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Hirn auf Abwegen: Wir irren uns systematisch

Typische Wahrnehmungsverzerrungen und Merkfehler unterliegen einem Muster – und sind dabei gar nicht mal so blöd.
Mann im Profil hält sich Stift an die Stirn
Mit Fehlern nicht allein: Unsere neuronale Brille verzerrt in eine ähnliche Richtung. (Symbolbild)

Wir nehmen die Welt nicht immer wahr, wie sie ist. Das belegen zum Beispiel optische Täuschungen. Wahrnehmungsfehler erlauben Forschenden allerdings einen Einblick in die Arbeitsweise des Gehirns: Auf Grundlage welcher internen Berechnungen vertut es sich? Der Computerlinguist Michael Hahn von der Universität des Saarlandes entwickelte gemeinsam mit dem Psychologen und Mathematiker Xue-Xin Wei von der University of Texas in Austin ein mathematisches Modell, das entsprechende Verzerrungen erstaunlich gut vorhersagen kann. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten die beiden Mitte Februar 2024 im Fachblatt »Nature Neuroscience«.

Das Bild, das wir uns machen, ergibt sich aus dem betrachteten Reiz, der Verarbeitung dieser Sinnesdaten und dem Abgleich mit früheren Erfahrungen. So entstehen systematische Fehler: Menschen nehmen etwa einen leicht geneigten Balken schräger wahr, als er ist. Weit entfernte Objekte schätzen wir oft zu klein ein, und die Farbe eines Gegenstands empfinden wir anders, je nachdem welche Nuancen wir zuvor gesehen haben. Die Quellen solcher Fehleinschätzungen sind vielfältig: von ungenauer sensorischer Information über die Häufigkeit, mit der ein Reiz in der gewohnten Umgebung auftritt, bis zur Art, wie unser Gehirn bestimmte Abweichungen gewichtet. Wie diese Faktoren zusammenwirken und wann welcher besonders mächtig ist, haben Michael Hahn und Xue-Xin Wei in eine neue übergeordnete Theorie gegossen.

Die Vorhersagen, die sich aus der Theorie ergeben, glichen sie mit den Ergebnissen verschiedener Wahrnehmungsexperimente anderer Forschungsteams ab. In diesen sollten Versuchspersonen beispielsweise eine zuvor auf dem Bildschirm präsentierte Farbe rekonstruieren, wurden gebeten, die Anzahl kurz dargebotener Punkte zu schätzen oder die Ausrichtung mehrerer Streifen zu erfassen. Die Vorhersagen stimmten erstaunlich gut mit den Fehlern der Probanden überein.

»Das Gehirn spielt, vereinfacht gesagt, Wahrscheinlichkeiten durch«, so Michael Hahn, dessen Modell unter anderem die menschliche Tendenz, Schrägen noch schräger wahrzunehmen, erklären kann. Waagrechte und senkrechte Linien können wir nämlich sehr präzise erfassen; bei einer Neigung fällt es uns schwerer, den genauen Winkel zu benennen. Einen 30-Grad-Winkel schätzen Versuchspersonen typischerweise steiler ein, also eher in Richtung 45 Grad. »Denn wäre der Winkel flacher gewesen, hätte ich mich mit hoher Wahrscheinlichkeit präziser an ihn erinnert«, beschreibt Hahn den unbewussten Trugschluss.

Paradoxerweise fahren wir mit solchen Strategien offenbar sehr gut: »Diese Fehler passieren systematisch, weil der Mensch sich sonst schlechter an Informationen erinnern könnte«, so der Computerlinguist. Würde das Gehirn weniger auf Grundlage vorgefasster Regeln arbeiten, wären die Schätzungen im Mittel sogar ungenauer.

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