprechende Verluste sind vorprogrammiert.

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