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News: Hilfe wider Willen

In psychiatrischen Kliniken läßt es sich nicht immer vermeiden: Zwangsmaßnahmen wie Isolierungen und mechanische Fixierungen gehören mit zum Alltag. Wann eine solche Maßnahme eingesetzt werden muß, das wird aber in den Kliniken sehr verschieden gehandhabt.
Zwar steht auch den Patienten in psychiatrischen Krankenhäusern Selbstbestimmung und Autonomie zu, aber es treten immer wieder Situationen auf, in denen Zwangsmaßnahmen, die den strafrechtlichen Tatbestand der Freiheitsberaubung erfüllen, notwendig werden. Darunter versteht man in erster Linie die zwangsweise Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus, Isolierung, zwangsweise Verabreichung von Medikamenten und, als heikelste Zwangsmaßnahme des psychiatrischen Alltags, die mechanische Fixierung (Fesselung), welche in der Regel unmittelbare körperliche Überwältigung des Patienten bedeutet. In einer Anhörung vor dem baden-württembergischen Landtag stimmten Experten darin überein, daß Fixierungen eine Ultima ratio und grundsätzlich nicht vermeidbar seien. Aus mehreren Aufsätzen in der Zeitschrift Psychiatrische Praxis (Georg Thieme Verlag, Stuttgart) geht jedoch hervor, daß im klinischen Alltag die Schwelle für Fixierungen recht niedrig zu sein scheint. Wann die rechtlichen Voraussetzungen für eine mechanische Fixierung erfüllt sind, nämlich zur Abwendung von Gefahren für Leben und Gesundheit des Patienten oder dritter Personen, aber auch bei erheblichen Autonomieverlusten, unterliegt einem großen Ermessensspielraum (Beispiel für die Standards einer psychiatrischen Klinik).

So findet man in der einen Klinik, daß 3,6 Prozent aller aufgenommenen Patienten mindestens einmal fixiert werden mußten, in der anderen sind es 10,2 Prozent. Fixierungen dauern in der Regel nur wenige Stunden, Isolierungen dagegen währen länger, wobei in ein und derselben Klinik im Verlaufe von drei Jahren die Dauer von Isolierungen drastisch zurückgegangen sind. Bei Isolation und zwangsweiser Verabreichung von Medikamenten liegen die Schwankungsbreiten ähnlich. Fremdgefährdendes Verhalten war in der einen Klinik zu 70 Prozent Anlaß für die Fixierung, in einer anderen nur zu 40 Prozent. Dabei spielt die Einstellung von Pflegepersonal und Ärzten eine Rolle, ob Fixierung und Isolierung häufiger einer drohenden gewalttätigen Eskalation vorbeugend oder als disziplinarische Reaktion auf aggressives Verhalten eingesetzt werden soll. Das Team auf der Station erlebt sich bei solchen Zwangsmaßnahmen paradoxerweise einer Situationsdynamik mehr oder minder einsam ausgeliefert, verbunden mit Gefühlen von Angst, Insuffizienz und Schuld.

Große Schwankungen ergeben sich, zumindest in der Schweiz, auch bei der Anzahl von Einweisungen. Während in der Ostschweiz 88 Prozent der Einweisungen mit der Begründung "Gefahr im Verzug" erfolgt sind, waren es in der Nordwestschweiz 93 %. Die Einweisungshäufigkeit pro 100 000 Einwohner lag in Basel-Stadt achtmal höher als in Basel-Land, in Schaffhausen etwa sechsmal höher als im benachbarten St. Gallen und etwa dreißig mal so hoch wie in Basel-Land.

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