News: Hinter den feindlichen Linien
Zystitis wird von dem uropathogenen Bakterium Escherichia coli (UPEC) verursacht. Wie Hultgrens Gruppe schon früher festgestellt hatte, heftet sich E. coli mit haarähnlichen Auswüchsen, den Typ-I-Pili, an die Blasenauskleidung. An der Spitze der Pili befindet sich ein Protein, das sich wie ein Klettverschluß an die Rezeptoren auf der Blasenwand koppelt und es den Bakterien so ermöglicht, sich anzuklammern.
Mulvey wollte die genaue Reaktion der Blase auf eine bakterielle Infektion erforschen. Zusammen mit den Elektronenmikroskopie-Experten John Heuser und G. Michael Veith gelangen dann die ersten hochauflösenden Schnappschüsse. Auf Bildern von Mäuseblasen kann man zwei Stunden nach der Infektion erkennen, wie sich E. coli an die Zellen der Auskleidung anklammert.
Die Blasenwand wird von sechseckigen Proteinplatten, sogenannten Uroplakinen bedeckt. Mit dieser Uroplakinschicht gingen die Pili eine direkte Wechselbeziehung ein. Die Fortsätze waren hierbei viel kürzer als wenn sie in Nährlösung gewachsen wären. Hultgren meint, daß entweder die Pili schrumpfen oder ihr Wachstum behindert wird, so daß sich die Pilus-Komponenten im Bakterium anhäufen. Dadurch werden bestimmte Gene eingeschaltet. Auf diese Weise könnte E. coli "spüren", wann es sich an die Blasenauskleidung angelagert hat.
Nach der Anlagerung der Bakterien lösten sich viele Zellen aus der Blasenauskleidung und transportierten die Bakterien ab. Sechs Stunden nach der Infektion waren fast 90 Prozent der Bakterien verschwunden und die darunterliegenden Zellen der Blasenwand lagen frei. "Dieser Eliminierungsprozeß gilt als natürlicher Abwehrmechanismus der Harnwege", sagt Hultgren.
Es könnte auch ein Beispiel eines altruistischen Selbstmordes der Tierzellen sein als Antwort auf eine Infektion. Mulvey zeigte, daß die Blasenzellen Protein-zerstörende Enzyme aktivierten und ihre DNA entzweischnitten, bevor sie sich ablösten. Er sagte: "Es ist eine Verteidigung an vorderster Front: Eine Gruppe von Zellen vernichtet sich mit Absicht selbst, um den Rest des Gewebes zu schützen." Mäuseblasen, die mit einem Medikament behandelt wurden, das den Selbstzerstörungsmechanismus der Zellen verhinderte, enthielten zwölf Stunden nach der Infektion 85 Prozent mehr Bakterien als unbehandelte Blasen. "Dies würde die These unterstützen, daß die Selbstzerstörung infizierter Blasenzellen hilft, die Bakterien zu eliminieren", sagte Mulvey.
Die Forscher waren überrascht, daß ein im Labor gezüchteter Stamm von E. coli mit Pili vom Typ I bei der Auslösung des Selbstzerstörungsmechanismus genauso effektiv war, wie der klinische Stamm. Fehlte jedoch denselben beiden Stämmen an den Spitzen der Pili das klebende Protein FimH, wurden sie von den Blasenzellen ignoriert. Daraus schließt Mulvey, daß die Bindung des FimH der entscheidende Auslöser bei der Selbstzerstörung der Blasenzellen ist.
Trotz der starken Reaktion der Blase auf E. coli blieb 48 Stunden nach der Infektion eine signifikante Anzahl von Bakterien zurück. Die meisten waren allerdings nicht an der Oberfläche. Elektronenmikroskopische Aufnahmen, die zwei Stunden nach der Infektion gemacht wurden, zeigen, wie die Bakterien in die Blasenauskleidung eindringen, von der sie anscheinend eingehüllt werden.
Mulvey entdeckte, daß die meisten der Bakterien, die nach zwei Tagen noch in der Blase verblieben waren, sich innerhalb von Blasenzellen zu verstecken schienen. "Es könnte sein, daß die Bakterien dem eingebauten Abwehrmechanismus der Blase widerstehen können, indem sie in tieferes Gewebe eindringen", sagt Hultgren. "Und das könnte erklären, warum viele Patienten trotz Behandlung mit Antibiotika an häufig wiederkehrenden Blaseninfektionen leiden: Die innerhalb von Blasenzellen geschützten Bakterien werden einfach nicht wirksam abgetötet."
Hultgrens Gruppe hat bereits einen FimH-Impfstoff entwickelt, der sich bei Mäusen als wirksam erwiesen hat und in den nächsten Jahren an Menschen getestet werden soll.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 25.11.1998
"Der Feind klopft an"
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