Sommer: Hilfe, die Wespen kommen!
Eben noch allein, rasen plötzlich erst eine, dann drei, dann fünf Wespen im Sturzflug zu Tisch. Sie rutschen in Gläser und schneiden Brocken aus dem Grillfleisch, schwirren nah an den Mund und spazieren flüchtig über die Hand. Lästig. Nervig. Und deutlich mehr als vergangenes Jahr – oder?
»Ich beschäftige mich nun schon seit fast 40 Jahren mit Wespen, und jedes Jahr fragt mich jemand, ob es dieses Jahr nicht besonders viele Wespen gibt«, sagt Andreas Taeger, Insektenkundler am Deutschen Entomologischen Institut der Senckenberg Gesellschaft im brandenburgischen Müncheberg. Doch »niemand zählt die Völker, und die klimatischen Verhältnisse in Deutschland sind regional sehr verschieden.« Letztlich müsse man jede Art und Region einzeln betrachten.
Denn es ist wie so oft: Ein paar wenige Störenfriede bringen eine ganze Gruppe in Verruf. Bei den Wespen sind es vor allem die Deutsche Wespe (Vespula germanica) und die Gemeine Wespe (Vespula vulgaris), die wirklich auf die Nerven gehen können. Das Gros der schwarz-gelben Insekten ist nicht nur völlig harmlos, sondern sogar äußerst nützlich.
Nach jetziger Kenntnis beeinflussen viele verschiedene Faktoren, wie stark sich die Insekten vermehren. Unter anderem das Wetter im April und Mai. Dann nämlich erwachen die Wespenköniginnen aus der Winterstarre und gehen auf die Suche nach geeigneten Nistplätzen, sagt der Zoologe Walter Deschle, Mitinhaber der Gesellschaft für Umweltbiologie in Ammerbuch bei Tübingen.
Dass man oft den Eindruck einer regelrechten Wespeninvasion gewinnt, hat auch mit dem Lebenszyklus der Tiere zu tun. »Im Juni fängt ein Wespenvolk damit an, Arbeiterinnen zu produzieren, da sieht man nur wenige Tiere, ab da verläuft das Wachstum dann aber exponentiell«, erklärt Volker Mauss, Biologe aus dem hohenlohischen Michelfeld. »Wenn man Ende Juli oder im August aus dem Urlaub zurückkommt, ist auf einmal alles voll Wespen.«
Wilde Vielfalt
Mit »Wespen« sind meist die sozialen Faltenwespen gemeint. Doch daneben gibt es Blattwespen, Erzwespen, Brackwespen, Gallwespen, Schlupfwespen, Goldwespen, Wegwespen, Dolchwespen, Grabwespen, Honigwespen und viele weitere Gruppen.
Faltenwespen haben ihren Namen von der Art, ihre Flügel in Ruhestellung längs zu falten. Dazu gehören die Echten Wespen (Vespinae) mit den beiden häufigsten Arten, der Deutschen und der Gemeinen Wespe sowie der Hornisse (insgesamt zwölf Arten der Echten Wespen gibt es in Deutschland, 69 Arten weltweit).
Weltweit sind 5000 Faltenwespenarten bekannt, aber es gibt noch deutlich artenreichere Wespenfamilien. Etwa die langbeinigen Schlupfwespen, mit mehreren zehntausend Arten (mehr als 3000 Arten in Deutschland), die ihre Eier mit Hilfe eines langen Legestachels in die Larven anderer Insekten legen. Auch die meist nur wenige Millimeter großen Erzwespen parasitieren an Insekten und sind sehr artenreich (mehr als 2000 Arten in Europa).
Gegenüber diesen Winzlingen muten die Wegwespen wie riesige Raubtiere an. Die teils mehrere Zentimeter großen Insekten haben sich ganz auf die Spinnenjagd verlegt. In Mitteleuropa kommen mehr als 100 verschiedene Arten vor. Tropische Spinnentöter erreichen eine Flügelspannweite von zehn Zentimetern und nehmen es auch mit handtellergroßen Vogelspinnen auf.
Die Gemeine Wespe verteidigt besonders aggressiv
Ob Wespenjahr oder nicht: Im Spätsommer, zur Zeit der Obstreife, wenn sich unsereins besonders gern im Freien aufhält, ist in Wespennestern besonders viel los. Dann werden die Deutsche und die Gemeine Wespe so richtig lästig. In einem einzigen Nest dieser Arten können zwischen 2000 und 3000 Arbeiterinnen leben. Und deren Gemeinschaft liebt eben nicht nur reifes Obst, sondern begeistert sich auch schnell für andere Futterquellen wie Marmelade, Limonade und Grillfleisch.
Wenn sich die Koordinaten solcher Köstlichkeiten im Wespenvolk erst mal herumgesprochen haben, bleibt eigentlich nur noch, Ruhe zu bewahren oder vorsichtig den Rückzug anzutreten. Denn die Wespen haben es nicht auf den Menschen, sondern das Futter abgesehen – sie sind zumeist entspannt, bis das Rumfuchteln beginnt. Oft nämlich macht erst wildes Wedeln die Tiere aggressiv und verleitet sie zum schmerzhaften, wenn auch nur selten gefährlichen Stich (siehe »So schützen Sie sich vor Wespen«).
So schützen Sie sich vor Wespen
Ruhe bewahren: Vermeiden Sie, zu schlagen, fuchteln oder pusten. Das kann die Tiere aggressiv machen. Sinnvoll ist es hingegen, die Lebensmittel wegzuräumen. Solange keine süßen Früchte, Fleisch oder zuckerhaltige Getränke herumstehen, werden die Wespen das Interesse wieder verlieren – oder man wartet bis zum Einbruch der Dunkelheit, denn nachts sind Wespen nicht aktiv.
Weder räuchern, noch ablenken: Räucherware hat meist keinen merklichen Erfolg und auch von Ablenkfütterungen ist abzuraten. Wespen orientieren sich optisch und olfaktorisch. Sie nehmen rasch wahr, wo viele Artgenossen sind, denn da gibt es meist auch viel zu Fressen. Eine Ablenkfütterung kann also schnell nach hinten losgehen.
Den Fachmann rufen: Letztlich kann nur ein Fachmann entscheiden, ob eine Umsiedlung in Frage kommt oder das Volk getötet werden muss. Wer ein Nest mutwillig zerstört, ausräuchert oder Gift einsetzt, riskiert je nach Wespenart eine Geldbuße von bis zu 65 000 Euro. Auch das Einflugloch zu verschließen, ist keine gute Idee. Meist finden die Tiere einen anderen Weg nach draußen – schlimmstenfalls führt die neue Flugroute durchs eigene Wohnzimmer.
Gestochen, was nun? Wespengift ist weniger toxisch als das von Honigbienen, allerdings ähnlich schmerzhaft. Selbst der Stich einer Hornisse, der größten einheimischen Wespe, ist nicht giftiger als der anderer Faltenwespen, aber deutlich schmerzhafter, weil das Gift sehr viel schmerzwirksames Acetylcholin enthält. Gefährlich kann ein Wespenstich nur werden, wenn eine Schwellung im Mund- oder Rachenraum die Luftzufuhr behindert oder jemand allergisch ist. Wer allergische Reaktionen wie juckenden Hautausschlag, Atemnot oder Herzrasen hat, sollte umgehend einen Arzt aufsuchen und später einen Allergietest machen lassen. Nur etwa vier Prozent der Bevölkerung haben allerdings eine Wespen- oder Bienengift-Allergie.
Die Deutsche Wespe und die Gemeine Wespe, die am häufigsten für Probleme sorgen, bauen ihre Nester gern in geschützte Hohlräume, also unterirdisch in Mäusenester, aber eben auch auf Dachböden, in Schuppen, Rollladenkästen oder Hausfassaden (siehe »Wie Wespen wohnen und futtern«). Im Umkehrschluss gehören alle Nester, die frei in einer Hecke, einem Baum oder unter Vordächern hängen, den friedlicheren und kaum störenden Feldwespen (Polistes) oder Langkopfwespen (Dolichovespula) – man sollte sie hängen lassen. Allerdings können in unmittelbarer Umgebung zum Nest selbst die friedlichsten Arten unleidlich werden. Dann ist ein Fachmann gefragt.
Walter Deschle siedelt seit mehr als 25 Jahren Wespen und Hornissen um. Etwa 200 Nestern verschaffen er und seine Kollegen jährlich eine neue Heimat oder beseitigen sie, wenn es nicht anders geht, mit Insektiziden. Nach seiner Erfahrung verteidigt die kleinste der gängigen Arten, die Gemeine Wespe ihre Brut besonders aggressiv, gefolgt von der Deutschen und der Sächsischen Wespe. Andere Arten wie die Mittlere Wespe, die Rote Wespe und die Hornisse – die größte Wespenart in Deutschland – seien nicht nur weniger aggressiv, sondern auch so selten, dass kaum Probleme aufträten.
Wie Wespen wohnen und futtern
Die Papierwespen, zu denen alle gängigen Wespenarten in Deutschland gehören, bauen filigrane Nester aus Holzfasern, die sie zu einer Art Pappmaché zerkauen. Die luftgefüllten Außenhüllen der kunstvoll gefertigten Nester der Echten Wespen dienen der Isolation des Nestes, denn die Larven mögen es wohlig warm. Feldwespen dagegen bauen ein offenes Nest ohne Hülle, das sie an einem warmen Ort platzieren. Dafür müssen sie es an heißen Sommertagen mit Wasser bespucken und befächeln, um die Larven darin zu kühlen.
Solitäre, also nicht sozial, sondern einzeln lebende Wespen sind häufig auf bestimmte Nahrungsquellen spezialisiert. Ähnlich wie Wildbienen legen die Weibchen dieser Arten Brutzellen etwa aus Lehm oder in totem Holz an, in die sie dann je ein Ei und ausreichend Nahrungsvorrat für die Entwicklung der Larve deponieren. Im Gegensatz zu den Wildbienen besteht der proteinreiche Proviant für die Larve aber nicht aus Blütenpollen, sondern aus tierischem Eiweiß. Dazu werden bestimmte Beutetiere wie Schmetterlingsraupen, Käfer- oder Blattwespenlarven mit einem oder mehreren Stichen betäubt und dann in die Brutzelle eingetragen. Die vom Wespengift gelähmte, aber noch lebende Beute, bleibt auf diese Weise lange genug frisch, um der Wespenlarve als Futter zu dienen.
Die sozialen Faltenwespen haben eine andere Strategie entwickelt. Sie nutzen ihren Stachel hauptsächlich zur Verteidigung des Nestes. Die Beute töten und zerlegen sie mit ihren kräftigen Kiefern, bringen sie zum Nest und verfüttern sie dort direkt an die Larven. Die Deutsche und die Gemeine Wespe mögen zudem Aas, wobei sie keinen Unterschied zwischen einer verwesenden Maus und einem saftigen Schweinenackensteak machen. Neben dem proteinreichen Futter für den Nachwuchs, benötigen Wespen viel Energie in Form von Zucker für ihre Jagdflüge, daher ihre Vorliebe für Süßspeisen.
Wespen helfen, Schädlinge zu regulieren
Was oft vergessen wird: Die meisten Wespen sind friedliche Gesellen und absolut schützenswert. Sie stehen Wildbienen und Hummeln – die Symbole für Insektenschutz schlechthin – in nichts nach.
Einige Pflanzenarten sind auf soziale Faltenwespen zur Bestäubung angewiesen etwa die Braunwurz oder die Breitblättrige Stendelwurz. Auch der Efeu, der sehr spät im Jahr blüht, vertraut auf die Bestäubung durch Wespen. Andere Pflanzen produzieren spezielle Duftstoffe, um Wespen anzulocken, wenn sie von Raupen heimgesucht werden. Denn Wespen machen sich vor allem durch das Vertilgen großer Mengen schädlicher Insekten wie Schmetterlingsraupen, Käferlarven oder Fliegen nützlich. »Gerade die beiden lästigen Arten sind sehr geschickte, schnell fliegende Jäger, deren Beute zu über der Hälfte aus Fliegen besteht«, betont Wespenexperte Mauss. Schlupfwespen wiederum sind als parasitische Gegenspieler anderer Insekten wichtige Schädlingsregulierer. Sie werden teilweise gezielt zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt.
Vielleicht ist das ja ein kleiner Trost, wenn man im Spätsommer mal wieder den Balkon oder die Terrasse den Wespen überlassen muss. Spätestens Ende Oktober wird der Spuk dann vorbei sein, weil die Arbeiterinnen im Herbst sterben. Wer für das nächste Jahr vorsorgen will, kann während des Winters in Ruhe alle Löcher, Ritzen und Spalten zustopfen und hoffen, dass sich die Tiere im nächsten Jahr andernorts einquartieren.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.